L 3 U 417/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 U 13/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 417/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29.06.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Entschädigungsleistungen wegen seines Wirbelsäulenleidens. Streitig ist, ob er an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (Berufskrankheit - BK Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO) leidet. Der Kläger führt sein Wirbelsäulenleiden auf seine Tätigkeit als Maurermeister zurück.

Der am ...1957 geborene Kläger hat nach dem Besuch der Realschule, der staatlichen Berufsschule M ... zunächst die Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker durchlaufen, ab März 1979 bis Dezember 1988 war er handwerklich mitarbeitender Gesellschafter der J ... GBR Bauträger. Ab September 1979 bis Juni 1981 besuchte er die staatliche Berufsoberschule und war in der Zeit von Juni 1981 bis März 1987 zusätzlich handwerklich mitarbeitender Gesellschafter der J.D ... Wohn- und Gewerbebau GmbH. Nach kurzzeitigem Studium an der TU München, Studiengang Architektur und Tätigkeit als Bauzeichner im Planungsbüro hatte der Kläger im März 1989 die Gesellensprüfung im Maurerhandwerk und nachfolgend im April 1995 die Meisterprüfung abgelegt. Von März 1991 bis März 1994 war er Maurer bei J.D ..., Bau Betrieb und - nach Ablegung der Meisterprüfung - seit Juli 1995 als selbständiger Maurermeister im eigenen Maurerbetrieb (1-Mannbetrieb) tätig.

Mit Schreiben vom 25.01.1997 beantragte er bei der Beklagten die Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit.

Der Kläger hat am 01.06.1996 beim Anheben einer etwa halb gefüllten Mörtelwanne einen stichartigen Schmerz im Kreuz verspürt. Bei der nachfolgend durchgeführten Computertomographie wurde ein Bandscheibenvorfall L 5/S 1 medio rechts lateral mit dorsaler Sequestierung festgestellt. Es wurde nachfolgend eine Bandscheibenoperation durchgeführt. Diese Gesundheitsstörung war Gegenstand eines Verfahrens wegen Anerkennung und Entschädigung eines Arbeitsunfalls. Diesbezüglich hat die Beklagte mit Bescheid vom 20.09.1996 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt. Ein Widerspruch hiergegen ist nicht eingelegt worden.

Im Verfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit hat die Beklagte nach Beiziehung einschlägiger medizinischer Unterlagen ihren Technischen Aufsichtsdienst gehört. Dieser hat zur beruflichen Belastung des Klägers am 07.07.1998 ausgeführt, dass der Kläger mindestens 10 Jahre wirbelsäulengefährdend tätig gewesen sei. In einem nachträglich angebrachten handschriftlichen Vermerk wurde hierzu ergänzend ausgeführt, dass nach den neueren Kriterien die haftungsbegründende Kausalität abweichend davon nicht festgestellt werden könne, da die berufliche Belastungszeit unter 20 Jahren liege. Die Beklagte hat ferner ein Gutachten des Orthopäden Dr.J ... vom 21.08.1998 eingeholt, der beim Kläger zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung bejahte, diese jedoch als anlagebedingt wertete.

Mit Bescheid vom 04.11.1998 lehnte sodann die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil die beim Kläger bestehende Wirbelsäulenerkrankung keine Berufskrankheit im Sinne der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO darstelle. Denn nach dem Ergebnis ihrer Feststellungen - vgl. Gutachten Dr.J ... - bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Tätigkeit.

Im vorliegenden Fall besteht ein Beckenschiefstand, der zu einer Seitverbiegung der Wirbelsäule (Skoliose) geführt habe sowie eine unvollständige Spaltbildung im Segment L 5/S 1 (Spondylose). Hierbei handele es sich um anlagebedingte, schicksalhafte Veränderungen der Wirbelsäule, die nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien (vgl. Gutachten Dr.J ... und gewerbeärztliche Stellungnahme des MOR, Facharzt für Arbeitsmedizin Dr.K ..., Gewerbeaufsichtsamt Augsburg, vom 07.10.1998). Bei dieser Auffassung blieb sie auch im Widerspruchsbescheid vom 22.12.1998. In diesem verwies sie - neben der auf mediziniche Gründe gestützten Ablehnung - des Weiteren auch auf das Fehlen der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Denn der Versicherte sei nur knapp 12 Jahre wirbelsäulengefährdend tätig gewesen, so dass die geforderten 20 Berufsjahre - als untere Grenze für die Dauer der belastenden Tätigkeit - weit unterschritten wurden.

Mit seiner hiergegen zum Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage blieb der Kläger bei seiner Auffassung, dass er entweder an einer Berufskrankheit im Sinne der Nr.2108 der Anlage zur BKVO leide oder sein Wirbelsäulenleiden Folge eines Arbeitsunfalls sei.

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung einschlägiger medizinischer Unterlagen, Befundberichte der behandelnden Ärzte, den Orthopäden Dr.L ... gehört. Dieser kam in seinem nach Untersuchung des Klägers am 27.12.1999 erstatteten Gutachten zu der Auffassung, dass beim Kläger zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der vorgenannten Berufskrankheit vorliege, der Bandscheibenschaden sei aber ein ausschließlich monosegmentaler. Eine Berufskrankheit könne im Ergebnis nicht festgestellt werden, da für die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers überwiegend außerberufliche Umstände, insbesondere eine statische Seitverbiegung der Lendenwirbelsäule und eine anlagebedingte Spondylose verantwortlich zu machen seien.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht zuletzt beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 04.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1998 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO festzustellen und ihm die sich daraus ergebenden Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 29.06.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers sei keine Berufskrankheit nach Nr.2108, weil sie nicht wesentlich durch seine berufliche Tätigkeit als Maurer bzw. Maurermeister verursacht worden sei. Zwar stehe der Anerkennung einer Berufskrankheit im vorgenannten Sinn die Auffassung der Beklagten nicht entgegen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nunmehr nur nach einer mindestens 20 Jahre dauernden belastenden Tätigkeit angenommen werden könnten, weil dies das Gericht nicht binde. Welche Zeitgrenze - 10 Jahre oder 20 Jahre - letzlich gelten soll, müsse jedoch im Verfahren nicht entschieden werden, weil es hierauf nicht ankomme. Unabhängig davon sei in Übereinstimmung mit der Beklagten festzuhalten, dass die haftungsbegründende Kausalität im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei. Denn die (grenzwertig) hinreichend langjährige berufliche Belastung des Klägers sei nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich für seine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS. Keine wesentliche Bedeutung komme dabei der Tatsache zu, dass beim Kläger nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen nur ein sogenannter monosegmentaler Bandscheibenschaden vorliege. Denn dies schließe die Feststellung einer Berufskrankheit noch nicht aus (vgl. Merkblatt des Bundesarbeitsministers, Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.09.1995, L 15 U 89/95).

Gegen die Feststellung einer Berufskrankheit sprächen jedoch gewichtige konkurrierende Ursachen (z.B. röntgenologisch nachgewiesene leichte statische Seitverbiegung der LWS nach links). Darüber hinaus zeigten die Röntgenbilder eine Spaltbildung im Bogen L 5. Nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen sei damit als weitere konkurrierende Ursache zu der beruflichen Belastung des Klägers eine Spondylose, d.h. eine Bogenschlussstörung zu nennen (auch bestätigt durch Ausführungen des behandelnden Arztes Dr.M ... in der beigezogenen Schwerbehindertenakte). Wenn beim Kläger also eine angeborene Spondylose L 5/S 1 feststehe und genau in diesem Wirbelsäulensegment ein Bandscheibenschaden eintritt, kann nach Auffassung des Sozialgerichts im Hinblick auf die prädisponierende Bedeutung der angeborenen Erkrankung der beruflichen Belastung des Klägers nicht die wesentliche Bedeutung für den Eintritt der Lendenwirbelsäulenerkrankung beigemessen werden. Hinzu komme noch, dass der Kläger bei einer festgestellten Belastungsdauer von ca. 12 Jahren eher im unteren Bereich der notwendigen Belastungsdauer (wenigstens 10 Berufsjahre) liege. Der notwendige ursächliche Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und LWS-Erkrankung sei damit nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast gehe dies zu Lasten des Klägers. Die Klage sei daher abzuweisen gewesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sie nachfolgend unter Hinweis auf seine Zusammenstellung der bisherigen beruflichen Tätigkeit, der vorliegenden Gesundheitsstörungen und ihrer entsprechenden Behandlung begründet. Er nahm des Weiteren Bezug auf vorgelegte Unterlagen/Auszüge über einschlägige Abhandlungen und ärztlicher Berichte.

Der Kläger beantragt - zuletzt -, die Beklagte unter Aufhebung des Ersturteils und der zugrunde liegenden Bescheide zu verurteilen, ihm wegen einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand des Berufungsverfahrens - vgl. Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht wie vor dem Senat - ausschließlich die Frage der Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr.2108 ist. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls - Verhebetrauma -, die die Beklagte seinerzeit mit Bescheid vom 20.09. 1996 abgelehnt hatte und gegen den Widerspruch nicht erhoben worden ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Entsprechend dem zuletzt vor dem Sozialgericht gestellten Antrag hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil auch nur über die streitgegenständliche Frage der Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit entschieden.

Das Sozialgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen. Denn die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung der Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule des Klägers als Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 RVO i.V.m. Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO sind, wie das Sozialgericht - vor allem gestützt auf die überzeugenden Ausführungen des Dr.L ... - dargelegt hat, nicht gegeben. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an und nimmt zur weiteren Begründung auf die Entscheidungsgründe im Urteil des Sozialgerichts gemäß § 153 Abs.2 SGG ergänzend Bezug.

Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren nichts vorgebracht, was eine andere Entscheidung rechtfertigen könnte oder weiteren Aufklärungsbedarf ergäbe. Dabei geht der Senat - in Übereinstimmung mit dem SG - davon aus, dass der Kläger belastend im Sinne der BK Nr.2108 der Anlage zur BKVO tätig war, also als selbständiger Maurermeister langjährig schwere Lasten hob und trug und langjährig in extremer Rumpfbeugehaltung arbeitete. Auch ist die weitere Voraussetzung für die Anerkennung der vorgenannten Berufskrankheit dergestalt erfüllt, dass der Kläger an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule leidet, die als solche von der BK-Nr.2108 der Anlage zur BKVO erfasst wird. Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass diese Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit des Klägers wesentlich (mit-) verursacht worden ist. Diese Auffassung gründet der Senat ebenfalls auf das Gutachten des Dr.L ..., das bereits als Entscheidungsgrundlage für das angefochtene Urteil herangezogen worden ist. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen dieses Sachverständigen an, zumal - wie bereits das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat - dieses Gutachten schlüssig ist und sich an den geltenden Grundsätzen der Begutachtung in der gesetzlichen Unfallversicherung orientiert. Lediglich zusammenfassend soll an dieser Stelle - insbesondere auch hinsichtlich der vom Kläger im Berufungsverfahren noch erfolgten eingehenden Argumentation - auf folgende wesentliche Gesichtspunkte bei der vorliegenden Problematik hingewiesen werden: Allein das - hier gegebene - Vorliegen einer Krankheit der BK-Liste sowie einer beruflichen Exposition, die geeignet ist, diese Krankheit zu verursachen, begründen, wie das BSG entschieden hat, keinen Anscheinsbeweis und damit noch nicht die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung (vgl. Urteil vom 18.11.1997 - 2 RU 48/96 = SGb 1999, 39). Denn es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist (BSG a.a.O.). Der Grund dafür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen (multifaktorielles Geschehen) beruhen. Ganz wesentlich ist dabei auch der natürliche Alterungs- und Degenerationsprozess, dem die Bandscheiben eines jeden Menschen ab dem 30. Lebensjahr ausgesetzt sind und der nicht zu verhindern ist. Aus epidemologischen Studien gehen eine Reihe weiterer Ursachenfaktoren hervor. So hat auch im Fall des Klägers Dr.L ... eine Reihe von endogenen Faktoren für die vorliegende Gesundheitsstörung aufgezeigt. Aus der Vielfalt dieser Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass letztlich sich dann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nicht im Wege des Anscheinsbeweises, sondern nur anhand zusätzlicher Merkmale begründen lässt, wobei im Rahmen der anzustellenden Prüfungen die Auswirkungen der einzelnen Ursachen unterschieden werden müssen. Die zusätzlichen Merkmale (Kriterien), die für oder gegen eine berufliche (Mit-)Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung sprechen und eine nachvollziehbare Begründung des ursächlichen Zusammenhangs ermöglichen, entnimmt der Senat dem sorgfältig begründeten und einleuchtenden Gutachten des Sachverständigen Dr.L ...

Nach allem konnte daher die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, sie ist unbegründet und daher zurückzuweisen gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved