L 2 U 470/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 237/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 470/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.09.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1957 geborene Kläger erlitt am 30.12.1993 einen Unfall, als ein Pkw den Bus, in dem er als Fahrer saß, rammte.

Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr.G. , diagnostizierte am gleichen Tag eine HWS-Distorsion sowie Muskelkontusion und Schürfwunde am rechten Oberschenkel. Die Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule zeigte eine Steilstellung ohne Fraktur, die der Lendenwirbelsäule und des rechten Oberschenkels keine Fraktur. Neurologische Ausfälle stellte Dr.G. nicht fest. Der Kläger gab ziehende Schmerzen in der Halswirbelsäule an. Der Neurologe Dr.P. erklärte nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 18.03.1994, Nackenschmerzen seien erst zwei Tage nach dem Unfall aufgetreten, jetzt bestehe wechselnde Schmerzausstrahlung zum Kopf bzw. zu den Armen beiderseits sowie gelegentliches Auftreten einer Pelzigkeit im Bereich der rechten Hand, deren Kraft nachgelassen habe. Es handle sich um einen Zustand nach HWS-Schleudertrauma mit erheblichen Restbeschwerden und Verdacht auf Wurzelirritation C8 rechts. Die Kernspintomographie vom 23.03.1994 zeigte einen rechts-mediolateralen Bandscheibenvorfall in Höhe HWK 5/6 mit diskreter Kompression des Halsmarks. Dr.G. vertrat die Auffassung, es bestehe ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Discusprolaps und Beschwerdebild, jedoch sei der Discusprolaps keine Unfallfolge. Die unfallbedingte MdE habe am 19.04.1994 0 v.H. betragen.

Am 20.05.1994 wurde im Klinikum Großhadern eine ventrale Disk- ektomie HWK 5/6 und Beckenkammspan-Implantation vorgenommen. Nach dem Unfall hätten zunächst Cephalgien bestanden. Einige Wochen später seien von der Halswirbelsäule ausstrahlende Schmerzen in den rechten Arm bis zu den Fingern 1 bis 3 aufgetreten sowie intermittierend ein Taubheitsgefühl der rechten Hand. Seit Ostern bemerke der Kläger auch im Bereich der linken Hand Sensibilitätsstörungen wechselnder Ausprägung und seit zeigten sich Zeichen neurogenen Umbaus in der C 6- rechts- und diskret auch in der C7-rechts-versorgten Muskulatur. Nach der Operation waren die Paresen deutlich rückläufig.

Im Gutachten vom 22.11.1994 führte der Chirurg Dr.G. aus, der Unfall habe zu einer Verletzung der Halswirbelsäule im Sinne einer Distorsion mit Verletzung der Bandscheibe C5/C6 und Kontusionen im Bereich der unteren Extremitäten geführt. Da Vorerkrankungen nicht dokumentiert seien, müsse davon ausgegangen werden, dass das Unfallereignis eine weitgehend gesunde Halswirbelsäule betroffen habe. Die Kriterien, die an einen traumatischen Bandscheibenschaden gestellt würden, erschienen erfüllt. Beschwerden im Sinne einer radikulären Symptomatik seien sofort bzw. nur kurzfristig verzögert aufgetreten. Dies spreche für einen Bandscheibenvorfall.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.B. führte im nervenärztlichen Gutachten vom 20.09.1994 aus, als Unfallfolgen bestünden eine Sensibilitätsminderung im Bereich des Nervus occipitalis maior rechts sowie im Bereich der Volarseite der Finger 2 bis 5 der rechten Hand.

Vom 22.06. bis 16.08.1994 wurde der Kläger in der Simsee-Klinik Bad Endorf stationär behandelt. Vom 07.02.1995 bis 10.03.1995 befand er sich in der Unfallklinik Murnau, wo geäußert wurde, die wechselnden Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule seien durch die klinische und röntgenologische Untersuchung, auch auf neurologischem Fachgebiet, nicht nachvollziehbar.

Der Urologe Dr.S. erklärte im Gutachten vom 17.02.1995, wenn von chirurgischer Seite ein Unfallzusammenhang bejaht werde, sei auch die neurogene Blasenentleerungsstörung als unmittelbare Folge des Unfallereignisses anzusehen.

Der Neurologe Dr.N. führte im Gutachten vom 30.11.1995 aus, das drei Monate nach dem Unfall festgestellte C8-Wurzelreizsyndrom, das mit dem Bandscheibenvorfall C5/6 topographisch nicht zu erklären sei, könne nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Traumatische Nervenwurzelschäden träten unmittelbar nach dem Unfall, spätestens jedoch innerhalb der ersten 48 Stunden auf. Dies sei beim Kläger nicht der Fall gewesen. Zwischen dem Bandscheibenvorfall C5/6 und dem Unfallereignis könne kein ursächlicher Zusammenhang festgestellt werden.

Der Chirurg Prof.Dr.B. kam im Gutachten vom 30.11.1995 zu dem Ergebnis, ein Zusammenhang zwischen dem nachgewiesenen rechts-mediolateral befindlichen Bandscheibenvorfall HWK 5/6 mit dem Unfallereignis könne nicht hergestellt werden. Unfallfolgen seien nicht mehr festzustellen. Die Verblockung des 5. mit dem 6. Halswirbel durch Einbringen eines Beckeckammspanes sei sicher knöchern durchbaut. Die neurogene Blasenstörung sei nicht unmittelbare Folge des Unfallereignisses. Unfallfolgen lägen nicht vor, eine MdE sei nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 10.05.1996 führte die Beklagte aus, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 19.04.1994 bestanden. Eine MdE in rentenberechtigendem Grad habe der Arbeitsunfall nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit nicht hinterlassen.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.1997 zurück.

Hiergegen hat sich die Klage vom 21.03.1997 zum Sozialgericht München gerichtet. Das SG hat das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht München I vom 07.05.1998 beigezogen sowie ein Gutachten des Dipl.Ing. D. vom 18.01.1999 für das Landgericht München I, in dem ausgeführt wird, die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung, also die maßgebliche Einflussgröße auf das Bewegungsverhalten des Klägers, habe 9 km/h betragen. Der Kläger könne beim Rückpendeln nach hinten rechts vom Sitz gestürzt sein und sich dabei die Kopf-, Halswirbel- und Oberschenkelverletzungen an der hinteren rechten Kante der Fahrerkabine beim Aufschlagen aus einer Fallhöhe von 1,4 m und durch Anprall an den Zahltisch oder die rechte Fahrerkabinenwand zugezogen haben.

Der ärztliche Sachverständige, der Chirurg Dr.Dr.K. , hat im Gutachten vom 10.12.1999 zusammenfassend ausgeführt, es wäre völlig ungewöhnlich, wenn ein unfallbedingter Bandscheibenvorfall zunächst mehrere Wochen symptomfrei bliebe, dann aber doch noch zu Symptomen führe. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenschaden sei daher unwahrscheinlich. Es sei nicht wahrscheinlich, dass sich der Kläger beim Sturz in den Einstiegschacht zusätzlich zur Beule am Hinterkopf eine HWS-Verletzung zugezogen habe. Die Beule am Kopf habe keine objektivierten Langzeitfolgen hinterlassen. Die Bandscheibenproblematik habe sich unfallfremd entwickelt.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat hierzu im Schreiben vom 30.05.2000 ausgeführt, es liege nahe, dass Beeinträchtigungen wie das Taubheitsgefühl in der rechten Hand bei der Erstbehandlung aufgrund des Schockzustands überhaupt nicht wahrgenommen und darüber hinaus von den schmerzhaften Verletzungen überlagert worden seien. Der Kläger sei im Krankenhaus als Simulant behandelt worden. Als er wenige Tage nach dem Unfall das Kribbeln im rechten Arm und der rechten Hand angegeben habe, habe man ihm gesagt, es handle sich um Folgen des Schleudertraumas, mit denen er sich abfinden müsse.

Der Kläger hat das Gutachten des Orthopäden Prof.Dr.R. für das Landgericht München I vom 15.02.2000 vorgelegt. Darin kommt Prof.Dr.R. zu dem Ergebnis, der Bandscheibenvorfall und die Spondylodese HWK 5/6 seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu 50 % auf den Unfall zurückzuführen. Die Sensibilitätsstörung in den Dermatomen C7 und C8 sei nicht mit dem Bandscheibenvorfall in Einklang zu bringen. Ab 14.09.1995 bestehe eine MdE von 10 %.

Der Allgemeinarzt Dr.Z. hat im Attest vom 16.03.2000 ausgeführt, der Kläger sei seit 1989 nie wegen Beschwerden, die mit Veränderungen der Wirbelsäule im Zusammenhang gestanden hätten, in Behandlung gewesen. Am Tag nach dem Unfall habe er unter heftigen Schmerzen im Genick, ausstrahlend in den rechten Arm, gelitten. Im weiteren Verlauf habe er ein zunehmendes Taubheitsgefühl in der rechten Hand verspürt.

Hierzu hat der Chirurg Dr.R. im Auftrag der Beklagten Stellung genommen und erklärt, die Halswirbelsäule sei durch das Anstoßtrauma einer Flexions-Rotationskraft ausgesetzt gewesen; der so genannte Schleudertraumamechanismus im Sinne einer Hyperextensions/Hyperflexionsbewegung habe nicht stattgefunden. Die Beule zeige, dass es zu einem abrupten Abbruch der Extensionsbewegung gekommen sei. Somit sei das Unfallereignis prinzipiell nicht geeignet gewesen, eine Bandscheibenverletzung hervorzurufen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsveränderung mit 9 km/h angegeben sei, während eine HWS-Verletzung des Schweregrades I eine Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 10 km/h voraussetze. Laut Durchgangsarztbericht hätten unmittelbar nach dem Unfall keine neurologischen Ausfälle bestanden. Erst Wochen später hätten sich neurologische Auffälligkeiten gezeigt, die aufgrund der neurotechnischen Untersuchungen definitiv mehreren HWS-Segmenten zugeordnet werden müssten. Das Unfallereignis habe ein bis dato klinisch nicht manifestes, schicksalhaftes Krankheitsbild einer Bandscheibendegeneration lediglich aktiviert.

Mit Urteil vom 20.09.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Urteilsgründe wird Bezug genommen.

Die am 20.11.2000 eingelegte Berufung wurde nicht begründet. Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.09.2000 aufzuheben und die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 10.05.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02. 1997 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalles vom 30.12.1993 Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen wird (§ 153 Abs.2 SGG).

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved