L 18 U 222/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 265/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 222/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Lärmschwerhörigkeit durch Schuhreparaturmaschinen in Schuhinstandsetzungsbetrieben.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.04.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei dem Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit (BK) gem § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 2301 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der am 24.09.1932 geborene Kläger war von 1948 bis 1988 als Schuhmacher und selbstständiger Schuhmachermeister mit bis zu zehn Beschäftigten tätig. 1988 erlitt er einen Hörsturz links, seit 1990 ist er von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberfranken/Mittelfranken berentet.

Am 08.11.1996 zeigte der HNO-Arzt Dr.M.K ... eine berufliche Lärmschwerhörigkeit des Klägers bei mittelgradiger basocochleärer Innenohrschwerhörigkeit beidseits an. Der Kläger führte in seiner Unternehmeranzeige vom 25.01.1997 die 1988 erstmals aufgetretenen Hörschäden auf Maschinengeräusche und Betriebslärm zurück. Nach Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte befragte die Beklagte ihre Abteilung für Prävention zu den Lärmverhältnissen in Schuhreparaturwerkstätten. Diese teilte am 27.03.1997 mit, bei im Jahr 1981 in neun Schuhreparaturwerkstätten durchgeführten Lärmmessungen einen personenbezogenen Beurteilungspegel zwischen 51 und 82 dB (A) ermittelt zu haben. Deshalb könne auch beim Kläger davon ausgegangen werden, dass ein Pegel von 85 dB (A) nicht erreicht oder überschritten worden sei. Der Medizinaloberrat Dr.M ... vom Gewerbeärztlichen Dienst des Gewerbeaufsichtsamts N ... erachtete in seinem Gutachten vom 21.05.1997 eine lärmgefährdende Tätigkeit für nicht nachgewiesen und verneinte auch auf Grund der für die Zeit ab 1988 vorgelegten Audiogramme die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2301 der Anlage 1 zur BKVO.

Die Beklagte lehnte daraufhin die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK mit Bescheid vom 08.07.1997 ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.10.1997).

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth hat der Kläger weiterhin begehrt, seine Schwerhörigkeit als BK anzuerkennen. Er hat vorgetragen, sein Hausarzt habe es unterlassen, die bereits 1985 aufgetretenen Hörschäden rechtzeitig der Beklagten mitzuteilen. Er hat desweiteren behauptet, in den Jahren 1948 bis 1980 habe ein höherer Beurteilungspegel vorgelegen als die Beklagte angenommen habe. Die Beklagte legte dem SG eine gutachtliche Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 01.04.1981 zur Frage der Lärmbelastung in Schuhinstandsetzungsbetrieben vor, wonach auch schon vor 1981 die Beschäftigung in solchen Betrieben zu keinen Gehörschäden geführt habe. Die Beurteilungspegel hätten zwischen 51 und 81,6 dB (A) gelegen. Der TAD hat auch darauf hingewiesen, dass Schuhreperaturmaschinen vor 1981 mindestens gleich laut oder weniger laut waren, jedoch dafür wesentlich langsamer liefen. Moderne Schuhreparaturmaschinen seien zwar wesentlich lärmarmer konstruiert, ihre höheren Leistungen und Drehzahlen glichen jedoch die Lärmminderungsmaßnahmen wieder aus, so dass in der Schuhreparatur über Jahrzehnte hinweg davon ausgegangen werden könne, dass die Lärmbelastung als personenbezogene Beurteilungspegel weniger als 82 dB (A) betragen habe.

Das SG hat ein Gutachten des Oberarztes Dr.O ..., HNO-Klinik des Klinikums N ..., vom 07.08.1998 eingeholt, der einen beruflichen Hörschaden nicht für wahrscheinlich gehalten hat. Ebenso hat der auf Antrag des Klägers gem § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Facharzt für HNO-Krankheiten Dr.B.W ... keine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit feststellen können. Der Kläger hat unter Berufung auf die Vorschrift des § 15 der Arbeitsstättenverordnung (ArbstättV) für geistige Tätigkeiten einen Beurteilungspegel von 55 dB und für einfache und überwiegend mechanisierte Tätigkeiten einen solchen von 70 dB für ausreichend gehalten, um eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen. Der Lärmpegel von 85 dB sei zwar für die Beschäftigten, nicht jedoch für ihn als Betriebsinhaber mit bis zu 10 Beschäftigten maßgeblich. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28.04.1999 abgewiesen und sich auf die eingeholten Sachverständigengutachten gestützt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und sich gegen den von der Beklagten angenommenen Lärmbeurteilungspegel gewandt. Der Lärmpegel sei nach der ArbstättV bei geistigen Tätigkeiten auf 55 dB (A) und bei einfachen und überwiegend mechanischen Berufstätigkeiten sowie vergleichbaren Tätigkeiten auf 70 dB (A) zu reduzieren. Die Beklagte hat daran festgehalten, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nicht vorliegen, weil ein Beurteilungspegel von mindestens 85 dB (A) nicht nachgewiesen sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Bayreuth vom 28.04.1999 und des Bescheides der Beklagten vom 08.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.10.1998 zu verurteilen, bei ihm eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 28.04.1999 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Rentenakte der LVA Oberfranken und Mittelfranken, die Archivakte des SG Bayreuth S 6/3 Ar 442/88, die Akte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der bei ihm bestehenden Hörstörung.

Der Entschädigungsanspruch des Klägers richtet sich noch nach den bis zum 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO und der BKVO, da er Entschädigungsleistungen auch für Zeiten vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zum 01. Januar 1997 begehrt (vgl Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes [UVEG], § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall, der nach §§ 547, 580, 581 RVO ua durch die Zahlung von Verletztenrente zu entschädigen ist, auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch die BKVO mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 530, 540, 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung einer Lärmschwerhörigkeit als BK gem § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 2301 der Anl 1 zur BKVO. Die Voraussetzungen dieser BK sind vorliegend nicht erfüllt, weil sich schon nicht feststellen lässt, dass der Kläger einer hinreichenden Lärmbelastung durch seine versicherte Tätigkeit ausgesetzt gewesen ist, die geeignet gewesen ist, Hörstörungen zu verursachen (haftungsbegründende Kausalität). Es ist ferner nicht wahrscheinlich zu machen, dass die Hörstörung auf betriebliche Lärmeinflüsse zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität).

Die arbeitsplatzmäßigen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen für die Entstehung einer BK sind nicht erfüllt. Die Gefahr einer Gehörschädigung besteht nur bei einem Dauerlärm oberhalb von 90 dB (A) während des überwiegenden Teils der Arbeitszeit (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl, S 387). Hat die Lärmexposition - wie vorliegend - durchweg unter 85 dB (A) gelegen, ist eine Lärmschwerhörigkeit grundsätzlich ausgeschlossen (aaO S 388 mwN). Wenn Lärmmessungen im betreffenden Betrieb nicht durchgeführt wurden und nicht nachgeholt werden können, sind Vergleichswerte heranzuziehen. Die Lärmbelastung kann dann nur annähernd geschätzt werden (aaO S 388/399). Die vom TAD der Beklagten erstellte gutachtliche Stellungnahme zur Frage der Lärmbelastung in Schuhinstandsetzungsbetrieben vom 01.04.1981 - die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt - ist zu dem Ergebnis gekommen, dass selbst in größeren Betrieben der Lärmpegel keine Werte erreicht hat, die gesundheitsschädlich sind, dh er blieb stets weit unterhalb von 85 dB (A). Der höchste gemessene Wert betrug lediglich 81,6 dB (A). Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des TAD in einem Schuhinstandsetzungsbetrieb nicht dauernd alle Maschinen eingeschaltet sind. Sie laufen vielmehr auch aus Betriebskostenersparnis nicht dauernd im Leerlauf, sondern werden nach Bedarf stets ein- und ausgeschaltet. Der Beschäftigte ist aus diesem Grund niemals ständig dem Lärmpegel der jeweiligen Maschine ausgesetzt, sondern arbeitet häufig unter geringerer Lärmeinwirkung. Der TAD der Beklagten hat anlässlich der Messungen Unternehmer und ältere Mitarbeiter über die Lärmbelastung in Schuhinstandsetzungsbetrieben vor 10 bis 20 Jahren (also für die Zeit von 1960 bis 1980) befragt. Dabei hatte die Mehrzahl der Befragten angegeben, dass die Lärmentwicklung an den heutigen Maschinen (1981) stärker sei als früher, die modernen Maschinen in der Regel mit höheren Betriebsdrehzahlen laufen und dadurch lauter sind. Der Senat hat keine Veranlassung die sachliche Richtigkeit der Ermittlungen des TAD der Beklagten in Zweifel zu ziehen. Er geht daher im Wege der annähernden Schätzung von einer gehörunschädlichen Maximalbelastung im Betrieb des Klägers von knapp 82 dB (A) aus. Dabei berücksichtigt er, dass der Kläger als selbstständiger Schuhmachermeister bis zu zehn Mitarbeiter beschäftigte und - wie er selbst einräumt - nicht nur Werkstattarbeiten, sondern vielfach Bürotätigkeiten verrichtete. Aus § 15 der ArbstättV vom 20.03.1975 (BGBl I S 729, geändert durch Verordnung vom 01.08.1983 [BGBl I S 1057]), wo geringere dB (A)-Werte als 82 dB (A), nämlich 55 bzw 70 dB (A), für Arbeitsplätze mit überwiegend geistiger und mit einfacher oder überwiegend mechanisierter Bürotätigkeit vorgeschrieben werden, kann - bei Annahme der überwiegenden Ausübung von Bürotätigkeiten - nicht gefolgert werden, dass bei einer Lärmexposition von mehr als 70 dB (A) bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer BK anzunehmen sind. Der Verordnungsgeber brauchte sich bei der Normierung von Arbeitsschutzvorschriften nicht an einem engen Verständnis des Begriffes Gesundheit zu orientieren (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.01.1997 in NZA 1997, 482). Sinn und Zweck der ArbstättV ist es nämlich die Arbeitnehmer allgemein und umfassend vor schädlichen Einwirkungen des Lärms in psychischer und physischer Hinsicht zu schützen. Darunter fällt auch die Verhinderung von Lärmschwerhörigkeit. Dadurch wird aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass bei einem Beurteilungspegel von 70 dB (A) die haftungsbegründende Kausalität der Lärmschwerhörigkeit nach der BKVO zu bejahen ist.

Es fehlt auch an der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen der Lärmexposition und der beim Kläger bestehenden Hörstörung. Nach den übereinstimmenden Feststellungen der vom SG gehörten Sachverständigen Dr.O ... und Dr.B.W ... ist die Hörstörung des Klägers nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf betriebliche Lärmeinflüsse zurückzuführen. Beide Sachverständige gehen zur Zeit des lärmunabhängigen Hörsturzes von 1988 von einer praktischen Normalhörigkeit des Klägers aus und nehmen erst für 1990 einen beidseitigen Hörverlust von 10 % an. Ist aber die Schwerhörigkeit nach Beendigung einer beruflichen Tätigkeit aufgetreten, so müssen andere Ursachen vorliegen (Schönberger-Mehrtens-Valentin aaO S 389).

Es kann auch dahingestellt bleiben, ob sich die Schwerhörigkeit des Klägers - wie er nunmehr vorträgt - bereits in den 80er Jahren entwickelt hat. Die von dem Sachverständigen Dr.B.W ... - in ähnlicher Weise auch von Dr.O ... - beschriebene M ö g l i c h k e i t einer Hochtonperzeptionsstörung d u r c h berufsbedingten Lärm in dem Ausmaß, wie sie für das rechte Ohr 1988 nachweisbar gewesen sei, reicht für die Annahme der haftungsausfüllenden Kausalität nicht aus. Für diese ist vielmehr hinreichende Wahrscheinlichkeit vonnöten. Auch gelangt Dr.B.W ... nur deshalb zu diesem Ergebnis, weil er die Behauptung des Klägers als richtig unterstellt, dass in den Jahren 1948 bis 1980 ein wesentlich höherer Beurteilungspegel als 82 dB (A) vorgelegen hätte. Diese Behauptung des Klägers wird aber durch die Ermittlungen des TAD des Beklagten widerlegt.

Da die beim Kläger eingetretene Hörverschlechterung unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt auf betriebliche Ursachen zurückgeführt werden kann, war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iSd § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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