L 18 U 112/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 657/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 112/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK) gemäß § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der am 1934 geborene Kläger war von 1949 bis August 1992 in verschiedenen Molkereibetrieben zunächst als Arbeiter, dann als Schichtführer und Schichtmeister tätig. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit bezieht er seit 01.11.1994 Altersrente.

Am 21.03.1994 beantragte er bei der Beklagten die Anerkennung eines Bandscheibenleidens als BK. Nachdem die Beklagte Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt hatte, veranlasste der Staatl. Gewerbearzt Dr.H. die Einholung eines Gutachtens vom 02.07.1995 von den Orthopäden Dr.Th.B./ Dr.H ... Diese diagnostizierten beim Kläger rezidivierende Lumbalgien bei röntgenologisch nachweisbaren degenerativen Veränderungen sowie CT-gesicherten Bandscheibenprotrusionen in Höhe L4/L5 und L5/S1 und bejahten einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Berufstätigkeit und der Wirbelsäulenerkrankung. Die durch die BK verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzten sie auf 20 vH. Während Dr.H. die Anerkennung einer BK gemäß Nr 2108 der BKVO vorschlug, sah der von der Beklagten mit Stellungnahme vom 03.11.1995 gehörte Dr.W.S. eine anlagebedingte Deformität der LWS als wesentliche Teilursache der bandscheibenbedingten Erkrankung an und verneinte einen hinreichenden Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Exposition durch Heben und Tragen und der Erkrankung.

Daraufhin lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung als BK mit Bescheid vom 21.11.1995 ab. Im Widerspruchsverfahren ließ sie den Kläger von dem Arzt für Orthopädie Dr.B.H. untersuchen (Gutachten vom 05.09.1996). Dieser verneinte das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Computertomographisch sah er nur leichte (generalisierte) degenerative Veränderungen als nachgewiesen an. An der unteren Halswirbelsäule und auch an der unteren Brustwirbelsäule hingegen stellte er deutliche degenerative Veränderungen fest. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.1996 unter Berufung auf das Gutachten des Dr.B.H. zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg hat der Kläger die Anerkennung der Wirbelsäulen-Erkrankung als BK nach Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO und die Entschädigung mit einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH ab September 1992 begehrt. Das SG hat die Ärztin für Orthopädie H.C. mit Gutachten vom 12.07.1997 gehört. Diese hat zwar bandscheibenbedingte Veränderungen im LWS-Bereich in sehr geringem Umfang bejaht, die medizinischen Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK aber verneint. Sie hat die Wirbelsäulenveränderungen für überwiegend anlagebedingt gehalten und - wie Dr.B.H. - den Schwerpunkt der Veränderungen in der Brustwirbelsäule, nicht aber in der LWS gesehen. Der Kläger hat gerügt, dass sich weder die gerichtliche Sachverständige noch die Beklagte im Verwaltungsverfahren mit seiner Arbeitsanamnese auseinandergesetzt hätten. Er sei bereits zu Beginn seines Arbeitslebens schwersten körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen. Selbst wenn anlagebedingte Störungen der Wirbelsäule vorgelegen haben sollten, dürften die berufsbedingten Wirbelsäulenbelastungen die überragende Bedeutung für die Wirbelsäulen-Schäden gehabt haben.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28.01.1999 abgewiesen und sich auf die Gutachten der H.C. und des Dr.B.H. gestützt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und weiterhin die Anerkennung der Wirbelsäulen-Erkrankung als BK begehrt. Er hat gerügt, dass die Beklagte zu keiner Zeit den Technischen Aufsichtsdienst (TAD) mit einer Arbeitsanamnese beauftragt habe. Der Senat hat von dem Facharzt für Orthopädie Dr.R.C. ein Gutachten vom 30.08.1999 eingeholt, der wiederum eine berufsbedingte Wirbelsäulen-Erkrankung verneint und das Ausmaß der beim Kläger an der LWS festgestellten Schäden für eher gering und altersentsprechend gehalten hat.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 21.11.1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 24.10.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als BK nach § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 vH sowie Übergangsleistungen nach § 3 BKVO zu gewähren, hilfsweise ein arbeitstechnisches Gutachten einzuholen und G. M. als Zeugen für die Arbeitsbedingungen des Klägers in der Fa. G. im Zeitaum von 1958 bis 1983 einzuvernehmen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.1999 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Akte der Beklagten und die Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszuges Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK im Sinne des § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO liegen nicht vor.

Der Anspruch des Klägers ist noch nach den bis zum 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO und der BKVO zu beurteilen, da die behauptete BK vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten wäre (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKn sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung bezeichnet und die sich ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit zugezogen hat. Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO sind eine lendenwirbelsäulenbelastende berufliche Tätigkeit infolge langjährigen Hebens und Tragens schwerer Lasten oder in extremer Rumpfbeugehaltung (sog arbeitstechnische Voraussetzung), ferner eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS (medizinische Voraussetzung), die zur Aufgabe der belastenden Tätigkeit geführt hat. Für das Vorliegen einer BK ist - wie beim Arbeitsunfall - ein doppelter ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) u n d zwischen der schädigenden Einwirkung und Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei reicht sowohl für die Bejahung der haftungsbegründenden als auch der haftungsausfüllenden Kausalität die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus. Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl BSG Urteil vom 18.11.1997 2 RU 48/96).

Es liegen bereits die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nicht vor. Es ist nämlich nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Erkrankung an der LWS auf langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder auf langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung zurückzuführen ist. Denn die an der LWS des Klägers festgestellten Schäden sind nach den übereinstimmenden Feststellungen der gehörten Gutachter Dr.R.C. und H.C. sowie des von der Beklagten gehörten Gutachters Dr.B.H. ausgesprochen gering und altersentsprechend. So besteht beim Kläger kein Bandscheibenvorfall, sondern lediglich eine Bandscheibenprotrusion im Segment LWK4/5 ohne raum- oder nervalbedrängende Folgen. Auch Veränderungen im Sinne eines Bandscheibenverschleißes bestehen nicht. Es liegt jedoch eine konkurrierende Veränderung im Sinne einer sog idiopathischen Wirbelsäulen-Skoliose vor mit Reaktionen des Körpers auf asymmetrische Belastungen der Bandscheiben. Hinzukommt ein polysegmentales Schadensbild mit erheblichen degenerativen Veränderungen besonders an der Halswirbelsäule, aber auch an der Brustwirbelsäule. Bereits eine gleichmäßige Degeneration über sämtliche Wirbelsäulenabschnitte spricht gegen eine wesentliche Mitursächlichkeit einer äußeren Einwirkung (so Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, Seite 537 mwN).

Dem vom Beklagten eingeholten Gutachten des Dr.Th.B./ Dr.H. kann der Senat - wie schon das SG - nicht folgen. Diese Gutachter haben weder die ausgeprägte Wirbelsäulen-Fehlstatik durch die bestehende Skoliose noch die polysegmentale Wirbelsäulen-Erkrankung in ihre Beurteilung mit einbezogen. Da die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr 2108 der BKVO nicht vorliegen, kann es dahingestellt bleiben, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind.

Selbst wenn beim Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt wären, könnte nicht schon auf das Vorliegen eines Anscheinsbeweises zugunsten des ursächlichen Zusammenhangs eines LWS-Schadens mit schädigenden Einwirkungen bei der versicherten Tätigkeit geschlossen werden (BSG, Urteil vom 18.11.1997 - 2 RU 48/96). Vorliegend ist vielmehr nach der in der Unfallversicherung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ein Kausalzusammenhang zwischen der in der Nr 2108 aufgeführten BK und der Erkrankung des Klägers ausgeschlossen, da die anlagebedingten Gegebenheiten die allein wesentliche Bedingung der Wirbelsäulen-Erkrankung darstellen. Denn auch wenn unterstellt wird, dass exzessive berufliche Belastungen des Klägers vorgelegen haben, ist eine Anerkennung der LWS-Schäden als BK ausgeschlossen, da im LWS-Bereich keine Bandscheibenschäden im Sinne einer berufstypischen Schädigung festgestellt werden können. Ein arbeitstechnisches Gutachten zur Feststellung der beruflichen Gesamtbelastung der LWS wäre nur dann erforderlich, wenn aus medizinischer Sicht eine durch berufliche Belastungen verursachte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS denkbar wäre. Da dies nicht der Fall ist, bedurfte es weder der Einholung eines arbeitstechnischen Gutachtens zur Feststellung der beruflichen Gesamtbelastung der LWS noch der Einvernahme des vom Kläger zu den Arbeitsbedingungen angebotenen Zeugen.

Eine Verurteilung zur Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 BKVO kommt nicht in Betracht, da der Kläger bereits berentet ist und die konkrete Gefahr der Entstehung einer BK nicht besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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