L 7 P 67/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 P 73/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 67/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 25.09.2002 und des Bescheides vom 24.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2001 verurteilt, dem Kläger bereits ab 07.07.2000 Leistungen nach Pflegestufe I zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen nach Pflegestufe I für die Zeit vom 07.07.2000 bis 28.02.2003 streitig.

Der am 1984 geborene Kläger, Spätaussiedler, kam mit seinen Eltern am 07.07.1997 in die Bundesrepublik Deutschland. Ein Antrag auf Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit wurde mit Bescheid vom 05.03.1999 mit der Begründung abgelehnt, ein Leistungsanspruch bestehe frühestens nach Erfüllung der Vorversicherungszeit am 07.07.2000.

Einen erneuten Antrag vom 04.07.2000 lehnte die Beklagte nach Durchführung einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Bayern (MDK) mit der Begründung ab, im Bereich der Grundpflege sei ein täglicher Zeitaufwand von lediglich 16 Minuten erforderlich. Den Widerspruch wies sie, nachdem in einem weiteren Gutachten des MDK vom 12.12.2000 der Grundpflegebedarf mit täglich 24 Minuten bewertet worden war, mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2001 zurück.

Mit seiner zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger ein Pflegetagebuch vorgelegt. Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 12.12.2001 die Mutter als Zeugin zu dem Umfang der Pflege vernommen. Anschließend hat es den Rechtsstreit vertagt und ein Gutachten der Krankenschwester und Lehrerin für Pflegeberufe K. vom 05.03.2002 eingeholt, die den Grundpflegebedarf mit 34 Minuten bewertet hat.

Mit Urteil vom 25.09.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung der Kammer stehe aufgrund der eingeholten Gutachten fest, dass der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege zwischen 30 und 35 Minuten liege und damit die 45 Minuten-Grenze deutlich nicht überschreite.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, es seien nicht sämtliche der erforderlichen pflegerischen Leistungen erfasst und in ihrem zeitlichen Umfang zutreffend bewertet worden.

Im Auftrag des Senats hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. den Kläger am 08.03.2003 untersucht und das Gutachten am 14.03.2003 erstellt. Danach ergebe sich in der Körperpflege ein Hilfebedarf von 50 Minuten, in der Ernährung von 2 Minuten, für das An- und Entkleiden von 7 Minuten. Dieser Hilfebedarf bestehe seit dem Jahre 2000.

Zu den Einwendungen der Beklagten, die hohe zeitliche Diskrepanz zu den Vorgutachten für die Bereiche Duschen/Baden und Darm-/Blasenentleerung sei nicht nachvollziehbar, hat die Sachverständige am 12.05.2003 schriftlich ergänzend dargelegt, abendliches Baden sei unter anderem wegen der ärztlichen Verordnung von Ölbädern, aber auch wegen der hygienischen Probleme erforderlich.

In der mündlichen Verhandlung am 01.08.2003 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend erklärt, dass sie für die Zeit ab 01.03.2003 Leistungen nach Pflegestufe I bewilligt. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Im Übrigen beantragt er, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 25.09.2002 und des Bescheides vom 24.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2001 zu verurteilen, ihm Leistungen nach der Pflegestufe I für die Zeit vom 07.07.2000 bis 28.02.2003 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist nach wie vor der Auffassung, dass vor dem 01.03.2003 die Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen nach Pflegestufe I nicht vorgelegen haben.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt damit nicht vor.

Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet. Der Kläger hat bereits für die Zeit ab 07.07.2000 Anspruch auf Leistung nach Pflegestufe I.

Nicht mehr streitig ist, dass der Kläger ab 01.03.2003 für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Sinne des § 14 Abs.1, 3 SGB XI pflegerische Hilfe im Umfang von mindestens 90 Minuten täglich bedarf, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen, weshalb ein Anspruch auf Leistungen nach Pflegestufe I gemäß § 15 Abs.3 Nr.1 SGB XI besteht. Die Sachverständige Dr. A. hat überzeugend dargelegt, dass für das morgendliche Duschen und das abendliche Baden 10 bzw. 15 Minuten an pflegerischer Hilfe aufwendet werden müssen. Wegen der eingeschränkten Motorik aufgrund der Handdeformität kann der Kläger auch nicht alleine Zähne putzen, weshalb zweimal täglich Hilfe von jeweils 3 Minuten, für das Kämmen von 1 Minute erforderlich wird. Für das Rasieren müssen 5 Minuten aufgewendet werden, da der Kläger nass rasiert werden muss, nachdem er Angst vor dem Eltrorasierer hat. Die Hilfe bei der Darm-/Blasenentleerung beträgt bei fünfmal täglichem Wasserlassen und einmal täglichem Stuhlgang jeweils 3 bzw. 10 Minuten. Das Zerkleinern der Nahrung erfordert 2 Minuten, die Hilfe beim Ankleiden 5 und beim Entkleiden 2 Minuten.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war bereits ab 07.07.2000 pflegerische Hilfe von wenigstens 90 Minuten täglich, in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten, erforderlich. Der gesundheitliche Zustand des Klägers und der daraus folgende Hilfebedarf ist seit diesem Zeitpunkt unverändert. Zu berücksichtigen ist, dass die Vorgutachter von einer unrichtigen Diagnose, nämlich einem Down-Syndrom, ausgegangen sind, während nach Darlegung der Sachverständigen Dr. A. zwar möglicherweise eine genetische Erkrankung vorliegt, aber eben kein Down-Syndrom. Es handelt sich um eine mittelgradige Intelligenzminderung mit körperlichen und geistigen Defiziten. Entgegen der Annahme der Vorgutachter, die insoweit die eigenen Angaben des Klägers als richtig unterstellt haben, ist dieser nicht in der Lage, Tischtennis zu spielen oder Fahrrad zu fahren.

Es kann dahinstehen, ob bereits ab 07.07.2000 zusätzlich abends aufgrund der ärztlichen Verordnung ein Ölbad genommen wird oder ob zunächst nur einmal in der Woche zusätzlich Hilfe beim Baden erforderlich war. Denn zu dem Zeitaufwand von 10 Minuten täglich für die Hilfe beim Duschen kämen dann zwar nur 2 Minuten täglich für das Baden (15: 7), weshalb sich aber immer noch ein Aufwand in der Grundpflege von 47 Minuten ergeben würde.

Somit war auf die Berufung des Klägers die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 25.09.2002 und des Bescheides vom 24.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2001 zu verurteilen, dem Kläger bereits ab 07.07.2000 Leistungen nach Pflegestufe I zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved