L 17 U 39/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 401/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 39/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.12.1997 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 11.07.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1995 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK) anzuerkennen und nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 10 vH zu entschädigen ist.

Die am 1921 geborene Klägerin betrieb als freiwillig versicherte Unternehmerin seit Mai 1971 ein Wohn- und Erholungsheim für Rollstuhlfahrer und andere Körperbehinderte. Sie nahm dabei alle bei der Pflege vorkommenden Arbeiten für Behinderte wahr, insbesondere Auf- und Anheben, Waschen, Baden, Anziehen, Übersetzen in Betten bzw Rollstühle, sowie Lauftraining. Hebe- und Tragetätigkeiten fielen ständig an. In seiner Stellungnahme vom 10.11.1994 sah der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) als erfüllt an, da die Belastung der Klägerin weit über den erforderlichen Bewertungsrahmen hinaus reichte.

Bereits am 24.04.1951 hatte die Klägerin in der früheren DDR einen Arbeitsunfall erlitten, der mit Bescheid der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung vom 21.05.1968 mit einer MdE von 40 vH bewertet wurde. Als Unfallfolgen waren ein Restzustand nach serogenetischer Polyneuritis im lumbosacralen Bereich mit Restlähmung an beiden Beinen, insbesondere der Peronaeusnerven, mit Hebeschwäche beider Füße und einer praktischen Parese der Zehenhebung anerkannt. Am 19.03.1988 zog die Klägerin sich beim Sturz von einer Treppe eine starke Prellung der Wirbelsäule im Bereich der LWS, BWS und des Kreuzbeines zu. Ein weiterer Arbeitsunfall vom 31.07.1989 (Verhebetrauma), der neben einer Schädelprellung eine Vorderkantendeckplattenfraktur am 1. Lendenwirbelkörper verursacht hatte, führte zuletzt durch Urteil des SG Würzburg vom 03.12.1997 zu einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH bis 31.07.1990 sowie 10 vH bis 18.02.1991 (Stützrente).

Mit Schreiben vom 08.05.1992 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als BK. Die Beklagte holte Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.R.E. (A.) vom 03.03.1994 und des Chirurgen Dr.E.H. (O.) vom 07.03.1994 ein. Außerdem zog sie die medizinischen Unterlagen über die früheren Arbeitsunfälle der Klägerin bei. Sodann erstellte Dr.R.C. (W.) ein orthopädisches Gutachten vom 05.04.1995, in dem er als bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom bei Zustand nach Kompressionsverletzung der unteren LWS mit nachfolgenden schwersten Veränderungen in Höhe L4 bis S1 und perianal sensiblen Störungen, erschwerter Stuhlentleerung, beidseits nicht auslösbaren ASR sowie Zustand nach LWK1-Deckplattenfraktur beschrieb. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS stehe aber nicht in ursächlichen Zusammenhang mit den beruflichen Einwirkungen. Es sei von einem schicksalhaften Verlauf auszugehen, wie er auch ohne besondere berufliche Einwirkungen anzunehmen sei.

Nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme des Dr.H.H. (W.) vom 16.06.1995 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.07.1995 die Anerkennung der LWS-Erkrankung als BK ab. Die vorliegende Erkrankung sei auf außerberufliche Einwirkungen zurückzuführen (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 11.12.1995).

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, ihr wegen einer BK Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO ab 01.08.1989 Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 10 vH (Stützrente) zu gewähren. Hierzu hat sie einen Arztbericht des Radiologen Dr.V.K. (W.) vom 27.11.1995 neben weiteren medizinischen Unterlagen vorgelegt.

Das SG hat ein Gutachten nach Aktenlage des Orthopäden Dr.K.H. (W.) vom 07.01.1997/23.09.1997 veranlasst. Dieser hat ausgeführt, es sei "eine gewisse Wahrscheinlichkeit der berufsbedingten Erkrankung möglich". Vor Aufnahme der beruflichen Tätigkeit als Pflegerin im Juli 1971 sei nämlich keine Schädigung der Bandscheibe dokumentiert. Die bandscheibenbedingte Erkrankung liege seit dem 31.03.1988 vor und sei mit einer MdE von 10 vH zu bewerten.

In einer gutachtlichen Stellungnahme für die Beklagte hat Dr.C. am 15.07.1997 die Feststellung des Dr.H. , dass im Rahmen des Unfallereignisses von 1951 lediglich eine Wirbelsäulenkompression vorgelegen habe, bestätigt. Dies ändere aber nichts daran, dass bereits 1967 in erheblichem Maße Veränderungen mit Krankheitswert an der LWS dokumentiert seien. Vor Aufnahme der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit 1971 seien also erhebliche degenerative Veränderungen der LWS nachweisbar, so dass eine berufliche Verursachung der LWS-Erkrankung nicht angenommen werden könne.

Mit Urteil vom 03.12.1997 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin wegen einer BK nach Anlage 1 Nr 2108 der BKVO ab 01.08.1989 Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 10 vH (als Stützrente) zu gewähren. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.H. gestützt.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, eine BK im Sinne der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO liege nicht vor. Zwar leide die Klägerin an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Die beruflich bedingten Belastungen stellten aber nicht die rechtlich wesentliche Ursache für den Eintritt des Gesundheitsschadens dar. Bereits vor Aufnahme der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit im Jahre 1971 hätten bei ihr erhebliche degenerative Veränderungen der LWS vorgelegen. 1967 sei auf den Röntgenaufnahmen eine Verschmälerung der 5. Lendenbandscheibe mit einsetzender Chondrose nachgewiesen. Diese Veränderungen der LWS seien anlagebedingt bzw außerberuflich entstanden. Zudem könne bei der Klägerin nicht von der Anerkennungsvoraussetzung einer mindestens 10-jährigen beruflichen schädigenden Einwirkung abgewichen werden.

Mit Bescheid vom 03.06.1998 hat die Beklagte das Urteil des SG vom 03.12.1997 ausgeführt unter dem Vorbehalt der Rückforderung aufgrund des anhängigen Berufungsverfahrens.

Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Würzburg, Archivakten des SG Würzburg aus Unfall- und Angestelltenversicherungsstreitsachen, die Rentenakte der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen. Sodann hat Dr.G.W. (W.) ein orthopädisches Gutachten erstellt. In dem Gutachten vom 29.12.1999/03.07.2000 hat er ausgeführt, dass bereits 1967 ein krankhafter Befund mit degenerativer Bandscheibenbeteiligung zwischen dem 5. Lendenwirbelkörper und dem Kreuzbein nachgewiesen sei. Eine schicksalhafte Veranlagung zu degenerativen Bandscheibenschäden bewiesen auch die röntgenologisch dokumentierten eindeutigen degenerativen Bandscheibenveränderungen an HWS und BWS. Allerdings mache die erfüllte berufliche Belastung, die Objektivierung einer Segmenterkrankung im unteren LWS-Bereich sowie belastungsadaptive Reaktionen eine berufsbedingte Mitbeteiligung im Sinne einer Verschlimmerung wahrscheinlich. Der durch die BK Nr 2108 bedingte Anteil betrage aber unter 10 vH ab Juli 1985.

Die Beklagte hat dem in ihrer Stellungnahme vom 18.02.2000 widersprochen unter Hinweis darauf, dass bereits 1967, also 4 Jahre vor Aufnahme einer wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit degenerative Veränderungen der Bandscheiben im Bereich der LWS röntgenologisch nachgewiesen seien. Ein wesentlicher Ursachenzusammenhang durch eine schädigende berufliche Exposition sei daher nicht anzunehmen.

Auf Veranlassung der Klägerin hat PD Dr.M.I. (W.) ein chirurgisches Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 19.04.2000 erstellt, in dem er ausgeführt hat, dass der langjährige Vorschaden auf dem Boden degenerativer LWS-Veränderungen durch das Unfallereignis vom 31.07.1989 eine wesentliche, richtunggebende Verschlimmerung erfahren habe. Eine BK liege daher ab 01.08.1989 vor. Die ausschließlich beruflich verursachten Gesundheitsstörungen seien ab August 1990 mit einer MdE von 20 vH zu bewerten.

Die Beklagte hat dem mit Schriftsatz vom 25.05.2000 widersprochen und darauf hingewiesen, dass das Gutachten nicht die für die Beurteilung einer BK nach Nr 2108 notwendigen versicherungsrechtlichen und medizinischen Voraussetzungen beachte. Das Unfallereignis vom 31.07.1989 werde als ursächlich für die Entstehung einer BK angesehen. Dieses Unfallereignis, das als Arbeitsunfall anerkannt sei, sei aber nicht streitgegenständlich.

Mit Schreiben vom 27.07.2000 hat die Klägerin den Gutachter Dr.W. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom 01.03.2001 hat der Senat den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen.

In einem weiteren Gutachten vom 14.05.2001/07.07.2001 hat der Orthopäde Dr.V.F. (M.) die medizinisch-rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK nach Nr 2108 als nicht erfüllt angesehen. Das Schadensbild sei nicht konform. Neben der LWS seien auch HWS und BWS von erheblichen Verschleißerscheinungen betroffen. Zudem sei der zeitliche Zusammenhang (10-Jahreszeitraum) aufgrund der bereits 1967 und 1978 vorliegenden Bandscheibenveränderungen nicht gesichert.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 03.12.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 03.12.1997 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz (inklusive der Archivakten) sowie der Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Würzburg und der Akten der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung Wilhelmshaven Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS als BK. Der Bescheid der Beklagten vom 11.07.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1995 ist entgegen der Auffassung des SG nicht zu beanstanden. Der Anspruch der Klägerin ist noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beurteilen, da eine etwaige BK vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten wäre (Art 36 Unfallversicherungseinordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO sind BKen die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO benannten Tätigkeiten erleidet. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören nach der Nr 2108 der Anl 1 zur BKVO "bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Die Feststellung der BK setzt also voraus, dass zum Einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK erfüllt sein müssen, zum Anderen das typische Krankheitsbild der BK vorliegen muss und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre mit Wahrscheinlichkeit auf die wirbelsäulenbelastende berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (vgl Kasseler Komm. - Ricke - § 9 SGB VII RdNr 11; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung Band III - Stand 1997 -, § 9 SGB VII RdNr 21 ff). Schließlich muss die schädigende Tätigkeit aufgegeben sein. Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl ua BSG vom 18.11.1997, SGb 1999, 39). Eine Möglichkeit verdichtet sich zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Bereiter-Hahn/Schiecke/Mehrtens, Unfallvers., § 9 SGB VII Anm 10.1 mwN). Die Beweislast dafür, dass die Erkrankung der LWS durch arbeitsplatzbezogene Einwirkung verursacht worden ist, trägt der Versicherte.

Im vorliegenden Falle erfüllt die Klägerin zweifellos die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Feststellung einer BK nach Nr 2108 der Anl 1 zur BKVO, denn sie war in der Zeit von Mai 1971 bis Juli 1989 weit über den erforderlichen Bewertungsrahmen hinaus berufsbedingten Belastungen ausgesetzt. Zudem leidet die Klägerin an einer bandscheibenbedingten Erkrankung, wie sich aus den Gutachten des Dr.C. vom 05.04.1995 und Dr.W. vom 29.12.1999 ergibt. Auch Dr.F. sieht in seinem Gutachten vom 14.05.2001 - trotz Einwendungen wegen Nichtvorliegens einer Nervenwurzelschädigung - die Schadensanlage und damit die bandscheibenbedingte Erkrankung als ausreichend gesichert an. Die Erkrankung der LWS hat auch zur Aufgabe der Tätigkeit der Klägerin in dem Pflegeberuf geführt, denn seit August 1989 übte sie nur noch Verwaltungsarbeiten aus. Diese Feststellungen werden von der Beklagten nicht bestritten.

Nach den derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen sind aber zusätzlich folgende Voraussetzungen zu erfüllen, um eine beruflich bedingte Verursachung der Bandscheibenschäden anzunehmen (siehe auch LSG Rheinland-Pfalz vom 02.02.1999 - L 3/U 276/97): - Belastungstypisches Schadensbild mit von unten nach oben abnehmenden Schäden (lokale Korrelation des Schadensbildes mit der beruflichen Einwirkung), - Auftreten der Beschwerden nach einer beruflichen Belastung von mehr als 10 Jahren sowie eine plausible zeitliche Korrelation der Entwicklung des Schadensbildes mit den gesicherten beruflichen Belastungen, - altersvorauseilender Verschleiß, - Fehlen konkurrierender Verursachungsmöglichkeiten statischer, entzündlicher bzw anlagebedingter Genese.

Ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang zwischen dem Bandscheibenschaden der Klägerin - chronisch rezidivierendes LWS-Syndrom bei ausgeprägter Bandscheibenminderung L 4/L 5 und L 5/S 1 - und der beruflichen Tätigkeit ist nach Auffassung des Senats, der sich der überzeugenden und sich an der wissenschaftlichen Lehrmeinung orientierenden Auffassung der Gutachter Dr.C. , Dr.F. und weitgehend auch Dr.W. anschließt, jedoch nicht gegeben. Es fehlt vor allem an einem belastungstypischen Schadensbild. Nach experimentellen Untersuchungen ist zu erwarten, dass bei beruflicher Exposition die gesamte LWS in von unten nach oben abnehmender Intensität betroffen sein müsste. Nach den letzten Röntgenaufnahmen von 1999 sind ausschließlich die beiden letzten Segmente der LWS von erheblichen Verschleißerscheinungen betroffen. Es liegt also ein bisegmentaler Befall der LWS vor. Gerade in den beiden untersten Segmenten der LWS manifestieren sich - ohne jegliche äußere Belastung - bei über 90 % aller Menschen Bandscheibenschäden. Hier kommen nämlich die höchsten statischen und dynamischen Beanspruchungen auch schon unter physiologischen Bedingungen zustande. Auffällig ist auch, dass nur zwei Segmente im untersten kaudalen Bereich betroffen sind, während irgendwelche Randspornbildungen an der mittleren und oberen LWS völlig fehlen. Dieses Fehlen von Abstützreaktionen stellt ein Argument gegen ein konformes Schadensbild dar. Das Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden der Klägerin spricht also nicht für eine Korrelation zwischen beruflicher Einwirkung und Lokalisation der Veränderung. Dies wird noch wesentlich durch den ausgeprägten Befall der HWS von Gefügestörungen und Bandscheibenschäden sowie die deutlichen Einengungen von Bandscheiben der BWS unterstützt. Gleichmäßig starke Veränderungen der Bandscheiben über zwei oder drei Wirbelsäulenabschnitte sprechen aber gegen eine berufliche Verursachung (Hax im Gutachtenskolloquium Nr 13, NZS 2000, 515/516).

Auch ist der zeitliche Zusammenhang des Auftretens der Beschwerden nach mehr als zehnjähriger Belastung, dh ab ca 1981, nicht gegeben. Bei der Klägerin ist nämlich eine Wirbelsäulensymptomatik einschließlich eines leichten Bandscheibenvorfalls schon vor Aufnahme der die Wirbelsäule überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten im Jahr 1967 nachgewiesen (Gutachten Prof.Dr.S. vom 26.09.1967). Damals wurde eine geringe Einengung der letzten Lendenbandscheibe verbunden mit subjektiv empfundenen Rückenschmerzen, Muskelhartspann und Bewegungseinschränkung des Achsenorgans gefunden. 1978, also sieben Jahre nach Beginn der belastenden Tätigkeit, lassen sich dann bereits fortgeschrittene Bandscheibenveränderungen nachweisen, und zwar Verschleißerscheinungen mit Verkippung des 5. Lendenwirbelkörpers (Röntgenaufnahmen des KKH Ochsenfurt vom 06.07.1978). Danach ist unter Berücksichtigung des 10-Jahreszeitraums (Langjährigkeit) der zeitliche Zusammenhang nicht gesichert.

Hinzu kommen nichtberufsbedingte konkurrierende Gesundheitsstörungen der Klägerin. Bei ihr ist eine ausgeprägte Disposition zur Erkrankung der Wirbelsäule ohne weiteres aus den Röntgenaufnahmen erkennbar. Andernfalls wäre es - an beruflich nicht oder nicht wesentlich exponierten Stellen - zu massiven Verschleißerscheinungen und Gefügestörungen der HWS sowie Bandscheibenschäden der mittleren BWS gekommen, also zu einem generalisierten Befall aller Wirbelsäulenabschnitte. Die erheblichen Verschleißschäden im vierten Bewegungssegment sind einer Aufbaustörung der Wirbelsäule zuzuordnen, also einer anlagebedingten Dysplasie von Wirbelbögen mit daraus resultierender Gefügestörung. Es handelt sich hier um eine Anlageanomalie, wie Dr.F. ausführt.

Nicht folgen kann der Senat den Ausführungen des Dr.H. (Gutachten vom 07.01.1997). Dr.H. wirkt insoweit nicht überzeugend, als er wesentliche Verschleißerscheinungen der LWS erst für 1978 behauptet. Da der Verschleißschaden 1978 aber bereits als fortgeschritten beschrieben wird, muss er also einige Jahre zurückliegen. Dies lässt sich insoweit gut damit vereinbaren, dass bereits 1967 Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule manifest waren. Auch ist das Argument des Dr.H. nicht nachzuvollziehen, dass auf Grund des bereits fortgeschrittenen Lebensalters der Klägerin zum Zeitpunkt des Beginns der die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit (1971) von einem kürzeren Zeitintervall für die belastende Exposition auszugehen ist. Dies ist wissenschaftlich nicht gesichert. Neuere Untersuchungen (siehe Gutachtenskolloquium 13) fordern bereits eine Expositionsdauer von mindestens 20 Jahren, bevor die ersten Bandscheibenschäden manifest werden könnten. Mit dieser Forderung einer verkürzten Expositionszeit wegen des höheren Lebensalters der Klägerin ist aber dem Gutachten die Grundlage entzogen, wie Dr.F. zu Recht ausführt. Außerdem befremdet es, dass Dr.H. auf konkurrierende Verursachungsmöglichkeiten nicht ausreichend eingeht.

Dr.W. ist in seinem Gutachten insoweit nicht zu folgen, als er von einer Verschlimmerung eines unfallunabhängigen Grundleidens ausgeht. Zwar lagen bereits 1967 Rückenprobleme, begleitet von einem leichten Bandscheibenvorfall, vor. Eine Entwicklung des Bandscheibenleidens im Sinne einer Verschlimmerung könnte aber nur dann berücksichtigt werden, wenn die beruflich nicht exponierten Abschnitte der HWS und BWS von Verschleißerscheinungen weitgehend unberührt geblieben wären. Nur so hätte man argumentieren können, dass die 1971 aufgenommene Berufstätigkeit ein rascheres Fortschreiten des schon 1967 erstmal beschriebenen leichten Bandscheibenschadens bewirkte. Dies ist aber nicht der Fall. Dass aber die Bandscheibenschäden der LWS bei der anlässlich der letzten Röntgenuntersuchung 1999 bereits 78-jährigen Klägerin zugenommen hatten, entspricht dem natürlichen, eigengesetzlichen Verlauf von Bandscheibenveränderungen, insbesondere wenn eine anlagebedingte Neigung zur Entstehung von Bandscheibenschäden besteht. Letzteres ist aus den deutlich engen Bandscheiben der BWS und erheblichen Verschleißerscheinungen der HWS ersichtlich.

Das Gutachten des Dr.I. ist dagegen völlig unbrauchbar. Es geht komplett an der Fragestellung und damit an der eigentlichen Problematik vorbei, da hier so gut wie ausschließlich Folgen des Arbeitsunfalles vom 31.07.1989, der nicht Streitgegenstand ist, diskutiert werden, nicht aber die BK Nr 2108.

Nach alledem konnte das Urteil des SG Würzburg vom 03.12.1997 keinen Bestand haben, sondern es war aufzuheben.

Die Klage gegen den Bescheid vom 11.07.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1995 war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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