L 2 U 220/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 62/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 220/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Voraussetzungen zur Anwendung der Vorschrift des § 581 Abs.2 RVO bei Bemessung der MdE wegen einer Berufskrankheit liegen nur bei den Versicherten vor, die einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen Bereich, bezogen auf das allgemeine Erwerbsleben, ausüben. Der Verlust der Fähigkeit eines Bodenlegers zu ... Tätigkeit wirkt sich nicht spezifisch i.S.d § 581 Abs.2 RVO aus.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Orthopäde Dr.P. zeigte der Beklagten am 25.06.1992 eine Bursitis infrapatellaris am linken Kniegelenk als Berufskrankheit des am 21.02.1935 geborenen Klägers, eines selbständigen Fußbodenlegers, an. Der Orthopäde Prof.Dr.H. erklärte im Bericht vom 26.10. 1993, es bestünden Anschwellungen an beiden Schienbeinköpfenvorderseiten. Wegen der entzündlichen Veränderungen sei ein Knien unmöglich.

Im Gutachten vom 23.11.1994 führte der Orthopäde Prof. Dr.S. aus, der Kläger leide an einer chronischen Bursitis infrapatellaris mit Linksbetonung sowie einer initialen medialen Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits. Aufgrund der Tätigkeit als Fußbodenleger seit 1964 sei von einer langjährigen Druckbelastung der Schleimbeutel auszugehen. Es liege mit Wahrscheinlichkeit eine Berufskrankheit nach Nr.2105 der Anlage zur BKV vor. Die MdE sei seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit, dem 07.06.1993, mit 10 v.H. zu bewerten. Von einer begleitenden Meniskusverletzung sei nicht auszugehen.

Die Gewerbeärzte Dr.V. und Dr.B. stimmten Prof.Dr.S. zu.

Nach Beiziehung von Berichten des behandelnden Orthopäden Dr.P. holte die Beklagte ein Gutachten des Chirurgen Dr.P. vom 12.05.1997 ein. Dr.P. kam zusammenfassend zu dem Ergebnis, die bisherige Behandlung bezüglich der chronischen Bursitiden beidseits sei weder zweckmäßig noch ausreichend. Am Untersuchungstag hätten sich keine akuten Entzündungszeichen im Bereich der chronisch verdickten Schleimbeutel gefunden. Bei immer wiederkehrenden chronischen Beschwerden läge eine Entfernung beider Kniescheibenschleimbeutel, die weder auffällig komplikationsträchtig noch schwer sei, auf der Hand. Berufskrankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bestehe weiterhin, da der Kläger in seinem Beruf als Fußbodenleger nicht mehr konkurrenzfähig tätig sein könne. Die MdE sei mit 10 v.H. anzusetzen.

Im Gutachten vom 25.09.1997 führte Dr.P. aus, bis auf die vorgeschlagene Entfernung beider Kniescheibenschleimbeutel seien keine besonderen weiteren Heilmaßnahmen mehr erforderlich. Sowohl zum Zeitpunkt der Untersuchung Anfang Mai, als auch im Rahmen der jetzigen Untersuchung hätten sich keine entzündlichen Veränderungen im Sinne einer Rötung, Schwellung oder Ergussbildung feststellen lassen. Die vom Kläger gemachten Angaben, dass er alle drei Wochen von Dr.P. punktiert würde und anschließend Eis und Salbenverbände angewandt würden, könnten nicht nachvollzogen werden.

Mit Bescheid vom 05.11.1997 erkannte die Beklagte das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr.2105 der Anlage zur BKV an, lehnte aber die Gewährung einer Rente ab. Die sich aus der chronischen Schleimbeutelentzündung an beiden Knien ergebende MdE werde mit 10 v.H. bewertet.

Den Widerspruch des Klägers vom 13.11.1997 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2.12.1997 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 21.01.1998 Klage zum Sozialgericht München erhoben und ausgeführt, aufgrund der Berufskrankheit könne er keinerlei Tätigkeiten ausüben, die eine kniende Haltung erforderten; auch hockende Stellungen könne er nur teilweise einnehmen. Außerdem bestünden Einschränkungen beim Gehen. Daher sei eine MdE von mindestens 20 v.H. gegeben. Nicht berücksichtigt sei zudem, dass er aufgrund seiner besonderen beruflichen Kenntnisse als Bodenleger und seiner langjährigen Erfahrungen erhebliche Nachteile erleide.

Das SG hat Befundberichte von Prof.Dr.H. und Dr.P. beigezogen und den Orthopäden Dr.K. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt.

Im Gutachten vom 13.08.2000 hat Dr.K. ausgeführt, klinisch imponierten derbe Weichteilvermehrungen mit dem Phänomen des Schneeballknirschens als Zeichen einer Schleimbeutelentzündung. Die Röntgenaufnahmen zeigten keinen Nachweis einer angeborenen Formvariante im Kniegelenksbereich. Aufbraucherscheinungen ersten Grades an beiden Kniegelenken sowie Knochensporne am oberen und unteren Patellarand seien dagegen gegeben. Die Beweglichkeit der Kniegelenke sei nicht eingeschränkt, zum Untersuchungszeitpunkt hätten keinerlei Entzündungszeichen vorgelegen.

Die chronische Schleimbeutelentzündung an beiden Kniegelenken habe zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich gewesen seien oder sein könnten. Allerdings seien die nicht berufsbedingten Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule mit schmerzhaften Muskelreizerscheinungen, der Hüftgelenksverschleiß beidseits, der die Geh- und Stehleistung erheblich einschränke und die arterielle Durchblutungsstörung der Beine, die zu einer Limitierung der Gehstrecke im Sinne einer Claudicatio intermittens führe, weitaus fortgeschrittener und vorrangig. Dabei handele es sich um konkurrierende Faktoren bezüglich der Kniegelenksschmerzen. Die MdE durch die Kniegelenkserkrankung beidseits sei mit 10 v.H. einzustufen. Die Funktionseinschränkung der Kniegelenke betreffe lediglich das Einnehmen von knienden Körperpositionen. Sonst sei die Funktionsbreite unberührt.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Prof.Dr.P. hat im Gutachten vom 02.03.2001 dargelegt, es bestünde das klinisch-klassische Bild der Bursitis infrapatellaris chronica. Ansonsten zeigten die Kniegelenke bei Untersuchung keine Auffälligkeiten, es bestünde kein Hinweis auf Band- oder Meniskusschäden, auf Gonarthrosen nennenswerten Ausmaßes, Gelenkerguss, Bewegungseinschränkung, kongenitale Anomalien oder abgelaufene Traumata. Daneben lägen eine operativ versorgte arterielle Verschlusskrankheit an beiden unteren Extremitäten, eine ausgeprägte Coxarthrose beidseits und Fußdeformitäten, wie sie Dr.K. beschrieben habe, vor. Die MdE sei mit 20 v.H. einzustufen. Es bestehe ein Beschwerdezustand, der deutlich über den bisherigen Einstufungen mit 10 v.H. anzusetzen sei, da der Kläger nach eigenen Angaben seit Jahren in Behandlung sei und Injektionen erhalte, ohne dass dies zu einer wesentlichen Besserung geführt habe.

Hierzu hat Dr.K. in der ergänzenden Stellungnahme vom 17.03. 2001 ausgeführt, die MdE-Einschätzung sei zum einen durch den Umstand, dass die berufliche Belastung bereits vor sechs Jahren aufgegeben worden sei, schwierig, zum anderen dadurch, dass bei dem Krankheitsbild die Beschwerdeaktualität belastungsabhängigen Änderungen unterworfen sei. Die Höhe der MdE werde hauptsächlich bestimmt durch die Verminderung bzw. unphysiologische Zunahme der Beweglichkeit und Schmerzhaftigkeit. Unter Berücksichtigung der bei der Untersuchung am 07.08.2000 erhobenen Befunde scheine eine Höherbewertung der MdE nicht möglich. Ohne zusätzliche Komplikationen sei bei chronischen Erkrankungen der Schleimbeutel eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nur selten gegeben.

Der Kläger hat hierzu eingewandt, sein Krankheitsbild habe sich durch die Aufgabe der Berufstätigkeit nicht geändert. Er sei deutlich in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt. Außerdem sei er als qualifizierter Fußbodenleger besonders beruflich betroffen, da er seine Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr nützen könne. Dies sei bei der MdE-Bewertung zu berücksichtigen.

Mit Urteil vom 08.05.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger könne trotz der Schleimbeutelentzündung gehen, stehen und sitzen. Die Funktionalität des Knies sei nur insofern ein- bestünden nicht, wenn das Knien vermieden werde. Hinzu komme, dass der Kläger ohnehin nicht über die volle Funktionsbreite der Beine verfüge, weil berufskrankheitsunabhängig eine arterielle Durchblutungsstörung, ein Hüftgelenksverschleiß sowie degenerative Wirbelsäulenveränderungen bestünden. Dr.K. wende bei der Schätzung der MdE-Höhe die allgemein anerkannten Grundlagen der Begutachtung in der gesetzlichen Unfallversicherung an. Prof.Dr.P. begründe die von ihm angenommene MdE ausschließlich damit, dass der Kläger sich seit Jahren in Behandlung befinde, ohne dass dies zu einer wesentlichen Besserung geführt habe. Dies seien keine geeigneten Kriterien. Direkte Einschränkungen des Funktionsbereichs der Knie würden nicht beschrieben. Eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit komme nicht in Betracht.

Mit der Berufung vom 09.07.2001 macht der Kläger geltend, Dr.K. berücksichtige nicht ausreichend die Beschwerdeproblematik. Außerdem habe das SG keine Begründung abgegeben, weshalb eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nicht in Betracht komme. Insgesamt sei jedenfalls eine MdE von 20 v.H. gegeben.

Die Beklagte führt hierzu im Schreiben vom 06.08.2001 aus, Dr.K. habe schlüssig ausgeführt, dass eine einschneidende Funktionseinschränkung allein bei knienden Körperpositionen gegeben sei. Die Funktionsbreite des Knies sei ansonsten unberührt. Den Kniegelenksschmerzen lägen andere Ursachen zugrunde. Die MdE-Einschätzung sei damit befundgerecht. Für eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers gäbe es keine Anhaltspunkte. Eine solche dürfe nicht allgemein bei durch eine abgeschlossene Ausbildung erworbenen beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen angenommen werden.

Der Kläger stellt den Antrag
aus dem Schriftsatz vom 06.07.2001.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen wird (§ 153 Abs.2 SGG).

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass Anlass für eine Höherbewertung der MdE wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit gemäß § 581 Abs.2 RVO nicht gegeben ist. Nach dieser Vorschrift sind bei der Bemessung der MdE Nachteile zu berücksichtigen, die der Verletzte dadurch erleidet, dass er bestimmte von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge der Berufskrankheit nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

Auch bei der Anwendung dieser Vorschrift sind die in der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher angewandten Grundsätze der abstrakten Schadensbemessung und der Verweisung des an einer Berufskrankheit Erkrankten auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens zu beachten (vgl. BSGE 23, 253). Danach wird grundsätzlich nicht auf die konkrete Beeinträchtigung des Versicherten in seinem Beruf, sondern auf den Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Versicherten vor und nach Eintritt der Erkrankung abgestellt. Die höhere Bewertung der MdE im Rahmen des § 581 Abs.2 RVO setzt deshalb voraus, dass sich die Erkrankung spezifisch auf die Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens auswirkt (vgl. BSG vom 18.12.1974, SozR 2200 § 581 RVO Nr.3). Bestimmte besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen, die ein Kläger infolge des Eintritts der Berufskrankheit nicht mehr in gleichem Maß wie früher auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens wirtschaftlich verwerten kann, sind bei der Schätzung der MdE angemessen zu berücksichtigen. Ob vom Gesetz als rechtlich bedeutsam angesehene Nachteile vorliegen, ist aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BSGE 23, 253). § 581 Abs.2 RVO soll also sicherstellen, dass die besonderen Verhältnisse des Versicherten gewürdigt werden. Dies gilt aber nur, soweit diese Verhältnisse auch für das Erwerbsleben Bedeutung haben können (vgl. BSG SozR 2200 § 581 RVO Nr.18). Auch bei einem Selbständigen ist die angemessene Berücksichtigung des Lebensberufs bei der Beurteilung der MdE nach den Umständen des Einzelfalls gerechtfertigt (vgl. BSG SozR § 581 RVO Nr.9).

Die dem Kläger durch die Berufskrankheit entstandenen beruflichen Nachteile sind aber nicht so, dass sie als rechtlich bedeutsam im Sinne von § 581 Abs.2 RVO anzusehen sind. Bei der Berücksichtigung der Auswirkung der Unfallfolgen sind insbesondere das Alter des Verletzten, die Dauer der Ausbildung sowie auch die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit und der Umstand zu berücksichtigen, ob die bisher verrichtete Beschäftigung eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete (vgl. BSG SozR 3 581 RVO Nr.9). Der Kläger hat, wie er gegenüber Dr.K. angegeben hat, den Beruf des Dekorationsmalers erlernt und war von 1960 an als Bodenleger, selbständig ab 1964, tätig. Die Ausübung einer Tätigkeit, selbst wenn sie - wie es hier nicht der Fall ist - durch eine spezielle Berufsausbildung erlernt ist, genügt nicht, um besondere berufliche Kenntnisse im Sinne des § 581 Abs.2 RVO anzunehmen. Die Voraussetzungen zur Anwendung der Vorschrift liegen nur bei den Versicherten vor, die einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen Bereich ausüben. Die Ausübung der Tätigkeit des Bodenlegers hat dem Kläger aber nicht derartige besondere Fertigkeiten vermittelt, dass die Aufgabe des Berufs durch die Beklagte nach dem strengen Maßstab, der hier anzulegen ist, besonders zu entschädigen wäre. Der Verlust der Fähigkeit zu kniender Tätigkeit wirkt sich nicht spezifisch im Sinne des § 581 Abs.2 RVO aus. Die Verwendungsfähigkeit des Klägers im allgemeinen Erwerbsleben ist durch die Berufskrankheit nicht derart eingeengt, dass die MdE gemäß § 581 Abs.2 RVO erhöht werden müsste. Dass nur unter Heranziehung des § 581 Abs.2 RVO ein Anspruch auf Verletztenrente begründet werden könnte, stellt keine unbillige Härte im Sinne der Vorschrift dar (vgl. BSG SozR 2200 § 581 RVO Nr.18; BSG SozR § 581 RVO Nr.9).

Im Hinblick darauf, dass eine zu weit gehende Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls dem Wesen der gesetzlichen Unfallversicherung, die durch den Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung gekennzeichnet ist, nicht gerecht würde, ist eine Höherstufung der MdE im Falle des Klägers nicht geboten (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, § 581 RVO Anm.9).

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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