L 3 U 477/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 295/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 477/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.10.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit Nr.2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) streitig.

Der am ...1955 geborene Kläger hat zunächst eine Ausbildung von September 1970 bis August 1973 zum Maler und Lackierer durchlaufen, diese jedoch nicht abgeschlossen. Ab 1975 war er dann überwiegend als Eisenflechter auf dem Bau tätig. Nach einer Umschulung von 1987 bis 27.01.1988 zum Betonbauer, die nachfolgend aufgegeben wurde, war er vom 26.02.1990 bis 28.05.1990 erfolgreich zum Berufskraftfahrer umgeschult worden. Danach war er bis Dezember 1990 als Kraftfahrer tätig, nach Zeiten der Arbeitslosigkeit vom 18.12.1990 bis 06.01.1991 dann vom 07.01.1991 bis Mitte März 1991 als Eisenflechter und Vorarbeiter bei der Firma L ... tätig. Vom 17.01.1994 bis 16.07.1995 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt, im April 1994 war er erstmals an einem Bandscheibenvorfall im Bereich LWK 4 rechts operiert worden. Nach Aussteuerung war er ab 17.07.1995 wieder arbeitslos gemeldet, zwischenzeitlich arbeitet er als Kraftfahrer bei der Firma S ...

Mit Formblatt vom 06.09.1994 hatte der Kläger bei der LVA Niederbayern-Oberpfalz berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation wegen des bei ihm vorliegenden Bandscheibenschadens beantragt. Diese hat die Unterlagen an die Beklagte übermittelt, da ausschließlich oder überwiegend wegen der Folgen einer Berufskrankheit erforderlich seien. Am 26.01.1995 hat dann der Orthopäde Dr.W ... die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erstattet.

Die Beklagte hat nach Beiziehung einschlägiger medizinischer Unterlagen und Einholung eines Gutachtens des Dr.G ..., BG-Unfallklinik M ... vom 21.07.1997 mit Bescheid vom 19.11.1997 die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKV abgelehnt, weil kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Tätigkeit bestehe. Die Beschwerden seien vielmehr auf anlagebedingte degenerative Veränderungen in der Lendenwirbelsäule mit stattgehabten Bandscheibenvorfall im Segment zwischen LWK 4 und LWK 5 zurückzuführen.

Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23.07.1998).

Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Regensburg unter Aufrechterhaltung seines Begehrens auf Anerkennung und Entschädigung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht auf Antrag des Klägers - § 109 SGG - ein von Prof.Dr.B ..., Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität R ..., am 25.03.1999 sowie von amtswegen ein von Dr.Wa ..., Oberarzt an der Orthopädischen Universitätsklinik R ..., am 10.07.2000 erstattetes Gutachten eingeholt. Während in dem vom Assistenzarzt Dr.R ... erstatteten, von Prof.Dr.B ... unterzeichneten neurochirurgischen Gutachten eine Berufskrankheit nach Nr.2108 bei einer MdE um 30 v.H. bejaht wurde, hat in dem nachfolgenden Gutachten der Orthopäde und Rheumatologe Dr.Wa ... eine solche verneint. Begründet wurde dies mit allenfalls grenzwertig erreichten arbeitstechnischen Voraussetzungen (Zeitrahmen, Belastungsdosis) und der Beschränkung degenerativer Bandscheibenveränderungen auf die üblicherweise schicksalhaft betroffenen Etagen bei ansonsten völlig unversehrten Bandscheiben.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.1998 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und ihm hierfür Rente nach einer MdE um 30 v.H. ab 17.07.1995 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 18.10.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Eine Berufskrankheit nach der Nr.2108 liege beim Kläger nicht vor. Im vorliegenden Fall seien bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten BK nicht gegeben. Zwar habe die Beklagte noch in ihrem Bescheid darauf hingewiesen, dass zehn Jahre grundsätzlich die untere Grenze der Dauer der belastenden Tätigkeit darstellen. Mittlerweile sei jedoch davon auszugehen, dass für die Langjährigkeit der Exposition mindestens 20 Jahre anzusetzen sind. In Verbindung mit dem "Mainz-Dortmunder-Dosis Modell" sei nun davon auszugehen, dass selbst bei der am höchsten wirbelsäulenbelastenden Berufsgruppe der Betonbauer die Gefährdungsgrenze frühestens nach 20 Berufsjahren erreicht werde. Im Hinblick auf den beruflichen Werdegang des Klägers könne aber eine derartige langdauernde Exposition ausgeschlossen werden. Unabhängig davon lägen auch die arbeitsmedizinschen Voraussetzungen nicht vor. Zwar habe Prof.Dr.B ... in seinem Gutachten die Beschwerdesymptomatik mit Nervenwurzelkompression bei nahezu aufgehobener Fähigkeit der Fuß- und Großzehenhebung als Berufskrankheit angesehen und mit einer MdE um 30 v.H. bewertet. Dem habe sich das Gericht jedoch im Hinblick auf die schlüssigen Ausführungen des Dr.Wa ... nicht anschließen können. Dieser habe zum einen darauf hingewiesen, dass der Beurteilung von Prof.Dr.B ... keinerlei Auseinandersetzung zu der Frage zugrunde liege, ob im vorliegenden Fall tatsächlich berufsbedingte Einflüsse oder aber rein krankhafte Prozesse ursächlich für die Beschwerden seien. Zum anderen müsse darauf hingewiesen werden, dass die Beschränkung der degenerativen Bandscheibenveränderungen auf die üblicherweise schicksalhaft betroffenen Etagen bei ansonsten völlig unversehrten Bandscheiben gegen die berufliche Genese spreche.

Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel auf Anerkennung und Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit weiter: Die Beweisaufnahme des Sozialgerichts trage die erstinstanzliche Entscheidung nicht. Der Kläger hält zum einen entgegen, dass eine Expositionszeit von fast 15 Jahren als Eisenflechter/Stahlbetonbauer - vom 19.03.1980 bis 19.01.1994 - vorgelegen habe, hierbei habe es sich um eine extrem wirbelsäulenbelastende Tätigkeit gehandelt. Der Bandscheibenvorfall vom 19.01.1994, der zur Berufsunfähigkeit geführt habe, sei unzweifelhaft Folge seiner langjährigen berufsbedingten Wirbelsäulenbelastung. Im weiteren stütze er sich wiederholt auf die Darlegungen im Gutachten von Prof.Dr.B ... Die Ausführungen des Dr.Wa ... halte er im Gegensatz zu denen des Prof.Dr.B ... für unschlüssig, dies habe das Sozialgericht nicht berücksichtigt und sich Dr.Wa ..., der Anhänger einer veralteten Lehrmeinung sei, angeschlossen. Nachdem seiner Auffassung nach das Gutachten des Dr.Wa ... aber ungeeignet sei, könne das Urteil des Sozialgerichts, welches sich hierauf stütze, keinen Bestand haben.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 18.10.2000 und des Bescheides vom 19.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.1998 zu verurteilen, die bei ihm bestehende Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 RVO i.V.m. Nr.2108 der Anlage 1 der BKVO anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Sozialgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 RVO i.V.m. der Nr.2108 der Anlage 1 zu BKVO, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Dies hat Sozialgericht - gestützt auf die eingehenden und auch nach Ansicht des Senats überzeugenden Darlegungen des Dr.Wa ... - zutreffend dargelegt und des weiteren gut nachvollziehbar ausgeführt, weshalb sich auf die hiervon abweichende Auffassung des Prof.Dr.B ... der geltend gemachte Anspruch im Ergebnis nicht gründen lässt. Nachdem die Darlegungen des Dr.Wa ... den derzeitigen Erkenntnissen in der medizinischen Wissenschaft entsprechen, bestand nach Ansicht des Senats auch keine Veranlassung, zur weiteren Aufklärung ein Gutachten durch einen anderen Sachverständigen einzuholen. Die Darlegungen des Sozialgerichts entsprechen auch den derzeitigen Erkenntnissen zu der vorgenannten Berufskrankheit und der einschlägigen Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil des BSG vom 18.11.1997 - 2 RU 48/96 = SGb 1999, 39). Dabei braucht auch auf die zwischen den Beteiligten unterschiedliche Wertung, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen überhaupt erfüllt sind, nicht näher eingegangen zu werden. Denn es gibt selbst bei Vorliegen der sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass dann die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist. Der Grund hierfür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen (multifaktorielles Geschehen) beruhen. Ganz wesentlich ist der natürliche Alterungs- und Degenerationsprozess, dem die Bandscheiben eines jeden Menschen ab dem 30. Lebensjahr ausgesetzt sind und der nicht zu verhindern ist. Aus epidemologischen Studien gehen eine Reihe weiterer Ursachenfaktoren hervor. So haben auch im Fall des Klägers die gehörten Sachverständigen Prof.Dr.Bü ... und Dr.Wa ... eine Reihe von BK-fremden Faktoren für die vorliegenden Gesundheitsstörungen aufgezeigt. Aus der Vielfallt dieser Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nicht im Wege des Anscheinsbeweises, sondern nur anhand zusätzlicher Merkmale begründen lässt, wobei im Rahmen der anzustellenden Prüfungen die Auswirkungen der einzelnen Ursachen unterschieden werden müssen. Die zusätzlichen Merkmale (Kriterien), die für oder gegen eine berufliche (Mit-)verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung sprechen und eine nachvollziehbare Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs ermöglichen, entnimmt der Senat den sorgfältig begründeten und einleuchtenden Gutachten der vorgenannten Sachverständigen Prof.Dr.Bü ... und Dr.Wa ... Ganz entscheidend gegen den Ursachenzusammenhang spricht im vorliegenden Fall auch die Lokalisation der Veränderungen. Denn die Annahme, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung zumindest in einem wesentlichen Teil ihre Ursache in berufsbedingtem schweren Heben und Tragen oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung habe, kann u.a. nur dann erfolgen, wenn bestimmte belastungsadaptive Reaktionen vorliegen. Dies ist im Fall des Klägers jedoch nicht gegeben.

Nach allem konnte daher die Berufung des Klägers keine Erfolg haben, sie ist unbegründet und daher zurückzuweisen gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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