L 14 RJ 432/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 1509/98 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RJ 432/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20. März 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1960 geborene Klägerin, eine Serbin, hat in ihrer Heimat keine Versicherungszeiten zurückgelegt. In der Bundesrepublik Deutschland ist sie zwischen August 1977 und November 1989 überwiegend als ungelernte Fabrikarbeiterin erwerbstätig gewesen und hat hierfür 89 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet.

Am 18.04.1996 beantragte die Klägerin über den zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Das dem Rentenantrag beigegebene Gutachten der Invalidenkommission in B. vom 23.08.1996 stellte keine berentungsrelevante Erkrankung fest und verneinte Invalidität. In der epikritischen Zusammenfassung war auf eine zweimonatige Behandlung im Institut für mentale Gesundheit, B. , vom 26.11.1992 bis 01.02.1993 hingewiesen mit anschließender ambulanter Behandlung mit Psychopharmaka. Derzeit zeige die Klägerin keine akuten Anzeichen für eine Psychose. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 29.11.1996 ab.

Mit dem Widerspruch legte die Klägerin ärztliche Unterlagen vom Dezember 1996/Januar 1997 vor, wonach sie an einer dauerhaften Persönlichkeitsstörung leide. Nach erneuter Untersuchung durch die Invalidenkommission in B. vom 27.05.1997 ließ die Beklagte die Klägerin vom 15. bis 17.06.1998 in der Gutachterstelle Regensburg untersuchen. Nach dem Untersuchungsergebnis des Psychiaters Dr.A. , der wegen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis die Leistungsfähigkeit als aufgehoben ansah, ging die Beklagte vom Eintritt der Erwerbsunfähigkeit seit Rentenantrag aus, zumal eine wesentliche Besserung des Zustandes in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Für die endgültige Entscheidung hat die Beklagte zudem vom jugoslawischen Rententräger die medizinischen Unterlagen angefordert, die zu dessen Entscheidung über die Berentung erheblich waren, darunter auch die Therapieaufzeichnung über die Nachsorge im Jahre 1993 (bis Februar 1994) nach dem ersten Klinikaufenthalt, wonach sich die Klägerin unter medikamentöser Behandlung gut fühlte.

Gleichwohl wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.1998 zurück, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Berentung nicht erfüllt seien.

Mit der Klage verfolgte die Klägerin ihr Rentenbegehren weiter. Das Sozialgericht versuchte bei den damals in der Bundesrepublik behandelnden Ärzten, Dr.K. (Psychiater) und Dr.D. , zu ermitteln, konnte aber lediglich den vom Januar 1978 bis Februar 1986 betreuenden Allgemeinarzt Dr.D. , E. , eruieren. Während Dr.K. mitgeteilt hatte, über keinerlei Unterlagen der Klägerin zu verfügen, führte Dr.D. im Befundbericht vom 12.03.1999 aus, im damaligen Zeitraum über keinerlei Dauerleiden berichten zu können. Von der Psychiatrischen Anstalt in B. ermittelte das Sozialgericht, dass die Klägerin vom 26.11. bis 01.02.1993 und wieder vom 25.12.1996 bis 31.01.1997 in stationärer Behandlung gewesen sei und seither die Invalidenkommission Leistungsunfähigkeit festgestellt habe.- 1999 unter endgültiger Vormundschaft zu stehen.

Mit Urteil vom 20.03.2002 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es lediglich aus, dass nach dem vorliegenden Versicherungsverlauf sich ein Rentenanspruch nur begründen ließe, wenn vor August 1989 der Leistungsfall eingetreten wäre. Hiervon könne die Kammer aber nicht ausgehen, weil Anhaltspunkte für schwerwiegende Gesundheitsstörungen - Beginn der psychiatrischen Behandlung im November 1992 - nicht ersichtlich seien.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung rügt die Klägerin, das Sozialgericht habe das Ausmaß der Erkrankung unberücksichtigt gelassen, wie die durchgeführte Vormundschaft beweise. Zum Beweis dafür, dass sie bereits seit 1977 in Behandlung stehe, legte sie den aktenbekannten Entlassungsschein des Instituts für mentale Gesundheit, B. , vom Februar 1993 vor, der in der Anamnese festhält: Erste stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Klinik; ärztliche Behandlung seit 1977. Beigegeben hatte die Klägerin ferner in Kopie einen Arztbrief des Psychiaters Dr.K. vom 26.09.1980, in dem von antidepressiver Behandlung im Rahmen einer depressiven Phase berichtet war.

Der Senat ließ sich die Bestallung für den Vormund Frau D. M. vorlegen und gab den Hinweis, dass das Sozialgericht zu Recht wegen der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einen Rentenanspruch verneint habe, zumal für den Eintritt des Versicherungsfalles vor 1996 keine begründenden ärztlichen Unterlagen vorhanden seien. Bei dieser Rechtslage komme es bei aller Tragik der Erkrankung auf den derzeitigen Gesundheitszustand nicht an. Trotz dieser Hinweise übersandte die Klägerin einen weiteren Bericht des Instituts für mentale Gesundheit, B. , über die stationäre Behandlung vom 03.06. bis 04.07.2003.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20.03.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 29.11.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.08.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antrag zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Rentenakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Wegen der Einzelheiten, insbesondere hinsichtlich des Vortrags der Klägerin, wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber unbegründet. Zu Recht haben die Beklagte und das Sozialgericht im Ergebnis einen Rentenanspruch der Klägerin verneint.

Anspruchsgrundlage für eine Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind bei einem vorliegenden Rentenanspruch im April 1996 die gesetzlichen Bestimmungen des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in den bis zum 31.12.2000 geltenden Fassungen. Danach sind berufsunfähig bzw. erwerbsunfähig die Versicherten, die vor Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, berufs- oder erwerbsunfähig sind und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufs-/Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (§§ 43 Abs.1, 44 Abs.1 SGB VI).

Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderung ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können ... Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.2 SGB VI).

Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt ... Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2 SGB VI).

Diese aufgezeigten Voraussetzungen müssen für einen Rentenanspruch kumulativ, also alle zusammen erfüllt sein. Fehlt schon eine dieser Voraussetzungen, kann ein Rentenanspruch nicht durchgesetzt werden.

Zwar erfüllt die Klägerin die Mindestanforderungen einer Berentung, da sie jedenfalls mehr als 60 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen zurückgelegt hat. Wie die Beklagte und das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend entschieden haben, fehlt es für einen Rentenanspruch der Klägerin aber an der Erfüllung der so- genannten besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz hat der deutsche Rentengesetzgeber die Gewährung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab 01.01.1984 verschärft. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass gesundheitlich bedingte Renten nur mehr gewährt werden dürfen, wenn der Versicherte zeitnah aus dem Erwerbsleben wegen Krankheit oder anderen Gebrechen ausscheidet. Insoweit hat der Gesetzgeber einen zeitlichen Rahmen vorgegeben, als derartige Rentenleistungen nur mehr diejenige Versicherte erhalten darf, die innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt des Leistungsfalles (also des Versicherungsfalles der verminderten Erwerbsfähigkeit) mindestens drei Jahre lang versicherungspflichtig gearbeitet hat und somit mindestens 36 Monate lang Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung entrichtet hat. Diese Gesetzesänderung ist vom höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, für verfassungskonform erklärt worden mit der Maßgabe, dass ab 01.01.1984 die Rentenanwartschaft auch mit freiwilligen Beiträgen ohne jede Unterbrechung aufrecht erhalten werden kann. Diese gesetzlichen Anforderungen gelten für jeden Versicherten, gleich ob es sich um einen deutschen Staatsangehörigen handelt oder um einen Ausländer, der in der Bundesrepublik Deutschland Rentenversicherungszeiten zurückgelegt hat. Kommt es nicht zu dem vom deutschen Rentengesetzgeber verlangten zeitnahen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zwischen Beendigung der Beitragszahlung und dem Eintritt des Versicherungsfalles, ist es auch unerheblich, welchen Grad die Erkrankung erreicht bzw. später erreicht hat.

Für die Klägerin ist der letzte Pflichtbeitrag zur deutschen Rentenversicherung im November 1989 entrichtet. Aus ihrem Versicherungsverlauf ist ersichtlich, dass zurückgerechnet bis zum Mai 1986 lediglich 16 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen auf ihrem Beitragskonto gespeichert sind. Da sich hieran jahrelang Zeiten der Arbeitslosigkeit bis Januar 1984 anschließen, fehlen selbst vom Zeitpunkt der Entrichtung des letzen Versicherungsbeitrages die erforderlichen 36 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen im Fünf-Jahres-Zeitraum. Dies gilt erst recht bei dem vom jugoslawischen Rentenversicherungsträger wie von der Beklagten erst im Jahre 1996 festgestellten Eintritt des Leistungsfalles. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Möglichkeit der Erhaltung der Rentenanwartschaft durch Entrichtung freiwilliger Beiträge ist für die Klägerin wenig hilfreich, da insoweit eine rechtzeitige lückenlose Belegung für jeden Monat ab 01.01.1984 verlangt wird und die Lücke bei einer Rentenantragstellung im Jahre 1996 nicht mehr rechtlich zulässig geschlossen werden kann. Zudem fehlt jeder Anhalt für sonstige Anwartschaftserhaltungszeiten.

Darüber hinaus ist bei der Klägerin der Versicherungs- bzw. Leistungsfall nicht früher als im Jahre des Rentenantrages, also 1996, eingetreten. Dies ergibt sich nach der Überzeugung des Senats schlüssig aus den Feststellungen der Invalidenkommission in B. , die selbst noch im August 1996 keinerlei rentenrechtlich relevante Erkrankung feststellen konnte und ein Absinken des Leistungsvermögens in jeder Hinsicht verneinte. Selbst der erste stationäre Aufenthalt im Institut für mentale Gesundheit in B. im Zeitraum von November 1992 bis Februar 1993 hat nur zu einer vorübergehenden Zeit der Arbeitsunfähigkeit geführt, wie die aktenkundige Therapieaufzeichnung des Jahres 1993, die bis zum Februar 1994 fortgeschrieben ist, beweist. Denn hiernach hat die nach Entlassung durchgeführte ambulante und medikamentöse Behandlung bewirkt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin wieder stabilisierte und sie sich nach eigenen Angaben gut fühlte. Der Argumentation der Klägerseite, bereits im Jahre 1977 sei eine berentungsfähige Erkrankung erreicht worden, kann keinesfalls gefolgt werden. Dem widerspricht schon der vorliegende Versicherungsverlauf, wonach erst in der Zeit ab August 1977 überhaupt Beitragsentrichtungen einsetzen und bis Dezember 1983 der überwiegende Teil des mit Beiträgen belegten Erwerbslebens erreicht wird. Doch auch medizinisch fehlt jeglicher Anhalt. In sorgfältigen Ermittlungsschritten hatte das Sozialgericht versucht, die behandelnden Ärzte der Klägerin in der Zeit ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik zu erreichen. Der damals sporadisch konsultierte Psy- chiater Dr.K. verfügte über keinerlei Behandlungsunterlagen mehr. Aus seinem an den behandelnden "Hausarzt", Dr.D. , gerichteten Arztbericht vom August 1980 ist lediglich zu ersehen, dass eine antidepressive Behandlung eingeleitet wurde. Damit kommt zum Ausdruck, dass nicht einmal eine Krankschreibung im Sinne einer zeitlich vorübergehenden Unfähigkeit zur Berufsausübung in Erwägung gezogen wurde. Dies beweist um so mehr auch der sorgfältige Befundbericht des die Klägerin im Zeitraum von Januar 1978 bis Februar 1986 durchgehend behandelnden und betreuenden Allgemeinarztes Dr.D ... Dieser berichtete nachvollziehbar, dass im gesamten Zeitraum lediglich Behandlungen wegen akuter Erkältungsinfekte oder Betriebsunfällen anfielen, jedoch kein Dauerleiden zu heilen war, geschweige denn irgendeine wie auch immer geartete psychische Erkrankung. Erst mit dem zweiten stationären Aufenthalt in B. ab Dezember 1996 hat die psychische Erkrankung ein Ausmaß erreicht, das kein Leistungsvermögen mehr zuließ und nachfolgend sogar Vormundschaft auslöste. Dabei ist für den Senat nicht zu beanstanden, dass die Beklagte unsorgfältig bereits mit Rentenantrag den Eintritt des Versicherungsfalles annahm, während er nach den medizinischen Unterlagen nachweislich erst im Dezember 1996 eingetreten ist. Entscheidend aber ist, dass nachweislich jeglicher Anhalt für ein Krankheitsbild in der Zeit vor 1996 fehlt, so dass das Rentenbegehren der Klägerin an den rechtlichen Voraussetzungen scheitern muss.

Besteht für die Klägerin jedoch kein Rentenanspruch, verbleibt ihr, wie einem deutschen Versicherten bei gleichem Versicherungsverlauf, nur die Möglichkeit, die Regelaltersrente einer 65-jährigen Versicherten abzuwarten.

Nach all dem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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