L 9 AL 397/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 215/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 397/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die während des Berufungsverfahrens erhobene Klage wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rückforderung von Leistungen.

Das Arbeitsamt Kempten bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 28.07.1995 Arbeitslosengeld ab 03.06.1995 für 780 Tage. Mit Bescheid vom 09.12.1997 hob das Arbeitsamt die Bewilligung des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 16.06.1997 bis 03.07.1997 und vom 21.08.1997 bis 28.08.1997 wegen Ortsabwesenheit auf und ordnete die Erstattung überzahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.835,40 DM an. Mit weiterem Bescheid vom 09.12.1997 ordnete das Arbeitsamt die Erstattung der für den Kläger für die o.g. Zeiträume abgeführten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 578,85 DM an. Den Widerspruch des Klägers wies das Arbeitsamt mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.1998 als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage wies die 2. Kammer des Sozialgerichts Augsburg mit Urteil vom 04.05.1999 als unbegründet ab (S 2 AL 189/98), die hiergegen eingelegte Berufung wies der 8. Senat des Bayerischen LSG mit Urteil vom 20.04.2001 zurück (L 8 AL 148/99).

Am 09.10.1997 beantragte der Kläger Leistungen zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Handelsvertreter ab 01.12.1997. Am 17.11.1997 beantragte er gleichfalls ab 01.12.1997 Arbeitslosenhilfe.

Am 28.11.1997 meldete er sich ab 01.12.1997 wegen Selbständigmachung ab. Mit Bescheid vom 16.12.1997 bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger Überbrückungsgeld ab 01.12.1997 in Höhe von monatlich 2.106,72 DM für 22 Wochen.

Mit Schreiben vom 31.01.1998 nahm der Kläger den Antrag auf Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zurück und beantragte die Verbescheidung seines Antrags auf Arbeitslosenhilfe vom 17.11.1997.

Mit Bescheid vom 12.02.1998 bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger Überbrückungsgeld vom 01.12.1997 bis 08.02.1998 in Höhe von 4.788,- DM. Davon waren dem Kläger bereits 4.213,44 DM überwiesen worden. Den Restbetrag von 574,56 DM wies das Arbeitsamt dem Kläger mit dem Bescheid vom 12.02.1998 an.

Mit Bescheid vom 24.11.1998 hob das Arbeitsamt die Bescheide über die Bewilligung von Überbrückungsgeld auf und forderte die Erstattung der dem Kläger gezahlten Leistungen in Höhe von 4.788,- DM, nachdem der Kläger mitgeteilt habe, dass er ab 01.12.1997 keine selbständige Tätigkeit ausgeübt habe. Den Widerspruch des Klägers wies das Arbeitsamt mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.1999 als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage wies die 2. Kammer des Sozialgerichts Augsburg mit Urteil vom 04.05.1999 als unbegründet ab. Im Berufungsverfahren schlossen die Beteiligten am 20.04.2001 vor dem 8. Senat des Bayerischen LSG einen Vergleich: Die Beklagte bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01.12.1997 bis 19.12.1997 Arbeitslosenhilfe, die mit der Erstattungsforderung verrechnet wurde (L 8 AL 149/99).

Mit Bescheid vom 11.10.2001 bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger entsprechend dem Vergleich vor dem LSG Arbeitslosenhilfe vom 01.12.1997 bis 19.12.1997 in Höhe von 423,- DM wöchentlich. Dies ergab einen täglichen Leistungssatz von 70,50 DM und eine Gesamt-Nachbewilligung von 1.198,50 DM. Entsprechend dem Vergleich rechnete es den Nachzahlungsbetrag gegen die Rückforderung des Überbrückungsgeldes in Höhe von 4.788,- DM auf, was eine verbleibende Rückforderung von Überbrückungsgeld in Höhe von 3.589,50 DM ergab.

Als verbleibende rechtskräftig festgestellte Rückzahlungsverpflichtungen des Klägers ergaben sich:
Arbeitslosengeld in Höhe von 1.835,40 DM
Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 515,77 DM Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 63,08 DM
Überbrückungsgeld in Höhe von 3.589,50 DM
Zusammen: 6.003,75 DM.
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Das Landesarbeitsamt Bayern forderte den Kläger mit Schreiben vom 03.12.2001 auf, diesen Betrag zu erstatten, ggf. Zahlungserleichterungen zu beantragen.

Die Forderung - umgerechnet 3.069,67 EUR - wurde auf den 15.03. 2002 fällig gestellt.

Mit Schreiben vom 12.03.2002 und 23.03.2002 ersuchte der Kläger um Stundung bzw. Gewährung von Teilzahlung in Höhe von 50,- EUR monatlich ab Mai 2002.

Am 15.11.2001 hatte die BfA der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger seit 01.09.1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit beziehe. Mit Schreiben vom 26.03.2002 ermächtigte die Beklagte die BfA, die Erstattungsforderung von 3.069,67 EUR gegen die dem Kläger zustehende Altersrente zu verrechnen und die einbehaltenen Beträge der Beklagten zu überweisen.

Daneben setzte die Beklagte das Einziehungsverfahren fort und beantwortete mit Schreiben vom 28.03.2002 das Teilzahlungsersuchen des Klägers. Sofern er nicht bis 08.04.2002 bestimmte Sicherheiten leisten könne, werde umgehende Zahlung des gesamten Betrages erwartet.

Die BfA hörte den Kläger mit Schreiben vom 12.04.2002 zum Verrechnungsersuchen der Beklagten an. Es sei beabsichtigt, dem Verrechnungsersuchen in Höhe von 150,- EUR monatlich stattzugeben.

Daraufhin richtete der Kläger ein vom 16.04.2002 datiertes Schreiben an das Bayerische Landessozialgericht, welches am 17.04.2002 einging. Darin erhob er "Klage" gegen "die Bundesanstalt für Arbeit, Landesarbeitsamt Bayern wegen Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung".

Zur Begründung führt er aus: Der Bundesanstalt für Arbeit liege ein Ratenzahlungsvorschlag vor. Dieser sei nicht angenommen worden. Gleichzeitig sei er aufgefordert worden, dingliche Sicherheiten zu erbringen, was ihm nicht möglich sei. Die BA habe bei der BfA einen Antrag auf Verrechnung mit laufenden Rentenbezügen gestellt. Die vorgeschlagene monatliche Zahlung solle 150,- EUR betragen. Dies sei ihm nicht möglich.

Er stelle den Antrag zu erkennen: Der von ihm gemachte Ratenzahlungsvorschlag mit monatlich 50,- EUR sei zu akzpetieren.

Die Vollstreckung sei einzustellen.

Der Schriftsatz wurde zur weiteren Veranlassung an das Sozialgericht Augsburg geleitet.

Zeitgleich mit der Klageerhebung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.04.2002 im Einziehungsverfahren den Stundungsantrag ab, da der Kläger keine Sicherheitsleistung angeboten hatte.

Noch während des Klageverfahrens erklärte die BfA mit Bescheid vom 22.05.2002 die Verrechnung im Wege der Einbehaltung von 50,- EUR monatlich ab 01.08.2002 aus der Altersrente des Klägers zu Gunsten der Beklagten. Gegen diesen Bescheid der BfA legte der Kläger keine Rechtsbehelfe ein.

Ab 01.08.2002 behielt die BfA monatlich 50,-EUR von der Altersrente des Klägers ein, die sie der Beklagten überwies. Damit reduzierte sich seit 01.08.2002 die Forderung der Beklagten gegen den Kläger um monatlich 50,- EUR. Die von der Beklagten eingeleiteten Einziehungs- bzw. Vollstreckungsmaßnahmen wurden eingestellt.

Die 1. Kammer des Sozialgerichts Augsburg wies die Klage mit Urteil vom 22.10.2002 als unzulässig ab. Eine zulässige Klage setze einen Verwaltungsakt voraus, der in einem Vorverfahren überprüft worden sei. Die Beklagte habe keinen Verwaltungsakt erlassen, weswegen auch keine Widerspruchsentscheidung vorliege (S 1 AL 215/2002).

Dagegen legte der Kläger Berufung zum Bayerischen LSG ein.

Mit Schriftsatz vom 17.02.2003 trug er vor: Die seitens der Beklagten geltend gemachte Rückforderung sei rechtswidrig. Grundlage sei ein anonymer Anruf bei dem Sachbearbeiter der Nebenstelle Kaufbeuren des Arbeitsamtes Kempten, der seine Abwesenheit vom Wohnort bestätigt habe. Die Beklagte habe diese anonyme und falsche Aussage ihrer Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen.

Er beantragte, den Anspruch der Beklagten "als unbegründet ersatzlos aufzuheben, die bereits gezahlten Beträge mit Kosten an mich zurückzuerstatten".

Am 07.04.2003 beantragte der Kläger bei der BfA, die laufende Verrechnung zu Gunsten der Beklagten einzustellen. Dies lehnte die BfA mit Schreiben vom 15.04.2003 an den Kläger ab mit dem Hinweis, dass dieser keinen Rechtsbehelf gegen den Verrechnungsbescheid vom 22.05.2002 eingelegt habe.

Das Schreiben der BfA vom 15.04.2003 legte der Kläger in einem ergänzenden Schriftsatz vom 29.04.2003 dem Senat vor: Er füge ein Schreiben der BfA vom 15.04.2003 bei, "mit der Maßgabe, die strittige Auffassung über die Verrechnung miteinzubeziehen. Hilfsweise beantrage ich eine einstweilige Vefügung mit der Maßgabe, die Verrechnung auszusetzen".

Zur mündlichen Verhandlung erschien der Kläger nicht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

In Klageänderungen willigt sie nicht ein.

Der Senat hat die Akten des SG sowie die Leistungs- und Einziehungsakten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte und form- wie fristgerecht eingelegte Berufung war zurückzuweisen.

Die BfA war nicht nach § 75 Abs.2 SGG beizuladen. Der Senat hatte im Verfahren gegen die Beklagte keine Entscheidung mit unmittelbarer Wirkung gegenüber der BfA zu treffen.

Die Berufung gegen das Urteil des SG vom 22.10.2002 ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Der Klagantrag des Klägers ging zum einen dahin, die Beklagte dazu zu verurteilen, die eingeleitete Einziehung bzw. Voll- streckung einzustellen. Dem hat die Beklagte im Laufe des Klageverfahrens ohnehin entsprochen. Sie hat die zwangsweise Beitreibung des vom Kläger geschuldeten Rückforderungsbetrages nach Rücksendung der Vollstreckungsanordnung durch das Hauptzollamt Augsburg am 10.07.2002 eingestellt.

Zu Gunsten des Klägers lässt sich sein Klageantrag vor dem SG auch dahingehend auffassen, die Verrechnungsermächtigung als solche zurückzuziehen. Auch insoweit war die Klage, wenn auch nicht unstatthaft, so jedoch mangels Rechtschutzbedürfnis unzulässig. Mangels eines ihm gegenüber seitens der Beklagten ergangenen Verwaltungsakts stand dem Kläger insoweit nach dem System der Klagearten eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs.5 SGG, gerichtet auf das Zurückziehen des Verrechnungsersuchens, zur Verfügung. Es fehlt aber hierfür am Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger sämtliche Einwendungen, die er gegen die Zulässigkeit des Verrechnungsersuchens vorbringen könnte, im Rahmen der Verrechnung durch den für die Geldleistung zuständigen Leistungsträger, der ihm gegenüber einen Verwaltungsakt erlässt, hier die BfA, vorbringen kann. Die Verrechnung durch den ermächtigten Leistungsträger ist nämlich nur zulässig, wenn sämtliche Voraussetzungen der Aufrechnung vorliegen (Kasseler Kommentar/Seewald, Rdz.11, 12 zu § 52 SGB I). Dies bedeutet, dass der Betroffene, einerseits Schuldner, andererseits Bezieher von Leistungen, ausreichenden gerichtlichen Rechtsschutz durch die Möglichkeit der Anfechtung der Verrechnungserklärung hat (s.zur entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei mehrstufigen Verwaltungsakten Kopp Rdz.82 zum Anhang zu § 42 VwGO).

Der Kläger kann auch nicht, nachdem er die Rechtsbehelfsfrist gegen den Verrechnungsbescheid der BfA versäumt hat, sich dadurch Klagemöglichkeiten gegen zwei Behörden verschaffen, in dem er nunmehr auf Zurückziehung des Verrechnungsersuchens seitens der Beklagten klagt. Vielmehr ist er auf ein Zugunstenverfahren nach § 44 SGB I verwiesen, gerichtet auf Zurücknahme des Verrechnungsbescheides durch die BfA.

Soweit der Kläger im Wege der Klageänderung nach § 99 SGG mit Schriftsatz vom 29.04.2003 unter Beifügung des insoweit ablehnenden Schreibens der BfA vom 15.04.2003 beantragt hat, die BfA - als Beklagte - unter Vorwegnahme eines Zugunstenverfahrens zur Zurücknahme des bestandskräftig gewordenen Verrechnungsbescheides vom 22.05.2002 zu verurteilen und dies mit einem entsprechenden Antrag auf eine einstweilige Anordnung verbunden hat, hat die Beklagte der Klageänderung nicht zugestimmt. Der Senat hat es für sachdienlich gehalten, dieses Verfahren zunächst abzutrennen.

Soweit der Kläger vor dem Senat beantragt hat, die Beklagte zur Zurücknahme ihrer bestandskräftig gewordenen Erstattungsbescheide vom 09.12.1997 und vom 24.11.1998 zu verurteilen, handelt es sich gleichfalls um eine Klageänderung nach § 99 SGG. Die Beklagte hat auch dieser Klageänderung nicht zugestimmt. Der Senat hält sie für nicht sachdienlich, da vor der Inanspruchnahme neuerlichen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Erstattungsbescheide der Beklagten zunächst ein Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt werden müsste. Der Senat hat dieKlage daher abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Anlass, die Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 oder Nr.2 SGG zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und das Urteil weicht nicht ab von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht auf dieser Abweichung.
Rechtskraft
Aus
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