L 2 U 180/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 U 234/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 180/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19.03.1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit der Berufskrankheitenanzeige vom 21.06.1995 wies der Lungenarzt Sch ... darauf hin, die Klägerin leide unter Husten, Schweißausbrüchen, Bronchitis und Atemnot; angenommen werde eine Berufskrankheit nach Nr.1315, evtl. auch 4201.

Die Klägerin war von 1977 bis 1978 als Krankenpflegevorschülerin, von 1985 bis 14.03.1995 als Kunststofffertigerin beschäftigt. Ihr letzter Arbeitgeber, die Fa.B ..., teilte mit, die Klägerin habe ab 03.04.1989 als Polyestergießerin täglich acht Stunden gearbeitet. Dabei sei sie in Kontakt zu Aceton und Monostyrol (Styrol) gekommen. Aufgrund der Messuntersuchungen des Dr.L ... vom Gewerbeaufsichtsamt Regensburg am 21.11.1989 seien die Absauger verstärkt, Behälter und Plattenablage gekapselt worden, um die Styrolkonzentration auf den zulässigen Wert zu bringen.

Im Gutachten des Arbeitsamtsarztes S ... vom 16.05.1995 wird ausgeführt, die Klägerin habe seit 1985 zunehmend an Atembeschwerden, Hustenreiz, teilweise Auswurf, Schweißausbrüchen nachts gelitten und sei seit einem Jahr ständig wegen Reizzuständen der Nasenschleimhäute in Behandlung. Seit Aufgabe der Tätigkeit hätten sich die Beschwerden zunehmend gebessert. Es bestehe eine Allergie gegen Gräser, Baumpollen, Kräuter und Hundehaare.

Aus den Unterlagen der AOK Tischenreuth ergibt sich, dass die Klägerin 1987 drei Tage wegen Laryngitis, Tracheitis und Bronchitis erkrankt war und 1995 vom 15.03. bis 07.04. wegen Bronchitis.

Im Befundbericht vom 06.07.1995 teilte der Lungenarzt Sch ... mit, er habe die Klägerin 1983 als Stationsarzt betreut, als sie eine jetzt ausgeheilte Lungentuberkulose durchgemacht habe. Die Klägerin gebe an, die Beschwerden würden am Wochenende besser und am Montag zunehmen, wenn sie ihren Arbeitsplatz wieder aufsuche. Er übersandte Untersuchungsbefunde über Fluß-Volumen und Bodyplethysmographie-Messung, Allergentestbogen, einen Bericht des Internisten und Lungenarztes Prof.Dr.Se ... über Immunserologie der exogen-allergischen Alveolitis und Lungenfibrose, einen Bericht der Laborärzte Dr.H ... und Kollegen über Allergietestungen sowie Untersuchungsbefunde von dem Internisten und Arbeitsmediziner Prof.Dr.Le ... vom 22.05.1995. Aus den Befunden gehe ein schwach positiver Befund der IgG-Antikörper gegen Isozyanat MDI hervor, so dass eine Isozyanat-Alveolitis oder eine andere Isozyanat- Lungenerkrankung nicht ausgeschlossen werden könne. Eine begleitende Nikotinabstinenz sei unerlässlich. Weiter liegt ein Bericht des Hautarztes und Allergologen Priv.-Doz.Dr.La ... vom 15.02.1995 vor, der zu dem gleichen Schluss kommt.

In den Gutachten vom 11.10.1995 und 12.09.1995 sowie vom 20.05.1996 und 15.02.1996 kamen der Arbeitsmediziner Prof.Dr.Ha ... und die Dermatologin und Allergologin Prof.Dr.B ... zu dem Ergebnis, nach einem arbeitsplatzbezogenen Inhalationstest mit Exposition gegenüber Palatal, das mit Kobaltlösung sowie Styrol, Farbpaste und Härter vermischt worden sei, habe die Klägerin über ein kribbelndes Gefühl in der Nase geklagt. Nach 20 Minuten habe der Test wegen erschwerter Atmung abgebrochen werden müssen. Unmittelbar danach habe eine deutliche expositionsbedingte obstruktive Ventilationsstörung bestanden. Ungefähr eine Stunde später hätten sich die Atemwegswiderstände spontan normalisiert. Aufgrund dieses Testergebnisses seien die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung der Berufskrankheit Nr.4302 erfüllt. Die positive Testreaktion auf Palatal vom 12.09.1995 habe sich am 15.02.1996 nicht reproduzieren lassen.

Der technische Aufsichtsdienst der Beklagten teilte mit Schreiben vom 01.08.1996 mit, bei den Messungen am 21.11.1989 habe die Styrolkonzentration beim nahezu dreifachen des Grenzwertes gelegen. Im Hinblick auf die vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahmen sei nun von einer wesentlichen Verbesserung der Situation auszugehen. Messergebnisse lägen nicht vor.

In der Stellungnahme vom 10.10.1996 führte die Gewerbeärztin Dr.Ho ... aus, bei der Untersuchung durch Prof.Dr.Le ... im März 1995 hätten sich keine Hinweise auf eine erhöhte Styrolbelastung ergeben. Es sei eine unauffällige Lungenfunktion gemessen worden. Für eine Allergie gegen Berufsstoffe hätten sich keine Hinweise ergeben. Nachgewiesen seien eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität und eine expositionsbedingte obstruktive Ventilationsstörung. Sie sei berufsunabhängig entstanden durch Nikotinabusus und rezidivierende eitrige Sinubronchitiden. Gegen eine berufliche Verursachung spreche, dass arbeitsplatzbezogene Beschwerden erst ab 1992 angegeben würden, obwohl die Klägerin seit 1985 in der Fabrik gearbeitet habe. Im Rahmen der berufsunabhängig entstandenen bronchialen Hyperreagibilität sei es am Arbeitsplatz auch bei relativ geringer Exposition gegenüber atemwegsreizenden Stoffen zur zeitweisen Verschlimmerung der Atemwegserkrankung gekommen. Eine richtunggebende Verschlimmerung sei nicht wahrscheinlich, so dass die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr.4302 nicht empfohlen werde.

Der Internist, Arbeitsmediziner, Lungenarzt und Allergologe Dr.Sü ... führte in der Stellungnahme vom 25.11.1996 aus, die von Prof.Ha ... angenommene deutliche obstruktive Ventilationsstörung könne er anhand des Lungenfunktionsprotokolls nicht nachvollziehen. Die spezifische Resistance sei um deutlich weniger als 50 angestiegen und habe vorübergehend geringfügig über dem Normwert gelegen. Für einen gutachterlich positiv zu wertenden Provokationstest sei zumindest eine Verdoppelung der spezifischen Resistance zu fordern. Darüber hinaus seien Expositionstests mit chemisch-irritativen Substanzen nicht geeignet, eine BK Nr.4302 zu belegen. Bei Personen mit einer obstruktiven Ventilationsstörung oder einer ausgeprägten bronchialen Hyperreagibilität ließen sich naturgemäß mit irritativ am Bronchialsystem wirkenden Stoffen Reaktionen auslösen. Dies habe nichts mit einer arbeitsbedingten Verursachung zu tun. Für Styrol gebe es scharfe Grenzwerte, die in der Arbeitswelt oft nur mit hohem Lüftungsaufwand eingehalten werden könnten. Bei einem unkontrollierten Expositionstest mit Styrol sei es problemlos möglich, den zulässigen MAK-Wert um ein Vielfaches zu überschreiten.

Mit Bescheid vom 24.04.1997 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.4302 der BKV ab.

Den Widerspruch der Klägerin vom 11.05.1997, mit dem sie einwandte, Prof.Dr.Ha ... habe eine Veränderung der Lungenfunktion festgestellt, nachdem sie etwa 10 Minuten mit einem Kilo angesetzten Kunststoff bei geöffnetem Fenster verbracht habe; eitrige Nasennebenhöhlenentzündungen und Bronchitiden seien vor der Beschäftigung im Kunststoffbereich nicht aufgetreten, obwohl sie auch vorher geraucht habe; bei dem Besuch des Gewerbeaufsichtsamtes sei wegen Kurzarbeit in der Kunststoffabteilung nicht gearbeitet worden, dadurch seien zu niedrige Werte gemessen worden, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.1997 zurück.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit der Klage vom 30.06.1997 gewandt.

Das SG hat einen Befundbericht des praktischen Arztes W ... vom 30.04.1998 beigezogen, der eine chronisch-rezidivierende Sinubronchitis diagnostiziert hat. Seit 1995 sei es zu einer Zunahme der Atembeschwerden gekommen.

Der vom SG beauftragte ärztliche Sachverständige, der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde und Allergologie Dr.F ..., ist im Gutachten vom 09.06.1998 zu dem Ergebnis gekommen, die Klägerin habe über mehrere Jahre am Arbeitsplatz Kontakt mit Stoffen gehabt, die eine Reizung der Atemwege hervorgerufen hätten. Diese Reizung sei sowohl allergischer als auch chemisch-toxisch-irritativer Art gewesen. Aufgrund dieser Exposition habe sich eine obstruktive Atemwegserkrankung entwickelt. Der Zusammenhang sei durch Allergietests und Lungenfunktionstests nachgewiesen. Auch nach Beendigung der gefährdenden Tätigkeit bestehe die Erkrankung fort. Die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr.4302 und 4301 seien erfüllt. Die MdE sei auf 30 v.H. zu schätzen. Bei den allergiesierenden Stoffen handelt es sich um eine Mischung aus Palatal, Kobaltlösung, Styrol, Farbpaste und Härter. Styrol wirke auch irritativ. Bei Azeton sei eine Verstärkung der bronchialen Hyperreagibilität wahrscheinlich.

In der Stellungnahme vom 30.07.1998 hat der beratende Arzt der Beklagten, Dr.Sü ..., ausgeführt, bei der Klägerin sei eine erheblich gesteigerte bronchiale Reagibilität nachgewiesen. Prof.Ha ... beschreibe darüber hinaus eine belastungsinduzierte Bronchialobstruktion. Unspezifische Effekte am Bronchialsystem, bedingt durch eine bronchiale Irritabilität im Rahmen einer obstruktiven Atemwegserkrankung, seien nicht geeignet, ursächliche Zusammenhänge mit Arbeitsplatzeinflüssen wahrscheinlich zu machen. Die Reaktion auf den Arbeitsversuch habe nicht annähernd die Kriterien eines positiven bronchialen Provokationstestes erfüllt, zumal bei der Klägerin im Spontanverlauf einige Wochen zuvor die gleichen Veränderungen, nämlich eine diskrete Erhöhung der zentralen Atemwegswiderstände, ohne Arbeitsplatzeinflüsse dokumentiert worden seien. Es lägen hier also sicher keine spezifischen Effekte vor, die als Grundlage für eine Zusammenhangsbeurteilung im Sinne einer BK Nr.4302 dienen könnten. Die von Dr.F ... angenommene allergisch bedingte obstruktive Atemwegserkrankung sei nicht dokumentiert. Prof.Ha ... beschreibe bei der Klägerin nach dem Provokationstest ein kribbelndes Gefühl in der Nase. Niesen, Naselaufen oder eine behinderte Nasenatmung seien nicht festgestellt. Der Expositionstest ergebe also keinen Hinweis auf eine positiv zu wertende Reaktion im Bereich der oberen Atemwege. Die Klägerin habe auch gegenüber ihren früheren behandelnden Ärzten nie über Probleme mit der Nase am Arbeitsplatz geklagt.

Die Klägerin hat dagegen mit Schreiben vom 24.09.1998 (76) eingewandt, sie habe von Anfang an gegenüber sämtlichen Ärzten angegeben, dass sie immer an einer laufenden Nase leide und teilweise blutige Schleimhäute habe.

Mit Urteil vom 19.03.1999 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 24.04.1997 sowie den Widerspruchsbescheid vom 20.06.1997 aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin Leistungen wegen einer Berufskrankheit nach Ziff.4302 der Anlage zur BKVO zu gewähren. Unstreitig leide die Klägerin an einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Prof.Ha ... habe im arbeitsplatzbezogenen Test ein Gemenge der am Arbeitsplatz vorhandenen Substanzen verwandt, das dem Gebot der Arbeitsplatzbezogenheit entspreche. Die bei den verschiedenen Lungenfunktionsprüfungen dokumentierten Defekte seien also nicht ausschließlich auf den Nikotinkonsum zurückzuführen, sondern ein Teil mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit auf chemische Substanzen, denen die Klägerin beruflich ausgesetzt gewesen sei. Hierfür spreche auch der Verlauf der Erkrankung, bei dem sich das Beschwerdebild während der arbeitsfreien Intervalle verbessert habe. Der Umstand, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten erst ab 1995 attestiert seien, lasse nur den Schluss zu, dass die Klägerin entweder mit Fatalismus ihre Krankheit hingenommen habe oder dass sie, was mangels anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten nicht ungewöhnlich sei, trotz Beschwerden weiterhin zur Arbeit gegangen sei. Aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin im Verlauf von zehn Jahren schädigenden Stoffen, die erfahrungsgemäß zu obstruktiven Atemwegserkrankungen führen könnten, ausgesetzt gewesen sei und dass der erhebliche Nikotinkonsum nicht für das Gesamtausmaß der Beeinträchtigung verantwortlich sein könne, zudem Ausfallerscheinungen beschrieben seien, die auf einen engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit schließen ließen, sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen ein abgrenzbarer Teil der obstruktiven Atemwegserkrankung der Klägerin auf berufliche Noxen zurückzuführen sei.

Mit der Berufung vom 04.05.1999 wendet die Beklagte ein, ein Anscheinsbeweis für eine berufliche Verursachung greife nicht ein, da die Klägerin starke Raucherin gewesen sei. Die Beschwerden seien erst drei Jahre nach einer deutlich geringeren Exposition aufgetreten. Davor hätten bei deutlich höherer Exposition keine Beschwerden bestanden.

Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Prof.Dr.Fr ... führt im Gutachten vom 26.07.1999 aus, bei der Klägerin bestehe eine obstruktive Atemwegserkrankung geringgradigen Ausmaßes. Die objektiven Untersuchungsbefunde belegten zwar eine obstruktive Ventilationsstörung, die aber unter Normalbedingungen nur einmal manifest, öfters im Sinne eines hyperreagiblen Bronchialsystems nachgewiesen und insgesamt nur geringgradig einzustufen sei. Die Blutgasanalysen hätten nämlich keine Sauerstoffarmut des Blutes ergeben. Zudem könne Übergewicht nicht selten Atembeschwerden bei Belastung verursachen oder anderweitig verursachte Atemnot erheblich verstärken. Insbesondere sei kein krankhafter Abhörbefund über den Lungen im Sinne einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung aktenkundig. Die Klägerin sei vom 01.12.1986 bis 15.03.1995 nur zehn Tage wegen Entzündungen der Atemwege arbeitsunfähig gewesen. Daraus sei zu schließen, dass die Atemwegserkrankung erst acht bis neun Jahre nach Beginn ihrer Arbeit aufgetreten sei. Diese Feststellung berücksichtige, dass während der gesamten Arbeitszeit durch schleimhautreizende Gase und Dämpfe Irritationen an den Atemwegen aufgetreten seien, die zu Husten und Atembeschwerden, aber nicht zu einer Erkrankung geführt hätten. Grundsätzlich müsse man das Auftreten von vorübergehenden Reizerscheinungen trennen von dem Vorhandensein einer Erkrankung.

Von Bedeutung sei, dass der Lungenarzt Sch ... am 16.03.1995 eine erhebliche Sensibilisierung der Klägerin gegen Gras und Baumpollengemisch, insbesondere gegen Birken-, Buchen- sowie Erlenpollen festgestellt habe, auch gegenüber Kräutern, vor allem Beifuss und Gänsefuß, geringer gegen Hundeepithelien. Die Symptomatik der Verlegung der Atemwege im Sinne einer Nasennebenhöhlenaffektion mit einer polyvalenten Sensibilisierung gegenüber Umweltallergenen sei in aller Regel typisch dafür, dass es sich um eine allergische Erkrankung gegenüber üblichen Umweltallergenen handle. Trotz der Angabe der Klägerin, dass sie nicht unter Heuschnupfen leide und auch unter Berücksichtigung, dass die Nasennebenhöhlenröntgenaufnahme keinen krankhaften Befund gezeigt habe und trotz der Feststellung von Frau Prof.B ..., die im September/Dezember 1995 nur ein positives Hauttestergebnis auf ein Kräutergemisch habe diagnostizieren können, entspreche es allgemeinärztlicher und allergologischer klinischer Erfahrung, dass bei der Klägerin 1994/1995 eine Sensibilisierung auf Umweltallergene eine wesentliche Ursache der aufgetretenen Atemwegsbeschwerden und Atemwegserkrankung gewesen sei. Im Februar blühten vor allem Erlen, im März Birken und im Juni/Juli Gras. Gerade zu diesen Zeiten hätten auch Behandlungen wegen Beschwerden von Seiten der Nase und des Atemtraktes stattgefunden.

Zweifellos sei die Klägerin während ihrer Tätigkeit in erheblichem Maße Reizstoffen, die Husten und Atembeschwerden hervorriefen, ausgesetzt gewesen. In erster Linie klagten aber derart Belastete über Augenbrennen, weniger über Atemnot. Dies werde von der Klägerin nicht oder kaum erwähnt - ein Indiz dafür, dass die Atembeschwerden entweder eine anderweitige Ursache hätten, oder dass das Bronchialsystem durch anderweitige Schädigungsfaktoren überreagibel geworden sei. Die Exposition gegenüber Styrol spiele als Ursache einer toxischen oder chemisch-irritativen Atemwegserkrankung praktisch keine Rolle. Styroldämpfe seien nicht ein allgemein bekannter Auslöser für Husten, Atemnot oder ähnliche Reizungen, sondern es begünstige bei Hautkontakt die Neigung zu Ekzemen. Die Einatmung von Styrol bewirke Störungen im zentralen Nervensystem, die von der Klägerin nie angeben worden seien. Zudem habe die Untersuchung bei Prof.Le ... keinen Nachweis einer Styrolbelastung ergeben. Die Untersuchungen zeigten im Urin keine Erhöhung der Metaboliden von Styrol, nämlich Mandelsäure und Phenylglyoxylsäure. Auch der Styrolgehalt des Blutes sei ganz erheblich unter dem Grenzwert gefunden worden. Eine für die Atemwegsbeschwerden ursächliche Styrolbelastung habe also nicht bestanden.

Auch den anderweitigen angeschuldigten Schadstoffen sei die Klägerin während der versicherten Tätigkeit nicht in relevantem Ausmaß ausgesetzt gewesen. Dies treffe sowohl für Azeton als auch für Isozyanate zu. Zwar sei Azeton für Reinigungszwecke verwendet worden und besitze auch eine irritative Wirkung auf die Schleimhäute der Atemwege, doch den Azetondämpfen sei keine entscheidende wesentliche Verursachung einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung beizumessen. Die von Dr.La ... festgestellte Konzentration von Methyldiphenylisozyanat liege nur knapp über der oberen Normgrenze. Prof.B ... habe keine Hautreaktion nach Einbringen einer Isozyanatlösung erkennen können.

Als Ursache der geringgradigen obstruktiven Atemwegserkrankung müssten auch die Rauchgewohnheiten gewertet werden. Die Klägerin habe nach ihren eigenen Angaben etwa seit dem 16. Lebensjahr bis März 1995 täglich 20 Zigaretten geraucht. Ohne Zweifel stelle ein derartiger Konsum eine wesentliche Ursache der geklagten bronchitischen Beschwerden und der geringgradigen obstruktiven Atemwegserkrankung dar. Dem 18 - 20 jährigen Konsum von tgl. 20 Zigaretten sei im Vergleich zu der höchstens 10 jährigen Schadstoffexposition am Arbeitsplatz die überragende ursächliche Bedeutung zuzumessen. Hinzu komme die zumindest vorübergehend nachgewiesene allergische Verursachungskomponente zu Beginn der Erkrankung Anfang 1994. Der arbeitsplatzbedingte Kausalanteil könne nicht annährend gleichwertig mit den anderweitigen Verursachungsfaktoren gewertet werden. Es bestehe keine Wahrscheinlichkeit, dass die inhalative Schadstoffexposition während der Tätigkeit die nachgewiesene obstruktive Atemwegserkrankung wesentlich verursacht oder richtungsgebend verschlimmert habe. Vorübergehende abgrenzbare und nicht auf Dauer anhaltende Verschlimmerungsperioden könnten allerdings durch die berufliche Inhalationsbelastung begünstigt worden sein.

In der gutachtlichen Stellungnahme vom 08.09.2000 führt Dr.F ... aus, er stimme mit Prof.Dr.Fr ... überein, dass die Klägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit gegenüber Stoffen exponiert gewesen sei, die eine obstruktive Atemwegserkrankung hervorrufen könnten. Auch Prof.Dr.Fr ... bestätige eine obstruktive Atemwegserkrankung mit bronchialer Hyperreagibilität. Ein Einfluß der Umweltallergene, auf den Prof.Dr.Fr ... hinweise, sei möglich, jedoch nicht nachgewiesen. Man müsse im Übrigen berücksichtigen, dass Umweltallergene agressiver reagierten, falls eine zusätzliche Belastung durch Schadstoffe im Arbeitsbereich hinzukomme. Zwar könne ein Tabakkonsum, wie ihn die Klägerin angebe, eine obstruktive Atemwegserkrankung hervorrufen. Dies trete jedoch nur bei 30 % der langjährigen Raucher auf. Außerdem unterscheide sich deren Atemwegserkrankung grundlegend in ihrer Art von dem Asthma, wie es durch berufliche Exposition hervorgerufen werden könne. Insbesondere fehle die bronchiale Hyperreagibilität. Ein inhalativer Provokationstest könne bei einer Berufserkrankung den Zusammenhang nicht mit letzter Sicherheit beweisen, ihn aber wahrscheinlich machen. Dass die Klägerin wegen Erkrankungen der Atemwege kaum arbeitsunfähig gewesen sei, entspreche der ärztlichen Erfahrung, da Patienten Symptome, wie sie bei der Klägerin vorgelegen hätten, häufig nicht ausreichend ernst nähmen. Die Atemwegserkrankung sei mit Wahrscheinlichkeit deswegen aufgetreten, weil die Klägerin mehrere Jahre am Arbeitsplatz Stoffen ausgesetzt gewesen sei, die eine Reizung der Atemwege hervorriefen. Prof.Dr.Fr ... habe nicht begründet, warum dem Aceton keine entscheidende wesentliche Verursachung beizumessen sei. Es sei davon auszugehen, dass sowohl Styrol als auch Aceton zumindest bis Mitte 1990 in gefährdendem Ausmaß auf die Klägerin eingewirkt hätten. Aufgrund des erniedrigten Sauerstoffwertes im Blut trotz Überatmung, der bronchialen Hyperreagibilität, der eingeschränkten Belastung, der auftretenden Einengung der Atemwege und des Giemens bei Auskultation sei eine MdE von 30 v.H. gegeben.

Hierzu nimmt Prof.Dr.Fr ... am 17.01.2001 Stellung und erklärt, eine inhalative Provokationstestung, wie sie Prof.Dr.Ha ... durchgeführt habe, sei bei Vorhandensein eines ohnehin schon hyperreagiblen Bronchialsystems hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs nicht aussagefähig, im Gegensatz zur Beurteilbarkeit eines inhalativen Provokationstests mit allergisierenden Stoffen und mit einer auf diese Allergene spezifischen bronchial obstruktiven Reaktion. Vorherrschende Lehrmeinung sei, dass man inhalative Provokationstests mit toxischen Substanzen sehr vorsichtig interpretieren müsse und ihr positiver Ausfall nicht beweisend für die Ursächlichkeit sei. Die Messmethode beim inhalativen Provokationstest sei zudem stark von der Mitarbeit des Probanden abhängig.

Die Ergebnisse der ganzkörperpletismographischen Ausgangsmessung des Atemwegswiderstandes hätten der Norm entsprochen. Nach Exposition habe sich ein Anstieg ergeben, acht Minuten später sei ein deutlicher Abfall bis knapp über die obere Normgrenze verzeichnet und nach 36 Minuten ein Normalwert. Die spezifische Resistance sei von 0,73 auf 1,03, d.h. nur geringfügig über die Norm die etwa bei 0,8 bis 1,0 liege, errechnet worden. Schon etwa acht Minuter später sei sie wieder völlig normal gewesen. Insgesamt könne das Messergebnis nicht im Sinne einer sicher pathologischen Reaktion überzeugen. Eine deutliche expositionsbedingte obstruktive Ventilationsstörung sei nicht eindeutig dokumentiert. Die Beobachtung einer subjektiv erschwerten Atmung reiche für die Beurteilung eines objektiven Kausalzusammenhangs nicht aus. Dr.F ... habe mit der von der Mitarbeit des Probanden weitgehend unabhängigen Messmethode, dem Einsatz des Ganzkörperpletismographen, keine obstruktive Ventilationsstörung feststellen können. Bei dem von Dr.F ... gemessenen Sauerstoffpartialdruck von 72 mm-Hg handle es sich um einen Grenzwert. Einzelergebnisse, nur in Ruhe gemessen, noch dazu bei einer übergewichtigen Person, reichten für eine schlüssige Beurteilung nicht aus. Wenn Dr.F ... argumentiere, es liege bei seiner Messung eine Verminderung der Kohlensäurespannung im arterialisierten Blut als Hinweis auf eine respiratorische Insuffizienz vor, müsse entgegnet werden, dass eine derartige Hyperventilation allein aus subjektiven Gründen erfolgen könne. Zum anderen sei der Messwert einer Kohlensäurespannung von 31 mm-Hg und eines normalen ph-Wertes von 7,4 unstimmig. Ein Kohlensäurepartialdruck von 31 mm-Hg müsse bei normalem Stoffwechselgeschehen unweigerlich eine Erhöhung des ph-Wertes nach sich ziehen. Daher sei das Ergebnis der einmaligen Blutgasanalyse nicht im Sinne von Dr.F ... verwertbar. Außerdem habe Prof.Ha ... am 05.09.1995 normale Ergebnisse erzielt.

Immerhin habe die Klägerin wegen Krankheitsbezeichnungen wie "oberflächliche Verletzung der Finger, Gastroenteritis, Zehenverletzung, Affektionen am Rücken" die Arbeit unterbrochen. Es sei daher nicht anzunehmen, dass sie dies bei einer wesentlichen Erkrankung der Atemwege nicht getan hätte. Der Beginn einer obstruktiven Atemwegserkrankung mit einer Sinubronchitis sei nicht typisch. Nur die durch allergisierende Stoffe ausgelöste obstruktive Bronchialerkrankung habe häufig als Vorläufer einer Entzündung der Nasennebenhöhlen.

Gerade zu der Zeit, als wiederholte Sinubronchitiden bei der Klägerin aufgetreten seien, seien spezifische IgG-Antikörper gegen Umweltallergene nachgewiesen worden. Festgestellt sei die RAST-Klasse 2, der diagnostische Bedeutung zukomme. Die wesentliche Ursache für die Entwicklung der geringgradigen Bronchialerkrankung sei dem konstitutionellen allergischen Geschehen zuzuschreiben. Gerade die ersten Monate im Jahr begünstigten den Ausbruch allergisch bedingter und häufig infektiös induzierter Bronchialerkrankungen. In der ersten Märzhälfte sie die Klägerin erstmals bei dem Lungenarzt Sch ... gewesen. Im Februar/März bestehe das jahreszeitliche Maximum der Erlenpollenkonzentration in der Umgebungsluft. Gegen Erlenpollen sei bei der Hauttestung der Klägerin eine starke allergische Hautreaktion aufgetreten.

Die Klägerin sei während ihrer versicherten Tätigkeit nicht in hohem Maße gegenüber bronchialreizenden Substanzen exponiert gewesen. Die überhöhte Styrolkonzentration übe auf die Atemwege keine wesentliche Reizwirkung aus. Zwar sei die Klägerin am Arbeitsplatz in der Kunststoffindustrie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Einwirkungen von inhalativen Reizstoffen ausgesetzt gewesen, insbesondere Ausdünstungen von Härtern und diversen Lösungsmitteln. Die Messergebnisse des TAD hätten jedoch qualitativ keine Substanz nachgewiesen, die eine hohe Reizwirkung ausüben könnte. Jedenfalls werde aber bei derartigen Reizstoffen in erster Linie über Augenbrennen geklagt, das die Klägerin nicht angegeben habe.

Dass nicht alle Raucher an obstruktiver Ventilationsstörung erkrankten, sei offensichtlich. Trotzdem müsse man dem Rauchkonsum eine ganz entscheidende ursächliche Bedeutung für das Zustandekommen der leichten obstruktiven Atemwegserkrankung zusprechen. Der toxische Wirkungsfaktor durch die Rauchgewohnheiten sei höher einzuschätzen als die Schadstoffexposition während der wöchentlichen rund 40-stündigen Arbeitszeit.

Atemnot werde häufig bei einem Übergewicht von etwa 20 kg, wie es bei der Klägerin vorliege, durch die Fettleibigkeit hervorgerufen oder zumindest wesentlich verstärkt. Die Klägerin habe initial dem Facharzt nächtliche Schweißausbrüche angegeben, sekundär Husten und allgemeines Krankheitsgefühl. Erst auf gezieltes Befragen habe sie auf Probleme am Arbeitsplatz hingewiesen. Dies sei ein Indiz, wenn auch nicht ein Beweis dafür, dass die Einwirkungen am Arbeitsplatz ursächlich nicht im Vordergrund der gesundheitlichen Klagen gestanden hätten.

Die obstruktive Atemwegserkrankung sie überwiegend, d.h. wesentlich durch Umweltallergene, inhalatives Rauchen und individuelle Disposition hervorgerufen. Die Exposition gegenüber Schadstoffen während der versicherten Tätigkeit sei nicht als annähernd gleichwertig für das Zustandekommen der Erkrankung zu werten. Bei der Klägerin liege keine Berufskrankheit nach Ziff.4302 der Anlage zur BKV vor.

Die Klägerin führt im Schriftsatz vom 06.03.2001 (149) aus, Prof.Dr.Fr ... habe sie nicht untersucht, er sei von der Beklagten hinzugezogen, sein Gutachten sei parteiisch und werde nicht anerkannt. Dr.F ... sei bereit, sich gutachterlich vom Gericht anhören zu lassen, auch im Beisein von Prof.Dr.Fr ... Er habe im Gegensatz zu Prof.Dr.Fr ... die Klägerin zweimal untersucht.

Die Beklagte stellt den Antrag

aus dem Schriftsatz vom 03.05.1999.

Die Klägerin stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 31.05.1999.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, und sachlich begründet.

Die Entscheidung richtet sich nach den mit 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII i.V.m. § 580 RVO).

Gemäß § 551 Abs.1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit. Maßgeblich ist seit 01.12.1997 die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (Bundesgesetzblatt I S.2623). Als Berufskrankheit kommen grundsätzlich nur solche Erkrankungen in Betracht, die von der Bundesregierung als Berufskrankheiten bezeichnet und in die Berufskrankheitenverordnung aufgenommen worden sind (Listenprinzip). Die Krankheit muss durch eine versicherte Tätigkeit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden sein, d.h. die Gefährdung durch schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und die Einwirkung muss die Krankheit verursacht haben (Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII Randnr.3). Alle rechtserheblichen Tatsachen müssen an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (BSGE 45, 285).

Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, eine Berufskrankheit im Sinne der Nr.4302 der Anlage zur BKV anzuerkennen. Der ärztliche Sachverständige Prof.Dr.Fr ... hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin und unter Berücksichtigung der Aktenunterlagen im Gutachten vom 26.07.1999 überzeugend ausgeführt, dass bei der Klägerin eine Berufskrankheit im Sinne der Nr.4302 der Anlage zur BKV nicht vorliegt.

Die Nr.4302 bezeichnet durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Bei der Klägerin liegt unstreitig eine obstruktive Atemwegserkrankung vor. Dass sie nur geringgradigen Ausmaßes ist, belegen wie Prof.Dr.Fr ... betont, der von Prof.Ha ... festgestellte völlig normale ganzkörperphlethysmographische Atemwegswiderstand und die geringe Einschränkung der Atemflüsse während der Ausatmung. Das Kurvenbild zeigt zwar einen gering verminderten Atemspitzenfluss, jedoch einen gleichmäßigen Abfall über der Ausatmungsphase. Anlässlich der von Prof.Ha ... am 05.09.1995 beschriebenen Fluss-Volumen-Kurve findet sich ein normaler totaler Atemwegswiderstand und auch eine normale spezifische Atemwegsresistance.

Annähernd dieselben Lungenfunktionsergebnisse wurden auch von Dr.F ... im Gutachten vom 09.06.1998 wiedergegeben. Die von Dr.F ... angegebenen Messwerte von Vitalkapazität und intrathorakalen Gasvolumina sind unter Berücksichtigung des Übergewichts der Klägerin nicht als sicherer Nachweis einer restriktiven Ventilationsstörung zu werten. Auch findet sich kein ausreichender Nachweis für eine obstruktive Ventilationsstörung bei der Untersuchung. Tatsächlich ist die Fluß-Volumen-Kurve geringgradig gegenüber dem Soll reduziert, wobei die Reproduzierbarkeit dieser Diagramme für eine gute Mitarbeit der Klägerin spricht. Nach Belastung kam es zu einem Anstieg der totalen und spezifischen Resistance, die Zunahme der Werte ist aber nicht signifikant und somit nicht beweisend für eine obstruktive Ventilationsstörung. Insbesondere die Erhöhung des Messwertes der totalen spezifischen Resistance ist nur angedeutet nachweisbar. Auch das Untersuchungsergebnis von Dr.F ... spricht für eine geringe obstruktive Atemwegserkrankung, die sich überwiegend nur durch eine Einschränkung der maximalen Atemflüsse im Verlauf der Ausatmung äußert.

Prof.Dr.Ha ... stellte erst nach Fahrradergometerbelastung einen Anstieg des Atemwegswiderstandes und der spezifischen totalen Resistance fest, die von ihm geringgradig an der Grenze der Signifikanz bewertet wurde. Lediglich nach Carbochol hat sich bei Prof.Dr.Le ... eine obstruktive Ventilationsstörung eingestellt, die von Prof.Dr.Le ... als mittel- bis hochgradig, ohne dass Einzelbefunde angegeben worden wären, beurteilt wurde. Ohne belastungsbedingte oder medikamentöse Stimulation war also keine Bronchialobstruktion wertbaren Ausmaßes nachgewiesen.

Die objektiven Untersuchungsbefunde belegen in der Zusammenschau, wie Prof.Dr.Fr ... ausführt, dass zwar eine obstruktive Ventilationsstörung vorliegt, diese aber unter Normalbedingungen nur einmal am 15.02.1996 manifest und öfters im Sinne eines hyperreagiblen Bronchialsystems nachgewiesen und somit nur als geringgradig einzustufen ist, zumal die Blutgasanalysen keine Sauerstoffarmut des Blutes ergeben haben. Die von Dr.F ... angegebene mäßiggradige Erniedrigung des Sauerstoffwertes kann höchstens als geringgradige Reduktion angesehen werden. Bei den von dem Lungenarzt Sch ... mitgeteilten Werten ist zu berücksichtigen, dass er eine Kontrollblutgasanalyse nach Belastung nicht durchgeführt hat und bei übergewichtigen Personen der Sauerstoffpartialdruck in Ruhe wegen einer intrapolmunalen Verteilungsstörung reduziert sein kann. Prof.Ha ... hat den Sauerstoffpartialdruck auch nach Belastung gemessen und hierbei sogar eine ansteigende Tendenz beobachtet. Vor allem ist, wie Prof.Dr.Fr ... betont, kein krankhafter Abhörbefund über den Lungen im Sinne einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung aktenkundig. Lediglich Dr.F ... erwähnte einen pfeifenden Zusatzton am Ende der Ausatmung, während Prof.Ha ... ein regelrechtes Vesikuläratmen registrierte.

Die Atemwegserkrankung der Klägerin ist erst acht bis neun Jahre nach Beginn ihrer Arbeit aufgetreten. Dies ergibt sich aus den Unterlagen der AOK Tirschenreuth, nach denen die Klägerin bis März 1995 nur zehn Tage wegen Entzündungen der Atemwege arbeitsunfähig war. Die erste ärztliche Untersuchung wegen Affektion des Respirationstraktes ist im Februar 1994 erfolgt. Zwar war die Klägerin während der gesamten Arbeitszeit schleimhautreizenden Gasen und Dämpfen ausgesetzt, die zu Husten und Atembeschwerden geführt haben. Diese vorübergehenden Reizerscheinungen muss man jedoch, worauf Prof.Fr ... hinweist, von dem Vorhandensein einer Erkrankung trennen. Die Reizerscheinungen sind Abwehrmechanismen des Organismus gegen Schadstoffeinflüsse. Eine Erkrankung tritt dann auf, wenn diese Abwehrmaßnahmen nicht mehr ausreichen.

Für die Beurteilung der Zusammenhangsfrage ist von Bedeutung, dass der Lungenarzt und Allergologe Sch ... am 16.03.1995 eine erhebliche Sensibilisierung der Klägerin gegen Gras- und Baumpollengemische, insbesondere Birken-, Buchen- und Erlenpollen festgestellt hat, sowie gegenüber Kräutern, vor allem Beifuß und Gänsefuß. Durch die Hauttestungen des Lungenarztes Sch ... und durch die Bestimmung spezifischer IgG-Allergene im Labor von Dr.Ho ... ist somit eine Sensibilisierung und allergische Reaktionsbereitschaft auf arbeitsstoffunabhängige Umweltallergene nachgewiesen. Bei der Untersuchung durch Dr.H ... vom 20.02.1995 fanden sich relevante Reizantworten gegenüber nicht berufsspezifischen Umweltallergenen, zudem ergab sich auch durch die Bestimmung spezifischer Igg-Antikörper im Serum der Klägerin eine Erhöhung auf die Uweltallergene Lieschgras, Birken- und Beifußpollen und somit ein weiterer Hinweis für eine allergische Ursache der Bronchialerkrankung. Demgegenüber war die Erhöhung spezifischer IgE-Antikörper auf Ethylenoxid, Phthalsäureanhydrid und Formaldehyd nicht relevant. Die Symptomatik der Verlegung der Atemwege im Sinne einer Nasennebenhöhlenaffektion, wie sie 1994 spricht für eine allergische Erkrankung gegenüber üblichen Umweltallergenen. Bei chemisch-irritativen und toxisch bedingten Atemwegserkrankungen findet man selten eine gleichzeitig vorhandene Nasennebenhöhlenentzündung. Schon aufgrund des zeitlichen Auftretens im Zusammenhang mit der sowohl an der Haut als auch am Blut nachgewiesenen Allergiebereitschaft gegenüber Pflanzenpollen sind die 1994 aufgetretenen Sinubronchitiden als Ursache und nicht als Folge einer Atemwegserkrankung einstufen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Symptomatik der Klägerin erst manifest, als wesentlich günstigere arbeitshygienische Verhältnisse eingetreten waren. Zwar hat die Klägerin keine Heuschnupfensymptomatik angegeben und die Nasennebenhöhlenröntgenaufnahmen vom 22.02.1995 haben keinen krankhaften Befund ergeben, zudem hat Prof.B ... nur ein positives Hauttestergebnis auf Kräutergemisch angegeben, trotzdem entspricht es allgemeinärztlicher und allergologischer klinischer Erfahrung, wie Prof.Fr ... betont, dass bei der Klägerin 1994/1995 eine Sensibilisierung auf Umweltallergene eine wesentliche Ursache der aufgetretenen Atemwegsbeschwerden gewesen ist. Im Februar blühen vor allem Erlen, deren Pollen häufig Ursachen für Rhinitis, Sinusitis und Bronchitis sind. Im März werden Birkenpollen, im Juni und Juli Graspollen in die Außenluft abgegeben und führen bei empfindlichen Personen zu Reizerscheinungen an den Atemwegen. Gerade zu diesen Zeiten fanden auch die Behandlungen wegen Beschwerden von Seiten der Nase und des Atemtraktes bei der Klägerin statt.

Unstreitig musste die Klägerin während ihrer Berufstätigkeit in erheblichem Maße Reizstoffe einatmen, die Husten und Atembeschwerden hervorrufen. In erster Linie klagen aber derart Belastete über Augenbrennen, weniger über Atemnot. Augenbrennen wird von der Klägerin unter den vorgebrachten Beschwerden nicht oder kaum erwähnt, ein Indiz dafür, dass die Atembeschwerden entweder zusätzlich eine wesentlich anderweitige Ursache besessen haben oder dass das Bronchialsystem durch anderweitige Schädigungsfaktoren überreagibel geworden ist. Dass die Beschwerden der Klägerin am Wochenende besser wurden und wieder zunahmen, wenn sie ihren Arbeitsplatz betrat, spricht nur für eine zusätzliche Reizwirkung der beruflichen Exposition, nicht aber für deren wesentliche Mitverursachung.

Was die Stoffe betrifft, denen die Klägerin während ihrer Berufstätigkeit ausgesetzt war, so ist bzgl. Styrol festzustellen, dass es als Ursache einer toxischen oder chemisch-irritativen Atemwegserkrankung praktisch keine Rolle spielt. Styroldämpfe sind nicht ein allgemein bekannter Auslöser für Husten, Atemnot oder chronische brachiobronchiale Reizungen, sondern der toxische Effekt von Styrol liegt vorwiegend darin, dass es bei Hautkontakt die Neigung zu Ekzemen begünstigt. Außerdem bewirkt die Einatmung von Styrol in höheren Konzentrationen Störungen im zentralen Nervensystem, die zu Müdigkeit, Nachlassen von Merkfähigkeit und Initiative, Konzentrationsstörungen und allgemeinen körperlichen Missempfindungen führen. Da die Klägerin derartige Beschwerden nicht angegeben hat und zudem im Urin keine Erhöhung der Metaboliten von Styrol, nämlich Mandelsäure und Phenylglyoxylsäure festzustellen war, sowie der Stytrolgehalt des Blutes erheblich unter dem Grenzwert gefunden wurde, ist, wie Prof.Fr ... ausführt, eine für die Atemwegsbeschwerden ursächliche Styrolbelastung nicht anzunehmen.

Auch die Azetondämpfe haben die chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung nicht entscheidend verursacht. Bezüglich der Isocyanate ist auf die Untersuchungen von Dr.La ... hinzuweisen, die ergeben haben, dass die Konzentration von Methyldiphenylisozyanat im Blut nur knapp über der oberen Normgrenze lag. Frau Prof.B ... konnte am 12.09.1995 keine Hautreaktion nach Einbringen einer Isozyanatlösung in die Haut erkennen. Daher kommt Prof.Fr ... überzeugend zu dem Schluss, dass diesen Schadstoffen keine wesentliche Bedeutung für die Erkrankung der Klägerin beizumessen ist.

Zwar hat Prof.B ... durch eine Pricktestung mit den Arbeitsstoffen Palatal, Kobalt, Styrol, Wachs und Perlpigment an der Haut der Klägerin ein Erythem erzeugt, das 1995, nicht aber mehr 1996 reproduzierbar war. Die Anwendung von chemisch-irritativen Stoffen im Hauttest ist deshalb umstritten, weil, wie auch Prof.B ... feststellte, es sich hier nicht um primär sensibilisierende Wirkungen, sondern um unspezifisch toxische Effekte handelt. Eine toxische Reaktion kann je nach Stärke und Dauer der Einwirkung zu einer Organschädigung führen, ohne dass man eine spezifische, durch die versicherte Tätigkeit hervorgerufene Empfindlichkeit damit diagnostizieren könnte.

Das gleiche gilt für das Ergebnis des von Prof.Ha ... durchgeführten inhalativen Provokationstests. Die nach 20 Minuten aufgetretene erschwerte Atmung und eine nachgewiesene expositionsbedingte obstruktive Ventilationsstörung sind nicht beweisend für das Vorliegen einer Berufskrankheit, wie schon Dr.Sü ... geäußert hat. Eine bronchiale Reizantwort nach Inhalation von chemisch-irritativen Substanzen beweist lediglich das Vorhandensein eines hyperreaktiven Bronchialsystems, nicht aber dass die inhalierte toxische Substanz spezifische Ursache dieser bronchialen Hyperreaktivität ist. Dass bei der Klägerin ein hyperreagibles Bronchialsystem vorliegt, wurde sowohl von Prof.Le ... als auch von Prof.Ha ... nachgewiesen und wird auch von Prof.Fr ... nicht bestritten. Eine bronchiale Reizerscheinung nach Einatmung des Arbeitsstoffgemisches war also schon wegen der vorhandenen bronchialen Hyperreagibilität zu erwarten. Zudem ist das von Prof.Ha ... gefundene Untersuchungsergebnis nicht als sehr schwerwiegend zu werten. Der totale Atemwegswiderstand hatte sich zwar signifikant verschlechtert, andererseits wurde die spezifische totale Resistance nicht sicher erhöht gefunden. Die Erhöhung präzipitierender IgG-Antikörper auf den Arbeitsstoff Isozyanat ist sehr gering und kann unter Berücksichtigung aller übrigen Untersuchungsbefunde nicht als Hinweis auf einen wesentlichen Mitverursachungsfaktor gedeutet werden. Zwar sind Isozyanatdämpfe aggressive und die Schleimhaut potentiell schädigende Arbeitsstoffe, aber die Konzentration ist nicht als relevant anzusehen. Dr.La ... hat hieraus auch nur erklärt, dass eine isozyanatbedingte Lungenerkrankung nicht ausgeschlossen sei, nicht jedoch, dass eine solche als wahrscheinlich angenommen werden müsse. Prof.Le ... hat eine Erhöhung spezifischer IgG-Antikörper gegen das Isozyanat-MdE nicht gefunden. Eine ursächliche Mitwirkung von Isozyanatdämpfen für das Zustandekommen der Atemwegserkrankung ist somit weitgehend ausgeschlossen.

Die Klägerin hat seit dem 16.Lebensjahr nach ihren eigenen Angaben im März 1995 täglich 20 Zigaretten geraucht. Ein derartiger Konsum ist zweifellos, wie Prof.Fr ... betont, eine wesentliche Ursache der geklagten bronchitischen Beschwerden und der geringgradigen obstruktiven Atemwegserkrankung. Wiederholte Hustenattacken, später verbunden mit Atemnot, sind die bekannten Folgen eines Zigarettenkonsums in Höhe der von der Klägerin angegebenen Menge. Ein gewisser konstitutionell bedingter Verursachungsanteil ist ebenfalls mit vorhanden. Im Gegensatz zur Auffassung von Dr.F ... sind Dauer und Ausmaß des Nikotinkonsums der Klägerin die wesentliche und entscheidende Ursache für die Atemwegserkrankung. Es ist zwar richtig, dass nicht alle Raucher eine derartige Erkrankung erleiden, ebenso aber ist nachgewiesen, dass Personen mit einer ähnlichen obstruktiven Atemwegserkrankung in den meisten Fällen Raucher gewesen sind. Darüber hinaus ist, wie Prof.Fr ... betont, die Einwirkung der Schadstoffe des Tabakrauchs potenter einzuschätzen als die Wirkung der arbeitsplatzbedingten Schadstoffexposition. Diese hat im vorliegenden Fall die toxische Wirkung der Rauchgewohnheiten zeitweise verstärkt. Aber erst der jahrzehntelang anhaltende Tabakgenuss bewirkte die Gesundheitsschädigung am Atemorgan.

Dass die Klägerin tagsüber und nachts unter Schweißausbrüchen zu leiden hatte, spricht gegen eine wesentliche Verursachung der Krankheitserscheinungen durch die Einatmung chemisch-irritativer Stoffe am Arbeitsplatz. Die nächtlichen Schweißausbrüche sind mit Sicherheit keine direkten Folgen einer inhalativen Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz.

Der arbeitsplatzbedingte Kausalanteil kann nicht annährend gleichwertig mit den anderweitigen Verursachungsfaktoren gewertet werden. Es besteht keine Wahrscheinlichkeit, dass die inhalative Schadstoffexposition während der versicherten Tätigkeit die nachgewiesene obstruktive Atemwegserkrankung wesentlich verursacht oder richtungsgebend verschlimmert hat. Vorübergehende abgrenzbare und nicht auf Dauer anhaltende Verschlimmerungsperioden können durch die berufliche Inhalationsbelastung begünstigt worden sein. Eine dauerhafte richtunggebende Verschlimmerung durch die versicherte Berufstätigkeit ist jedoch in hohem Grade unwahrscheinlich.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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