L 13 RA 29/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 RA 1257/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 29/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 269/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. Dezember 2002 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Seit 01.12.1996 bezieht die 1949 geborene Klägerin aufgrund eines Anerkenntnisses vom April 2002 Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Dauer.

Dieses Teilanerkenntnis erfolgte im Verlaufe des Rechtsstreites S 17 RA 1257/98 beim Sozialgericht München (SG). Dort war die Klägerin seit 23.10.2001 durch ihren jetzigen Bevollmächtigten vertreten.

Durch Urteil vom 05.12.2002 hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 16.04.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.1997 sowie i. d. F. des Teilanerkenntnisses vom 05.12. 2002 abgewiesen. Der Klägerin stehe über die gewährte Rente wegen Berufsunfähigkeit hinaus keine Leistung wegen Erwerbsunfähigkeit zu. Das Urteil ist am 23.12.2002 an den Bevollmächtigten der Klägerin mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 03.02.2003, eingegangen per Fax am gleichen Tag beim SG, hat die Klägerin selbst Berufung eingelegt und dabei das Urteil vom 05.12.2002 unter dem Aktenzeichen S 17 RA 1257/98 als Gegenstand des Rechtsmittels bezeichnet. Dieses lege sie vorsorglich selbst ein, da ihr Anwalt zur Zeit nicht erreichbar sei.

Am 05.12.2002 hat das SG ein weiteres Urteil unter dem Aktenzeichen S 17 RA 313/99 wegen Vormerkung von Zeiten durch den Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme bei der BfA über Zeiten vom September 1982 bis August 1985, in denen die Klägerin als Lehrerin für Studienzwecke freigestellt war, erlassen. In jener Sache war die Klägerin nicht vertreten gewesen und hatte selbst an der mündlichen Verhandlung teilgenommen. Das Urteil ist ihr persönlich am 03.01.2003 durch Niederlegung zugestellt worden. Hiergegen hat die Klägerin selbst mittels Telefax zum 03.02.2003 beim SG München Berufung (Aktenzeichen L 13 RA 30/03) eingelegt und eine Begründung durch ihren Rechtsanwalt angekündigt. Im Klageschriftsatz ist als Aktenzeichen "S 17 RA 33/99" und als Zustellungsdatum "03.01.2003" bezeichnet.

Nach Anhörung zur Verfristung mit Schreiben des LSG vom 12.02. 2003 hat das LSG am 30.06.2003 der Klägerin mitgeteilt, dass demnächst beabsichtigt sei, ihre Berufung unter dem Aktenzeichen L 13 RA 29/03 mittels Gerichtsbeschluss zu verwerfen. Am 11.07.2003 hat die Klägerin geantwortet, bereits am 24.02.2003 an ihren Anwalt eine Stellungnahme abgegeben zu haben, worin sie diesem geschildert habe, aus einer Reihe kurz vorher vorausgegangener Begebenheiten (Streitigmachung eines bestehenden Wegerechts, Restitution) eine Retraumatisierung erfahren zu haben und aus diesem Grund nicht handlungsfähig gewesen zu sein. Wegen damit einhergehender schwerer Depressionen sei sie auch nicht fähig gewesen sei, mit ihrem Anwalt in Kontakt zu treten.

Zwischenzeitlich ist unter dem Aktenzeichen L 13 RA 30/03 am 28.04.2003 ein Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten eingegangen, in dem dieser beantragt, das Urteil des SG München vom 05.12.2002 aufzuheben und der Klägerin die gesetzlichen Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem frühesten Zeitpunkt zu gewähren und insbesondere dabei die Studienzeit vom 01.09.1982 bis 31.08.1985 als Pflichtbeitragszeit und als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem anzuerkennen. Am 08.07.2003 hat der Bevollmächtigte der Klägerin förmlich Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und sein Befremden darüber zum Ausdruck gebracht, dass das Schreiben des Gerichts vom 30.06.2003 an die Mandantin und nicht an ihn, an den das Urteil zugestellt worden sei, gerichtet gewesen sei. Das Urteil habe er auch an die Klägerin weitergereicht, jedoch selbst keine Berufung eingelegt, da er der Meinung gewesen sei, dass diese nicht erfolgversprechend sei. Die Klägerin sei auch von ihm nicht auf die Frist zur Einlegung der Berufung hingewiesen worden.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin vorgetragen, während der offenen Berufungsfrist bettlägrig gewesen zu sein und nie ihre Wohnung verlasssen zu haben. Schriftverkehr sei von ihrem Ehemann erledigt worden.

Die Klägerin stellt den Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils vom 05.12.2002 sowie des Bescheides vom 16.04.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.1997 sowie unter Abänderung des Teilvergleichs vom 05.12.2002 zu verurteilen, ihr die gesetzlichen Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem frühest möglichen Zeitpunkt zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat mit Schriftsatz vom 01.08.2003 angeführt, dass Wiedereinsetzungsgründe nicht vorlägen. Ein Zustand der Krankheit rechtfertige die Wiedereinsetzung nur, wenn der Erkrankte willens- und handlungsunfähig und daher außer Stande gewesen sei, die zur Wahrnehmung der Klage notwendigen Handlungen selbst vorzunehmen oder andere mit ihr zu beauftragen. Es lägen keine Befunde vor, welche eine Willens- oder Handlungsunfähigkeit der Klägerin zu Anfang des Jahres 2003 bestätigen könnten.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen, der Beklagten, der Bundesanstalt für Arbeit sowie des Amtes für Versorgung und Familienförderung München I Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist verspätet und damit unzulässig. Gründe für die Wiedereinsetzung liegen nicht vor.

Nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist nach § 151 Abs. 2 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht, das das Urteil erlassen hat, eingelegt wird.

Die Einhaltung der Berufungsfrist ist von Amts wegen zu prüfen, sie ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Berufung (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 7. Aufl. § 151, Rdnr. 1).

Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf der Berufungsfrist mit dem Tag nach der Zustellung des Urteils. Eine Ausfertigung des vollständigen Urteils des Sozialgerichts vom 05.12.2002 ist dem Bevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 23.12. 2002 übergeben worden. Die Zustellung erfolgte hier bereits nach § 63 Abs. 2 SGG in der ab 01.07.2002 geltenden Fassung entsprechend den Vorschriften der ZPO (Zustellungsreformgesetz vom 25.06.2001). Auch danach ist eine Bekanntgabe mittels Empfangsbekenntnis zulässig (§ 212 a ZPO), ebenso wie die Zustellung an den Bevollmächtigten selbst zu bewirken war (§ 176 ZPO).

Ein Fehler in der Rechtsmittelbelehrung ist nicht zu erkennen.

Die Berufungsschrift ist am 03.02.2003, einem Montag, beim SG eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits verspätet. Gemäß §§ 151, 64 Abs. 1 und 2 SGG endete die Berufungsfrist am 23.01.2003, einem Donnerstag.

Die Berufungsfrist kann auch nicht verlängert oder verkürzt werden. Sie ist eine gesetzliche Fristenregelung, die aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu den Rechtsmaterien gehört, die eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes nicht zulassen.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 SGG kommt nach dem gegebenen Sachverhalt nicht in Betracht. So ist nach dieser Vorschrift Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, oder wenn zwar Verschulden vorliegt, ihm dieses aber nicht zugerechnet werden kann.

Vorliegend hat der Bevollmächtigte vorgetragen, die Klägerin sei aus seelischen Gründen handlungsunfähig gewesen. Sie sei die ganze Zeit über bettlägerig gewesen und habe ihre Wohnung nicht verlassen. Den Schriftverkehr in dieser Zeit mit dem Versorgungsamt habe ihr Mann geführt.

Damit hat es die Klägerin für den Senat nicht glaubhaft machen können, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Zwar kann in der Berufungseinlegung selbst der Antrag auf Wiedereinsetzung und damit die Einhaltung der Frist (§ 67 Abs. 2 Satz 1 SGG) gesehen werden. Zudem können auch die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen ihrer Erkrankung und Bettlägerigkeit als glaubhaft i. S. des §§ 67 Abs. 2 Satz 2 SGG angenommen werden. Dennoch kann sie damit nicht dartun, alles ihr Mögliche zur Abwendung der Verfristung getan zu haben.

Nach Ansicht des Senats wäre es der Klägerin zumindest möglich gewesen, ihren Ehemann mit der Anfertigung eines einfachen Berufungsschriftsatzes oder der Benachrichtigung ihres Rechtsanwaltes zu beauftragen. Der Senat sieht es nicht als glaubhaft an, dass die Erkrankung so schwer war, dass die Klägerin die angeführten notwendigen Handlungen zur Fristwahrung nicht hätte ausführen können. Das zeigt sich auch daran, dass die Klägerin nach ihrer eigenen Einlassung trotz der beklagten Schwere der Erkrankung erst Wochen später eine Ärztin aufgesucht hat und dass sie mit Hilfe ihres Mannes am 27.12.2002 und am 23.01.2003 zwei Schreiben im Zeitraum der noch offenen Berufungsfrist an das Versorgungsamt richten konnte. Denn beide Schriftsätze waren von der Klägerin mit ihrem vollen Namenszug unterschrieben. Im Schreiben vom 23.01.2003 ist sogar Bezug genommen worden auf eine telefonische Rücksprache mit der Antragstellerin als Reaktion auf das Schreiben vom 27.12.2002. Daraus ergibt sich nicht, dass dieses Gespräch nicht mit der Klägerin selbst geführt worden war. Ebenso ist darin angeführt, dass die Klägerin auch ihre Hausärztin selbst über ihren Entschluss in Kenntnis gesetzt habe. Bei diesem Sachverhalt ist nicht einzusehen, dass die Klägerin nicht auch mit ihrem Bevollmächtigten selbst hätte telefonieren können. Sie konnte nicht glaubhaft machen, dass sie, nachdem ihr das Urteil vom Bevollmächtigten zugesandt worden ist, nicht im Stande gewesen wäre, ein Gespräch mit diesem Bevollmächtigten wegen der Frage der Berufung zu führen bzw. diesen zumindest vorsorglich damit zu beauftragen. Gerade aus den geschilderten Vorgängen heraus ist eine völlige Handlungsunfähigkeit, die nicht einmal ein Telefonat ermöglichen würde, nicht glaubhaft anzunehmen. Weiter spricht gegen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Ausführungen ihr spätes Vorbringen. Noch im Berufungsschriftsatz ist von keiner Fristversäumnis oder einer schweren Erkrankung die Rede. Erst auf den Hinweis des Senats vom 12.02. 2003 hin nahm die Klägerin am 24.02.2003 in nur sehr pauschaler Weise dahingehend Stellung, eine Retraumatisierung erfahren zu haben und aus diesem Grunde handlungsunfähig gewesen zu sein. Schließlich geht aus dem letzten bekannten psychiatrischen Gutachten über die Klägerin durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. mit Untersuchung vom 26.02.2002 kein massiv leistungsbeeinträchtigender Befund hervor. Damals ergaben sich keine Hinweise auf eine krankheitswertige Depression, ein psychotisches Geschehen und ein hirnorganisches Psychosyndrom.

Auch wenn die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht überspannt werden dürfen (BVerfGE 57, 250) kann bei der vorliegenden Sachlage eine Wiedereinsetzung nicht erfolgen.

Damit ist die Berufung verfristet und unzulässig.

Bei der Wertung der Berufung als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsfrist handelt es sich nicht um eine rein formalistische Betrachtungsweise. Denn es sind auch die Interessen der Beklagtenseite zu berücksichtigen, die in dem Wissen um Rechtssicherheit und der Erlangung der Rechtsverbindlichkeit ihrer Entscheidung bestehen. Ebenso gilt der überparteiliche Gesichtspunkt der Wahrung des Rechtsfriedens.

Nach alledem war die Berufung nach § 158 Abs. 1 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.12.2002 ist rechtskräftig, die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind bindend geworden. Eine materiell-rechtliche Überprüfung hinsichtlich der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit kann der Senat nicht vornehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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