L 6 RJ 494/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 1051/00 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 494/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 7. Juni 2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2000 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 1. Juni 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne zeitliche Befristung zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt drei Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 01.01.2001 - auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger, der 1949 geboren und Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien ist, hat dort u.a. vom 08.02.1982 bis 13.05.1998 ohne Unterbrechungen Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt. In der Bundesrepublik Deutschland weist er Pflichtbeitragszeiten vom 03.07.1972 bis 31.10.1980 auf. Bei seinem letzten deutschen Arbeitgeber, der Firma A. AG (Fa. A.) in N. , wo der Kläger ab 07.11.1977 beschäftigt gewesen ist, war er als Zangenpunkter im Karosseriebau (Setzen von Schweißpunkten an verschiedenen Karosserieteilen) eingesetzt. Hierzu hat die Fa. A. der Beklagten mitgeteilt (Schreiben vom 25.04. 2000 und 05.06.2000), diese Tätigkeit sei in die Lohngruppe 7 des für die Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden geltenden Tarifvertrags eingestuft gewesen. Für die Eingruppierung seien besondere Erschwernisse - Akkordarbeit und Schmutzarbeit - mitbestimmend gewesen. Ein ungelernter, branchenfremder Arbeitnehmer mit durchschnittlichen handwerklichen Fähigkeiten benötige etwa sechs Monate Anlernzeit um die fragliche Tätigkeit des Zangenpunkters auszuüben. Welche genauen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten der Kläger gehabt habe, sei nicht mehr feststellbar, auch könne der ehemalige Vorgesetzte nicht mehr befragt werden.

Mit Bescheid vom 10.12.1999 und Widerspruchsbescheid vom 03.07. 2000 lehnte die Beklagte den am 25.03.1998 gestellten Antrag des Klägers auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit ab. Der vollschichtig einsetzbare Versicherte sei als angelernter Arbeiter des oberen Bereichs auf Berufstätigkeiten wie Sortierer, Montierer und einfacher Pförtner verweisbar und damit weder erwerbs- noch berufsunfähig.

Mit der am 04.10.2000 zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Rentenanspruch weiter.

Das SG erhob über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen des Klägers im Wesentlichen Beweis durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten von dem Arzt für Neurologie Dr. P./der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. (Gutachten vom 24.10.2001 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 02.04.2002), und von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Z. (Gutachten vom 24.10.2001 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.03. 2002). Die Sachverständigen kamen zum Ergebnis, dass der Kläger mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig arbeiten könne. Hierauf wies das SG die Klage mit Urteil vom 07.06.2002 ab, wobei es als Anspruchsgrundlagen die §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden neuen Fassung heranzog und den Kläger insbesondere zur Abwendung von teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf dieselben Tätigkeiten verwies, wie sie die Beklagte im Widerspruchsbescheid angeführt hatte.

Am 23.09.2002 ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 27.06.2002 in seiner Heimat zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein.

Der Senat zog die Klageakten des SG, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie den für den Kläger anzuwendenden Tarifvertrag bei und erholte weitere Auskünfte von der Fa. A. (vom 13.11. 2002 und 15.01.2003). Diese teilte mit, die Lohngruppeneinstufung des Klägers sei aufgrund analytischer Arbeitsbewertung erfolgt; eine Ablichtung der damaligen Einstufung könne nicht mehr vorgelegt werden. Auch sonstige Unterlagen, die über die Tätigkeit und Entlohnung des Klägers Auskunft geben könnten, seien nicht mehr vorhanden.

Der Senat holte sodann medizinische Sachverständigengutachten ein von der Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialmedizin Dr. M. (Gutachten vom 19.05.2003) und von dem Internisten Dr. E. (Gutachten vom 02.06.2003 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 02.10.2003 und unter Verwertung eines Zusatzgutachtens des Facharztes für Dermatologie und Allergologie Dr. H. vom 20.05.2003).

Folgende Gesundheitsstörungen wurden beim Kläger hierbei festgestellt:
1. Lichen ruber verrucosus mit Juckreiz.
2. Dyshidrosiformes Handekzem.
3. Arterieller Hypertonus mit hypertensiver Herzerkrankung.
4. Hypercholesterinämie.
5. Rechtsbetonte geringe Varikosis.
6. Reaktive Depression.
7. Somatisierungsstörung.

Der Kläger habe, so Dr. E. zusammenfassend, bis einschließlich April 2002 leichte, zeitweise auch mittelschwere Arbeiten noch vollschichtig verrichten können; hierbei seien Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit (Zeitdruck, Akkordarbeit, Nacht- oder Wechselschichtarbeit) ebenso wenig zumutbar gewesen wie Tätigkeiten mit ständigem Stehen, Tätigkeiten in Nässe oder Kälte sowie grobmanuelle Tätigkeiten. Der Kläger habe viermal täglich Fußwege von mehr als 500 Meter in angemessener Geschwindigkeit (15 Minuten für 500 Meter) zurücklegen können. Er habe sich auch auf einfache Anlerntätigkeiten umstellen können. Seit Mai 2002 könne der Kläger nur noch weniger als drei Stunden täglich arbeiten. Eine Besserung der beruflichen Leistungsfähigkeit innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren sei möglich, aber nicht wahrscheinlich.

Die Beklagte bot hierauf Zahlung befristeter Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.12.2002 bis 30.11.2005 an, weil der Kläger ab Mai 2002 noch mehr als drei Stunden, aber weniger als sechs Stunden täglich arbeiten könne; im Übrigen sei es nicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne.

Der Kläger nahm das Angebot nicht an; sein Gesundheitszustand habe sich seit dem Zeitpunkt des Rentenantrags kaum verändert.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 07.06.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.04.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, weiterhin hilfsweise ab 01.01.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte erklärt, dass das Vergleichsangebot vom 11.08.2003 aufrechterhalten bleibe, und beantragt im Übrigen,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Landshut vom 07.06.2002 ist zulässig und auch teilweise begründet. Der Kläger hat nämlich ab 01.06.2002 Anspruch auf unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung; für die davor liegende Zeit ab März 1998 erweist sich die Berufung jedoch als unbegründet.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, dass dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht, vgl. § 300 Abs.2 SGB VI. Für den Anspruch des Klägers sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit eine nach dem 31.12. 2000 beginnende Rente wegen Erwerbsminderung in Betracht kommt, vgl. § 300 Abs.1 SGB VI.

Nach § 43 Abs.2 Satz 1 SGB VI n.F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Wie sich aus der Legaldefinition des § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI n.F. ergibt, sind Versicherte voll erwerbsgemindert, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Tatbestandsmerkmale werden vom Kläger ab Mai 2000 erfüllt.

Zunächst liegen die in § 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2 und 3 SGB VI n.F. aufgeführten beitragsrechtlichen Voraussetzungen (unstreitig) vor, vgl. hierzu insbesondere auch § 241 Abs.2 SGB VI n.F. Der Kläger ist ab Mai 2002 aber auch voll erwerbsgemindert, § 43 Abs.2 Satz 1 Nr.1 und Satz 2 SGB VI n.F., weil er ab diesem Zeitpunkt auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, noch mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dieses ab Mai 2002 bestehende berufliche Leistungsvermögen ergibt sich aus den Gutachten, die der Senat von dem Internisten Dr. E. und von der Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialmedizin Dr. M. eingeholt hat und denen sich der Senat anschließt.

Beim Kläger liegen folgende wesentliche Gesundheitsstörungen vor:
1. Lichen ruber verrucosus mit Juckreiz.
2. Dyshidrosiformes Handekzem.
3. Arterieller Hypertonus mit hypertensiver Herzerkrankung.
4. Hypercholesterinämie.
5. Rechtsbetonte geringe Varikosis.
6. Reaktive Depression.
7. Somatisierungsstörung.

Wegen des durch den Lichen ruber verrucosus verursachten Juckreizes ist der Kläger ab Mai 2002 nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses eine regelmäßige Tätigkeit von mindestens drei Stunden oder mehr zu erbringen. Diese sozialmedizinische Bewertung resultiert aus den erhobenen Befunden, aus der Art der Therapie und aus den glaubwürdigen Angaben des Klägers. Aus ärztlicher Erfahrung sind Patienten, die unter extrem quälendem Juckreiz leiden, auch zu leichten Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum hin nicht in der Lage. Sie ergreifen jegliche Möglichkeit, von der sie sich eine Linderung des Juckreizes versprechen. Es ist davon auszugehen, dass, solange lediglich eine Kortisontherapie erfolgte, noch eine erträgliche Linderung des Juckreizes hat erreicht werden können. Mit Beginn des Benzodiazepin-Missbrauchs ab Mai 2002 ist von einer erheblichen zeitlichen Einschränkung der Belastbarkeit auszugehen.

Die Auffassung des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten, des Nervenarztes Dr. L. in seiner Stellungnahme vom 06.08. 2003, beim Kläger bestünde noch ein berufliches Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden, die sich nur auf die diesbezüglich unklaren Ausführungen im Gutachten Dr. M. stützt, übersieht, dass die eingehend und überzeugend begründete Äußerung von Dr. E. vorliegt, der Kläger sei auch keine drei Stunden täglich mehr leistungsfähig (nur wegen des Zeitpunkts, ab dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit diese quantitative Leistungseinschränkung vorliegt, ist eine ergänzende Äußerung von Dr. E. erforderlich gewesen). Für die Auffassung von Dr. E. spricht im Übrigen, dass dieser sich hierbei auch auf die Erkenntnisse des Facharztes für Dermatologie und Allergologie Dr. H. beziehen kann, der von einer völligen Leistungsunfähigkeit des Klägers ausgeht.

Auch der Meinung Dr. L. , eine Besserung sei nicht unwahrscheinlich, kann nicht gefolgt werden. Nach § 102 Abs.2 Satz 4 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn "unwahrscheinlich" ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Dieser negativen Formulierung entspricht die positive, dass Renten befristet geleistet werden, wenn "wahrscheinlich" ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, d.h. dass die bloße Möglichkeit einer Besserung nicht genügt (so KassKomm-Niesel, § 102 SGB VI Rdnr.13). Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, dass Unwahrscheinlichkeit der Besserung nur dann gegeben ist, wenn diese aus medizinischer Sicht auszuschließen ist (so Lueg/von Maydell/ Ruland [Hrsg.]: Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung [GK-SGB VI], § 102 SGB VI Rdnr. 39). Diese Ansicht verkennt nämlich, daß der Begriff der Unwahrscheinlichkeit sprachlich immer noch die Möglichkeit eines anderen Verlaufs beinhaltet, während "ausgeschlossen" bedeutet, dass ein solcher anderer Verlauf als unmöglich anzusehen ist (gegen die Gleichsetzung von unwahrscheinlich mit ausgeschlossen auch Zweng/Scherer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II - Sozialgesetzbuch VI, Stand: März 2003, § 102 SGB VI Rndr.17 ff.). Wenn Dr. E. davon spricht, eine Chance liege lediglich darin, dass durch eine entsprechende intensive Therapie und durch eine Therapieänderung möglicherweise eine Besserung des Hautzustandes und des Juckreizes erreicht werden könnte, und dass dies langfristige und intensive Therapieversuche erfordere, dann bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit einer Besserung nicht besteht, allenfalls eine vage Möglichkeit, die aber vom Begriff der Unwahrscheinlichkeit umfasst wird. Der Nervenarzt Dr. L. begründet seine abweichende Auffassung, bezüglich der Hauterkrankung sei durchaus keine völlig ungünstige Prognose zu stellen, nicht näher, insbesondere nicht unter Bezugnahme auf eine hautärztliche Äußerung, während Dr. E. seine Ansicht von der grundsätzlich fehlenden Besserungsaussicht überzeugend auf die fachärztlichen Ausführungen von Dr. H. stützt.

Weil der Anspruch wegen des auf unter drei Stunden abgesunkenen Leistungsvermögens unabhängig von der Arbeitsmarktlage besteht und weil unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, ist die Rente wegen voller Er- werbsminderung ab 01.06.2002 unbefristet zu leisten, vgl. §§ 102 Abs.2 Satz 4, 99 Abs.1 Satz 1 SGB VI.

Für die Zeit vor dem 01.06.2002 hat der Kläger jedoch keinen Rentenanspruch, und zwar weder nach den §§ 43, 44 SGB VI a.F. noch nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F.

Der Kläger hat bis 31.05.2002 keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs.1 SGB VI a.F., weil er ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom 25.03.1998 bis einschließlich 30.04.2002 nicht im Sinn des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig gewesen ist. Nach § 43 Abs.2 SGB VI a.F. sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit haben beim Kläger vor Mai 2002 nicht vorgelegen.

Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist vor Mai 2002 bereits eingeschränkt gewesen. Er hat aber leichte, zeitweise auch mittelschwere Arbeiten noch vollschichtig verrichten können; hierbei sind Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die nerv- liche Belastbarkeit (Zeitdruck, Akkordarbeit, Nacht- oder Wechselschichtarbeit) ebenso wenig zumutbar gewesen wie Tätigkeiten mit ständigem Stehen, Tätigkeiten in Nässe oder Kälte sowie grobmanuelle Tätigkeiten. Er hat sich auch noch auf einfache Anlerntätigkeiten umstellen können. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte haben nicht vorgelegen, weil der Kläger die durchschnittlich erforderlichen Fußwege hat zurücklegen können (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr.10).

Auch bezüglich der Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers für die Zeit vor Mai 2002 schließt sich der Senat den Gutachten der Dres. E. und M. an. Dass bereits vor Mai 2002 das berufliche Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich abgesunken war, ist nicht mit der notwendigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellbar; diese Unmöglichkeit geht nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu lasten des Klägers. Erst mit dem Beginn des Benzodiazepinmissbrauchs ab Mai 2002 steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger nicht mehr vollschichtig (und auch keine drei Stunden täglich) einsetzbar ist.

Nach dem beruflichen Leistungsvermögen ist weiterer Ausgangspunkt für die Feststellung der Berufsunfähigkeit der Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI a.F. Rdnr.21 ff. mit weiteren Nachweisen). Maßgeblicher Hauptberuf ist somit vorliegend der eines Zangenpunkters im Karosseriebau (Setzen von Schweißpunkten an verschiedenen Karosserieteilen). Diesen Beruf hat der Kläger bereits vor Mai 2002 nicht mehr ausüben können, weil es sich nach Auskunft der Fa. A. um Akkordarbeit gehandelt hat.

Obwohl der Kläger seinen maßgeblichen Beruf nicht mehr hat ausüben können, ist er aber dennoch nicht berufsunfähig gewesen. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 § 1246 Nr.138).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI a.F. am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.27 und 33).

Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 Nr.5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar des oberen Bereichs (Ausbildungs- bzw. Anlernzeit von mehr als einem bis zu zwei Jahren, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 Nr.45), zuzuordnen. Dies ergibt sich aus seiner tariflichen Einstufung in die Lohngruppe 7 des Tarifvertrags, die ihrerseits auf der Summe der Teilarbeitswerte im Rahmen einer analytischen Arbeitsbewertung beruht. Zwar stellt die Lohngruppe 7 bei summarischer Arbeitsbewertung die unterste Facharbeiterlohngruppe dar; dies macht den Kläger aber nicht zum Facharbeiter, weil der qualitative Wert des bisherigen Berufs bei der analytischen Arbeitsbewertung nicht derjenigen Arbeitswertzahl entnommen werden kann, die als Endprodukt die Entlohnung bestimmt; vielmehr müssen diejenigen Faktoren unberücksichtigt bleiben, für die nicht die qualitativen Anforderungen des Berufs, sondern andere Gesichtspunkte wie z.B. Erschwernisse infolge der Belastungen durch Staub, Hitze, Dämpfe, Lärm, Erschütterungen und dergleichen maßgebend sind (vgl. BSG-Urteil vom 09.12.1981 - 1 RJ 34/80 = SozR 2200 § 1246 Nr.85 - S.263 -). Da die einzelnen Teilarbeitswerte und die Faktoren, auf denen sie beruht haben, nicht mehr feststellbar sind, und da zudem feststeht, dass jedenfalls Erschwernisse wie Akkord- und Schmutzarbeit in die analytische Arbeitsbewertung eingeflossen sind, muss im Sinn der objektiven Beweislast davon ausgegangen werden, dass die Einstufung in die unterste Facharbeiterlohngruppe auch auf Teilarbeitswerten beruht, die nicht auf der Qualität der Berufstätigkeit beruht haben. Damit kann der Kläger - jedenfalls unter Berücksichtigung der Beweislast - nicht als Facharbeiter angesehen werden. Der Kläger ist jedoch angelernter Arbeiter des oberen Bereichs, weil er eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, die tarifvertraglich nach der erforderlichen Anlernzeit von sechs Monaten dem oberen Bereich der angelernten Berufe zuzurechnen ist.

Als angelerntem Arbeiter des oberen Bereichs ist dem Kläger die bereits von der Beklagten und vom SG vorgenommene Verweisung auf die Berufstätigkeit eines einfachen Pförtners zumutbar. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfen "obere Angelernte" zwar nicht schlechthin auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. Soweit ungelernte Tätigkeiten in Betracht gezogen werden, müssen sich diese durch Qualitätsmerkmale auszeichnen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 N. 45). Bei der Berufstätigkeit des einfachen Pförtners ist diesbezüglich zu berücksichtigen, dass sich diese schon im Hinblick auf die ihr innewohnende Kontrollfunktion typischerweise aus dem Kreis einfachster ungelernter Tätigkeiten heraushebt (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 05.04.2001 - B 13 RJ 61/00 R). Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Kläger dieser körperlich und geistig-seelisch durchaus einfachen Berufstätigkeit vor Mai 2002 nicht gewachsen gewesen wäre. Ob dem Kläger ein entsprechender Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich hätte vermittelt werden können, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs.2 Satz 4 SGB VI a.F., dass nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und dass hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr.8).

Der Kläger, der vor Juni 2002 keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gehabt hat, hatte erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs.1 SGB VI a.F., weil er die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift nicht erfüllt hat. Nach § 44 Abs.2 Satz 2 Nr.2 SGB VI a.F. waren nämlich solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie der Kläger - (irgend)eine Berufstätigkeit noch haben vollschichtig ausüben können; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Auch nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F. hat der Kläger vor Juni 2002 keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung gehabt, da hiernach - wie nach dem bis 31.12.2000 geltenden Recht - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen gewesen ist, wenn ein Versicherter - wie der Kläger - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen hat vollschichtig ausüben können.

Auf die Berufung des Klägers waren somit das Urteil des SG Landshut vom 07.06.2002 und der Bescheid der Beklagten vom 10.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2000 abzuändern; die Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger ab 01.06.2002 unbefristet Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen, im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Kläger 2014 sein 65. Lebensjahr erreicht, den Rentenantrag 1998 gestellt hat und der Anspruch ab 2002 besteht, dass der Kläger also nur zu rund einem Viertel der insgesamt möglichen Laufzeit der Erwerbsunfähigkeits- bzw. Erwerbsminderungsrente unterlegen ist.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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