L 7 P 42/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 99/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 42/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.06.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob für die Klägerin vom ambulanten Pflegedienst eine Pflegedokumentation zu führen ist.

Die 1958 geborene Klägerin, die an einer spinalen progredienten Muskelatrophie leidet, bezieht von der Beklagten Leistungen der Pflegestufe III.

Am 13.10.1999 beantragte sie die Befreiung von der Führung einer Pflegedokumentation. Das "Zentrum für selbstbestimmtes Leben" habe sie zum Führen einer Pflegedokumentation aufgefordert, da dies generell vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) gefordert werde. Das Zentrum habe aus eigener Veranlassung keine Möglichkeit gesehen, sie vom Führen einer Pflegedokumentation auszunehmen. Sie sei weder bereit noch verpflichtet, diese zu führen. Zur Begründung sei im wesentlichen zu sagen, dass sie an keiner Krankheit leide und bei ihr keine Pflege im medizinischen Sinne stattfinde. Sie benötige aufgrund ihrer Behinderung lediglich zur Verrichtung der Dinge des täglichen Lebens einen Ausgleich der Funktionen, die sie selbst nicht durchführen könne, also eine entsprechende "Assistenz". Deshalb benötige sie auch keine Pflegefachkraft, welche hier auch nicht zum Einsatz komme. Zusätzlich sei darauf hinzuweisen, dass sie hinsichtlich der bei ihr vorliegenden Behinderung auch keinerlei Medikamente einnehme. Es mache also auch insofern keinen Sinn, hier Entsprechendes zu dokumentieren. Es werde von ihr verlangt, dass sie nicht selbst die Dokumentation ausfülle, sondern dass dies von der Assistenzkraft regelmäßig durchgeführt werde. Dies sei unzumutbar, da es ihrem Selbstbestimmungssrech als Behinderte widerspreche und sie diesbezüglich so unnötig zum Objekt gemacht werde. Bei ihr gehe es nicht um Qualitätssicherung oder gar Qualitätsverbesserungen. Die Art der Dokumentation, die hätte geführt werden sollen, sei so, dass dort sehr intime Dinge abgefragt würden, was sie als ihrer Menschenwürde widersprechend strikt ablehne. Hier müsse ihr Persönlichkeitsrecht und ihr Recht auf Intimität im Vordergrund stehen. Die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des Führens einer Dokumentation sei bei ihr nicht erkennbar.

Mit Bescheid vom 02.11.1999 lehnte die Beklagte den Antrag auf Befreiung von der Führung der Pflegedokumentation ab. Die Ablehnung begründe sich letztendlich in der gesetzlichen Verpflichtung, die pflegerische Versorgung der Versicherten sicherzustellen (§ 3 Abs.1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI -). Der gesetzliche Auftrag an die Pflegekassen, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse entsprechende, pflegerische Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, erfordere eine ständige Sicherung der Qualität der Pflege. Der Gesetzgeber nehme für die Qualitätssicherung zuvorderst die Selbstverwaltung der Beteiligten in die Pflicht. So würden z.B. die zugelassenen Pflegeeinrichtungen nach § 71 SGB XI, zu denen auch die Pflegedienste gehören, verpflichtet sein, sich an Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen und Qualitätsprüfungen zu dulden (§ 80 Abs.2 SGB XI). Durch die Spitzenverbände der Pflegekassen in Übereinstimmung mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, den Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, in enger Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen sowie den Verbänden der Pflegeberufe und den Verbänden der Behinderten, sei als ein Instrument der Qualitätssicherung die Führung einer Pflegedokumentation durch den Pflegedienst festgelegt worden ("Gemeinsame Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung einschließlich des Verfahrens zur Durchführung von Qualitätsprüfungen nach § 80 SGB XI in der ambulanten Pflege vom 10.07.1995 in der Fassung vom 31.05.1996"). Hier werde im Rahmen der Pflegeplanung festgelegt, dass ein Pflegedokumentationssystem vom Pflegedienst vorzuhalten sei. Die Pflegedokumentation sei sachgerecht und kontinuierlich zu führen und sei beim Pflegebedürftigen aufzubewahren. Nur im Rahmen von Qualitätsprüfungen habe der MDK die Möglichkeit, Einsicht in diese Dokumentatin zu nehmen. Weiterhin sei es der Pflegekasse aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht gestattet, die Pflegedokumentation ohne Einwilligung des Versicherten, bei dem sich diese Aufzeichnungen ja auch befinden würden, einzusehen. Allein aus der Zweckbestimmung der Pflegedokumentation müsse der Vorwurf, dass Rückschlüsse auf ihren Tagesablauf erfolgen, zurückgewiesen werden, da allein pflegerelevante Aufzeichnungen erfolgen würden, die keinem Dritten ohne die Einwilligung der Klägerin zur Kenntnis gegeben werden. Auch sehe man das geschützte Recht auf Selbstbestimmung als nicht verletzt an. Hierzu verweise man analog auf die Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen bezüglich des Abrufs von Pflegeeinsätzen nach § 37 Abs.3 SGB XI. Das Gericht habe diese Vorschrift nicht als verfassungswidrig angesehen. Insbesondere sei der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art.3 Abs.1 Grundgesetz nicht verletzt, da ein sachlicher Grund für die Verpflichtung zu einem Abruf und zu der Bezahlung des Pflegeeinsatzes vorhanden sei. Es solle nämlich hierdurch die Qualität der Pflege sichergestellt werden. Dies liege insbesondere im Interesse des Pflegebedürftigen. Mit derselben Begründung vertrete man die Auffasung, dass ein Verzicht auf die Pflegedokumentation nicht möglich sei.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2002 als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf Befreiung von der Verpflichtung zur Führung einer Pflegedokumentation sei der Pflegekasse nur dann möglich, wenn der Pflegebedürftige gegenüber der Pflegekasse verpflichtet sei, eine solche Dokumentation zu führen. Eine solche Verpflichtung bestehe jedoch nicht. Die Pflegedokumentation sei vielmehr vom Pflegedienst zu führen, und nur dieser könne daher einen denkbaren Anspruch auf Befreiung haben. Zuständig für eine eventuelle Befreiung sei allerdings nicht die einzelne Pflegekasse, sondern allenfalls deren Spitzenverband.

Zur Begründung ihrer dagegen zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobenen Klage, hat die Klägerin im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Auch die Beklagte hat sich erneut auf ihr bisheriges Vorbringen berufen.

Mit Urteil vom 24.06.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Für die Klägerin müsse vom "Zentrum für selbständiges Leben" eine individuelle Pflegedokumentation geführt werden. Gemäß § 80 Abs.1 Satz 1 SGB XI hätten die Spitzenverbände der Pflegekassen, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene gemeinsam und einheitlich unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen sowie unabhängiger Sachverständiger Grundsätze und Maßstäbe für die Qualität und Qualitätssicherung der ambulanten und stationären Pflege sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements vereinbart, das auf eine stetige Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität ausgerichtet sei. Im Rahmen dieser Vorschrift würden "Gemeinsame Grundsätze" die Einzelheiten regeln. Unter anderem habe danach der Pflegedienst ein geeignetes Pflegedokumentationssystem vorzuhalten. Insgesamt finde die Pflicht zur Führung einer Pflegedokumentation in § 80 SGB XI eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Demgegenüber stehe die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin, die die Führung einer Pflegedokumentation über sich selbst ablehne und darauf verweise, sie selbst könne die Pflegequalität der an ihr erbrachten Pflege selbst am besten sicherstellen. Das Gericht würde der Klägerin darin beipflichten, dass die Führung einer Pflegedokumentation, die unter keinen Umständen zur Sicherung der Pflegegequalifikation herangezogen werde, unzulässig wäre. Die zu führende Pflegedokumentation enthalte Angaben über den Gesundheitszustand bzw. Pflegezustand der Klägerin, die nur mit sachlichem Grund auf einer gesetzlichen Grundlage und unter Abwägung des den Pflegebedürftigen treffenden rechtlichen Eingriffs geführt werden dürfe. Die rechtliche Beeinträchtigung sei zur Überzeugung des Gerichts jedoch denkbar gering. Zum einen werde die Pflegedokumentation beim Pflegebedürftigen selbst aufbewahrt, zum anderen würden für die Weitergabe bzw. Verwertung der Dokumentation die allgemeinen Vorschriften zum Schutz der Sozialdaten gelten. Darüber hinaus diene die Führung der Pflegedokumentation der Qualitätssicherung und komme damit mittelbar auch der Klägerin zugute. Die Klage sei jedoch auch deswegen unbegründet, weil es der Beklagten an der Passivlegitimation fehle. Die Beklagte sei nicht befugt, den ambulanten Pflegedienst "Zentrum für selbstbestimmtes Leben" von der im Rahmen seines Versorgungsvertrages eingegangenen Verpflichtung zur Führung der Pflege und Dokumentation auch für die Klägerin zu entbinden; ein solcher Anspruch würde sich dem Grunde nach nach Auffassung des Gerichts gegen die Landesverbände der Pflegekassen in Bayern richten. Der Klägerin bleibe es unbenommen, gegenüber dem ambulanten Pflegedienst auf die korrekte Einhaltung der Führung der Pflegedokumentation zu achten. Nach Auffassung des Gerichts habe die Klägerin ein Einsichtsrecht in die Pflegedokumentation. Im Rahmen des § 67 a Abs.3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - sei die Klägerin berechtigt, über die Zweckbestimmung der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung und die Intensität der verantwortlichen Stelle unterrichtet zu werden.

Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, entgegen der Ansicht des SG Nürnberg sei die Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts nicht als denkbar gering anzusehen. Richtig sei, dass die Dokumentation in ihrer Wohnung aufbewahrt werde, wobei eine Dokumentation jedoch sinnlos wäre, wenn es dabei bliebe. Folgerichtig werde die Dokumentation von anderen Personen irgendwann eingesehen werden. Dass dann der Datenschutz beachtet werden müsse, sei die eine Sache. Zuvor komme es aber darauf an, ob es überhaupt irgendeinen Sinn mache, persönlichkeitsrelevante Daten einzutragen. Bisher habe ihr niemand sagen können, welchen Vorteil es bei ihr haben könnte, dass Eintragungen in der Dokumentation gemacht werden. Sie sei weder krank noch alt noch geistig beeinträchtigt noch in einem akuten Zustand, wo es Sinn machen könnte, sich beim Pflege- bzw. Assistenzeinsatz einen schnellen Überblick über den aktuellen Zustand zu machen, wie es z.B. in einem Krankenhaus geschehe. Den Eingriff in ihre Privatsphäre empfinde sie als ungerecht und sinnlos.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.06.2002 abzuändern, sowie den Bescheid vom 02.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2002 aufzuheben und festzustellen, dass in Bezug auf ihre Person keine Pflegedokumentation geführt werden muss,

hilfweise,

die Beklagte zu verpflichten, in Bezug auf Ihre Person eine Befreiung von der Führung einer Pflegedokumentation zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG Nürnberg mit Urteil vom 24.06.2002 die Klage abgewiesen, da die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten vom 02.11.1999 und 16.05.2002 nicht zu beanstanden sind. Denn für die Klägerin ist vom ambulanten Pflegedienst "Zentrum für selbstbestimmtes Leben" eine Pflegedokumentation zu führen.

Die Frage der Passivlegitimation der Beklagten kann hier dahinstehen, denn die "Gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung einschließlich des Verfahrens zur Durchführung von Qualitätsprüfungen nach § 80 SGB XI in der ambulanten Pflege vom 10.07.1995 in der Fassung vom 31.05.1996" verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Denn nach § 72 Abs.3 Satz 1 Nr.3 SGB XI dürfen von den Pflegekassen Versorgungsverträge nur mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, die sich verpflichten, nach Maßgabe der Vereinbarungen nach § 80 SGB XI einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiter zu entwickeln. Damit wird (mittelbar) die Pflicht zur Führung eines geeigneten Pflegedokumentationssystems zur Voraussetzung für den Abschluss eines Versorgungsvertrages. Damit steht fest, dass das Führen einer Pflegedokumentation einerseits eine (versorgungsvertragliche) Verpflichtung der ambulanten Pflegedienste darstellt, andererseits eine geeignete Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Pflegequalität, die die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität umfasst. Die Pflicht zur Führung dieser Pflegedokumentation findet somit in § 80 SGB XI eine ausreichende gesetzliche Grundlage.

Der Senat folgt im Übrigen den Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Somit war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 24.06.2002 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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