L 10 AL 29/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 456/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 29/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.09.2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Unterhaltsgeld (UHG) während einer beruflichen Bildungsmaßnahme bei der Chemieschule Dr.B. GmbH nach Wechsel des Maßnahmeträgers.

Der am 1960 geborene Kläger war seit August 1989 als Chemiewerker tätig. Der Arbeitsvertrag wurde zum 21.09.1990 aus gesundheitlichen Gründen gelöst. Nach einem Bericht der Hautärztin Prof. Dr.B. vom 19.06.1990 an den Unfallversicherungsträger war es dringend erforderlich, diese Tätigkeit aufzugeben, um das Auftreten einer Berufskrankheit zu verhindern. Die von der Beklagten veranlasste Untersuchung am 12.12.1990 durch Dr.W. ergab u.a. ein atopisches Handekzem. Tätigkeiten mit chemischen Substanzen, hautbelastenden Stoffen und im wässrigen Milieu seien ungünstig. Die Arbeitsaufgabe sei als gerechtfertigt anzusehen.

Am 27.07.1995 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt Nürnberg die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme zum CTA beim Chemischen Institut Dr.F. für die Zeit vom 11.09.1995 bis 29.07.1997. Mit Bescheid vom 04.10.1995 wurde ihm die Teilnahme an dieser Maßnahme bewilligt und mit Bescheid vom 09.10.1995 UHG zuerkannt. Am 25.04.1996 teilte das Chemische Institut Dr.F. dem Arbeitsamt Nürnberg mit, der Kläger besuche nach seiner Angabe vom 18.04.1996 seit 26.03.1996 eine andere Schule. Zuvor habe er oft unentschuldigt gefehlt. Der letzte besuchte Unterrichtstag sei der 13.03.1996 gewesen.

Nach Anhörung hob die Beklagte die Bewilligung der Förderung auf. Die Maßnahme sei am 14.03.1996 abgebrochen bzw. vorzeitig beendet worden. Überzahlte Beträge in Höhe von insgesamt 6.719,30 DM seien zu erstatten (bestandskräftige Bescheide vom 17.07.1996).

Am 17.07.1996 beantragte der Kläger, der inzwischen nach S. verzogen war - später kehrte er nach N. zurück -, bei der Beklagten (Arbeitsamt Stuttgart) die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme bei der Chemieschule Dr.B. GmbH (Eintritt in den Lehrgang am 25.03.1996). Mit Bescheid vom 27.11.1996 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Der Kläger sei für die angestrebte beruflichen Tätigkeit gesundheitlich nicht geeignet. Den Widerspruch hiergegen begründete der Kläger damit, das Arbeitsamt Nürnberg habe eine solche Umschulung in vollem Umfang genehmigt. In seinem Gutachten nach Aktenlage vom 02.04.1998 zur gesundheitlichen Eignung für die Tätigkeit als CTA ging der Ärztliche Dienst der Beklagten davon aus, die Ausbildung zum CTA sei als nicht leidensgerecht einzustufen. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.1998 zurückgewiesen. Ein Umgang mit hautbelastenden Stoffen lasse sich nicht vermeiden. Im Übrigen hätte sich der Kläger vor Antritt der Maßnahme bei der Chemieschule Dr.B. GmbH am 25.03.1996 beraten lassen müssen.

Die hiergegen zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage hat der Kläger unter Hinweis auf die Blätter zur Berufskunde damit begründet, er sei 1990 einer extremen Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen. Dies sei bei einer Tätigkeit als CTA nicht der Fall. Er habe lediglich die Maßnahmeträger gewechselt, nicht aber eine "zweite Umschulung" durchgeführt. Eine Beratung sei im Sommer 1995 beim Arbeitsamt Nürnberg erfolgt. Die beteiligten Arbeitsämter würden sich widersprüchlich verhalten.

Im Auftrag des Sozialgerichts erstattete Dr.M. (u.a. Arbeitsmediziner) am 23.01.2000 nach Untersuchung des Klägers am 14.12.1999 ein Sachverständigengutachten. Nach seiner Auffassung müsse die Umschulung zum CTA anhand der vorliegenden Unterlagen als unzweckmäßig angesehen werden, der Kläger sei hierzu gesundheitlich nicht geeignet. Auch bei einer Labortätigkeit müsse er Handschuhe benützen. Die Blätter zur Berufskunde seien bezüglich der gesundheitlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Tätigkeit als CTA mangelhaft bzw unvollständig. Die medizinisch bedingte Nichteignung für diese Tätigkeit bestehe seit 1990 unverändert. Gravierende Hautveränderungen seien aber, obwohl der Kläger angegeben habe, als CTA tätig zu sein, zurzeit nicht aufgetreten. Auf den weiteren Inhalt dieses Gutachtens wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Mit Urteil vom 27.09.2000 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, ab 17.07.1996 für die Ausbildung zum CTA bei der Chemieschule Dr.B. GmbH UHG zu gewähren. Obwohl der Kläger medizinisch ungeeignet für die Umschulung sei, spreche der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes dafür, den Abschluss der Maßnahme sicherzustellen. Die Umschulung ermögliche Tätigkeiten in artverwandten Bereichen (z.B. Verkauf/Verwaltung) bzw einen beruflichen Aufstieg und damit geringeren Umgang mit den entsprechenden Stoffen. Die divergierenden Entscheidungen zweier Arbeitsämter dürften nicht zu Lasten des Klägers gehen. Eine Beratung sei bereits durch das Arbeitsamt Nürnberg erfolgt.

Die Beklagte begründet die dagegen beim Bayer. Landessozialgericht eingelegte Berufung damit, es läge in ihrem Ermessen, ob die Teilnahme am Lehrgang CTA bei der Chemieschule Dr.B. GmbH gefördert werde. Das Sozialgericht habe daher allenfalls zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilen dürfen. Die Bewilligung von UHG durch das Arbeitsamt Nürnberg sei mit bestandskräftigem Bescheid vom 17.07.1996 aufgehoben worden. Beim Lehrgang an der Chemieschule Dr.B. GmbH handele es sich um eine völlig neue Maßnahme, die neu zu beantragen gewesen sei. Vor der Teilnahme hätte eine Beratung erfolgen müssen. Eine gesundheitliche Eignung habe nicht vorgelegen. In seinem Vertrauen sei der Kläger nicht schutzwürdig, er habe die bewilligte Maßnahme am Chemischen Institut Dr.F. abgebrochen und der Bewilligungsbescheid sei aufgehoben worden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.09.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Auch ein ggfs rechtswidriger Bewilligungsbescheid gelte fort.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Akten des AA Nürnberg und des AA Stuttgart) sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Zahlung von UHG ab 17.07.1996 für die Bildungsmaßnahme zum CTA bei der Chemieschule Dr.B. GmbH verurteilt. Das Urteil vom 27.09.2000 ist daher aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27.11.1996 i.d.G. des Widerspruchsbescheides vom 11.05.1998 ist abzuweisen.

Gemäß § 36 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der vom 01.01.1994 bis 31.12.1997 geltenen Fassung dürfen Leistungen zur individuellen Förderung der beruflichen Bildung nur gewährt werden, wenn der Antragsteller für die angestrebte berufliche Tätigkeit geeignet ist und voraussichtlich mit Erfolg an der Maßnahme teilnehmen wird (§ 36 Nr. 2 AFG). Es müssen also gewisse Eingangsvoraussetzungen nach Vorbildung, Ausbildung und Berufserfahrung sowie hinreichender körperlicher und geistiger Verfassung vorliegen, die in ihrer Gesamtheit die Erwartung rechtfertigen, dass der Teilnehmer das Ziel der Bildungsmaßnahme erreicht (Niesel/Menard, AFG, 2.Aufl., § 36 RdNr. 10). Zur Eignung als Voraussetzung für eine Förderung der beruflichen Bildung durch die Beklagte gehören auch die körperlichen (gesundheitlichen) Bedingungen, die erforderlich sind, um den Anforderungen des mit der beruflichen Bildung angestrebten Berufes objektiv zu genügen. Die erforderliche Eignung besitzt nur derjenige, der aufgrund seiner körperlichen und gesundheitlichen Beschaffenheit in der Lage sein wird, den Anforderungen objektiv gerecht zu werden, die der mit der Bildungsmaßnahme angestrebte Beruf an ihn stellen wird (vgl. zum Ganzen: BSG SozR 4100 § 36 Nr. 5; vgl. auch § 27 AFG).

Laut der vorliegenden Gutachten ist der Kläger für die Tätigkeit als CTA aufgrund einer Minderbelastbarkeit der Haut nicht geeignet. So führt Dr.M. in seinem Gutachten aus, der Kläger reagiere hierwegen auf belastende äußere Einflüsse mit Veränderungen. Auch bei seiner Untersuchung habe er Hautveränderungen, die der Kläger nicht bemerkt habe, entdeckt. Der Kläger habe zum damaligen Zeitpunkt flüssigkeitsdichte Handschuhe tragen müssen, die diese Hautveränderungen verursachten und eine intensive Hautpflege etc. erfordern würden. Das bloße Schwitzen in diesen Handschuhen führe zu Hautveränderungen. Die Umschulung zum CTA müsse daher als unzweckmäßig angesehen werden. Diesen Ausführungen steht auch nicht entgegen, dass der Kläger zuletzt keine Hautveränderung mehr bemerkt haben will, denn die Frage der Eignung richtet sich nach objektiven Merkmalen und nicht nach der subjektiven Vorstellung der jeweiligen Teilnehmer (BSG aaO).

Auch die Möglichkeit einer Tätigkeit in Randbereichen des Berufsbildes des CTA (Verwaltung/Verkauf) oder ein möglicher beruflicher Aufstieg und damit eine evtl Abnahme des Kontaktes mit entsprechenden Stoffen spricht nicht für eine Eignung des Klägers. Ein beruflicher Aufstieg stellt eine bloße Möglichkeit dar, die erst durch praktische Tätigkeit eröffnet werden muss. Bei einer Tätigkeit im Verkauf hat der Kläger auch mit entsprechenden Substanzen zu tun und muss ggfs Handschuhe tragen. Eine Einstellungsmöglichkeit in der Verwaltung ohne praktische Erfahrung erscheint als nicht gegeben. Insbesondere wird aber durch die Möglichkeit, lediglich in Rand- und kleinen Teilbereichen eines Berufsbildes tätig zu sein, weder die Beweglichkeit des Klägers auf dem Arbeitsmarkt noch die Möglichkeit der beruflichen Wiedereingliederung (§ 36 Nr. 3 AFG i.V.m. § 2 Nr. 2, Nr. 4 AFG) verbessert, wenn der Kläger von vorneherein auf ein sehr enges Tätigkeitsfeld beschränkt ist. Gemäß § 2 Nr. 2 AFG ist die Sicherung und Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit zu einem besonderen Ziel der Maßnahmen nach dem AFG erklärt worden. Dieses Ziel soll insbesondere dadurch erreicht werden, dass die Chancen für den Antritt einer (anderen) Arbeit durch Fortbildung und Umschulung (§§ 33 ff AFG) verbessert werden. Der Zweck einer Umschulungsmaßnahme, die berufliche Beweglichkeit des Arbeitnehmers zu sichern und zu verbessern, ist regelmäßig erst dann erreicht, wenn der Bildungswillige in dem neuen Beruf - zusätzlich zu seinem bisherigen Beruf - eine auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Beschäftigungsmöglichkeit erhalten hat (BSG SozR 4100 § 36 Nr. 4; Niesel, AFG, 2.Aufl. § 2 RdNr. 4). Dies muss auch für die Aus- und Fortbildung gelten. Der Kläger muss in einem möglichst weiten Bereich des Berufsbildes des CTA einsatzfähig sein. Dies ist vorliegend infolge der bestehenden Einschränkungen nicht der Fall. Die Förderung der Maßnahme bei der Chemieschule Dr.B. GmbH hat die Beklagte daher zurecht abgelehnt.

An einer Ablehnung ist sie auch durch die Bewilligung der Maßnahme bei dem Chemischen Institut Dr.F. nicht gehindert. Diese Bewilligung ist allein für die Maßnahme bei diesem Institut erfolgt (§ 7 Abs. 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung - AFuU - i.d.F. vom 16.03.1994 - ANBA 1994, 295; Rechtsgrundlage: § 39 AFG ). Die Bewilligung erfolgte nämlich unter Angabe der entsprechenden Maßnahme-Nummer nur für diese konkrete Maßnahme. Der Kläger hatte nur die Förderung dieser Maßnahme ausdrücklich beantragt. Auch aus dem Merkblatt Nr. 6 (Stand April 1995, Seite 9), dessen Aushändigung der Kläger bei der Antragstellung beim Arbeitsamt Nürnberg bestätigt hatte, ist zu entnehmen, dass sich eine Bewilligung jeweils auf eine bestimmte Maßnahme bezieht. Die Bewilligung wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 17.07.1996 aufgehoben, weil der Kläger die Maßnahme - aus welchen Gründen auch immer - am 13.03.1996 abgebrochen hatte. Besteht der Antragsteller auf der Teilnahme an einer anderen als der festgelegten Maßnahme, kann die Teilnahme daran nur gefördert werden, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt und das Arbeitsamt zustimmt (§ 7 Abs. 6 AFuU). Diese Zustimmung ist - soweit sich diese Vorschrift überhaupt auf einen Wechsel des Maßnahmeträgers während einer Maßnahme bezieht - durch das AA Nürnberg nicht erteilt worden. Vielmehr ist die Bewilligung aufgehoben worden und hat im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts daher keine Rechtswirkung mehr. Die Beklagte hatte somit die Maßnahme bei der Chemieschule Dr.B. GmbH neu zu prüfen. Der anspruchsbegründende Sachverhalt - Bewilligung der Maßnahme beim Chemischen Institut Dr.F. - war mit der Aufhebung entfallen, die Zuständigkeit ist dann neu zu beurteilen (vgl. Niesel/Düe, SGB III, 2.Aufl., § 327 RdNr. 10). Zuständig für die Neuprüfung ist die Beklagte (§ 23 Abs. 1 AFuU).

Solange somit der Aufhebungsbescheid vom 17.07.1996 wirksam ist, kann weder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch können Vertrauensschutzgesichtpunkte zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden. Der Antrag auf Bewilligung von Leistungen hinsichtlich der Chemieschule Dr.B. GmbH stellt einen völlig neuen Antrag dar.

Das Urteil des SG Nürnberg ist nach alledem aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27.11.1996 idG des Widerspruchsbescheides vom 11.05.1998 ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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