L 17 U 114/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 74/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 114/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.01.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Strittig ist die Gewährung von Verletztenrente.

Der am 1970 geborene Kläger erlitt am 29.03.1996 einen Arbeitsunfall/Wegeunfall, als der PKW, in dem er als Beifahrer mitfuhr, auf einen plötzlich ausscherenden LKW aufprallte. Der Kläger zog sich dabei eine HWS-Distorsion, eine schwere BWS-LWS-Kontusion sowie einen Bruch des Lendenwirbelkörpers (LWK) I zu (D-Arzt-Bericht 29.03.1996 und Arztbericht 02.05.1996 Prof.G./J.-Spital W.). Zur Abklärung der auf Dauer verbliebenen Unfallfolgen holte die Beklagte einen H-Arztbericht des Dr.W. (07.08.1996) und ein erstes Rentengutachten des Prof.G. (02.12.1996) ein. Auf dieser Basis anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 21.01.1997 den Unfall als Arbeitsunfall sowie als Unfallfolgen "Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule. Muskelverspannungen im Bereich der Lendenwirbelsäule.", während nicht anerkannt wurden "Verschleißerscheinungen im Bereich der Brustwirbelsäule. Beckenschiefstand rechts. Wiederkehrende Lumbago". Gleichzeitig bewilligte die Beklagte eine Gesamtvergütung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH für den Zeitraum 17.05.1996 bis 31.03.1997.

Am 15.09.1997 machte der Kläger fortbestehende und wieder verstärkte LWS-Beschwerden geltend und beantragte Leistungen der Beklagten, insbesondere Verletztenrente. Im darauf von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr.H. vom 06.11.1997 schätzte dieser die unfallbedingte MdE für die Zeit 01.04. bis 30.09.1997 auf 10 vH und seit 01.11.1997 auf 0 vH, weil die Unfallfolgen ausgeheilt und Störungen der unteren Lendenwirbelsäule unfallfremd seien. Dem folgend lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.12.1997 (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 28.01.1998) einen Anspruch auf Rente nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums ab.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben mit dem Begehren, wegen der Unfallfolgen eine rentenberechtigende MdE anzuerkennen. Nach Beiziehung der einschlägigen Röntgen- und MRT-Aufnahmen hat auf Veranlassung des SG Dr.H. ein Gutachten vom 18.03.1999 und gem § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr.B. ein Gutachten vom 20.08.1999 erstellt. Beide Sachverständige haben übereinstimmend als wesentliche Unfallfolge einen Bruch des LWK I angenommen, von dem ein unfallunabhängiges Syndrom der unteren LWS mit kernspintomografisch nachgewiesener Bandscheibenvorwölbung L 5/S 1 zu trennen sei. Übereinstimmend haben sie die unfallbedingte MdE für die Zeit ab 01.04.1997 mit 10 vH festgelegt, eine MdE von unter 10 vH hat Dr.H. ab 06.11., Dr.B. ab 01.10.1997 angenommen. Das SG hat mit Urteil vom 26.01.2000 die Klage abgewiesen, in dem es sich beiden Sachverständigengutachten angeschlossen hat.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und behauptet, auch die Schädigungen im Bereich L 5/S 1 entsprechend MRT-Diagnose des Dr.H. vom 22.03.2000 seien unfallbedingt. Ergänzend hat er sich auf ein Gutachten des Dr.L. vom 03.05.2000 bezogen, der auch die lumbale Situation der unteren LWS als unfallbedingt, bei allerdings einer MdE von unter 10 vH angenommen hat. Nach Beiziehung der einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen sowie nach Vorlage eines fachradiologischen Gutachtens des Prof.P. vom 26.09.2000 durch die Beklagte hat der Senat gem § 109 SGG ein Gutachten des Dr.L. vom 21.10.2001 eingeholt. Dieser hat unter Bezugnahme auf sein Gutachten vom 03.05.2000 eine unfallbedingte Gefügestörung L 5/S 1 angenommen und dies mit der glaubhaften vorherigen Beschwerdefreiheit des Klägers begründet. Die MdE hat er weiterhin mit unter 10 vH eingeschätzt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Würzburg vom 26.01.2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.1998 zu verurteilen, wegen der Folgen des Unfalles vom 29.03.1996 über den 31.03.1997 hinaus eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 26.01.2000 zurückzuweisen.

Ergänzend wird zum Sachverhalt auf die Beklagtenakten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist formell und inhaltlich rechtmäßig. Der Kläger hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.03.1996 weder Anspruch auf Verletztenrente über den 31.03.1997 hinaus noch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen im Wirbelsäulen-Bereich L 5/S 1.

Anzuwenden ist noch die Reichsversicherungsordnung (RVO), der anspruchsbegründende Unfall hat sich vor In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) zum 01.01.1997 ereignet (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

Als Verletztenrente wird, solange infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 1/5 gemindert ist, der Teil der Vollrente, der dem Grad der MdE entspricht (Teilrente) gewährt (§ 581 Abs 1 Nr 2 RVO). Bei der Bewertung der MdE handelt es sich grundsätzlich um eine Schätzung, bei der der Grad der unfallbedingten MdE nicht völlig genau, sondern annäherungsweise feststellbar ist (Lauterbach, Unfallvers., SGB VII Band II § 56 RdNr 28 mit Verweis auf die Rechtsprechung des BSG). Soweit in der Literatur Tabellenwerke veröffentlicht sind (zB Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung oder Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit) und dort zur Beurteilung der MdE Werte angegeben sind, stehen diese unter dem Vorbehalt, dass sie dem medizinischen Sachverständigen lediglich Anhaltspunkte für die erste summarische Einschätzung der individuellen MdE bieten sollen, die nicht von der Würdigung des Einzelfalles entheben (Lauterbach, aaO sowie RdNr 29). Die Entscheidung, in welchem Grad die Erwerbsfähigkeit gemindert ist, stellt eine tatsächliche Feststellung dar, die das Gericht gem § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl BSG vom 02.05.2001, B 2 U 24/00 R). Dabei stellen ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE dar (BSG SozR 2200 § 581 Nrn 23, 27). Für die Bemessung der MdE sind vor allem zwei Faktoren von Bedeutung: Die unfallbedingte gesundheitliche Leistungseinschränkung und die dadurch verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten im allgemeinen Erwerbsleben (vgl Brackmann/Burchardt, Handbuch der Sozialversicherung, 12.Aufl 2000, SGB VII, § 56 RdNr 7).

In Würdigung der Ausführungen sämtlicher gehörter Sachverständiger sowie des Gutachtens des Dr.L. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Folgen des Arbeitsunfalles vom 29.03.1996 auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens über den von der Beklagten entschädigten Zeitraum bis 31.03.1997 hinaus nicht im rentenberechtigenden MdE-Grad von wenigstens 20 vH gemindert ist. Die mit den Folgen des Unfalls befassten Sachverständigen haben die MdE ab 01.04.1997 nur mit einer MdE von allenfalls 10 vH und ab Oktober/November 1997 mit einer MdE von unter 10 vH eingeschätzt. Übereinstimmend haben sie als wesentliche Unfallfolge einen Bruch des LWK 1 mit nur geringer Keilwirbelbildung angenommen, der ohne Beeinträchtigung der Statik der Wirbelsäule oder der Nerven geblieben ist und der die Leistungsfähigkeit der Wirbelsäule nicht beeinträchtigt. Hierfür ist nach den Beurteilungskriterien von Erdmann eine MdE von unter 10 vH sowie nach dem Segmentprinzip eine MdE von 3,3 anzunehmen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl, S 500, 501). Ist die Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule durch einen verheilten Wirbelkörperbruch nicht beeinträchtigt, lässt sich eine MdE wie vom Kläger begehrt auch anderweitig nicht begründen. An dieser Stelle kann offen bleiben, ob die Störungen im Segment L 5/S 1 unfallbedingt sind oder nicht, weil auch nach der Einschätzung des Dr.L. , der als Einziger die Unfallbedingtheit dieser Störung bejaht hat, eine Gesamt-MdE von unter 10 vH verbleibt.

Soweit gem § 153, § 106 Abs 1 SGG das Begehren des Klägers dahingehend auszulegen sein sollte, dass er die Feststellung der Veränderungen im LWS-Bereich L 5/S 1 als weitere Unfallfolge begehrt, bleibt auch insoweit der Berufung der Erfolg versagt. Wie Dr.H. und Dr.B. überzeugend ausführen waren im Frühjahr 1997 die unfallbedingten Folgen weitgehend ausgeheilt und abgeklungen. Der Kläger hat dementsprechend auch seine Tätigkeit wieder am alten Arbeitsplatz ausgeübt. Erst nach mehrmonatigem behandlungs- und schmerzfreiem Intervall sind plötzlich im September 1997 die Beschwerden im unteren LWS-Bereich aufgetreten. Dies widerlegt einen Zusammenhang mit dem Unfall, der sich rund eineinhalb Jahre vorher ereignet hatte. Der anderweitigen Ansicht des Dr.L. kann nicht gefolgt werden. Zum Einen führt er aus, die Gefügelockerung könne durchaus auf das Unfallereignis zurückgeführt werden, so dass allein auf Grund dieser Formulierung eine unfallunabhängige Ursache nicht ausgeschlossen wird. Zum Anderen lässt sich mit der Beschwerdefreiheit vor dem Unfall, einem nur geringfügigen Beckenschiefstand und dem jungen Alter des Klägers allein ein Unfallzusammenhang nicht begründen. Denn dabei wird das mehrmonatige beschwerde- und schmerzfreie Intervall bis September 1997 außer Acht gelassen. Nicht berücksichtigt wird auch, dass die Beschwerden infolge der Bandscheibenvorwölbung unvermittelt aufgetreten sind, was für ein Neuhinzutreten einer eigenständigen Schädigung spricht.

Die Berufung bleibt damit ohne Erfolg.

Kosten: § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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