L 18 U 252/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5032/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 252/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Pferdezucht mit zwei Ponys stellt kein landwirtschaftliches
Nebenunternehmen iSd § 779 Abs. 1 RVO dar, wenn die Ponys - auch über das
dritte Lebensjahr hinaus - nur zu Gesunderhaltung und Fortführung der
Ausbildungszwecke geritten und gelegentlich als Kutschpferde eingesetzt
werden.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15. April 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Haltung von zwei Zuchtponys die Annahme eines landwirtschaftlichen Nebenunternehmens rechtfertigt und deshalb die Klägerin neben ihrem landwirtschaftlichen Unternehmen gesondert zu veranlagen ist.

Die Klägerin bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb, der 2,31 ha landwirtschaftliche und 3,77 ha forstwirtschaftliche Fläche sowie 0,25 ha Pflegeland umfasst. Sie hält in ihrem landwirtschaftlichen Unternehmen durchschnittlich zwei Ponys zu gelegentlichen Zuchtzwecken. Im Rahmen der Zucht werden die Tiere geritten und gelegentlich als Kutschpferde eingesetzt. Die landwirtschaftliche Fläche dient zur Futtergewinnung für die Ponys und als Koppel.

Die Beklagte veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom 28.01.1994 wegen der Haltung von zwei Reitpferden mit einem gesonderten Unfallversicherungsbeitrag und nahm die Reittierhaltung als Nebenunternehmen mit Wirkung ab 1989 in das Unternehmerverzeichnis unter der Kulturart "317 Pferdehaltung/Pferdepension" auf. Mit Bescheid vom 25.01.1994 erhob sie von der Klägerin entsprechende Beiträge ab 1990. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, für die Ponyzucht sei ein gesonderter Beitrag nicht zu zahlen, da diese über die Flächenveranlagung mitversichert sei. Wegen des in der Bundesrepublik Deutschland geforderten Leistungsnachweises von Zuchtponys könnten Zucht und Bewegung nicht getrennt und gesondert veranlagt werden. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.03.1994).

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und begehrt, die Ponyzucht über die Flächenveranlagung zu versichern. Sie hat das Vorliegen einer Reittierhaltung verneint und auf die Notwendigkeit der Bewegung der Pferde aus Zuchtgründen hingewiesen. Zur Zucht gehöre auch das ganz überwiegend private Bereiten und die Ausbildung zu Kutschfahrten. Die Beklagte hat zwar das Bewegen der Ponys über den Flächentarifvertrag für versichert gehalten, nicht aber das Reiten und die Kutschfahrten.

Die Beklagte hat weitere Beitragsbescheide erteilt (Bescheide vom 23.09.1994, 17.02.1995, 23.02.1996, 11.11.1996, 21.02.1997, 10.07.1997 und 06.07.1998).

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 15.04.1999 stattgegeben und die Bescheide vom 24.01.1994 und 28.01.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.03.1994 sowie die Folgebescheide insoweit aufgehoben, als eine Veranlagung einer Reittierhaltung als Nebenunternehmen mit "Kulturart 317 Pferdehaltung" erfolgt ist. Das SG hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines Nebenunternehmens verneint und dies im Wesentlichen damit begründet, dass das Reiten und Kutschfahren mit der Aufzucht in einer untrennbaren Verbindung und Einheit stehe.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und im Reiten der Ponys und ihrem Einsatz als Kutschpferde ein zusätzliches Unfallrisiko gesehen, das einer eigenen Beitragsbemessung bedürfe. Die Klägerin hat ein Schreiben des Zuchtleiters K. vom 23.11.1999 (Bayer. Zuchtverband für Kleinpferde und Spezialpferderassen e.V.) vorgelegt, wonach Reiten und Fahren unmittelbar zur Zucht gehörten. Auch in der sonstigen Reitpferdezucht würde die Grundausbildung bis zur Eigenleistungsprüfung zur landwirtschaftlichen Betätigung gezählt. Erst eine reiterliche Ausbildung darüber hinaus stelle einen weiteren Betriebszweig der Veredelung dar. Die Beklagte hat im Hinblick auf diese Stellungnahme die Auffassung vertreten, dass die Grundausbildung bis zur Eigenleistungsprüfung in der Regel bis zum dritten Lebensjahr der Tiere zur landwirtschaftlichen Betätigung zu zählen und beitragsfrei über die Fläche mitversichert sei. Das Reiten und Kutschfahren über das dritte Jahr hinaus sei aber losgelöst von der Zucht als Veredelung anzusehen und gesondert zu veranlagen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 15.04.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 15.04.1999 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Katasterakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Ponyhaltung der Klägerin Teil ihres landwirtschaftlichen Unternehmens ist und eine gesonderte Veranlagung für eine Reittierhaltung nicht in Betracht kommt.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind außer den angefochtenen Bescheiden vom 25.01.1994 und 28.01.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.03.1994 die Fortsetzungsbescheide vom 23.09.1994, 17.02.1995, 23.02.1996, 11.11.1996, 21.02.1997, 10.07.1997 und 06.07.1998. Im Beitragsrecht werden während des Gerichtsverfahrens im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses ergangene Folgebescheide, die Regelungen jeweils für einen weiteren Zeitraum treffen, in entsprechender Anwendung des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens, wenn - wie hier - gegen die Folgebescheide die gleichen Einwände wie gegen den Erstbescheid erhoben werden, die Klage sich auch gegen die Folgebescheide wendet und der beklagte Versicherungsträger nicht widerspricht. Dies gilt vor allem auch hinsichtlich der in der gesetzlichen Unfallversicherung für die einzelnen Geschäftsjahre ergangenen Beitragsbescheide (so BSG SozR 3-2200 § 776 Nr 5 mwN).

Die Rechtmäßigkeit der beitragsrechtlichen Verwaltungsentscheidungen für die Jahre 1994, 1995 und 1996 richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), während für die Jahre 1997 und 1998 die Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) anzuwenden sind. Das SGB VII ist zwar am 01.01.1997 in Kraft getreten (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG). Für die vor dem Jahre 1997 liegenden Haushaltsjahre sind jedoch die Vorschriften der RVO über die Aufbringung der Mittel weiterhin anzuwenden, während vom Geschäftsjahr 1997 an die Vorschriften des SGB VII Anwendung finden (§ 219 Abs 1 Satz 2 SGB VII).

Die noch nach der RVO zu beurteilenden Bescheide vom 23.09.1994, 17.02.1995, 23.02.1996 und 11.11.1996 für die Geschäftsjahre 1994, 1995 und 1996 sind nicht rechtmäßig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat die Klägerin zu Unrecht für die Ponyhaltung zur gesonderten Beitragsumlage herangezogen. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der Ponyzucht nicht um ein landwirtschaftliches Nebenunternehmen iS des § 779 Abs 1 RVO. Ein landwirtschaftliches Nebenunternehmen ist nach der Legaldefinition des § 779 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unternehmen, das ein landwirtschaftlicher Unternehmer neben seiner Landwirtschaft, aber in wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihr unterhält. Diese Voraussetzungen liegen hier in Bezug auf die Pferdezucht nicht vor. Die Ponyhaltung stellt sich vielmehr als Teil des landwirtschaftlichen Unternehmens iS des § 776 Abs 1 Nr 1 RVO mit der Folge dar, dass für sie keine gesonderten Beiträge erhoben werden dürfen. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung erfasst nach § 776 Abs 1 Nr 1 RVO ua Unternehmen der Landwirtschaft. Während die RVO den Gesetzesbegriff der Landwirtschaft nicht näher definiert, hat die Rechtsprechung darunter ständig die Bodenbewirtschaftung verstanden. Diese umfasst Tätigkeiten von nicht ganz kurzer Dauer, die dazu bestimmt sind, Bodengewächse überwiegend planmäßig aufzuziehen und abzuernten (BSGE 64, 252 ff = SozR 2200 § 778 Nr 2 mwN). Dazu gehört auch die Aufzucht und Haltung von Vieh, sofern ein Zusammenhang mit der Bodenbewirtschaftung und ein angemessenes Verhältnis der Anzahl der Tiere zur Größe und Ertragsfähigkeit des Bodens bestehen (BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 45/98 R = HVBG-Info 2000, 478 mwN). Dabei handelt es sich um die in der Landwirtschaft üblichen Tiere, die als Nutzvieh gehalten werden. Bei Pferden ist dies nur dann der Fall, wenn sie zu Z u c h t z w e c k e n , zur Mast oder als Arbeitspferde gehalten werden (vgl BayLSG Urteil vom 17.05.1979 - L 8 U 44/78 - mwN).

Eine Reittierhaltung wird von der Klägerin nicht betrieben. Nach den glaubwürdigen Angaben der Klägerin werden die Ponys nicht als Reitpferde, sondern zu Zuchtzwecken gehalten, so dass die Frage, ob vorliegend eine Haltung von R e i t p f e r - d e n als Viehhaltung in Betracht kommt, nicht zu entscheiden ist. Die Ponys werden nur im Rahmen der Zuchthaltung in dem bei Pferden zur Gesunderhaltung und zu Ausbildungszwecken erforderlichen Ausmaß geritten und - gelegentlich - zu Kutschfahrten eingesetzt. Die Ponyhaltung stellt sich daher nicht als landwirtschaftliches Unternehmen gemäß § 779 Abs 1 Satz 1 RVO neben der Landwirtschaft der Klägerin dar.

Der Senat lässt es dahingestellt, ob eine reiterliche Ausbildung über die Grundausbildung hinaus zur landwirtschaftlichen Betätigung zu zählen ist, da eine solche besondere reiterliche Ausbildung der Ponys nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin nicht erfolgt. Die Art und der tatsächliche Umfang des von der Klägerin praktizierten Reitens und Kutschfahrens über das dritte Lebensjahr der Ponys hinaus kann vorliegend nicht losgelöst von der Zucht als Veredelung angesehen werden. Der Zuchtzweck steht auch nach dem dritten Lebensjahr im Vordergrund der Tierhaltung, da die Erziehung und Sozialisierung des Tieres bis zu seinem Verkauf fortgeführt werden muss. Darüber hinaus dient das Bewegen der Tiere durch regelmäßiges Reiten ihrer Gesunderhaltung.

Schließlich ist das von der Beklagten als Grund für die gesonderte Veranlagung angeführte Unfallrisiko in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nach der RVO kein bestimmender Faktor für die Beitragserhebung wie in der allgemeinen Unfallversicherung (so BSG Urteil vom 07.11.2000 B 2 U 42/99 R unter Verw auf BSG SozR 2200 § 803 Nr 2).

Auch die nach den Vorschriften des SGB VII zu beurteilenden Bescheide für die Jahre 1997 und 1998 sind rechtlich nicht zu beanstanden. Auch nach der Regelung im SGB VII werden die Mittel für die Ausgaben der Berufsgenossenschaften allein von den Unternehmern durch Entrichtung von Beiträgen erbracht. Dies gilt auch für die landwirtschaftlichen Unternehmer. Der Begriff des Unternehmers ist ebenfalls von der Sache her nicht verändert worden. Nach § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII ist Unternehmer derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Die Abweichung vom Wortlaut des § 658 Abs 2 Nr 1 RVO bedeutet keine sachliche Änderung, sondern die Übernahme der bisher in Rechtsprechung und Literatur überwiegend verwendeten Definition als Gesetzestext (so BSG, Urteil vom 07.11.2000 B 2 U 42/99 R). Auch der Begriff der Landwirtschaft bzw der landwirtschaftlichen Unternehmen wird im SGB VII dem Grunde nach unverändert verwendet und entspricht inhaltlich im Wesentlichen der Vorschrift des § 776 Abs 1 Nr 1 RVO (aaO). Die Ausführungen zu den angefochtenen Bescheiden für die Geschäftsjahre 1994 bis 1996 gelten daher insoweit auch hinsichtlich der Bescheide für den Zeitraum von 1997 bis 1998 entsprechend. Die Änderungen im Beitragsrecht der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durch das SGB VII führen zu keiner anderen Beurteilung als zu der nach der RVO. Zwar werden im SGB VII die Unfallrisiken insoweit stärker betont, als nunmehr die Satzung bei der Festlegung der Berechnungsgrundlagen die Unfallrisiken in den Unternehmen ausreichend zu berücksichtigen hat, wobei hierzu ein Gefahrentarif aufgestellt werden kann (§ 182 Abs 2 Satz 2 SGB VII). Der weite Gestaltungsspielraum der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ist aber erhalten geblieben und dem Gedanken einer Differenzierung nach Gefährdungsrisiken wird weiterhin d e u t l i c h weniger Gewicht beigemessen als in der gewerblichen Unfallversicherung (aaO unter Verw auf Hauck/Freischmidt, SBG VII, K § 182 Rdnrn 4, 19). Angesichts dieser Regelungen kann auch künftig nicht davon ausgegangen werden, dass die Unfallgefährdung ein im Vordergrund der landwirtschaftlichen Unfallversicherung stehender Faktor ist (aaO, Rdnr 19).

Die Berufung der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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