L 3 U 227/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 U 156/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 227/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20.04.1999 wird zurückgewiesen.
II. Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Unfalls des Klägers vom 13.11.1992 streitig. Dabei geht es um die Frage, ob beim Kläger im Unfallzeitpunkt eine absolute alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit vorgelegen hat und als rechtlich allein wesentliche Unfallursache zu werten ist oder ob sonstige wegebedingte Unfallursachen vorlagen.

Der am ...1960 geborene Kläger erlitt am 13.11.1992 auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstelle einen Unfall, als er mit seinem Pkw mit einem entgegenkommenden Pkw kollidierte. Er zog sich dabei eine erstgradig offene Oberschenkeltrümmerfraktur links, ein Schädelhirntrauma, eine Milzruptur, eine subkapitale Humerusfraktur links, Mittelhandfrakturen D3-5 rechts, eine Radiusfraktur rechts, Mittelfußfrakturen links und eine tiefe Beinvenenthrombose links zu.

Nach Durchführung von Ermittlungen zum Unfallhergang hat die Beklagte mit Bescheid vom 19.03.1997 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt, weil die beim Kläger festgestellte BAK von 1,27 Promille die rechtlich allein wesentliche Unfallursache gewesen sei. Der Unfall habe sich auf gerader und ebener Strecke ereignet. Neben alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit seien Ursachen für den Unfall nicht ersichtlich.

Hiergegen hat der Kläger Widerspruch erhoben und diesen damit begründet, dass seiner Auffassung nach die BAK im Zeitpunkt der Fahrt und des Unfallgeschehens deutlich unter 1,1 Promille gelegen habe und nach dem ursprünglich eingeholten Gutachten der Unfall auf der Fahrbahnseite des Klägers ereignet habe. Im Übrigen hätte im Unfallzeitpunkt schlechte Sicht geherrscht, die Witterungsverhältnisse seien von Einfluss für das Unfallgeschehen gewesen.

Den Widerspruch hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.1997 als unbegründet zurückgewiesen: weder der im Unfallzeitpunkt vorliegende leichte Nieselregen noch die Dunkelheit und die Blendwirkung entgegenkommender Fahrzeuge stellten ungewöhnliche Gefahrenmomente dar. Den Ausführungen im DEKRA Gutachten, wonach sich der Unfall auf der Fahrbahnseite des Klägers ereignet habe, sei nicht zu folgen, wie bereits das OLG München in seinem Urteil vom 09.07.1996 ausgeführt habe. Der Unfall des Klägers sei somit durch einen groben Fahrfehler, der offensichtlich alkoholbedingt gewesen sei, verursacht worden.

Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben und sein Vorbringen wiederholt, dass die nach der um 19.30 Uhr durchgeführten Blutentnahme festgestellte BAK von 1,27 Promille nicht der im Unfallzeitpunkt gegebenen BAK entsprochen habe, vielmehr letztere weit unter 1,1 Promille gelegen habe. Auch hätten die im Unfallzeitpunkt herrschenden Licht- und Witterungsverhältnisse wesentlichen Einfluss auf das Unfallgeschehen gehabt. Er wiederholt desweiteren seine Behauptung, dass der Unfall dadurch verursacht worden sei, dass sich der Unfallgegner auf seiner Fahrbahnseite befunden habe.

Das Sozialgericht hat die Unfallakte der Beklagten, die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Passau Az.: 9 Js 17851/92 und 9 Js 17852/92, die Akten des Landgerichts Passau 4 0 184/94, die Akten des OLG München 2 10 0 213/93 beigezogen.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.1997 zu verurteilen, ihm anlässlich des Unfalls vom 13.11.1992 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Hinweis auf die Möglichkeit des Gerichtsbescheids hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 20.04.1999 die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen anlässlich des Unfalls vom 13.11.1992: er habe sich zwar im Unfallzeitpunkt unstreitig auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstelle befunden und deshalb grundsätzlich unter Versicherungsschutz gestanden. Dieser sei jedoch nach den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung auch der Sozialgerichtsbarkeit entfallen, weil alkoholbedingte Verkehruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Unfallursache war.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt: Das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die alleinige Unfallursache gewesen sei und er nicht einer Betriebsgefahr erlegen sei, sondern nur "bei Gelegenheit" einer versicherten Tätigkeit verunglückte. Das Sozialgericht sei zu diesen Ergebnis durch eine unrichtige Anwendung der Grundsätze der Beweislast gelangt. Dabei habe das Sozialgericht die festgestellten widrigen wegebedingten Umstände, wie nasse Fahrbahn, Nieselregen, schlechte Sicht, Blendwirkung, nicht gewürdigt. Der Beweis des ersten Anscheins für die Verursachung des Unfalls allein aufgrund des Alkoholeinflusses könne nur dann greifen, wenn sich aufgrund der vorhandenen Umstände ein typischer Geschehensablauf ergebe. Aufgrund der dargestellten Fahrbedingungen sei aber die Annahme eines typischen Geschehensablaufs verwehrt. Hier könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Unfall nach der Lebenserfahrung auf der Alkoholisierung beruhte. Der Unfall könne, wie aufgezeigt, auch auf anderen Ursachen beruhen. Darüber hinaus habe dem Kläger ohnehin nicht widerlegt werden können, dass ihn kein Verstoss gegen das Rechtsfahrgebot treffe (vgl. Ausführung des Sachverständigen der DEKRA Dipl.Ing.P ...). Dieser gehe davon aus, dass sich der Unfall auf der Fahrbahnseite des Klägers ereignet habe. Wenn demgegenüber ein weiteres Gutachten, das Grundlage für das OLG München war, zu anderen Ergebnissen gelangt sei und sich das Sozialgericht auf diese stütze, so sei dieses nicht nachvollziehbar. Die Beklagte habe die Mitursächlichkeit der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit nicht nachgewiesen.

Demgegenüber vertritt die Beklagte weiterhin die Auffassung, dass die beim Kläger festgestellte BAK von 1,27 Promille die rechtlich allein wesentliche Unfallursache war. Das Sozialgericht sei den in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannten Grundsätzen der Beweislastverteilung gefolgt.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2000 als Sachverständige Prof.Dr.E ... und Dr.Dipl.Physiker Sch ... gehört. Wegen des Ergebnisses der Sachverständigeneinvernahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 30.04.1999 und des Bescheides vom 19.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.1997 zu verurteilen, ihm aus Anlass seines Unfalls vom 13.11.1992 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich der beigezogenen Akten des LG Passau 4.0.956/94 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Senat ist unter Würdigung der gesamten Umstände des Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen der von ihm gehörten Sachverständigen Prof.Dr.E ... und Dr.Dipl.Physiker Sch ... zu der Auffassung gelangt, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt die rechtlich allein wesentliche Unfallursache war. Den Darlegungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil war daher auch unter dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch den Senat in vollem Umfang beizutreten. Die alkoholbedingte absolute Verkehrsuntüchtigkeit des Klägers ist nach der Rechtsprechung dann als rechtlich allein wesentliche Unfallursache anzusehen, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, dass diese als rechtlich nicht wesentliche Mitursache für die Frage der Verursachung unberücksichtigt bleiben müssen. Die alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit, die bei der Entstehung des Unfalls mitgewirkt hat, ist gegenüber den betriebsbedingten Umständen als rechtlich allein wesentliche Unfallursache zu werten, wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon auszugehen ist, dass der Versicherte, wenn er nicht unter Alkoholeinfluss gestanden hätte, bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Sind sonstige Unfallursachen nicht erwiesen, so spricht die Lebenserfahrung dafür, dass die auf Alkoholbeinflussung beruhende Verkehrsuntüchtigkeit den Unfall verursacht hat. Dabei trifft die Beweislast für das Vorliegen und die (Mit-)Ursächlichkeit von alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit den Versicherungsträger, dagegen den Versicherten für das Vorliegen und die Mitursächlichkeit betriebsbezogener Umstände, zu denen auch die mit der Teilnahme am Verkehr verbundenen Gefahren gehören.

Insoweit hat der Kläger zwar auf das Vorliegen von entsprechenden Wegegefahren - hier nasser Fahrbahn, Blendwirkung entgegenkommender Fahrzeuge u.s.w. - hingewiesen, die die ernsthafte Möglichkeit eines Unfalls eröffnen könnten. Der Nachweis für eine Mitursächlichkeit betriebsbezogener Umstände der Gestalt, dass der Unfall dadurch zu Stande gekommen ist, dass der Unfallgegner, mit dem der Kläger kollidierte, sich auf der Fahrbahnseite des Klägers befunden habe, konnte jedoch nach Abwägung aller Gesichtspunkte nicht geführt werden. Denn insofern hat der vom Senat gehörte Sachverständige Dr.Sch ... - unter Auseinandersetzung mit den verschiedenen teilweise divergierenden Vorgutachten - überzeugend ausgeführt, dass der Version, wonach der Aufprall auf der Seite des Klägers stattgefunden habe, im Ergebnis nicht gefolgt werden könne. Nach seiner Überzeugung müsse man den beiden letzteren Gutachten zustimmen, die zu dem Ergebnis geführt haben, dass der Aufprall auf der Gegenfahrbahn stattgefunden hat, d.h. also der Kläger auf die Gegenfahrbahn gelangt ist. Dies ergibt sich aus der Verteilung der Spuren auf der Straße und auch aus der Endstellung der Fahrzeuge. Insbesondere könne man die weitere Bremsspur, die in der Debatte zeitweise eine Rolle gespielt hat, dem unmittelbaren Unfallgeschehen nicht zuordnen, weil sie offensichtlich von einem breiteren Fahrzeug stammt. Das geschilderte Ereignis ist, wie Dr.Sch ... desweiteren ausführt, auch von der Endstellung der Fahrzeuge her klar ableitbar. Es gebe inzwischen Computerprogramme, mit denen man die Wirkungen solcher Kollisionen simulieren kann und diese bestätigten ebenfalls seine Auffassung. Selbst wenn man die Spur dem Fahrzeug des Klägers zuordnen müsste, was dann den Anschein erwecken würde, als habe der Unfall auf der rechten Fahrbahn aus der Sicht des Klägers stattgefunden, dann würde aber der restliche Teil der Spuren von diesem Unfall zu diesem Ergebnis nicht passen.

Entgegen der Auffassung des Klägers, dass der Nachweis absoluten Verkehrsuntüchtigkeit, wofür die Beklagte die Beweislast trägt, nicht geführt sei, ist, wie bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat und nunmehr auch durch die Einvernahme des Prof.Dr.E ... bestätigt wird, der Nachweis einer absoluten alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit im Unfallzeitpunkt geführt. Zu den Einwänden des Klägers und gegebenenfalls vorliegenden Unsicherheitsfaktoren hat Prof.Dr.E ... sehr eingehend und überzeugend ausgeführt, dass selbst dann, wenn in der Anflutungsphase theoretisch ein niedriger Wert der BAK hätte gemessen werden können, gleichwohl die funktionellen Ausfälle in dieser Phase dem schließlich höchsten gemessenen BAK Wert (hier 1,27 Promille) entsprachen. Wenn der Alkoholverzehr kurz vor Arbeitsende stattgefunden hat, so entspricht dies genau dem vorbeschriebenen Wirkungsmuster. Auch wenn bei der Wirkung von Alkohol die Bandbreite der Verträglichkeit sehr groß ist, und es hier erhebliche individuelle Unterschiede - bedingt durch die Alkoholgewöhnung oder auch das Körpergewicht - gibt, so ist dennoch festgestellt worden, dass das Ausmaß von funktionellen Störungen im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit statistisch gesehen ab einem bestimmten Wert so groß wird, dass man hier die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit gezogen hat. Bei einer BAK von 1,1 Promille muss demnach von absoluter Fahruntüchtigkeit ausgegangen werden. Nach den überzeugenden Darlegungen des Prof.Dr.E ... kann auch im Folgenden nicht angenommen werden, dass die besonderen Verhältnisse am Unfallort, wie Dunkelheit, Nässe, viel Verkehr, Blendwirkung auch ohne die Einnahme von Alkohol geeignet gewesen wären, diesen Unfall zu verursachen. Denn nichts beeiträchtige Alkohol so sehr, wie das Sehvermögen. Alkoholgenuss führt zur Einschränkung des Sehfeldes, zur Erhöhung der Blendwirkung, zur Verringerung der Sehschärfe u.s.w ... Es gibt nach den Ausführungen des Sachverständigen Statistiken, wonach bei einem BAK-Wert zwischen 1,2 und 1,5 Promille ein Verlust an Sehschärfe von 70 % eintritt. Die Feststellung der BAK ist auch korrekt und nach den gültigen Maßstäben erfolgt. Anhaltspunkte dafür, dass durch die Blutentnahme selbst die BAK verfälscht worden sein könnte, sind nach Ausführungen des Prof.Dr.E ... nicht erkennbar.

Nach allem ist daher davon auszugehen, dass der Kläger, wenn er nicht unter Alkoholeinfluss gestanden hätte, bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht auf die Gegenfahrbahn geraten und damit nicht verunglückt wäre. Ein Fahrfehler des Unfallgegners des Klägers, der die Ursächlichkeit der beim Kläger vorliegenden alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit für das Unfallereignis in Frage stellen könnte, ist nicht erwiesen. Nach allem ist der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung damit im Unfallzeitpunkt des Klägers nicht mehr gegeben gewesen.

Die Berufung konnte damit keinen Erfolg haben, sie ist unbegründet und daher zurückzuweisen gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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