L 2 U 288/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 391/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 288/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 02.08.2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 02.08.2001 wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1939 geborene und am 01.05.2003 verstorbene Versicherte beantragte am 26.01.1993 die Gewährung einer Rente wegen Lärmschwerhörigkeit.

Die Hals-Nasen-Ohrenärzte Dr.H. bestätigten in der ärztlichen Anzeige vom 10.01.1994 eine hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits. Die Beklagte führte Ermittlungen bei den Arbeitgebern des Versicherten durch, und der Technische Aufsichtsdienst kam zu dem Ergebnis, es sei von einem Beurteilungspegel von 86 dB (A) im Rahmen einer Mischtätigkeit auszugehen.

Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr.G. führte im Gutachten vom 27.10.1994 aus, das Tonschwellenaudiogramm zeige eine beidseits hochgradige pancochleäre Innenohrschwerhörigkeit, rechts stärker ausgeprägt als links. Als Ausdruck eines Haarzellschadens sei das Rekruitment beidseits positiv. Das Ohrgeräusch habe beidseits bei 500 Hz verifiziert werden können und sei an der Hörschwelle verdeckbar. Die Sprachhörprüfung habe rechts einen Hörverlust von 80 % und links von 70 % ergeben. Der überwiegende Anteil der Schwerhörigkeit sei jedoch sehr wahrscheinlich nicht lärmbedingt, sondern Folge einer degenerativen Innenohrschädigung.

Die Gewerbeärztin Dr.H. erklärte im Gutachten vom 08.11.1994, aufgrund des lärmuntypisch verlaufenden Tonschwellenaudiogramms sei davon auszugehen, dass ein Anteil der Schwerhörigkeit nicht lärmbedingt sei.

Im Gutachten vom 30.10.1996 erläuterte der Hals-Nasen-Ohrenarzt Prof.Dr.T. , betrachte man die Tonschwellenaudiogramme in der Zusammenschau, so finde sich ein relativ konstantes Bild mit Hörminderung zwischen 30 und 50 dB im Tieftonbereich beiderseits mit Hochtonsenke auf Werte von 80 bis 90 dB beiderseits. Der prozentuale Hörverlust liege dabei nach Röser-80 bei Werten um 80 % rechts und 60 bis 70 % links. Gestützt auf die Hirnstammaudiometrie lasse sich allenfalls eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit, insbesondere rechts, belegen. Die MdE sollte für den berufsbedingten Hörverlust auf 20 v.H. veranschlagt werden. Da keine sicheren lärmunabhängigen Komponenten der Schwerhörigkeit abgrenzbar seien, sollten die Kosten der Hörgeräteversorgung durch die Beklagte übernommen werden.

Hierzu nahm der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr.K. am 16.11.1996 Stellung: Eine Lärmschwerhörigkeit sei grundsätzlich symmetrisch. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sich beim Versicherten auch ein nicht lärmbedingter Anteil an der Gesamtschwerhörigkeit finde. Zumindest ein Teil der linksseitigen Schwerhörigkeit sei als retrocochleär und damit nicht lärmbedingt einzustufen. Der Anteil der beruflich bedingten Schwerhörigkeit an der Gesamtschwerhörigkeit bedinge allenfalls eine MdE von 15 v.H. Die Lärmschwerhörigkeit sei nicht als wesentliche Teilursache an der Gesamtschwerhörigkeit einzustufen. Somit gehe die Hörgeräteversorgung zu Lasten der Krankenkasse.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 22.01.1997 das Vorliegen einer gering bis mittelgradigen Lärmschwerhörigkeit im Sinne der Nr.2301 der Anlage zur BKV an. Die Gewährung einer Rente wurde abgelehnt.

Den Widerspruch des Versicherten vom 01.02.1997 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.1997 zurück.

Zur Begründung der Klage vom 05.11.1997 hat der Versicherte eingewandt, er habe auf Baustellen oft monatelang mit dem Kompressor arbeiten müssen, dabei sei es zu Lärmpegeln von über 120 dB gekommen.

Nach Beiziehung von Unterlagen von Dr.H. und Audiogrammen von Prof.Dr.L. von 1976 und 1987 hat das SG den Versicherten im Erörterungstermin vom 08.06.1999 befragt. Er hat angegeben, der Beginn der Schwerhörigkeit liege schon länger zurück, richtig gemerkt habe er es 1974. Ab 1961 bis 1999 sei es zu starken Lärmentwicklungen gekommen. Auf Anraten von Dr.L. habe er etwa ab Mitte der 70-iger Jahre Gehörschutz verwendet, dies recht konsequent bei allen Arbeiten, die mit größerem Lärm verbunden gewesen seien, vor allem Kompressorarbeiten. Das Gehör habe sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert.

Prof.Dr.H. und Prof.Dr.A. sind im Gutachten vom 09.08.1999 zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, beim Versicherten liege eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits vor, die rechts deutlich stärker ausgeprägt sei als links. Für das linke Ohr sei eine reine cochleäre Schwerhörigkeit anzunehmen, auf dem rechten Ohr zusätzlich höchstwahrscheinlich eine retrocochleäre Störung. Bisher sei zu wenig auf die Entwicklung der Schwerhörigkeit und der Tonschwellenkurve eingegangen worden. Die Audiogramme von 1976 und 1987 zeigten ein typisches Bild der Lärmschwerhörigkeit. Die tatsächliche Lärmintensität bei den Kompressorarbeiten sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der überwiegende Anteil der Schwerhörigkeit links und in entsprechendem Ausmaß auch rechts sei durch den berufsbedingten Lärm verursacht. Nicht wesentlich berufslärmbedingt sei ein geringer Anteil der gesamten Schwerhörigkeit auf der linken Seite und auch ein zusätzlicher Anteil auf der rechten Seite. Die Lärmschwerhörigkeit mindere die Erwerbsfähigkeit des Klägers in Höhe von 40 v.H. Dies gelte ab dem 10.01.1994. Die Hörgeräteversorgung sei wesentlich wegen Lärmschwerhörigkeit erforderlich.

Hierzu hat die Beklagte eine Stellungnahme des Hals-Nasen-Ohren Arztes Dr.K. vom 15.10.1999 übersandt. Dr.K. hat darauf hingewiesen, dass der Lärmpegel vom TAD korrekt bewertet worden sei. Außerdem habe der Versicherte seit Mitte der 70-iger Jahre Gehörschutz getragen. Die Audiogramme von 1976 zeigten, dass schon damals keine ausschließliche Lärmschwerhörigkeit vorgelegen habe. Auf dem rechten Ohr ließen sich lärmbedingte und lärmfremde Ursachen nicht gegeneinander abgrenzen. Deshalb sei der rechtsseitige Hörverlust von 10 v.H. auch beim linksseitigen Hörschaden als beruflich lärmbedingt zu unterstellen. Dass die schon 1976 überwiegend lärmfremde linksseitige Schwerhörigkeit sich bis 1999 weiter verschlechtert habe, spreche für eine überwiegend lärmfremde Erkrankung des linken Innenohrs. Das Ohrgeräusch habe 1994 in die lärmfremde Frequenz 0,5 kH lokalisiert werden können und sei schwellennah verdeckbar gewesen. Es habe demnach nicht den im Königsteiner Merkblatt ausgeführten Kriterien entsprochen und könne sich nicht MdE-erhöhend auswirken. Der Anteil des beruflich bedingten Hörschadens sei nicht als wesentliche Teilursache an der Gesamtschwerhörigkeit einzustufen, daher seien die Kosten für die Hörgeräteversorgung durch die Krankenkasse zu tragen. Die MdE betrage weniger als 10 v.H.

Hierzu haben Prof.Dr.H. und Prof.Dr.A. in der Stellungnahme vom 09.06.2000 erklärt, sie hielten die vom Versicherten vorgebrachte Schilderung seiner Arbeitsbedingungen für glaubhaft und seien daher von Lärmpegeln ausgegangen, die zum Entstehen einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit führen könnten. Selbst wenn im Verlauf der Jahre geringere Asymmetrien gefunden worden seien, so gebe es doch Audiogramme, die eine Symmetrie zeigten, was eben für eine progrediente Lärmschwerhörigkeit spreche. Gerade das Tonschwellenaudiogramm von 1976 zeige das typische Bild einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit. Der Tieftonhörverlust sei bei den Tonschwellenaudiogrammen von 1976 nachzuweisen, habe sich bei den Audiogrammen von 1987 aber nicht dargestellt. Hier handele es sich offensichtlich um einen Messfehler. Jedenfalls sei die Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr wesentlich durch den berufsbedingten Lärm verursacht. Dafür spreche die Dauer der Lärmexposition, selbst wenn die tatsächlichen Lärmpegel nicht extrem hoch gewesen sein sollten.

Dr.K. hat am 04.07.2000 ausgeführt, die einzigen symmetrischen Tonhörkurven stammten von 1987. Andererseits zeigten sich bereits damals lärmuntypisch breite Hörsenken. Am 25.09.1992 erkenne man erstmals eine pancochleäre Innenohrschwerhörigkeit, die ebenfalls völlig lärmuntypisch sei. Die im Gutachten vom 15.10.1999 aufgezeigten Asymmetrien lägen nicht mehr im Bereich der Fehlergrenzen. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Versicherte seit Mitte der 70-iger Jahre ständig Gehörschutz getragen habe.

Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Hals-Nasen- Ohrenarzt Prof.Dr. F. hat im Gutachten vom 29.09.2000 ausgeführt, beim Versicherten bestehe jetzt eine beiderseitige hochgradige reine Schallempfindungsschwerhörigkeit. Außerdem leide er an einer chronischen Glomerulonephritits und einem operierten beiderseitigen Grauen Star. Aus dieser Konstellation ergebe sich, dass der Versicherte an einem Alport-Syndrom leide. Es handele sich hier um ein erbliches Krankheitsbild, das bei Männern häufiger und schwerer auftrete als bei Frauen. Die endogene degenerative Innenohrerkrankung verlaufe offensichtlich sehr langsam. Bis 1976, also bis zur ersten Dokumentation durch ein Tonaudiogramm, sei die fortgesetzte Lärmeinwirkung die wesentliche Bedingung für die bis dahin entstandene Schwerhörigkeit gewesen. Das Tonaudiogramm von 1976 weise alle charakteristischen Merkmale einer Lärmschwerhörigkeit auf. Nach 1976, als konsequent Lärmschutz verwendet worden sei, sei die Lärmschädigung in den Hintergrund getreten. Nun sei die endogene, erblich bedingte Komponente die wesentliche Bedingung für die weitere Entwicklung der Schwerhörigkeit gewesen. Die gesamte Schwerhörigkeit sei mit einer MdE von 50 v.H. zu bewerten, der durch den Lärm verursachte Anteil sei auf 20 v.H. zu schätzen.

Dr.K. hat hierzu in der Stellungnahme vom 24.10.2000 erklärt, Prof.F. sei darin zuzustimmen, dass die nach 1976 aufgezeichneten Tonhörkurven einen progredienten beiderseitigen Hörverlust, der nicht mehr überwiegend beruflich bedingt sei, belegten. Dies liege einmal am konsequenten Tragen von Gehörschutz, andererseits sei das von Prof.F. diagnostizierte Alport-Syndrom zu berücksichtigen. Nicht uneingeschränkt nachvollziehbar seien die Ausführungen, dass bei einer Gutachtenserstellung im Jahre 1976 eine beruflich bedingte Schwerhörigkeit anerkannt worden wäre. Denn schon 1976 sei eine Seitendifferenz zu Ungunsten des linken Ohrs und eine Tieftonsenke rechts festzustellen gewesen, die Folgen des Alport-Syndroms seien und nicht der beruflichen Lärmeinwirkung. Nach der Beschreibung des Dr.G. könne es sich bei dem Tinnitus nur um ein lärmfremdes Ohrgeräusch gehandelt haben. Prof. F. Einwand, die Frequenzbestimmung durch Dr.G. sei möglicherweise nicht sehr zuverlässig, sei nicht überzeugend. Insgesamt liege die MdE für die Lärmschwerhörigkeit im nicht mehr messbaren Bereich.

In der Stellungnahme vom 17.01.2001 hat Prof.F. ausgeführt, das Tonaudiogramm vom 29.06.1976 sei als durchaus lärmtypisch zu interpretieren. Eine Seitendifferenz könne nur dann als lärmuntypisch gewertet werden, wenn Befunde zu Tage treten würden, die absolut mit einer Verursachung duch Lärm nicht vereinbar seien. Wenn aber die Kurven auf beiden Ohren durchaus als lärmtypisch gelten könnten, so sei dies nicht gerechtfertigt. In der großen Mehrzahl aller Lärmschwerhörigkeiten sei der Hörschaden tatsächlich symmetrisch, aber dies gelte auch für die Schwerhörigkeit, die sich im Rahmen eines Alport-Syndroms entwickle, ebenso, wie bei dieser Erkrankung auch beide Nieren und beide Augen betroffen seien. Niemand könne sagen, wann sich die erblich bedingte Schwerhörigkeit ohne die zusätzliche Lärmbelastung manifestiert hätte. Es seien eben beide Faktoren zusammengetroffen, und die Erbanlage habe dazu geführt, dass die Ohren besonders empfindlich auf Lärm reagiert hätten. Dies sei im Anfang auf dem linken Ohr stärker der Fall gewesen, später habe sich die Seitendifferenz völlig umgekehrt, so dass letztlich das rechte Ohr das schlechtere geworden sei.

Dr.L. habe 1976 festgestellt, dass der Versicherte Flüstersprache nur direkt am Ohr verstanden habe, Umgangssprache rechts auf 4 m, links auf 1 m Entfernung. Es ergebe sich also für das bessere Ohr mit einer Hörweite von 4 m für Umgangssprache ein prozentualer Hörverlust von 50 %, man käme also zu einer noch höheren Einschätzung des Hörverlustes.

Nicht zuzustimmen sei Dr.K. auch bezüglich des Tinnitus. Dass der Tinnitus bei 500 Hz verdeckbar gewesen sei, bedeute nicht, dass er diesem Frequenzbereich zuzuordnen wäre, denn die Frequenz des verdeckenden Tones lasse keinen Rückschluss zu, in welchem Frequenzbereich der Tinnitus empfunden werde.

Das Sozialgericht Regensburg hat mit Urteil vom 02.08.2001 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.01.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1997 verurteilt, beim Versicherten die Gesundheitstörungen: "Geringe bis mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit Tinnitus" als Berufskrankheit im Sinne von Nr.2301 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und ihm Rentenleistungen nach den gesetzlichen Bestimmungen ab 01.01.1989 nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Prof.Dr.F. habe überzeugend dargetan, dass das Tonaudiogramm von 1976 alle charakteristischen Merkmale einer Lärmschwerhörigkeit aufweise. Der gesamte Hörschaden auf beiden Ohren, der im Tonaudiogramm 1976 dokumentiert sei, sei als wesentlich durch die bis dahin wirkenden beruflichen Bedingungen verursacht anzusehen. Das Fortschreiten des Hörschadens nach 1976 sei, wie Prof.Dr F. überzeugend ausführe, aber überwiegend auf Verhältnisse zurückzuführen, die nicht dem beruflichen Bereich zuzurechnen seien, zumal der Versicherte ab Mitte der 70-iger Jahre bei seinen Arbeiten Gehörschutz getragen habe. Für die Zeit vor 1976 sei das Alport-Syndrom noch nicht entscheidend gewesen. Eindeutig abgrenzbare Anteile des endogenen Krankheitsbildes ließen sich aus dem Audiogramm von 1976 nicht herauslesen. Selbst wenn man schon für diesen Zeitraum eine gewisse lärmunabhängige Komponente vermute, so werde diese mangels Abgrenzbarkeit vom Versicherungsschutz umfasst. Dem beruflichen Anteil sei damals wie heute eine MdE um 20. v.H., hierin eingeschlossen der Tinnitus, zuzumessen. Auch unter Berücksichtigung der Neuregelungen durch das Königsteiner Merkblatt sei, wie Prof.Dr.F. belegt habe, eine MdE um 20 v.H. gegeben. Rentenleistungen seien ab dem 01.01.1989 zu gewähren, da der Versicherte den Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit am 22.01.1993 gestellt und die Beklagte sich im Schriftsatz vom 31.10.2000 (175) auf die Verjährung gemäß § 45 SGB I berufen habe. Diese Einrede der Verjährung sei von Amts wegen zu berücksichtigen.

Zur Begründung der Berufung vom 12.09.2001 übersandte die Beklagte ein Gutachten des Hals-Nasen-Ohren Arztes Dr.D. vom 16.09.2001. Für eine Lärmschwerhörigkeit spreche, dass der Versicherte über Jahrzehnte in einem Beurteilungspegel gearbeit habe, der geeignet gewesen sei, den Hochtonschaden sowohl 1976 als auch 1987 zu verursachen. Die Hörminderung sei während der Berufstätigkeit aufgetreten, wie die Audiogramme von 1976 und 1977 zeigten, die zumindest mit einer überwiegenden Lärmschwerhörigkeit zu vereinbaren seien. Nach Benutzung eines Gehörschutzes habe trotz des Alport-Syndroms die Hochtonschwerhörigkeit nicht mehr wesentlich zugenommen. Gegen eine reine Lärmschwerhörigkeit spreche, dass die Entwicklung nach 1976 zumindest überwiegend durch ein Alport-Syndrom erklärt werden könne. Insgesamt bestehe im Wesentlichen Übereinstimmung mit Prof.Dr. F. , soweit er die Schwerhörigkeit bis 1976 für überwiegend lärmbedingt halte und nach 1976 für überwiegend lärmfremd. Zumindest bis 1976 seien die typischen Merkmale bei der Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit im Sinne einer Hochton-betonten überwiegenden Innenohr-Schwerhörigkeit mit Rekruitment-positivem Ergebnis im Sinne einer cochleären Schädigung gegeben. Bei einer Bewertung vor 1980 hätte sich sowohl nach der alten wie auch nach der jetzigen MdE-Tabelle eine MdE von 20 v.H. ergeben. Im August 1987 sei aber links ein deutlich geringerer Hörverlust ermittelt worden. Da sich eine Lärmschwerhörigkeit nicht vorübergehend wieder verbessern könne, sei der geringere Hörverlust maßgebend für das maximal mögliche Ausmaß der Lärmschwerhörigkeit. Daher werde nur eine MdE unter 10 v.H. erreicht.

Am 09.10.2001 legte der Versicherte Anschlussberufung ein.

Der auf Antrag des Versicherten gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Prof.Dr.H. führte im Gutachten vom 20.08.2002 aus, Prof.F. Argumentation stütze sich darauf, dass bereits vor 1976 eine Lärmschwerhörigkeit bestanden habe und der weitere Verlauf, vor allem die weitere Verschlechterung, weniger durch berufsbedingten Lärm als vielmehr durch das Alport-Syndrom verursacht sei. Prof.F. rücke die Entwicklung des Alport-Syndroms ab 1976 in den Vordergrund, da der Versicherte wegen des Tragens von Gehörschutz nicht mehr so starker Lärmintensität ausgesetzt gewesen sei. Da aber seit dem Ausscheiden des Versicherten aus dem Berufsleben keine weitere Verschlechterung aufgetreten sei, sei ein wesentlicher Teil der Schwerhörigkeit, auch im Sinne der Verschlechterung, durch Lärm bedingt. Eine MdE von 30 v.H. sei auf die berufsbedingte Lärmeinwirkung zurückzuführen.

Die Beklagte übersandte ein Gutachten der Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Prof.Dr.S. vom 25.10.2002. Sie vertrat die Auffassung, die Schwerhörigkeit habe im Laufe der Jahre zugenommen und zwar am rechten Ohr auch in den letzten drei Jahren. Es falle auch auf, dass 1987 und zwischen 1992 und 1993 Hörverbesserungen auf beiden Ohren eingetreten seien. Ein solcher Befund sei nicht mit einer Lärmschwerhörigkeit vereinbar. Es handele sich hierbei entweder um Fehlangaben oder um eine Autoimmunerkrankung, die in Schüben verlaufen und zur Remission führen könne. Beim Alport-Syndrom werde eine Autoimmunerkrankung diskutiert. Die Kurvenform im Tonschwellenaudiogramm sei von Anfang an uncharakteristisch gewesen. Spätere Audiogramme zeigten den beim Alport-Syndrom charakteristischen diagonalen Kurvenverlauf. Das Ausmaß der Schwerhörigkeit sei für eine Lärmschwerhörigkeit viel zu ausgeprägt. Es zeige sich immer wieder eine Asymmetrie zu Ungunsten des linken Hörorgans. Der Tinnitus habe die Frequenz gewechselt und habe nicht immer im charakteristischen Frequenzbereich gelegen. Vestibuläre Zeichen gehörten nicht zum Bild einer Lärmschwerhörigkeit und seien ein Beweis, dass eine andere Erkrankung im Spiel sein müsse. Für das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit spreche lediglich die Lärmbelastung. Die gesamte Schwerhörigkeit sei durch die Lärmeinwirkung nicht wesentlich verursacht worden, eine rechtlich bedeutsame Kausalität sei nicht gegeben. Eine berufsbedingte MdE liege insofern nicht vor. Auch die Kosten für die Hörgeräte gingen nicht zu Lasten der BG.

Hierzu erklärte Prof.Dr.H. in einer Stellungnahme vom 11.07.2003, die Schwerhörigkeit habe sich nach dem Ausscheiden aus der Lärmtätigkeit nicht verschlechtert. Zwar biete das Tonschwellenaudiogramm nicht das typische Bild einer Lärmschwerhörigkeit. Insofern sei eine alleinige Lärmursache für die Schwerhörigkeit nicht anzunehmen. Die Tätigkeit im Lärm habe zu einer wesentlichen Verschlechterung der Schwerhörigkeit geführt, die durch die Entwicklung des Alport-Syndroms bereits vorgegeben gewesen sei. Dass das Alport-Syndrom nicht der wesentliche Faktor der Entwicklung der Schwerhörigkeit sei, sei aus der Tatsache zu schließen, dass die Schwerhörigkeit nur während der Lärmtätigkeit zugenommen habe, nach dem Ausscheiden aus der Lärmtätigkeit aber nicht.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 08.10.2003 erklärte der Beklagtenvertreter, ein Mitarbeiter der AOK C. habe der Beklagten am 21.08.2003 mitgeteilt, der Versicherte sei am 01.05.2003 verstorben. Der Bevollmächtigte des Verstorbenen und die Beklagte stellten keine Anträge auf Aussetzung des Verfahrens. Rechtsnachfolgerin ist nach Auskunft des Bevollmächtigten des Verstorbenen die Witwe M. F ...

Die Beklagte stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 02.08.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 02.08.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.01.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10. 1997 zu verurteilen, wegen der Folgen der Berufskrankheit Rente nach einer MdE von 40 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte des Versorgungsamtes Regensburg, der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Die Anschlussberufung ist gleichfalls sachlich nicht begründet.

Da die Beteiligten keine Anträge auf Aussetzung des Verfahrens stellten, findet die Fortsetzung des Verfahrens ohne weiteres statt (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl. 2002, § 246 Rdnr. 7). Ansprüche des Versicherten stehen dem Rechtsnachfolger zu (§ 56 SGB I, § 70 SGG), also der Witwe Maria Franziska Frank.

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufungen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs.2 SGG).

Das SG hat im Urteil vom 02.08.2001 zutreffend auf die überzeugenden Ausführungen von Prof.Dr. F. und Prof.Dr.T. Bezug genommen. Wenn Dr.D. rügt, dass die von Prof.F. festgestellte MdE von 20 v.H. nicht zutreffend sei, so übersieht er einen entscheidenden Gesichtspunkt. Zwar trifft es zu, dass bei Berücksichtigung des prozentualen Hörverlustes sich nach den neuen Tabellen (Röser 1980) ein Hörverlust von rechts 10 %, links 55 % ergibt. Eine derartige Schwerhörigkeit wurde aber 1976 und wird auch heute als gering-mittelgradig bezeichnet und ergibt eine MdE von 20 v.H. (vgl. Schönberger-Mehrtens- Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage 2003, S.437).

Insofern ist auch der Bescheid der Beklagten vom 22.01.1997 in sich widersprüchlich, da in der Begründung ausdrücklich ausgeführt wird, als Folge der Berufskrankheit werde eine gering- bis mittelgradige Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beidseits anerkannt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge der Berufskrankheit wurde aber dann nur mit 15 v.H. bewertet, was der oben zitierten Bewertungstabelle widerspricht. Ein Verwaltungsakt wird aber gegenüber demjenigen, der von ihm betroffen wid, mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird (vgl. § 39 Abs. 1 S. 2 SGB X). Entscheidend ist also der aus dem Verwaltungsakt erkennbar erklärte Wille der Beklagten (vgl. von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., § 59 Rdnr. 9). Bindung besteht bezüglich des Entscheidungssatzes und der tragenden Gründe, soweit sie zu dem Entscheidungssatz geführt haben. Die ausdrückliche Anerkennung der gering-mittelgradigen Hochtoninnenohrschwerhörigkeit im Bescheid vom 22.01.1997 und die Wiederholung der Anerkennung im Widerspruchsbescheid vom 27.10. 1997 sind daher bindend. Schon deshalb besteht ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung der Rentenleistung für den verstorbenen Versicherten in Höhe von 20 v.H.

Die Verbesserungen, die 1987 und nach den Äußerungen von Prof. S. auch 1992 und 1993 eingetreten sind, deuten, wie Prof. Dr.S. zutreffend ausführt, auf das Vorliegen einer Autoimmunerkrankung, die in Schüben verläuft, und auch zu Remissionen führen kann, hin. Beim Alport-Syndrom wird - so Prof.S. - eine Autoimmunkrankheit diskutiert. Das Alport-Syndrom ist, wie Prof.F. festgestellt hat, beim Versicherten unzweifelhaft gegeben gewesen und wurde seit der Diagnose durch Prof.F. von den untersuchenden Sachverständigen nie bestritten. Dies spricht aber nicht gegen das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit. Prof. S. vertritt die Auffassung, die progrediente degenerative Innenohrschwerhörigkeit bei Alport-Syndrom und die Lärmschwerhörigkeit ließen sich nicht getrennt beurteilen, weil sich die Einwirkungen untrennbar gegenseitig beeinflussten und das Hörorgan gleich befallen würden. Dem steht aber die überzeugende Argumentation von Prof.F. entgegen. Bis 1976, also bis zur ersten Dokumentation durch ein Tonaudiogramm, war die fortgesetzte Lärmeinwirkung die wesentliche Bedingung für die bis dahin entstandene Schwerhörigkeit. Das Tonaudiogramm von 1976 weist - so Prof.F. - alle charakteristischen Merkmale einer Lärmschwerhörigkeit auf. Hierzu gehört auch der Tinnitus, der nach den glaubhaften Angaben des Versicherten in dieser Zeit begann. Erst nach der Untersuchung durch Prof. L. im Jahre 1976 hat der Versicherte auf dessen Anraten bei der Arbeit Lärmschutz getragen. Die vorangegangenen 22 Jahre ungeschützter Lärmexposition waren ohne jeden Zweifel geeignet, die damals dokumentierte Schwerhörigkeit zu verursachen. Nach 1976, als konsequent Lärmschutz verwendet wurde, trat die Lärmschädigung in den Hintergrund, und nun wurde für die weitere Entwicklung der Schwerhörigkeit die endogene, erblich bedingte Komponente die wesentliche Bedingung. Das Fortschreiten bis in die letzten Jahre ist also nicht mehr wesentlich durch den Lärm bedingt gewesen.

Der durch den Lärm verursachte Anteil, der durch das Tonaudiogramm von 1976 dokumentiert ist, ist auf 20 v.H. einzuschätzen.

Nicht überzeugen konnte dagegen die Auffassung von Prof.Dr. H. und Prof.A. , die MdE sei mit 30 v.H. zu bewerten. Während diese Sachverständigen im Gutachten vom 09.08.1999 noch die Auffassung vertraten, eine MdE von 40 v.H. sei gegeben, haben sie im Gutachten vom 20.08.2002 und der ergänzenden Stellungnahme vom 11.07.2003 die MdE mit 30 v.H. bewertet. Der Unterschied zwischen der von Prof.F. geäußerten Ansicht und den Ausführungen von Prof.H. und Prof.A. liegt darin, dass sie die Auswirkungen des Alport-Syndroms ab 1976 quantitativ geringer bewerten und zwar mit der Argumentation, seit dem Ausscheiden des Versicherten aus dem Berufsleben sei keine weitere Verschlechterung des Hörvermögens aufgetreten. Dass dies nicht der Fall ist, hat Prof.S. im Gutachten vom 25.10.2002 erläutert, denn die Schwerhörigkeit hat sich sehr wohl auch nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben, wenn auch nur geringfügig verschlechtert, wie es in der Natur des Alport-Syndroms, das, so Prof. F. , beim Versicherten auch in den anderen gesundheitlichen Bereichen nur sehr langsam fortschreitend verlief, liegt. Wenn Prof.H. darauf hinweist, dass der Versicherte fast 40 Jahre im Lärm von 86 dB gearbeitet habe, so übersieht er, dass der Kläger zumindest seit 1976 nach seinen eigenen Angaben konsequent Hörschutz getragen hat, so dass von einer wesentlichen Lärmeinwirkung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Rede sein kann.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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