L 2 U 536/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 5018/98 L
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 536/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Frage der Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzung für die Annahme einer BK im Sinne der Nr.2108 der Anlage zur BKV darf in die Ermittlung der Belastungs-Gesamtdosis nicht ein Zeitraum einbezogen werden, in welchem der Versicherte nicht zum versicherten Personenkreis gehörte. Für die Frage der Tätigkeitsaufgabe kommt es nicht darauf an, ob die Einwirkungen, denen der Kläger im Sinne der Nr.2108 und 2110 der Anlage zur BKV ausgesetzt ist, ein für die Annahme der Kausalität für eine bandscheibenbedingte Lendenwirbelsäulenerkrankung ausreichendes Maß erreicht.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21. November 2000 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21. November 2000 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24.06.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.1998 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten, ob die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers eine Berufskrankheit ist und durch Verletztenrente zu entschädigen. Wegen einer Berufskrankheit Nr.4301 der Anlage zur BKVO erhält der Kläger seit 28.02.1998 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H.

Der 1956 geborene Kläger war nach dem Schulbesuch von 1971 an in der elterlichen Landwirtschaft seiner Mutter tätig, pachtete den Betrieb ab 1979 und übernahm ihn ab 1990. Er gab hierzu gegenüber der Beklagten im Mai 1996 an, er habe seit ca. 1980 Wirbelsäulenbeschwerden, die in der Lendenwirbelsäule regelmäßig wiederkehrend beim Schlepperfahren und schweren Heben und Tragen aufträten. Technische oder organisatorische Maßnahmen zur Verringerung der Wirbelsäulenbelastung habe er nicht getroffen, auch nicht in eine Tätigkeit gewechselt, in der die Wirbelsäulenbelastung vermieden würde. Im November 1995 habe er die Tierhaltung aufgegeben. Gegenüber dem Sozialgericht hat er im November 2000 angegeben, er betreibe jetzt nur noch Ackerbau (5 Hektar). Hiervon vergebe er viele Arbeiten an mehrere andere Landwirte, so dass sich die eigene Schlepperfahrertätigkeit auf ca. 30 Stunden im Jahr beschränke. Der landwirtschaftliche Betrieb wird auch derzeit noch fortgeführt.

Außerdem war der Kläger ab 1975 als Arbeitnehmer im wesentlichen Umfang mit Schlepperfahren, daneben auch mit anderen Tätigkeiten beschäftigt, zuletzt im Juli 1997 im Bezirkskrankenhaus G ... Seither ist der Kläger bei einem anderen Unternehmen als Hofarbeiter beschäftigt und hat dabei alle Tätigkeiten, die auf dem Firmengelände anfallen zu verrichten, zum Beispiel Straße kehren, Rasen mähen, Wände verputzen, Abfall trennen und entsorgen und muss dabei auch Gegenstände von mindestens 20 kg heben und tragen wie zum Beispiel Zementsäcke (30 kg), Schreibtische, Holzbalken, Spanplatten etc.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten hat die Wirbelsäulenbelastungen des Klägers sowohl durch Ganzkörperschwingungen als auch durch Heben und Tragen schwerer Lasten ermittelt und ist zu dem Ergebnis gekommen, die Gesamtdosis betrage 104 % des Wertes, der einen beruflichen Kausalzusammenhang vermuten lasse. Hierbei wurden die entsprechenden Belastungen addiert und dabei die Tätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft von 1971 bis 1979 in vollem Umfang berücksichtigt.

Der als Sachverständige von der Beklagten gehörte Orthopäde Dr.G. kam in seinem Gutachten vom 14.04.1997 zu dem Ergebnis, nach dem derzeitigen Stand der röntgenologischen Untersuchung scheide eine berufsbedingte Erkrankung aus. Stärkere, über der Altersnorm liegende osteochondrotische und spondylotische Anbauvorgänge im Lendenwirbelsäulenabschnitt seien nicht zu erkennen. Auch die Gewerbeärztin Dr.B. fand in ihrem Gutachten vom 23.05.1997 an der Lendenwirbelsäule keine wesentlichen degenerativen Veränderungen, wie vom Gesetzgeber gefordert. Aufgrund der Adipositas müssten die Abnutzungserscheinungen sogar noch wesentlicher ausgeprägt sein, als sonst zur Anerkennung gefordert. Die degenerativen Veränderungen bezögen sich ausschließlich auf das untere Segment der Brustwirbelsäule. Damit bestehe eher der Verdacht auf eine anlagebedingte Insuffizienz des Achsenskelettes, wie zum Beispiel auch die chronische Polyarthritis oder die beginnende Gonarthrose rechts vermuten ließen. Eine Anerkennung als Berufskrankheit solle daher nicht erfolgen.

Mit Bescheid vom 24.06.1997 verweigerte die Beklagte die Anerkennung der Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit. Mit seinem Widerspruch legte der Kläger das Ergebnis einer MRT-Untersuchung vom 29.08.1997 vor, woraus sich ein sequestrierender Bandscheibenvorfall in Höhe L 1/L 2 und ein älterer Bandscheibenvorfall in Höhe L 5/S 1 links ergaben. Dr.G. führte hierzu aus, den Bandscheibenvorfällen komme ohne entsprechendes klinisches Korrelat keine wesentliche krankmachende Bedeutung zu. Bei klinisch Bandscheibengesunden seien in über 50 % der Kernspintomographien Discusschäden bis hin zur Verlegung des Wirbelkanales gefunden worden. Ein Befund über der alterskorrigierten Norm liege beim Kläger nicht vor.

Die Beklagte holte sodann ein Gutachten von der Orthopädin Dr.K. vom 20.01.1998 ein. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, radiologisch fassbar sei im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule eine Spondylochondrose, sowie im Bereich der Lebenwirbelsäule eine geringfügig beginnende Spondylochon- drose L 1/L 2 mit Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes sowie eine andeutungsweise ventrale spondylotische Kantenausziehung L 4. Die übrigen Wirbelsegmente wiesen weitgehend gleiche und normale Zwischenwirbelräume auf, lediglich die präsakrale Bandscheibe erscheine geringfügig verschmälert. Eine dem Alter des Probanden vorauseilende signifikante Spondylochondrose der Lendenwirbelsäule sei nicht nachweisbar. In den MRT-Aufnahmen der Lendenwirbelsäule zeige sich zwar eine Vorwölbung des hinteren Längsbandes L 1/L 2, sowie L 5/S 1, eine typische Sequestrierung könne jedoch nicht eindeutig nachvollzogen werden. Die klinische Untersuchung habe keinerlei Hinweis für eine substantielle radikuläre Schädigung ergeben und weise lediglich in der Rumpfbeuge eine endgradige Funktionseinbuße auf. Da nachweislich vieler Kontrolluntersuchungen in MRT-Befunden ein hoher Prozentsatz falsch positiver Bandscheibenvorfälle nachgewiesen sei, sei das klinische Bild entscheidend. Gegen eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung spreche auch die Tatsache, dass im Bereich der Lendenwirbelsäule nur eine geringfügige Spondylose nachweisbar sei, während im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule eine deutliche Spondylose und Spondylochondrose erkennbar sei. Es handle sich also um eine anlagebedingte degenerative Veränderung, die in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Exposition stehe. Ein morphologisch objektivierbares Schadenssubstrat sei im vorliegenden Fall nicht nachweisbar, der im MRT-Befund angegebene Bandscheibenprolaps bzw. die Bandscheibenprotrusion verursache kein klinisch relevantes Schadensbild, somit sei der Begriff einer bandscheibenbeding- ten Erkrankung nicht erfüllt. Es handle sich vielmehr um ein Lumbalsyndrom mit unterschiedlicher Beschwerdesymptomatik. Unter diesen Begriff würden alle bandscheibenbedingten Beschwerden im Bereich der LWS zusammengefasst, die nicht mit segmentalen Nervenwurzelreizerscheinungen einher gingen. Es liege keine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Neben den beruflichen Einwirkungen sei vor allem eine degenerative Veränderung der Hals- und Brustwirbelsäule im Sinne einer Spondylochondrose nachzuweisen, die auf eine schicksalshafte anlagebedingte degenerative Veränderung der gesamten Wirbel- säule hinweise.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Nrn. 2108 und 2110 sowie die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. begehrt.

Das Sozialgericht hat zunächst auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.K. vom 21.05.1999 eingeholt. Der Sachverständige führt aus, ein echtes Radikulärsyndrom bestehe beim Kläger nicht. Es bestehe ein lumbales Pseudoradikulärsyndrom, das von Aufbraucherscheinungen der Bandscheiben zwischen Th 11 und S 1 hervorgerufen werde, lediglich die Zwischenwirbelräume D 12/L 1 und L 2/3 seien nicht höhengemindert und physiologisch konfiguriert. Es bestehe also eine ausgedehnte polysegmentale Osteochondrose der Lendenwirbelsäule. Ferner bestünden Bandscheibenvorfälle in Höhe L 1/2 und L 5/S 1. Diese Befunde überschritten das altersphysiologische Maß ganz erheblich. Als konkurrierende Ursache bestehe eine Adipositas, darüber hinaus keine anlagebedingten Faktoren, die den ausgeprägten vorzeitigen Verschleiß der Bandscheiben im Bereich der Lendenwirbelsäule erklären könnten. Die degenerativen Veränderungen im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule seien wesentlich weniger stark ausgeprägt. Lediglich der Zwischenwirbelraum Th 11/12 weise eine Osteochondrose und somit einen Bandscheibenschaden auf. Insgesamt könne von schicksalhaften, anlagebedingten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule nicht ausgegangen werden. Die Tätigkeit, die zum Eintritt der Erkrankung geführt habe, sei vom Kläger zumindest in dem Maße aufgegeben worden, wie es ihm möglich gewesen sei. Nach Ansicht des Sachverständigen bestehe in dem vorliegenden Fall ein klassischer Fall einer berufsbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (Nr. 2108), da nahezu alle Kriterien erfüllt seien, die in der zugänglichen Literatur beschrieben würden. Die MdE betrage 30 v.H., die Begründung hierfür stütze sich auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehinderten- gesetz 1996.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Dr.G. vom 19.10.1999 vorgelegt. Dr.G. hält nach wie vor den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule für nicht geführt. Die beschriebenen Veränderungen lägen nicht über dem Alterserwartungswert. Nach den Angaben des Klägers habe er auch bereits im 20. Lebensjahr erste Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule behabt. Eine solche Manifestation des Beschwerdebildes und Schadensbildes im jungen Erwachsenenalter sei ein weiteres, ganz wesentliches Indiz für dessen alleinige anlagebedingte Genese.

Das Sozialgericht hat sodann ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.L. vom 30.12.1999 eingeholt. Der Sachverständige legt zunächst abstrakt die Kriterien dar, die für die Annahme eines begründeten BK-Verdachtes auf Vorliegen einer Bandscheibenerkrankung der Lendenwirbelsäule durch Heben und Tragen von Lasten zu diskutieren seien. Beim Kläger liege ein pseudoradikuläres Syndrom vor, keine echten radikulären Symptome, die auf eine mechanische Beeinflussung der Nervenwurzeln durch die degenerativ veränderten Bandscheiben schließen ließen, und nur dies sei bei strenger Definition das eigentliche Bandscheibenkrankheitsbild. An der Lendenwirbelsäule seien altersabweichend nur die Befunde in den Segmenten Th 11/12, L 1/2 sowie L 5/S 1. Die übrigen im Kernspintomogramm nachgewiesenen Flüssigkeitsverluste seien nicht altersvorauseilend oder altersunüblich. Beim Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden müssten erhebliche Zweifel an einem durch äußere Einwirkung entstandenen Verschleiß angemeldet werden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass von außen einwirkende Krafteinwirkungen zwar zwei Segmente (mit Th 11/12 drei Segemente) deutlich bevorzugten, jedoch mehrere dazwischen liegende Segmente von einem Verschleiß ausgespart sein sollten. Eine von außen einwirkende Kraft treffe immer die gesamte Lendenwirbelsäule und könne nicht einzelne Bewegungssegmente überspringen. Bei der Beurteilung der Langjährigkeit der Belastungsexposition sei vor allem der Zeitpunkt des erstmaligen und dann dauerhaften Auftretens von entsprechenden Beschwerden wichtig. Gefordert werde eine mindestens zehnjährige, nach neueren Untersuchungen eher 20-jährige Exposition bis zum Auftreten der typischen Bandscheibenkrankheit. Der vom Kläger angegebene Beginn der Rückenschmerzerkrankung im Jahre 1980 erfülle zweifelsohne nicht das Kriterium der Langjährigkeit bis zum Auftreten erstmaliger Beschwerden. Dies wäre vielmehr ein gewichtiges Indiz für eine aus inneren Gründen entstandene Erkrankung. Zusammenfassend bestehe beim Kläger nur zum geringen Teil ein typisches bandscheibenbedingtes Rückenleiden. Vielmehr bestehe zwar ein lokales Rückenleiden, welches aber im Wesentlichen bei offensichtlicher muskulärer Dysbalance bei ausgeprägter Rumpfadipositas zu Beschwerden auf der Grundlage lokaler degenerativer Veränderungen führe. Das typische bandscheibenbedingte Krankheitsbild infolge Beeinflussung von Nervenwurzeln mit entsprechenden neurologischen Begleitsymptomen habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Das relative frühe Auftreten der Erst- manifestation spreche gegen die Annahme einer äußeren Entstehungsursache. Die MdE-Bewertung durch Dr.K. sei nicht nach dem Recht der gesetztlichen Unfallversicherung geltenden Kriterien erfolgt, sie hätte ansonsten mit 10 v.H. eingeschätzt werden müssen. Bei Wertung aller Gesichtspunkte spreche mehr gegen als für die Annahme, dass die degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule durch äußere Belastungsfaktoren im Sinne der Berufskrankheit 2108/2110 verursacht worden sei.

Der Kläger hat hierzu eine Stellungnahme des Dr.K. vorgelegt, der darin seine bisherige Position bekräftigt und hinzufügt, der Begriff des lokalen Lumbalsyndroms sei sachlich falsch, eine wesentliche muskuläre Dysbalance bestehe nicht und neurologische Begleitsymptome seien nicht zwangsweise mit einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Wirbelsäule verbunden.

Demgegenüber hat der Sachverständige Dr.L. in einer vom Sozialgericht angeforderten weiteren gutachtlichen Stellungnahme seine Ausführungen weiter erläutert und im Wesentlichen dargelegt, die Berufskrankheit 2108 fordere eindeutig eine bandscheibenbedingte Erkrankung und hierfür sei der segmental zugehörige, eine oder mehrere Etagen betreffende radikuläre Schmerz zu fordern. Wie schon vorher weist der Sachverständige darauf hin, dass der Kläger Tätigkeiten nach Nr. 2110 möglicherweise aufgegeben habe, nicht aber solche nach Nr. 2108.

Mit Urteil vom 21.11.2000 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, beim Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 und 2110 anzuerkennen und Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren. Den Zeitpunkt des Rentenbeginns hat das Sozialgericht - auch in den Entscheidungsgründen - nicht genannt. Es hat sich in seiner Begründung darauf gestützt, dass sowohl die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen vorlägen als auch nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr.K. die medizinischen. Mit dem ersten Auftreten des Beschwerdebildes neun Jahre nach Beginn der belastenden Arbeiten habe der Kläger das Erfordernis des zehnjährigen Abstandes beinahe erfüllt und die Merkblätter zur Berufskrankheitenverordnung seien noch nicht auf den neuerdings geforderten Abstand von 20 Jahren umgestellt worden. Seine landwirtschaftliche Tätigkeit habe der Kläger weitgehend reduziert und die jetzige Tätigkeit beschränke sich im Wesentlichen auf Hausmeistertätigkeiten, die nicht mit wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten verbunden seien. Bei der Einschätzung der MdE folgt das Gericht dem Sachverständigen Dr.L. , weil die MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht identisch sei mit jener im Schwerbehindertenrecht. Der Kläger habe selbst angegeben, dass er im Wesentlichen beschwerdefrei sei, außer beim Schlepperfahren. Auch hätten zu keinem Zeitpunkt neurologische Begleitsymptome bestanden. Die MdE könne deshalb nur mit 10 v.H. bewertet werden. Das Gericht halte hierzu die Ausführungen des Dr.L. für zutreffend, der auf Schönberger-Mehrtens-Valentin 6. Auflage S.540 verweise.

Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen sowie das Urteil des Sozialgerichts Augsburg aufzuheben und die Klage ab- zuweisen.

Sie stützt sich auf die ihre Entscheidung bestätigenden Gutachten.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie das Urteil des Sozialgerichts Augsburg dahingehend abzuändern, dass ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren sei.

Er stützt sich auf das Gutachten des Dr.K ... Seine Beeinträchtigung sei doch derart gravierend, dass eine MdE von 10 v.H. nicht ausreichend sei.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akten der Beklagten in den beiden Berufskrankheitsverfahren und die Akten des Sozialgerichts Augsburg im vorangegangenen Klageverfahren sowie in einer Renten- und einer Arbeitslosenstreitsache. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von den Parteien form- und fristgerecht eingelegten Berufungen sind zulässig; eine Beschränkung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung der Beklagten ist begründet; die des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit und damit auch keinen Anspruch auf Verletztenrente.

Der Anspruch des Klägers ist sowohl nach den Vorschriften der RVO als auch nach denen des seit 01.01.1997 geltenden SGB VII zu beurteilen (§§ 212 SGB VII ff.). Einerseits ist streitig, ob die nach § 551 Abs.1 Satz 2 RVO i.V.m. Nrn. 2108 und 2110 der Anlage zur BKVO für den Eintritt des Versicherungsfalles notwendige Unterlassung aller schädigenden oder potentiell schädigenden Tätigkeiten vor dem 01.01.1997 eingetreten ist. Anderserseits verbliebe, sofern dies nicht der Fall ist, der seit 01.01.1997 nach § 9 Abs.4 SGB VII bestehende Anspruch auf Feststellung, dass die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung der betreffenden Berufskrankheit erfüllt seien.

Das Sozialgericht hat zu Unrecht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme angenommen, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers eine Berufskrankheit nach den Nrn. 2108 und 2210 der Anlage zur BKVO sei. Es hat sich dabei zu Unrecht auf das Gutachten des Dr.K. gestützt. Zutreffend ergibt sich demgegenüber aus den Gutachten der Sachverständigen Dr.K. , deren Gutachten auch im gerichtlichen Verfahren verwertet werden kann (vgl. BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGG), und des Dr.L. , dass beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach den genannten Nummern der Anlage zur BKVO nicht vorliegt. Hierzu reicht das bloße Vorliegen von Bandscheibenschäden und Erkrankungen der Lendenwirbelsäule allein nicht aus, wie sich im Einzelnen aus den Ausführungen dieser Sachverständigen ergibt. Bezüglich der notwendigen Anforderungen können sich die Sachverständigen ausdrücklich auf die von ihnen zitierten Literaturmeinungen beziehen (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin Arbeitsunfall und Berufskrankheit 6. Auflage S.529 ff.). Demgegenüber bleibt der Sachverständige Dr.K. die Begründung dafür schuldig, dass es auf ein bestimmten Abschnitten der Lendenwirbelsäule zuordenbares klinisches Schadensbild nicht ankommt. Darüber hinaus hätte bei der Bewertung des Beweisergebnisses berücksichtigt werden müssen, dass, worauf der Sachverständige Dr.L. hinweist, das Schadensverteilungsmuster an der Lendenwirbelsäule nicht mit den angenommenen Belastungvorgängen korreliert. Auch die Diskussion der konkurrierenden Ursachen beschränkt sich bei dem Sachverständigen Dr.K. auf die Feststellung ihrer nicht wesentlichen Relevanz. Schon aus diesen Gründen hätte dem Begehren des Klägers nicht stattgegeben werden dürfen.

Selbst bei Annahme einer berufsbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung hätte dem Kläger keine Verletztenrente zugesprochen werden dürfen, deren Beginn das Gericht ohnehin nicht festgesetzt hat. Für den Eintritt des Versicherungsfalles und einen daran anknüpfenden Entschädigungsanspruch erfordern sowohl § 551 RVO als auch § 9 SGB VII i.V.m. Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur BKVO, dass alle schädigenden bzw. potentiell schädigenden Tätigkeiten (wegen der betreffenden Berufskrankheit) tatsächlich aufgegeben worden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier bis heute nicht vor. In seiner abhängigen Beschäftigung verrichtete und verrichtet der Kläger nach wie vor Tätigkeiten, die mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden sind, wie sich aus den vom Senat eingeholten Auskünften des Arbeitgebers ergibt. Er führt darüber hinaus seine Tätigkeit als selbständiger Landwirt fort, die nach seinen eigenen Angaben mit schweren Arbeiten verbunden ist, insbesondere mit dem weiteren Schlepperfahren und der damit verbundenen Exposition gegenüber Ganzkörperschwingungen. Auf die Frage, ob die Einwirkungen, denen der Kläger im Sinne der Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur BKVO ausgesetzt ist, ein für die Annahme der Kausalität für eine bandscheibenbedingte Lendenwirbelsäulenerkrankung ausreichendes Maß erreichen, kommt es für die Frage der Tätigkeitsaufgabe nicht an (BSG Urteil vom 22.08.2000, Az.: B 2 U 34/99 R).

Das Sozialgericht hätte darüber hinaus bei der Frage, ob die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, nicht die Berechnungen der Beklagten zugrunde legen dürfen. Die Beklagte hat hier zu Unrecht die Mithilfe des Klägers in der elterlichen Landwirtschaft von 1971 bis 1978 berücksichtigt. Der Kläger hat in diesem Zeitraum nicht zum versicherten Personenkreis nach § 539 Abs.1 Nr.1 oder 5 RVO gehört. Die entsprechenden Belastungen aus diesen Tätigkeiten dürften deshalb nicht in die Ermittlung der Gesamtdosis miteinbezogen werden, so dass das Erreichen des angenommenen Grenzwertes zumindest fraglich ist. Darüber hinaus hätten diese Tätigkeiten bei der Beurteilung des Kausalzusammenhanges wie sonstige konkurrierende Ursachen aus dem nicht versicherten Bereich behandelt und ihre Auswirkungen als gegen den Ursachenzusammenhang sprechend gewertet werden müssen.

Aus diesen Gründen konnte das Urteil des Sozialgerichts keinen Bestand haben. Die Klage war abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Begehren in vollem Umfang nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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