L 3 U 21/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 557/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 21/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.12.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 04.05.1993 Verletztenrente zu gewähren hat.

Der 1963 geb. Kläger war bei der Fa.N. als Techniker beschäftigt. Am 04.05.1993 knickte er mit dem linken Sprunggelenk um, als er einen Printer transportierte und über einen Karton stolperte. Am 14.05.1993 begab er sich zu dem Orthopäden Dr.L. in Behandlung. Dieser stellte eine Distorsion des linken Sprunggelenks fest und verwies ihn an den Orthopäden Dr.A. weiter. Hierzu sah er sich veranlasst, um eine auf der von ihm gefertigten Röntgenaufnahme entdeckte Knochenschuppe abzuklären. Nach eingehender Röntgenuntersuchung kam Dr.A. (Bericht vom 18.05.1993) zum Ergebnis, es handle sich nicht um eine Flake fractur sondern eher um eine ältere knöcherne Bandausrissverletzung. Am 03.06.1993 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Im Januar 1994 stellten sich erneut Beschwerden im Sprunggelenksbereich ein, die zu Behandlungen bei dem Orthopäden Dr.R. und dem Neurologen Dr.M. am 25.03.1994 führten. Der Kläger meldete dies der Beklagten, die ihn in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M. zur Behandlung einwies. Bei einer Arthroskopie am 03.08.1994 stellte Prof. Dr.B. eine Instabilität des linken Sprunggelenks fest, die er auf das Ereignis vom 04.05.1993 zurückführte. Er nahm am 21.09.1994 eine Bandplastik vor. Nach mehrfachen weiteren ambulanten Behandlungen wurde am 09.08.1995 ein Narbenneurom entfernt; ab 29.10.1995 war der Kläger wieder arbeitsfähig. In seinem Gutachten vom 05.10.1995 hielt Prof.Dr.B. unter Einschluss der Unfallfolgen auf nervenärztlichem Gebiet eine Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vH für angemessen. Bereits in seinem Bericht vom 16.12.1994 hatte er den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Instabilität des linken oberen Sprunggelenks und dem Unfall bejaht. Mit Bescheid vom 20.12.1995 erkannte die Beklagte als Folge des Arbeitsunfalls eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Fußgelenks mit der Folge einer verminderten Belastbarkeit des linken Beines an, versagte jedoch eine Rentenleistung, weil eine MdE um wenigstens 20 vH nicht zurückgeblieben sei. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestätigte sie bis zum 29.10.1995. Auf den Widerspruch des Klägers holte die Beklagte ein Gutachten des Chirurgen Dr.G. ein, nachdem am 19.04.1996 in Murnau erneut eine Narbenrevision durchgeführt worden war. Dr.G. schloss sich am 28.06.1996 der Auffassung von Prof.Dr.B. an. Er fügte noch hinzu, unfallfremd bestehe ein erheblicher Senk-Spreiz-Fuß beidseits, der die Belastbarkeit beider Vorfüße zusätzlich beeinträchtige. Den Widerspruch wies die Beklagte am 30.07.1996 zurück.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben und Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 vH begehrt. Das SG hat Dr.L. , chirurgische Abteilung des Städtischen Krankenhauses M. , zum Sachverständigen ernannt. Am 13.11.1997 hat Dr.L. den Unfallfolgezustand mit einer MdE um höchstens 10 vH bewertet. Auf den Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz ) hat das SG den Chirurgen Dr.H. und die Neurologin Dr. A. mit der Erstattung von Gutachten beauftragt. Dr.H. hat am 13.03.2000 ausgeführt, es handle sich um eine komplexe Außenbandverletzung mit "eventuellen Nervenläsionen"; eine MdE um 20 vH sei zutreffend. Die Neurologin Dr. A. hat am 11.06.2001 die Meinung vertreten, unter Einbezug einer neuralgischen Komponente mit Schmerzsyndrom betrage die MdE ab 19.04.1996 20 vH. Die Beklagte ist dieser Beurteilung entgegengetreten; sie hat sich auf eine Stellungnahme des Chirurgen Dr.G. vom 03.04.2000 und des Neurologen Dr.D. vom 08.11.2001 bezogen. Letzterer hat eine Nervenverletzung im Grade der Wahrscheinlichleit nicht für nachweisbar gehalten. Dies ergebe sich aus den zeitnah zum Unfall, zuletzt von Dr.M. am 26.03.1994 erhobenen neurologischen Befunden. Lediglich die nach der Außenbandplastik aufgetretenen neuralgischen Beschwerden seien mit der Unfallverletzung in Einklang zu bringen. Hierfür sei eine Einzel-MdE von 10 vH anzunehmen. Ausgehend von einer MdE um 10 vH auf chirurgischem Gebiet rechtfertige dies keine höhere Gesamt-MdE als um 15 vH. Nach Anhörung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 16.12.2002 die Klage abgewiesen. Es hat die Gutachten von Dr.H. und Dr. A. nicht für überzeugend und die MdE, wie von Dr.L. in Verbindung mit der Stellungnahme von Dr.D. gesehen, mit weniger als 20 vH für befundangemessen gehalten.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, es habe sich inzwischen eine Arthrose entwickelt, wie dem Gutachten des Dr.H. zu entnehmen sei; damit habe sich der Zustand im Verlauf der ersten Instanz verschlechtert. Der Senat hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen beigezogen und den Orthopäden Dr.F. zum Sachverständigen ernannt. In seinem Gutachten vom 23.04.2003 hat Dr.F. ausgeführt, selbst unter Einbezug der im Gutachten des Dr.D. vom 08.11.2001 beschriebenen neurologischen Störungen lasse sich eine höhere MdE als um 15 vH nicht begründen. Maßgeblich seien allein die funktionellen Einbußen, welche auch nach der Befundbeschreibung von Dr.H. nicht gravierend und weitaus besser als bei einer kompletten Versteifung des linken oberen Sprunggelenks seien. Letztere Gesundheitsstörung würde erst eine MdE von 20 vH rechtfertigen. Ein Fortschreiten der Arthrose sei nicht erkennbar und könne ohne entsprechende Leistungseinbuße zu keiner höheren MdE führen.

Auf den Antrag des Klägers, es solle ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG durch den Orthopäden Dr.L. eingeholt werden, hat der Senat darauf hingewiesen, dass das Recht aus § 109 SGG verbraucht sei. Der Kläger hat hierauf am 02.07.2003 vortragen lassen, er wiederhole seinen Antrag nach § 109 SGG, zumal in zweiter Instanz ein Gutachten von Dr.F. eingeholt worden sei, der meine, der Unfallfolgezustand habe sich im Laufe der ersten Instanz nicht verschlechtert. Mit dem Beweisthema "Verschlechterung des Unfallfolgezustandes" werde ein Gutachten nach § 109 SGG beantragt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 16.12.2002 und unter Abänderung des Bescheids vom 20.12.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.1996 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen seines Unfalls vom 04.05.1993 Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 16.12.2002 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 16.12.2002 ist zulässig (§§ 105, 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Zutreffend hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Verletztenrente gem. der hier nach §§ 212, 214 Abs.1 und 3 des 7. Sozialgesetzbuchs (SGB VII) noch anzuwendenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), insbesondere nach §§ 548, 580, 581 RVO, hat. Denn seine Erwerbsfähigkeit wird durch Folgen des Arbeitsunfalls vom 04.05.1993 nicht in rentenberechtigendem Ausmaß gemindert. Als Unfallfolge hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 20.12.1995 einen Zustand nach Versorgung des linken oberen Sprunggelenks mit einer Bandplastik und eine damit verbundene endgradige Bewegungseinschränkung des linken Fußgelenks mit der Folge einer verminderten Belastbarkeit des linken Beines anerkannt. Weitere Gesundheitsstörungen wie ein Tarsaltunnelsyndrom sind nicht nachzuweisen bzw. bedingen keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß. Dies entnimmt der Senat den Gutachten des Prof.Dr.B. vom 05.10.1995 und des Neurologen Dr.D. vom 08.11.2001, die er im Urkundenbeweis verwerten kann, sowie den Gutachten von Dr.L. vom 13.11.1997 und Dr.F. vom 23.04.2003 im sozialgerichtlichen Verfahren. Dass ein Tarsaltunnelsyndrom nicht zu verifizieren ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen; insoweit besteht Einigkeit der Gutachter. Auch die vom Kläger benannte Sachverständige Dr. A. konnte diese Diagnose nicht bestätigen.

Entgegen der Meinung des Klägers ist es im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens zu keiner Befundverschlechterung gekommen, die eine derartige Bedeutung angenommen hätte, dass die unfallbedingte MdE mindestens 20 vH betragen würde. Diese Frage sieht der Senat hinreichend durch das Gutachten von Dr.F. geklärt. Zutreffend hat der Sachverständige darauf abgestellt, dass die MdE-Beurteilung in erster Linie auf funktionelle Ausfälle abzustellen hat und nicht auf röntgenologisch erkennbare Abweichungen vom Normalbefund oder sogar auf erst in der Zukunft zu erwartende Veränderungen, wie dies Dr.H. getan hat. Beim Vergleich der Funktionsdaten, wie sie von Dr.L. und von Dr.H. dokumentiert sind, zeigt sich eine weitgehende Übereinstimmung. Daraus folgt, dass es in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren zu keinen Änderungen gekommen ist. Eine Erklärung, worin die Befundverschlechterung bestehen solle, bleibt der Kläger schuldig. Der Senat sah sich, nachdem weder Dr.H. noch Dr.F. eine gravierende Veränderung feststellen konnten, nicht veranlaßt, dem Antrag des Klägers zu entsprechen, ein weiteres Gutachten auf orthopädischem Gebiet durch Dr.L. einzuholen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG ist dann veranlaßt, wenn sich neue Gesichtspunkte ergeben haben, die dem nach § 109 SGG bereits gehörten Gutachter nicht zur Verfügung gestanden haben (BSG SoZ R § 109 SGG Nr.14). Derartige Gründe trägt der Kläger nicht vor; entsprechende Gründe kann der Senat auch nicht erkennen. Damit kann der Senat seiner Entscheidung die von den Sachverständigen Dres.L. und F. getroffenen Feststellungen zugrunde legen. Von wesentlicher Bedeutung für die MdE-Bewertung ist die Tatsache, dass der Unfallfolgezustand beim Kläger zumindest derzeit wesentlich besser ist als bei einer kompletten Versteifung des linken oberen Sprunggelenks. Erst eine solche Beeinträchtigung wäre nach den in der Rentenliteratur maßgeblichen Gesichtspunkten mit einer MdE um 20 vH zu bewerten (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit; 7.Aufl. S.746). Dies gilt auch unter Einbezug der neuralgischen Beschwerden, wie sie von Dr. A. beschrieben werden, denn diese verursachen keine über die auf orthopädischem Gebiet dokumentierten Beeinträchtigungen im Gebrauch des linken unfallverletzten Beines. Der Senat kommt daher zum Ergebnis, dass eine rentenberechtigende MdE durch den Unfallfolgezustand derzeit nicht erreicht wird. Ein Rentenanspruch des Klägers ist nicht zu begründen. Seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 16.12.2002 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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