L 2 U 352/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 170/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 352/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 17.07.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Weitergewährung von Verletztengeld nach einem Arbeitsunfall.

Der Kläger war bei der Beklagten als selbständiger Busunternehmer versichert. Er begab sich am 26.01.1998 zu dem Durchgangsarzt Dr.S. und gab an, am 19.01.1998 beim Aussteigen aus dem Bus auf Eis ausgerutscht und mit angelegtem Arm auf die rechte Schulter gestürzt zu sein. Er habe weitergearbeitet, vor dem 26.01.1998 sei er nicht behandelt worden. In seiner eigenen Unfallanzeige vom 09.02.1998 gab er an, ausgeglitten und auf den Rücken und die rechte Schulter gefallen zu sein. Ein CT am 02.02.1998 ergab eine "komplette Ruptur der Supraspinatussehne bei wohl vorliegender degenerativer Auffaserung". Nach einer Vorstellung in der Klinik Lindenlohe am 06.02.1998 führte deren Arztbericht vom 09.02.1998 aus, der Kläger sei vorwiegend auf den Rücken gestürzt, es sei ihm nicht erinnerlich, ob er zusätzlich auf die Schulter gefallen sei. In einem weiteren Bericht vom 12.02.1998 führte die Klinik aus, der Kläger sei auf den Rücken und das rechte Schultergelenk gefallen. Gegenüber dem als Sachverständigen gehörten Chirurgen Dr.S. gab der Kläger an, er sei frei auf die rechte Schulter bei angelegtem Arm gefallen. In dem Gutachten vom 29.07.1998 kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, bei dem Unfall vom 19.01.1998 habe es sich um eine folgenlos ausgeheilte Schulter- bzw. Rückenprellung gehandelt. Es könne nach dem hierfür notwendigen Unfallmechanismus und den Befunderhebungen nicht als wahrscheinlich angesehen werden, dass der Sturz ursächlich für die Veränderungen der Rotatorenmanschette gewesen sei. Der Sachverständige war der Meinung, dass unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 01.03.1998 bestanden habe. Dementsprechend wurde von der Beklagten Verletztengeld gezahlt.

Mit Bescheid vom 26.08.1998 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an und stellte eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit vom 26.01. bis 01.03.1998 fest. Darüber hinaus habe keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bestanden. Gleichzeitig rechnete die Beklagte den Verletztengeldanspruch mit den gezahlten Vorschüssen in Höhe von DM 12.000,00 ab und forderte in dem Bescheid die sich aus der Verletztengeldabrechnung ergebende Überzahlung in Höhe von DM 8.793,21 zurück.

Mit seinem Widerspruch begehrte der Kläger, ihm weiterhin Krankenbehandlungs- und Verletztengeld zuzugestehen und den Arbeitsunfall als Beeinträchtigung und Berufsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.1999 als unbegründet zurück.

Mit der anschließenden Klage hat der Kläger zunächst die Anerkennung des Arbeitsunfalles, der Behandlungsbedürftigkeit und der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit begehrt.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.H. vom 22.12.1999 eingeholt. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit wegen der Prellungsfolgen sei angesichts nicht belegbarer frischer Strukturschäden maximal für den Zeitraum von acht oder zehn Tagen zu begründen. Strukturelle, also traumatisch bedingte Schäden seien als Folge des versicherten Ereignisses nicht zu belegen. Die Ruptur der Supraspinatussehne sei nicht wesentlich durch den Unfall verursacht worden. Die isolierte Kontinuitätsdurchtrennung im Verlauf der Supraspinatussehne selbst spreche bei dem zum Ereigniszeitpunkt bereits 63 Jahre alten Versicherten klar gegen die traumatische, also prellungsbedingte Entstehung. Ansonsten hätten auch an anderen Weichteilstrukturen begleitende Verletzungen gefunden werden müssen. Der klinische Befund vom 26.01.1998 sei einerseits kaum verletzungsspezifisch, andererseits indiziere er nicht die frische Schädigung der Rotatorenmanschette, da diese mit einem eindrucksvollen Funktionsverlust verbunden gewesen wäre. Auch die Tatsache des Weiterarbeitens und erst späteren Aufsuchens eines Arztes sei nicht mit einer frischen Sehnenverletzung zu vereinbaren. Gegen den Zusammenhang sprächen auch die intraoperativen und bildtechnischen Befunde. Sie ließen umformende Veränderungen am Schultereckgelenk erkennen, die auf den stummen Vorschaden hinwiesen. Es sei auch nicht von einer für den Ursachenzusammenhang notwendigen unphysiologischen Beteiligung der Rotatorenmanschette auszugehen. Zusammenfassend seien strukturelle, also traumatisch bedingte Schäden als Folgen des versicherten Ereignisses nicht zu belegen. Eine Schultergelenksprellung habe allenfalls Bedeutung im Hinblick auf die Aktivierung einer vorbestehenden stummen degenerativen Veränderung am rechten Schultergelenk. Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit wegen Prellungsfolgen sei angesichts nicht belegbarer frischer Strukturschäden maximal für den Zeitraum von acht oder zehn Tagen zu begründen.

Der Kläger hat daraufhin den Chirurgen Privatdozent Dr.W. , Leitender Oberarzt der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität M. als Sachverständigen nach § 109 SGG benannt. Dieser hat mit Schreiben vom 12.03.2000 ausgeführt, wegen seiner Arbeitsbelastung müsse er auswählen, welche Gutachten ihm sinnvoll erschienen und welche nicht. Nach Aktenlage sehe er keinen Ansatzpunkt, dass bei einer persönlichen Vorstellung des Klägers eine andere Aussage zustande käme als in den beiden Vorgutachten.

Das Sozialgericht hat die Klage auf Weitergewährung von Verletztengeld über den 31.03.1998 hinaus mit Urteil vom 17.07.2000 als unbegründet abgewiesen und sich dabei auf den Sachverständigen Dr.H. gestützt.

Im Berufungsverfahren hat der Senat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten von dem Orthopäden und Chirurgen Dr.G. vom 05.04.2000 eingeholt. Bei der Anamnese hat der Kläger angegeben, es habe ihm die Füße weggezogen und er sei nach hinten auf den Rücken gefallen. Er habe sich gewundert, dass der aufnehmende Durchgangsarzt "bei angelegtem Arm" geschrieben habe, obwohl er ausdrücklich angegeben habe, sich nicht an nähere Details seines Sturzes erinnern zu können, da es sehr schnell gegangen sei. Der Sachverständige stellt die möglichen Ursachen einer Rotatorenmanschettenruptur ebenso wie die Vorgutachter dar. In der Bewertung der Anamnese führt er aus, aus den dokumentierten Angaben ließen sich keine ausreichenden Angaben gewinnen, die es erlaubten, die traumatische Genese einer Rotatorenmanschettenruptur zu beweisen oder auszuschließen. Unstreitig sei, dass die Verletzung nicht durch direkte Kontusion der Schulter bzw. der Manschette selbst hervorgerufen worden sei. Bei jedem Sturz nach hinten komme es reflektorisch zu dem Versuch einer Abstützreaktion mit den Händen. Hierbei sei die Muskulatur voll angespannt und mit Bodenberührung träten hohe Kräfte auf. Ein Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm werde ausdrücklich als potentiell ursächlich angesehen. Auch die zweite denkbare Variante des Sturzes mit dem Versuch, sich an der Bustüre oder den Griffen einzuhalten, könne eine Rotatorenmanschettenruptur verursachen. Zusammenfassend müsse festgestellt werden, dass der Unfall geeignet gewesen sei, eine Rotatorenmanschettenruptur zu verursachen. Dabei sei dies um so wahrscheinlicher, je älter der Patient und je degenerativer damit die Sehnenplatte verändert gewesen sei. Der vom Kläger angegebene Verlauf der Beschwerden lasse sich gut mit den Angaben zu einem beispielhaften Spontanverlauf in Einklang bringen. Damit spreche der Verlauf eher für die traumatische Genese und sei keinesfalls ein Beweis dagegen. Auch der direkte zeitliche Zusammenhang sei erfüllt. Die klinischen und bildtechnischen Befunde allein könnten die traumatische Genese nicht sicher beweisen. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe über den 31.03.1998 hinaus bis vermutlich 24.06.1998 bestanden.

Hiergegen hat die Beklagte eingewendet, ein auch nach Auffassung des Dr.G. geeigneter Mechanismus habe nach den Angaben des Klägers im Rahmen des Feststellungsverfahrens zweifelsfrei nicht vorgelegen. Darüber hinaus spreche auch das Verhalten des Klägers nach dem Unfall gegen einen ursächlichen Zusammenhang, weil der Kläger nach dem Unfall weitergearbeitet habe und und erst eine Woche später einen Arzt aufgesucht habe.

Der Kläger sieht in dem Gutachten des Dr.G. eine Bestätigung seines Anspruchs und wendet gegenüber der Beklagten ein, die Frage, wie er den Arm bei dem Sturz gehalten habe, sei schlichtweg nicht beantwortbar. Als Unternehmer habe er es sich nicht leisten können, sofort krank zu sein und habe unter Schmerzen weitergearbeitet.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 17. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 26.08.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1999 zu verurteilen, ihm über den 01.03.1998 hinaus Veletztengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 01.03.1998 hinaus.

Eine über den 01.03.1998 hinaus beim Kläger bestehende Arbeitsunfähigkeit war nicht nachweislich Folge des Versicherungsfalles, wie dies im vorliegenden Fall für einen Anspruch auf Verletztengeld nach § 45 Abs.1 Nr.1 SGB VII erforderlich wäre (vgl. Ricke Kasseler Kommentar, § 45 SGB VII Rdnr.4). Dies würde voraussetzen, dass der Arbeitsunfall wesentliche Bedingung für die Arbeitsunfähigkeit gewesen ist, wobei für die Annahme der Kausalität genügt, dass sie hinreichend wahrscheinlich ist (BSGE 61, 127 m.w.N.). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht dann, wenn deutlich überwiegende Gründe für die Annahme der Tatsache entsprechen (BSGE 45, 285). Mit Ausnahme des Ursachenzusammenhanges bedürfen dabei alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises (Ricke, Kasseler Kommentar § 8 SGB VII Rdnrn.257 ff.).

Dass keine durch den Versicherungsfall bedingte Arbeitsunfähigkeit über den 01.03.1998 hinaus bestanden hat, ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des Dr.H. und dem des Dr.S. , das auch im Gerichtsverfahren, obwohl von der Beklagten eingeholt, Berücksichtigung findet (vgl. BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGB). Den Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr.G. vermochte der Senat nicht zu folgen. Nach dessen Gutachten, wie im Übrigen auch nach den Gutachten des Dr.S. und des Dr.H. , wäre die Arbeitsunfähigkeit durch die Gesundheitsstörung an der Schulter bedingt. Ob die Gesundheitsstörung an der Schulter wesentlich durch den Arbeitsunfall bedingt ist, hängt nach allen Sachverständigengutachten davon ab, ob beim Arbeitsunfall ein für die Ursächlichkeit geeigneter Bewegungsablauf stattgefunden hat. Da es sich hierbei um Tatsachen handelt, bedarf ein solcher Unfallablauf des vollen Beweises. Der von dem Sachverständigen Dr.G. für einen Ursachenzusammenhang als notwendig erachtete Geschehensablauf ist jedoch, wie auch der Kläger ausdrücklich zugesteht, nicht bewiesen. Die Angaben des Klägers selbst wechseln von Schilderungen, die nach Ansicht sämtlicher Sachverständiger keinen Ursachenzusammenhang zwischen dem Sturz und der Schulterverletzung begründen können, zu dem Eingeständnis, dass er sich an Einzelheiten nicht mehr hinreichend erinnern könne. Es gibt darüber hinaus, wie sich aus den Gutachten des Dr.S. und des Dr.H. ergibt, zum Verhalten des Klägers für die Tage nach dem Unfall keinerlei ärztliche Feststellungen, die den für einen unfallbedingten Rotatorenmanschettenriss notwendigen klinischen Befund bestätigen würden. Der intraoperative Befund, wie er von Dr.G. selbst erhoben wurde, sowie die weiteren klinischen und bildgebenden Befunde können nach dessen Angaben eine unfallbedingte Ruptur nicht belegen. Eine über den 01.03. 1998 hinaus durch den Arbeitsunfall bedingte Arbeitsunfähigkeit kann deshalb nicht angenommen werden. Ein Anspruch auf die Weiterzahlung des Verletztengeldes besteht deshalb nicht.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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