L 15 VG 5/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 VG 42/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 5/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.05.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) streitig.

Der am ...1929 in Prag geborene Kläger stellte am 20.01.1999 beim Amt für Versorgung und Familienförderung (AVF) München I Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Er gab an, am 15.09.1998 zwischen 13.00 und 14.00 Uhr im Treppenhaus des Anwesens K ...straße 21 in M ... von einem Polizisten so gegen die Hauseingangstüre geschleudert worden zu sein, dass die Verglasung zersplittert und er am linken Ellenbogen und Unterarm sowie an der 9. Rippe verletzt worden sei. Anlass der Auseinandersetzung sei gewesen, dass er sich geweigert habe, ohne Vorlage einer Gerichtsentscheidung seine Wohnung zu verlassen. Er leide noch unter psychischen Folgen des Angriffs und dem Rippenheilungsprozess. Gleichzeitig stellte die am 28.10.1950 geborene Ehefrau des Klägers, B.M ..., beim AVF München II einen Antrag nach dem OEG, weil auch sie bei der Zwangsräumung der Wohnung von dem Polizeiobermeister M.M ... am linken Oberarm gepackt und über herumstehende Möbelstücke zu Boden geschleudert worden sei, wodurch sie sich am rechten Ellenbogen und rechten Sprunggelenk verletzt habe. In einem vom AVF München I an die Ehefrau des Klägers als Zeugin übersandten Fragebogen gab diese am 16.02.1999 an, ein anderer Polizist als M.M ..., der sich nicht habe ausweisen wollen, habe ihrem Mann im Treppenflur vor der Wohnungseingangstür die Hand auf den Rücken gedreht und ihn die Treppe hinuntergedrängt. Aufgrund einer Anfrage des AVF München II vom 22.02.1999 zur Aufklärung der von der Ehefrau des Klägers geltend gemachten Körperverletzung, wurde ein polizeiliches Ermittlungsverfahren durchgeführt (Akte der Staatsanwaltschaft München I - 124 Js 11312/99 -). In ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung vom 22.04.1999 gab B.M ... an, sie wolle keine Strafanzeige gegen die Polizeibeamten erstatten. Die Polizei vernahm dennnoch am 15.06.1999 den Hausbesitzer des Anwesens K ...straße 21, H.D ... Nach dessen Angaben habe der Kläger seit Mitte der 70-er Jahre eine Wohnung im fünften Stock gemietet gehabt und sich dann mehreren von ihm vorgesehenen und finanzierten Modernisierungsmaßnahmen widersetzt. Nachdem ein Zwangsräumungsbeschluss vom Amtsgericht München erlassen worden sei, dem das Ehepaar nicht Folge leisten wollte, habe er eine Zwangsräumung veranlasst. Diese sei zwischen dem 04. und 07.09.1998 durchgeführt worden. Das Ehepaar habe sich in dieser Zeit im Urlaub befunden und sei in der Nacht vom 14. zum 15.09.1998 zurückgekommen. Am 15.09.1998 hätten sich der Kläger und seine Ehefrau in ihrer Wohnung eingeschlossen und mit niemandem sprechen wollen. Er habe die Polizei gerufen. POM M.M ... habe das Wort für die drei erschienenen Polizisten geführt. Mehrmals habe dieser das Ehepaar gebeten, die Wohnung doch freiwillig zu verlassen, sonst müsse er den Kläger anfassen und aus der Wohnung führen. Die Ehefrau des Klägers sei während des Gesprächs beim Rückwärtsgehen über einige Gegenstände am Boden gestolpert und auf ihr Gesäß gefallen. H.D ... als Hauseigentümer habe dem Ehepaar mündlich Hausverbot erteilt. Dann seien alle zusammen die Treppen hinuntergegangen; die Polizisten hätten geholfen, das Gepäck mit hinunter zu tragen. Als weitere Zeugin bestätigte Frau B ..., Hausmeisterin des oben genannten Anwesens, die Angaben des Hauseigentümers. Auch POM A.L ... und PHM H.K ... wurden als Zeugen sowie POM M.M ... als Beschuldigter vernommen. Mit Verfügung vom 03.08.1999 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen M.M ... gemäß § 170 Abs.2 StPO ein, da aufgrund der vorliegenden Beweislage kein strafbares Verhalten nachzuweisen sei.

Am 08.10.1999 erließ das AVF München I einen Bescheid, in dem der Antrag des Klägers auf Beschädigtenversorgung abgelehnt wurde. Die Anspruchsvoraussetzungen seien nicht nachgewiesen. Die Ermittlungen bezüglich des polizeilichen Vorgehens bei der Zwangsräumung am 15.09.1998 hätten keinen Hinweis auf eine vorsätzliche, rechtswidrige Körperverletzung ergeben. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 08.11.1999 Widerspruch ein. Er rügte, dass namentlich angebotene Zeugen, nämlich die Ehefrau und die Tochter, nicht gehört und ärztliche Befunde nicht ausgewertet worden seien. Mit Bescheid vom 07.12.1999 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Ermittlungen des Amtes seien nicht zu beanstanden, da u.a. die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft München beigezogen worden seien. Nach den Zeugenvernehmungen liege kein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vor. Der angeschuldigte Polizeibeamte habe sich bei der Zwangsräumung am 15.09.1998 korrekt verhalten; es sei keinerlei körperliche Gewalt ausgeübt worden, die als tätlicher Angriff zu werten wäre.

Daraufhin hat der Kläger am 28.12.1999 Klage zum Sozialgericht München erhoben und unter anderem vorgetragen, er habe den Polizeibeamten keinerlei Anlass zur Gewaltanwendung gegeben; er habe vielmehr vergeblich um Vorlage einer Urkunde gebeten, die das polizeiliche Vorgehen gerechtfertigt hätte und habe auf die gerichtlich nicht abgeschlossene Sachlage verwiesen. Es habe gegen ihn nämlich lediglich ein fristgerecht angefochtenes Versäumnisurteil vorgelegen. Ein Hausverbot sei ihm gegenüber vom Hausherrn nicht erteilt worden. Er verlange insbesondere die Einholung von Attesten seiner behandelnden Fachärzte und die Vernehmung von Zeugen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Nervenarztes Dr.Sch ... vom 21.03.2000 beigezogen, wonach der Kläger zum ersten Mal am 15.09.1998 bei diesem in Behandlung gewesen sei; als Diagnose habe er eine depressive Reaktion bei sozialer Konfliktsituation (Zwangsräumung der Wohnung) festgestellt, ferner eine distale Polyneuropathie sowie einen Verdacht auf hirnorganisches Psychosyndrom unklarer Genese. Etwa im Sommer 1999 sei eine Linderung der depressiven Symptomatik eingetreten. Das Gericht hat auch einen Befundbericht der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dr.G ... und Dr.H ... vom 23.03.2000 beigezogen; darin sind keine Angaben über eine Verletzung am 15.09.1998 enthalten; auch in einem Bericht des Klinikums G ... vom 03.11.1998 über eine ambulante Untersuchung am 29.10.1998 finden sich keine Feststellungen über eine Rippenverletzung bzw. Verletzung am linken Arm. In der mündlichen Verhandlung am 04.05.2000 hat das Sozialgericht folgende Zeugen vernommen: die Ehefrau und die Tochter des Klägers, den Hauseigentümer und die Hausmeisterin sowie die Polizeibeamten M.M ... und H.K ... Bei seiner Vernehmung bestritt der Polizeibeamte M.M ... nochmals, dem Kläger bei der Räumungsaktion den Arm umgedreht zu haben. Der Polizeibeamte H.K ... gab an, dass sich der Kläger, nachdem er sich mit seiner Ehefrau bereits im Parterre befunden habe und einige ihm gehörende Gegenstände schon auf dem Gehweg gestanden seien, an das vom Hauseigentümer erklärte Verbot, das Haus zu betreten, mehrmals nicht gehalten habe. Nach mehrfacher Androhung unmittelbarer Zwangsmaßnahmen habe er ihn am Oberarm gegriffen und nach draußen geschoben. Das Glas der Haustüre habe bei dem Vorgang einen Sprung erhalten; wie das geschehen sei, wisse er nicht mehr. Es habe gegen den Kläger Kraft aufgewendet werden müssen, da er sonst das Haus nicht verlassen hätte. H.D ... hat bei seiner Vernehmung darauf hingewiesen, dass die Zwangsräumung erst durchgeführt worden sei, nachdem ein Räumungsurteil mit einem vorläufig vollstreckbaren Titel vorgelegen habe. Er habe an der Wohnungstür des Klägers ein Schreiben befestigt, wonach die Wohnung zwangsgeräumt sei und dass sich das Protokoll des Gerichtsvollziehers im Briefkasten befinde. Er sei dabei gewesen, als der Gerichtsvollzieher das Protokoll eingeworfen habe. Er könne auch bestätigen, dass sich der Kläger, nachdem er von der Polizei aus der Wohnung vor das Haus gebracht worden sei, wieder Zutritt zum Haus habe verschaffen wollen. Herr H.K ... habe dies verhindert; dabei sei keine Hand und kein Ellenbogen umgedreht worden. Die Ehefrau des Klägers hat ihre frühere Aussage, wonach ihrem Mann von einem Polizeibeamten die Hand auf den Rücken gedreht worden und er die Treppe "hinuntergeschupst" worden sei, wiederholt. An der Wohnungstür sei lediglich ein mit Computer geschriebener Zettel ohne Unterschrift und Absender befestigt gewesen; darauf habe gestanden, dass sie die Wohnung nicht betreten dürften und dass sich ein Protokoll im Briefkasten befände; dort sei aber kein Protokoll gewesen. Nach der Zeugenaussage der 14-jährigen Tochter des Klägers habe dieser mit dem Hausschlüssel die Tür von außen aufgesperrt und sei ein Stück ins Haus gegangen. Sie sei hinter ihm hergegangen. Dann sei ein Polizist in Uniform, der sich im Haus befunden hatte, auf ihren Vater zugegangen und habe ihm den Schlüssel wegnehmen wollen; dabei habe er ihn gegen die Tür geschleudert. Die Tür sei zugegangen und habe sie dabei herausgedrückt. Als die Scheiben an der Tür beschädigt worden seien, sei die Tür schon geschlossen gewesen. Ihrem Vater habe danach der Ellenbogen wehgetan. Später habe er über Schmerzen an der Rippe geklagt.

Anschließend an diese Beweiserhebung hat das Sozialgericht durch Urteil vom 04.05.2000 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, es könne nicht von einem rechtswidrigen Angriff auf den Kläger im Sinne des § 1 Abs.1 OEG die Rede sein. Es sei für jeden einsichtigen Beteiligten klar gewesen, dass die Wohnung des Klägers aufgrund eines vollstreckbaren Titels zwangsgeräumt worden sei und der Kläger nicht das Recht gehabt habe, das Haus und die Wohnung zu betreten, zumal der Zeuge H.D ... ihm zweifelsfrei Hausverbot erteilt gehabt habe. Außerdem hätten die Polizeibeamten mit großer Geduld den Kläger über die Rechtslage aufgeklärt, ihn mehrfach aufgefordert, das Haus zu verlassen und ihm auch mehrfach unmittelbaren Zwang angedroht. Der Kläger habe sich am Vortag gewaltsam mit Hilfe eines Nachschlüssels Zugang zur Wohnung verschafft und sei auch nach dem Eingreifen der Polizei erneut in das Haus eingedrungen. Hierdurch habe er rechtswidrig gehandelt und sich des Vergehens des Hausfriedensbruchs schuldig gemacht. Soweit er körperliche Kraft gegen den Polizeibeamten H.K ... angewendet habe, sei ein Vergehen des Widerstands gegeben. Somit habe eindeutig der Kläger und nicht die Polizeibeamten rechtswidrig gehandelt. Wenn der Kläger im Rahmen seines rechtswidrigen Angriffs verletzt worden sei, habe er sich dies selbst zuzuschreiben.

Mit Schriftsatz vom 22.06.2000 hat der Kläger zum Bayer. Landessozialgericht Berufung gegen dieses Urteil eingelegt. Er hat die Vernehmung der behandelnden Fachärzte beantragt und die Höhe der Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt. Der Senat hat vom Hauseigentümer das Protokoll des Gerichtsvollziehers über die Zwangsräumung beigezogen. Daraus geht hervor, dass ein Urteil des Amtsgerichts München vom 29.06.1998 vorlag, das am 03.07.1998 zugestellt worden war. Aus dem Protokoll geht auch hervor, dass der Kläger mit Frau und Tochter in einer Einzimmerwohnung mit Küche und Nebenräumen gewohnt hat.

Aus der ebenfalls beigezogenen Akte des Amtsgerichts München (423 C 13624/98) ergibt sich, dass es sich bei o.g. Urteil vom 29.06.1998 um ein Versäumnisurteil auf Räumung und Herausgabe der Wohnung des Klägers handelte. Nach rechtzeitigem Einspruch des Klägers hat das Amtsgericht am 15.10.1998 ein Endurteil erlassen, mit dem das Versäumnisurteil bestätigt worden ist. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil ist vom Landgericht München I am 23.06.1999 durch Urteil zurückgewiesen worden.

Aus einer ebenfalls vom Senat eingeholten Auskunft der Techniker-Krankenkasse vom 08.11.2000 geht hervor, dass der Kläger am 15.09.1998 sich durch einen Unfall mit Fremdverschulden eine Thoraxprellung zugezogen habe.

Die Staatsanwaltschaft München I hat die Frage des Senats, ob gegen den Polizeibeamten H.K ... wegen des streitgegenständlichen Ereignisses ein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden ist, verneint.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 04.05.2000 sowie des Bescheides vom 08.10.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.12.1999 zu verurteilen, das Ereignis vom 15.09.1998 als vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes anzuerkennen und ihm wegen der Folgen Versorgung zu gewähren.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.05.2000 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der vom Senat zu Beweiszwecken beigezogenen einschlägigen Akten des Beklagten zum OEG und zum Schwerbehindertengesetz, auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I einschließlich der darin enthaltenen Vernehmungsprotokolle, die Akten des Amtsgerichts München (Az.: 423 C 13624/98) sowie die Sozialgerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich der Schriftsätze der Beteiligten und der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Einer Zulassung bedurfte sie nicht (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 Satz 2 SGG).

In der Sache selbst hatte die zulässige Berufung keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen die einen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG ablehnenden Bescheide des Beklagten abgewiesen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger durch das Ereignis vom 15.09.1998 Opfer eine Gewalttat im Sinne des § 1 Abs.1 OEG geworden ist.

Nach dieser Bestimmung erhält derjenige Versorgung, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil zu Recht dargelegt, dass das gewaltsame Vorgehen des Polizeibeamten H.K ... gegen den Kläger nicht als rechtswidriger Angriff gewertet werden kann, weil das Handeln des Polizeibeamten wegen des in mehrfacher Hinsicht rechtswidrigen Verhaltens des Klägers gerechtfertigt war.

Der Senat geht nach Auswertung der Ergebnisse des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Polizeibeamten M.M ... sowie der Zeugeneinvernahmen des Sozialgerichts München von demselben Geschehensablauf aus wie das Sozialgericht. Danach durfte der Gerichtsvollzieher die Wohnung des Klägers am 04. und 07.09.1998 zwangsräumen, da das am 09.06.1998 ergangene Versäumnisurteil des Amtsgerichts München trotz des rechtzeitigen Einspruchs des Klägers vorläufig vollstreckt werden konnte (vgl. §§ 708 Nr.2, 338, 342, 719 Abs.1, 707 der Zivilprozessordnung). Die gesamten Umstände sprechen auch eindeutig dafür, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub am 14.09.1998 die Tatsache, dass er seine frühere Wohnung wegen zwischenzeitlicher Zwangsräumung nicht mehr betreten durfte, bekannt war. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht ebenfalls davon aus, dass der Kläger durch das Eingreifen der Polizeibeamten erst dann körperlich beeinträchtigt wurde, als er sich, nachdem er bereits aus dem Haus gewiesen worden war, mit Hilfe eines Schlüssels wieder Zugang zum Haus verschafft hatte und der Aufforderung des Polizeibeamten H.K ... nicht Folge leisten wollte, den Schlüssel abzugeben und das Haus wieder zu verlassen. Die Aussage des Zeugen H.K ... vor dem Sozialgericht München, wonach er gegen den Kläger habe Kraft aufwenden, ihn am Oberarm fassen und nach draußen habe schieben müssen, erscheint glaubhaft.

Bei dieser Sachlage kann nicht von einem rechtswidrigen tätlichen Angriff des Polizeibeamten H.K ... auf den Kläger im Sinne des § 1 Abs.1 OEG ausgegangen werden. Nach Art.2 Abs.1 und Art.11 Abs.2 Nr.1 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG) war der Polizeibeamte befugt, notwendige Maßnahmen - auch durch unmittelbaren Zwang (Art.64 PAG) - zur Unterbindung der strafbaren Handlung des erneuten Hausfriedenbruchs durch den Kläger zu ergreifen. Das vorsätzliche Eindringen des Klägers in das Anwesen K ...straße 21 nach erfolgter Zwangsräumung und ausgesprochenem Hausverbot durch den Hauseigentümer erfüllt den Tatbestand des § 123 des Strafgesetzbuchs (StGB). Ein vom Kläger geltend gemachter etwaiger Verbotsirrtum (§ 17 StGB) änderte nichts an der Rechtmäßigkeit des Handelns des Polizeibeamten, da dieser nach pflichtgemäßer Würdigung der ihm bekannten und erkennbaren Umstände zur Annahme gelangen durfte, dass er zu der von ihm gewählten Amtshandlung berechtigt und verpflichtet war (vgl. Iser bei Schönke/Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 26. Auflage, Rdnr.27 zu § 113). Hinzu kommt, dass der Polizeibeamte auch nach Art.2 Abs.2 PAG befugt war, zum Schutz privater Rechte des Hauseigentümers einzugreifen, da ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung der Rechte des Hauseigentümers H.D ..., der die Polizei gerufen hatte, vereitelt oder wesentlich erschwert worden wäre. Auch unter diesem Gesichtspunkt war die Vorgehensweise des Polizeibeamten H.K ... rechtmäßig. Schließlich ist der Senat mit dem Sozialgericht der Auffassung, dass der Kläger, als er der rechtmäßigen Anordnung des Polizeibeamten nicht nur nicht Folge leistete, sondern sogar durch Einsatz körperlicher Kraft versuchte, die Vollendung der Diensthandlung zu erschweren, den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) erfüllt hat. Dabei konnte der Kläger weder den Rechtfertigungsgrund der Notwehr, noch des Notstands (§§ 32, 34 StGB) für sich in Anspruch nehmen. Andererseits durfte der Polizeibeamte im eigenen Interesse den Angriff auf seine Person aktiv abwehren (§ 32 StGB).

Anhaltspunkte dafür, dass der Polizeibeamte H.K ... mit seinem Handeln gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen hätte, haben sich nicht ergeben. Auch wenn bei dem zum Zeitpunkt des Ereignisses fast 70-jährigen Kläger nach dem Schwerbehindertengesetz ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt war, kann nach Aktenlage und aufgrund der aktiven Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung nicht davon ausgegangen werden, dass er zum Zeitpunkt des Ereignisses gebrechlich war. Unmittelbare behandlungsbedürftige körperliche Gesundheitsschäden des Klägers infolge des Eingreifens des Polizeibeamten H.K ... konnten nicht festgestellt werden.

Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände ist daher davon auszugehen, dass der Polizeieinsatz und speziell die Handlungsweise des Polizeibeamten H.K ... am 15.09.1998 nicht rechtswidrig waren und somit die Voraussetzungen einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs.1 OEG nicht erfüllt sind.

Aus diesen Gründen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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