L 4 KR 220/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KR 397/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 220/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. September 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine kieferorthopädische Behandlung zu bewilligen.

Die 1979 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Ab Anfang 1994 hatte bei ihr der Kieferorthopäde Dr.N. eine kieferorthopädische Behandlung mit festen Bändern und anschließend einer lockeren Spange durchgeführt. Nach Angaben der Klägerin war am 04.12.1997 die gesamte Behandlung laut Dr.N. erfolgreich abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 26.06.2001 beantragte die Klägerin die Durchführung einer zweiten kieferorthopädischen Behandlung mit der Begründung, im Jahr 2000 sei bei ihr ein Kreuzbiss diagnostiziert worden. Laut Aussagen dreier verschiedener Kieferorthopäden sei die Behandlung nur mit festen Bändern möglich. Im Januar 2001 habe sie bemerkt, dass sich auch ihr rechter Schneidezahn aufgrund des schiefen Bisses leicht nach außen schiebe. Deshalb habe sie sich fest entschlossen, noch eine zweite kieferorthopädische Behandlung durchführen zu lassen. Sie habe bei dem Kieferorthopäden Dr.S. einen Termin am 03.07.01, um alles Weitere zu besprechen. Im privatärztlich erstellten kieferorthopädischen Behandlungsplan vom 19.07.2001 errechnete Dr.S. voraussichtliche Behandlungskosten von 6.499,90 DM.

Die Beklagte lehnte die Behandlung mit Bescheid vom 11.09.2001 mit der Begründung ab, nach § 28 Abs.2 Satz 6 SGB V sei für Versicherte, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, eine kieferorthopädische Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich. Dies gelte nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien. Der eingereichte kieferorthopädische Behandlungsplan enthalte keine Angaben, die eine Zuordnung zu den vom Gesetzgeber vorgesehene Indikationsgruppen ermöglichen könnten. Insbesondere sei auch keine kieferchirurgische Maßnahme geplant bzw. notwendig.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin, in dem sie ausführt, die Behandlung durch Dr.N. sei ursächlich für ihre jetzigen Probleme mit den Zähnen.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2001 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 28 Abs.2 Satz 1 SGB V seien möglicherweise gegeben, durch § 28 Abs.2 Satz 6 SGB V sei jedoch wegen des Alters der Klägerin eine Behandlung zu Lasten der Krankenkasse nicht mehr möglich. Ein Ermessensspielraum bestehe nicht. Auch der Hinweis auf die bereits durchgeführte kieferorthopädische Behandlung lasse keine andere Beurteilung zu. Diese Behandlung sei nach den vorliegenden Unterlagen 1996 abgeschlossen gewesen. Der kieferorthopädische Behandlungsplan vom 19.07.2001 sei als Neuantrag zu werten.

Gegen diesen Bescheid richtete sich die zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin erneut ausführt, die kieferorthopädische Behandlung 1994 sei mangelhaft gewesen. Eine Übernahmeverpflichtung der jetzigen Behandlung ergebe sich auch daraus, dass durch sie eine spätere, sehr aufwändige und teure kieferchirurgische Behandlung vermieden werden könnte. Es wurde weiter darauf hingewiesen, die Behandlung sei zwar seitens des Arztes im Dezember 1997 als erfolgreich abgeschlossen worden. Es habe sich jedoch um eine Fehleinschätzung gehandelt. Im Oktober 1999 seien die beiden oberen Weisheitszähne entfernt worden. 2000 sei dann ein Kreuzbiss eingetreten. Es handele es sich um ein und dieselbe Maßnahme aufgrund einer im Jahr 1994 begonnenen, allerdings mangelhaften kieferorthopädischen Leistung. Die Behandlung sei vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen worden und nun sollten die Fehler der damaligen Behandlung beseitigt werden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.09.2002 gab die Klägerin zu Protokoll, die ursprüngliche Behandlung bei Dr.N. sei darauf gerichtet gewesen, einen fehlangelegten Eckzahn rechts im Oberkiefer freizulegen und nach unten auszurichten. Dies sei 1996 auch erfolgreich durchgeführt worden, es bestand lediglich eine leichte Fehlstellung. Erst im Frühjahr 2000 hätten sich dann Fehlstellungen im Bereich weiterer Zähne eingestellt. Ihr sei dann erneut eine Behandlung mittels fester Bänder empfohlen worden sei. Bereits 1999 habe sie Dr.N. darauf hingewiesen, die Eckzähne liefen bei ihr "spitz auf spitz" zu, Dr.N. habe eine weitere Intervention jedoch nicht für erforderlich gehalten. Die von ihr ab 1996 konsultierten Zahnärzte hätten ihr nicht empfohlen, sich in fachärztliche Behandlung zu begeben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. September 2002 abgewiesen. Gemäß § 28 Abs.2 Satz 6 SGB V sei gesetzlich angeordnet, eine kieferorthopädische Behandlung von Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, gehöre nicht zur zahnärztlichen Behandlung der gesetzlich Krankenversicherten. Dies gelte lediglich nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erforderlich seien (§ 28 Abs.2 Satz 7 SGB V). Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass hierfür die Indikationen bei der Klägerin nicht vorlägen. Das Alter der Klägerin schließe die Behandlung zu Lasten der Beklagten aus. Nicht durchdringen könne die Klägerin auch mit ihrer Argumentation, es handele sich bei der nunmehr beabsichtigten Behandlung nicht um eine neue Behandlung. Die Beklagte habe zutreffend die Auffassung vertreten, die von Dr.N. durchgeführte Behandlung sei abgeschlossen worden. Auch habe die Klägerin eingeräumt, dass die Behandlung lediglich bis 1997 gedauert habe. In den darauf folgenden Jahren bis zum Jahr 2000 seien weder von dem seinerzeitigen Kieferchirurgen bei einer Kontrolluntersuchung noch von im Rahmen der zahnärztichen Prophylaxe konsultierten Zahnmedizinern das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Fehlstellung diagnostiziert worden. Der Zeitpunkt, zu welchem der bei der Klägerin vorliegende Kreuzbiss zur Ausbildung kam, sei zur Überzeugung des Gerichts nicht nachweisbar. Gleiches gelte für die ausgestellte Behauptung, die von Dr.N. durchgeführten Behandlungsmaßnahmen hätten offensichtlich den Regeln der ärztlichen Kunst nicht entsprochen.

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung begehrt die Klägerin weiter die kieferorthopädische Behandlung. Bei ihr liege insoweit ein Ausnahmefall vor, weil es sich um die Fortsetzung einer im Jahr 1994 begonnenen kieferorthopädischen Behandlung handele. Quasi liege ein Folgeschaden der ersten mangelhaften orthopädischen Behandlung vor.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mitgeteilt, die Klägerin befinde sich seit 03.07.2001 bei Dr.S. in Behandlung. Es seien bis Ende 2002 Kosten in Höhe von insgesamt 2.604,01 EUR angefallen. Die Behandlung sei noch nicht abgeschlossen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.09.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2001 aufzuhaben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die kieferorthopädische Behandlung bei Dr.S. zu übernehmen bzw. der Klägerin zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Eine durchgehende kieferorthopädische Behandlungsnotwendigkeit sei nicht erkennbar. Eine später stattfindende Behandlung sei jedoch nicht Bestandteil einer früheren, nicht mit dem gewünschten Erfolg durchgeführten kieferorthopädischen Maßnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie des Sozialgerichts und auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr für die privatärztlich durchgeführte und abgerechnete kieferorthopädische Versorgung entstanden sind. Als einzige Anspruchsgrundlage kommt § 13 Abs.3 SG V in Betracht. Danach hat die Krankenkasse Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Voraussetzung 1) oder dass sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Voraussetzung 2). In beiden Fällen muss es sich um eine notwendige Leisstung handeln, wie der letzte Halbsatz klarstellt und wie sich bereits daraus ergibt, dass die Kostenerstattung nach § 13 Abs.1 SGB V an die Stelle der Sachleistung tritt, die ihrerseits nur dann geschuldet wird, wenn sie notwendig ist (BSG, Urteil vom 24.09.1996, SozR 3-2500 § 13 Nr.11). § 13 Abs.3 SGB V gibt dem Versicherten danach einen Anspruch auf Kostenerstattung, um ihn so zu stellen, als hätte er die geschuldete Sachleistung erhalten.

Die Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil die Klägerin keinen Sachleistungsanspruch hat. Versicherte haben gemäß § 29 Abs.1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 19.12.1998 (BGBl I S.38 53) Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung im medizinischen Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Der Sachleistungsanspruch des § 29 Abs.1 (s. Höfler, KassKomm Rdz.8 zu § 29 SGB V) scheitert im Fall der Klägerin an § 28 Abs.2 Satz 6 SGB V. Danach gehören kieferorthopädische Behandlungen von Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht zur zahnärztlichen Behandlung. Dass die Klägerin zu Beginn der Behandlung im Juli 2001 das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist unbestritten. Es handelt sich bei der im Juli 2001 begonnenen Behandlung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um die Fortsetzung der Behandlung aus den Jahren 1994 bis 1997. Die Klägerin hat selbst angegeben, dass diese Behandlung abgeschlossen war. Dass sich der Kiefer der Klägerin anschließend weiter verändert hat, steht nicht in nachweisbarem Zusammenhang mit der ersten Behandlung. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Sozialgerichts an und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Selbst wenn man einen Sachleistungsanspruch unterstellen könnte, scheitert die Kostenerstattung daran, dass die Klägerin die privatärztliche Behandlung bei Dr.S. bereits am 03.07.2001 begonnen hat. Die Klägerin hat zwar den Antrag mit Schreiben vom 26.06.2001 gestellt, den Behandlungsplan jedoch erst am 31.08.2001 vorgelegt. Die Beklagte hat dann in durchaus kurzer Frist, nämlich am 11.09.2001, die Leistung abgelehnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin, wie sie selbst ausgeführt hat, die Behandlung bereits begonnen. Hinzu kommt, dass sie sich laut Schreiben vom 26.06.2001 fest entschlossen hatte, die kieferorthopädische Behandlung bei Dr.S. durchzuführen. Sie hat damit die Inanspruchnahme der Leistung nicht von einer Entscheidung der Beklagten abhängig gemacht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss jedoch ein Kausalzusammenhang bestehen zwischen der Ablehnung der Leistung durch die Krankenkassen und der Kostenentstehung (s. z.B. BSG, Urteil vom 19.06.2001). Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs.3 SGB V setzt voraus, dass der Versicherte durch die Ablehnung der Krankenkasse veranlasst wird, sich die Behandlung auf eigene Kosten zu beschaffen. Wurde die Behandlung ohne Einschaltung der Kasse begonnen, so scheidet eine Erstattung auch für nachfolgende Leistungen aus, wenn sich die Ablehnung auf den weiteren Behandlungsverlauf nicht mehr auswirken konnte.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Klägerin.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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