L 15 SB 36/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 SB 746/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 36/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29.11.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. seit 01.07.2001 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) vorliegen.

Bei dem 1961 geborenen Kläger war mit bindendem Ausführungsbescheid vom 01.07.1992 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt worden wegen der Behinderungen 1. Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule nach Bruch des 2. ersten und zweiten Halswirbelkörpers. Vegetative Dystonie.

Aufgrund eines Neufeststellungsantrags vom April 2000 erließ der Beklagte nach Beiziehung von Befundberichten und versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr.B. am 29.06.2000 einen Änderungsbescheid. Darin wurde der GdB ab 03.04.2000 auf 50 erhöht und Behinderung Nr.2 folgendermaßen ergänzt: "Depressive Störung. Schmerzstörung.". Der Einzel-GdB für Behinderung Nr.1 wurde wie bisher auf 30 eingeschätzt, der für Behinderung Nr.2 ebenfalls auf 30 (statt bisher 10). Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Merkzeichens wurden verneint.

Im Anschluss an den hiergegen erhobenen Widerspruch beantragte der Kläger die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Aus einem vorgelegten Attest des Allgemeinmediziners Dr.L. vom 03.07.2000 gehe hervor, dass der GdB von 50 zu niedrig und er erheblich gehbehindert sei. Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch den praktischen Arzt und Sozialmediziner S. erließ der Beklagte am 17.08. 2000 einen Widerspruchsbescheid, durch den der GdB von 50 bestätigt und der Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" abgelehnt wurde.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19.09.2000 zum Sozialgericht Regensburg Klage erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er insbesondere ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern vom 31.08.2000 für die AOK Schwandorf zur Frage seiner Arbeitsunfähigkeit vorgelegt.

Für den Beklagten hat hierzu versorgungsärztlich die Chirurgin Dr.B. am 30.10.2000 Stellung genommen und bestätigt, dass 1989 eine Pseudarthrose des Dens axis diagnostiziert worden sei. Es liege ein ausgeprägtes Schmerzsyndrom mit Sensibilitätsstörungen, aber ohne motorische Ausfälle vor. Nach fachneurologischer Beurteilung (im Rechtsstreit S 5 Vs 701/89 durch den Neurochirurgen Prof.Dr.G. vom 04.09.1990) erscheine der GdB von 50 für den Gesamtkomplex aus Schmerzsyndrom und Funktionseinschränkung angemessen und entspreche einem Wirbelsäulenschaden mit besonders schweren Auswirkungen.

Das Sozialgericht hat zahlreiche Befundberichte beigezogen, so von Dr.G. und Dr.A. mit Entlassungsberichten verschiedener Krankhäuser, die über die Behandlung der Folgen eines weiteren Verkehrsunfalls des Klägers am 20.11.2000 berichten, bei dem sich dieser eine Fraktur am linken Oberarm, eine offene Fraktur am linken Oberschenkel, eine Dünndarmruptur, ein Thoraxtrauma mit Rippenfraktur, Gesichtsverletzungen und ein Schädelhirntrauma ersten Grades zuzog. Es wurden auch ein Reha-Entlassungsbericht des Klinikums L. in K. vom 14.02.2001 und Arztbriefe des Krankenhauses B. vom 17.04. und 11.05.2001 zu den Akten genommen.

Das Sozialgericht hat außerdem von dem Landgerichtsarzt Dr.R. ein Gutachten vom 25.06.2001 eingeholt. Darin hat der Sachverständige die Auffassung vertreten, dass die bisher anerkannten Behinderungen ausreichend bewertet worden seien. Die Fraktur des 1. und 2. Halswirbelkörpers habe zu einer hälftigen Einschränkung der Seitneigung des Kopfes bei sonst nicht wesentlicher Einschränkung der Beugungs- und Drehfähigkeit geführt. Eindeutige Sensibilitätsstörungen und motorische Defizite an den Armen hätten nicht festgestellt werden können. Im Gegensatz zur Interpretation durch einen behandelnden Arzt sei eine cervicale Myelopathie nicht zu belegen. Es liege auch kein krankheitswertiges depressives Beschwerdebild vor. Die Folgen des Unfalls vom November 2000 seien weitgehend ausgeheilt. Eine früher beschriebene Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit links sei nicht mehr nachweisbar. Folgen des Hämatothorax und der Dünndarmverletzung könnten nicht festgestellt werden. Die Restbeschwerden nach Oberschenkelfraktur (leichte Schwellung im Verletzungsbereich) und der Mittelfußfraktur bedingten zusammen keinen höheren GdB als 10. Schließlich liege wegen der Einnahme von Schmerzmitteln und Antidepressiva keine schwere Leberfunktionsstörung vor. Als zusätzliche Behinderungen seien festzustellen: - Restbeschwerden, Zustand nach Kompartmentsyndrom am linken Oberschenkel und Mittelfußfraktur - GdB 10 - - Leberschaden - GdB 10 - Gesamt-GdB 50. Die Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens "G" seien nicht gegeben. Die vom Kläger beschriebene Einschränkung des Gehvermögens lasse sich nicht nachvollziehen. Das Gangbild des Klägers sei bei der Untersuchung unter leichter Schmerzentlastung des linken Beines flott und raumgreifend gewesen. An den Hüft-, Knie- und Sprunggelenken seien keine Bewegungseinschränkungen objektivierbar. Es bestehe ein geringer Druckschmerz im Vorfußbereich.

In der mündlichen Verhandlung am 29.11.2001 hat der Kläger seinen Antrag auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G" beschränkt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr.R. gestützt. Außerdem sei der Kläger nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts so eilig zum Gerichtssaal gestürmt, dass sein Vortrag, jeder Schritt tue ihm in der Halswirbelsäule, wo die Brüche seien, so weh, dass er kaum normal gehen könne, nicht glaubhaft erschienen sei. Auch gebe es pols-ternde Ausstattungen für Schuhe, die die "Fernwirkungen" des Gangs auf die beschädigte Halswirbelsäule soweit mildern könnten, dass Beschwerden nicht entstünden, aus denen das Merkzeichen "G" abgeleitet werden könnte.

Mit Schriftsatz vom 26.03.2002 hat der Kläger gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Zum Beweis seiner Schmerzen beim Gehen beantrage er die Einholung eines Gutachtens der Universitätsklinik R. oder vom Unfallkrankenhaus M ... Er trage bereits seit etlichen Jahren Schuhe wie sie vom Sozialgericht empfohlen worden seien. Der Eindruck des Gerichts, wonach er in keiner Weise gehbehindert sei, sei falsch. Seit seinem Genickbruch bestehe ohne Benutzung eines Kfzs das hohe Risiko einer Querschnittlähmung durch ein Stolpern oder Ausrutschen oder eine falsche Drehbewegung des Kopfes. Er zweifle das Gutachten des Nervenarztes Dr.R. an.

Der Kläger hat auch ein neurologisches Gutachten von Dr.H. vom 13.12.2001 mit neuroradiologischem Gutachten von Dr.S. vom 21.06.2001 für die Versicherungskammer Bayern vorgelegt. Danach sei die beim Kläger vor dem letzten Verkehrsunfall eingetretene Arbeitsunfähigkeit ausschließlich auf das Unfallereignis vom 16.08.1976 und die dabei erlittene Densfraktur zurückzuführen gewesen.

Der Kläger hat ferner einen Rentenbescheid vom 24.04.2002 der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Niederbayern/Oberpfalz bezüglich des Unfalls vom 20.11.2000 vorgelegt, in dem die Unfallfolgen vom 01.01.2001 bis 25.02.2002 mit einer MdE zwischen 100 v.H. und 20 v.H. eingeschätzt wurden, danach nur noch mit einer MdE um 15 v.H ... Nicht als Folge des Arbeitsunfalles anzuerkennen seien u.a.: Lendenwirbelsäulenbeschwerden mit Ausstrahlung in beide Beine, Knorpelveränderungen an der Kniescheibenrückseite beidseits etc ... Nach Auffassung des Klägers sei der Beklagte verpflichtet, diese Gesundheitsstörungen im Bereich der Beine festzustellen.

Der Senat hat daraufhin die Akten der Berufsgenossenschaft angefordert und daraus ein Gutachten des Chirurgen Dr.S. vom 20.03.2001 für die LVA Niederbayern/Oberpfalz zu den Akten genommen, ferner ein Gutachten des Chirurgen W. vom 26.02.2002 für die Berufsgenossenschaft und einen Zwischenbericht des Klinikums der Universität R. , Abteilung Unfallchirurgie (Prof.Dr.N.) vom 13.03.2002.

Der Beklagte hat zu diesen Unterlagen versorgungsärztlich durch den Chirurgen Dr.H. Stellung genommen und insbesondere aus dem Zwischenbericht über die unfallchirurgische Kontrolluntersuchung am 12.03.2002 entnommen, dass damals eine annähernd freie Hüftgelenksbeweglichkeit vorgelegen habe, lediglich Innenrotation und Abduktionsbewegung seien endgradig schmerzhaft gewesen. Es habe eine knöchern fest konsolidierte petrochantäre Fraktur sowie Femurschaftfraktur bestanden, die eine Nagelentfernung erlaubt habe. Anhaltspunkte für eine erhebliche Gehbehinderung seien aus den Gutachten von Dr.S. und Dr.W. nicht zu entnehmen. Auch die Chirurgin Dr.B. hat aufgrund des neuroradiologischen Gutachtens des PD Dr.S. vom 21.06.2001 keinen Anlass für die Annahme einer erheblichen Gehbehinderung gesehen.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof. Dr.B. von der Universitätsklinik R. ein Gutachten eingeholt (nach Beiziehung eines Berichts von Prof.Dr.N. vom 26.08.2002 über die Entfernung von Implantaten im linken Arm und linken Bein des Klägers). Der gerichtliche Sachverständige hat in der Anamnese die Folgen der drei Verkehrsunfälle des Klägers nach dessen Angaben wiedergegeben. Beim ersten Unfall 1976 sei der Kläger als Mofa-Fahrer gestürzt. 1988 sei er als Fußgänger von einem Auto angefahren worden und über die Motorhaube auf die Straße gestürzt. Beim dritten Unfall im Jahre 2000 sei der Pkw des Klägers mit einem anderen Fahrzeug halbfrontal kollidiert. Der Kläger leide vor allem bei körperlicher Belastung unter Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit weiterer Ausstrahlung in den Nacken und in die Oberarme beidseits. Insbesondere beim Gehen nach 300 bis 400 m komme es zu diesen Schmerzen, zeitweilig auch zu Kribbelparästhesien im Bereich beider Hände. Diese Beschwerden seien so stark, dass er sich hinsetzen müsse und für mehrere Minuten keine körperliche Anstrengung mehr durchführen könne. Er habe auch Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Oberschenkels sowie Schmerzen bei Belastung dieser Stelle. Nachts könne er lediglich auf der rechten Seite schlafen. Prof.Dr.B. hat bei seiner neurochirurgischen Untersuchung ein unauffälliges Gangbild festgestellt, ferner einen deutlich auslösbaren Druck- und Klopfschmerz über der Halswirbelsäule sowie einen bewegungsabhängigen Schmerz. Nach Auffassung des Sachverständigen sind zwar die im angefochtenen Bescheid angegebenen Behinderungen vollständig erfasst. Allerdings sei die beim Kläger vorliegende Instabilität in Höhe HWK 1/2 lediglich Teil einer krankhaften Veränderung, die für die Gehstörungen verantwortlich zu machen sei; denn es bestehe auch eine Rückenmarksstörung im Sinne einer cervicalen Myelopathie. Es sei typisch, dass sich diese Störung erst langsam durch mechanische Belastung des Rückenmarks ausbilde. Die Einschätzung des GdB vom 29.06.2000 mit 50 sei nachvollziehbar. Die vom Kläger angegebene schmerzfreie Gehstrecke von 300 bis 600 m und die Notwendigkeit, dann eine längere Pause von etwa &189; Stunde einzulegen, sei glaubhaft. Der Kläger könne daher nach eigenen Angaben keine Wegstrecken von 2 km in einer halben Stunde zurücklegen.

Der Beklagte hat versorgungsärztlich durch den Nervenarzt Dr.K. am 16.06. und 11.08.2003 zu dem Gutachten Stellung genommen. Dieser hat darauf hingewiesen, dass nach den "Anhaltspunkten" 1996 S.166 Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. der Lendenwirbelsäule mit einem GdB um wenigstens 50, in besonderen Fällen um 40 seien. Aus dem Gutachten ergebe sich nicht, dass beim Kläger in diesem Bereich Paresen vorlägen. Es habe sich eine Störung der Tiefensensibilität im Bereich der unteren Extremitäten gefunden, Koordinationsstörungen beim Gehen seien aber nicht beschrieben worden. Die Feststellung auf Seite 13 des Gutachtens, dass auf Grund der Störung der Tiefensensibilität eine deutliche Störung der Gang- und Standsicherheit bestehe, stimme nicht mit dem übrigen Untersuchungsbefund überein. In einem früheren Arztbrief der neurochirurgischen Klinik R. vom 30.11.1999 sowie einem Arztbrief des Neurologen Dr.A. vom 25.07.2000 würden Steh- und Gangversuche als unauffällig beschrieben bzw. kein Anhalt für Störungen der Motorik im Bereich der Extremitäten gesehen. Im neuroradiologischen Gutachten von PD Dr.S. vom 21.06.2001 hätten sich kernspintomographisch keine sicheren Hinweise für eine traumatische Rückenmarksschädigung ergeben. Auch im neurologischen Gutachten von Dr.H. vom 13.12.2001 für die LVA sei eine unauffällige Stand- und Gangprüfung sowie normale Sensibilität beschrieben. Somit liege zwar eine glaubhafte Schmerzsymptomatik vor, die mit Einzel-GdB 30 zusätzlich bewertet worden sei. Es sei aber zu berücksichtigen, dass sich nach der klinischen Symptomatik und auch nach transcranieller Magnetstimulation auf Grund evozierter Potentiale keine Beeinträchtigung der motorischen Bahnen ergeben habe und dass die brennenden Schmerzen vor allem im Bereich der HWS und der Arme aufträten. Auch wenn man bei Schmerzen im Nackenbereich nach 300 bis 400 m eine Parallele zu den arteriellen Verschlusskrankheiten ziehen wollte, würde sich bei dieser Gehstrecke nur ein Einzel-GdB von 30 ohne Merkzeichen "G" ergeben (Anhaltspunkte 1996, S.90).

Auf entsprechenden Einwand des Klägers hat auch Dr.H. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.10.2003 klargestellt, dass er der neurologischen Stellungnahme von Dr.K. folge. Auch nach seiner Auffassung sei nach Auswertung des Gutachtens von Dr.H. vom 13.12.2001 zwar eine ventrale Myelonimpression bei degenerativen Veränderungen und Instabilität mit Einengung des Spinalkanals und Kompression des Myelons anzunehmen, eine intramedulläre (im Rückenmark gelegene) Schädigung sei aber nicht fassbar gewesen.

Mit Schriftsatz vom 24.11.2003 hat der Kläger einen Nachschaubericht des St.B. Krankenhauses in S. vom 07.10. 2003 übersandt, wo sich der Kläger wegen zunehmender Schmerzen im Bereich des linken Hüftgelenkes vorgestellt habe und untersucht worden sei. Der Kläger hat auch auch mitgeteilt, aus gesundheitlichen Gründen nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen zu können.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 29.11.2001 und der Bescheide vom 29.06.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2000 zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29.11.2001 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Schwerbehindertenakte des Beklagten sowie die Akten vorangegan- gener Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (S 5 Vs 701/89, S 3 SB 746/00). Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt dieser Akten sowie den Inhalt der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht in Übereinstimmung mit dem Beklagten das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" verneint.

Beim Kläger sind die nach § 60 Abs.1 Satz 1 SchwbG bzw. § 146 Abs.1 Satz 1 SGB IX in Verbindung mit Nr.30 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungs- recht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AP) 1996 festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach Nr.30 Abs.3 der AP ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens dann anzunehmen, "wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden, kann eine erhebliche Einschränkung des Gehvermögens bestehen."

Aufgrund seines dritten Verkehrsunfalls am 02.11.2000 mit offener Oberschenkelfraktur sowie Mittelfußfraktur links war der Kläger nach den vorliegenden zahlreichen Gutachten und Befunden vorübergehend auf die Benutzung von Stockstützen angewiesen und damit erheblich gehbehindert. Da der Zeitraum der erheblichen Gehbehinderung nicht länger als ein halbes Jahr angedauert hat, kommt nach §§ 3 Abs.1, 60 SchwbG bzw. §§ 2, 146 SGB IX eine vorübergehende Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nicht in Betracht. Einen Eindruck des relativ guten Heilungsverlaufs der schweren Verletzungen am linken Bein vermitteln das Gutachten von Dr.H. vom 13.12. 2001, wonach die aktuelle Gehstrecke des Klägers ohne Unterarmstützen bei der Untersuchung am 06.03.2001 in der neurologischen Universitätsklinik R. nur 100 m betrug, ferner das Gutachten von Dr.S. vom 26.03.2001, wonach der Kläger zwar zur Begutachtung noch mit zwei Unterarmstützkrücken erschienen sei, ein Anmarschweg zur Arbeitsstelle von 700 m mit Einsatz einer Krücke aber bereits zumutbar erschien und angenommen wurde, dass in wenigen Wochen keine Krücke mehr benötigt werde, sowie das erste Rentengutachten für die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft des Chirurgen W. vom 26.02.2002, das lediglich ein diskret linksseitiges Schonhinken aufgrund Hüft- und Oberschenkelschmerzen links und eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit des linken Hüftgelenkes beim Abspreizen feststellte. Dementsprechend wurde die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Folgen des Unfalls vom 20.11. 2000 im Bescheid der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Niederbayern/Oberpfalz vom 24.04.2002 ab 01.01.2001 zunächst mit 100 v.H., aber schon ab 01.05.2001 mit nur 40 v.H. (ab 26.02.2002 mit 15 v.H.) für sämtliche Unfallfolgen eingeschätzt. Schließlich hat der vom Sozialgericht Regensburg gehörte medizinische Sachverständige Dr.R. in seinem Gutachten vom 25.06.2001 "Restbeschwerden, Zustand nach Compartmentsyndrom am linken Oberschenkel und Mittelfußfraktur" mit GdB 10 bewertet. Prof.Dr.B. stellte in seinem Gutachten vom 19.03.2003 keine Funktionsbeeinträchtigungen des linken Beines aufgrund der erlittenen Frakturen fest. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass beim Kläger mindestens sechs Monate lang Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bestanden, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingten.

Die vom Kläger in erster Linie geltend gemachten Folgen der bei seinem Mofa-Unfall im Jahre 1976 eingetretenen schweren Verletzung der Halswirbelsäule, nämlich Fraktur des 1. und 2. Halswirbelkörpers mit degenerativen Veränderungen und Instabilität, Einengung des Spinalkanals und Kompression des Myeloms sind nach den oben genannten AP nicht geeignet, eine erhebliche Gehbehinderung zu begründen. Auch wenn der Kläger glaubhaft dargelegt hat, dass er insbesondere beim längeren Gehen Schmerzen in der Halswirbelsäule verspürt und dass er vorsichtig gehen muss, um das Risiko einer Querschnittlähmung infolge Stolperns oder eines Sturzes zu vermeiden, liegt dennoch keine erhebliche Einschränkung des Gehvermögens des Klägers vor; denn die relevante Gesundheitsstörung befindet sich nicht im Bereich der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, sondern der Halswirbelsäule. Es liegt auch keine nachweisbare Ausstrahlung in die unteren Extremitäten vor; eine unmittelbar durch die HWS-Verletzung bedingte Steh- und Gangstörung durch Paresen oder sonstige Störungen der Motorik oder eine Koordinationsstörung ist nicht nachgewiesen. Die von Prof.Dr.B. in seinem Gutachten vom 19.03.2003 behauptete Störung der Tiefensensibilität infolge der von ihm diagnostizierten cervicalen Myelopathie hat der gerichtliche Sachverständige nicht durch eigene neue Untersuchungen belegt. Er nimmt auf Seite 10 seines Gutachtens eine Rückenmarksschädigung lediglich auf Grund allgemeiner medizinischer Erkenntnisse im Zusammenhang mit einer Halswirbelsäuleninstabilität und wegen der zu dem Krankheitsbild passenden klinischen Symptomatik an. Gegen eine solche Erkrankung hat sich bereits in einem früheren Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (S 5 Vs 701/89) der gerichtliche Sachverständige Prof.Dr.G. in seinem Gutachten vom 04.09.1990 ausgesprochen. Auf Grund der damals durchgeführten körperlichen Untersuchung, der Auswertung von Röntgenbildern aus dem Jahr 1988 und einer Computertomographie (CT) hat dieser Sachverständige eine Beteiligung des Rückenmarks und von Nervenwurzeln verneint. Auch Nervenarzt Dr.R. hat sich im vorhergehenden Klageverfahren in seinem Gutachten vom 25.06.2001 mangels eindeutiger Sensibilitätsstörungen und mangels motorischer Defizite in den Armen gegen eine cervicale Myelopathie ausgesprochen und sich dabei auf einen Bericht des Radiologen Dr.Z. vom 27.07.2000 bezogen, der nach einer MR-HWS-Untersuchung und einem CT lediglich von einem "Hinweis" auf Myelopathie gesprochen hat. Im neurologischen Gutachten von Dr.S. vom Juni bzw. Dezember 2001 für die Versicherungskammer Bayern konnte ebenfalls kernspintomographisch kein sicherer Nachweis für eine traumatische Rückenmarksschädigung bzw. eine Beeinträchtigung nervaler Strukturen gefunden werden.

Auch wenn die Gehstrecke des Klägers schmerzbedingt nach wie vor eingeschränkt ist und nach seinen Angaben (in der Berufungsbegründung vom 26.03.2002 und bei der Untersuchung bei Prof.Dr.B. am 12.03.2003) nur 300 bis 400 m beträgt, kann diese Situation nicht uneingeschränkt mit den Folgen einer arteriellen Verschlusskrankheit an den Beinen gleichgesetzt werden, da sich im letztgenannten Fall die Durchblutungsstörung unmittelbar auf die Gehfähigkeit auswirkt. Außerdem läge die Gehstrecke des Klägers nicht eindeutig im Bereich eines GdB von 40, wie er in den AP Nr.30 Abs.3 als Mindestvoraussetzung für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge arterieller Verschlusskrankheit explizit verlangt wird, sondern darunter; denn auf Seite 90 der AP (Nr.26.9) ist für arterielle Verschlusskrankheiten bei einer schmerzfreien Gehstrecke in der Ebene über 100 bis 500 m ein- oder beidseitig lediglich ein GdB 30 bis 40 vorgesehen.

Schließlich kann die bestehende Halswirbelsäulenverletzung des Klägers auch nicht mit einem inneren Leiden gleichgesetzt werden, das mit einem GdB von 50 eine erhebliche Einschränkung des Gehvermögens hervorrufen könnte. Die Schädigung der Halswirbelsäule stellt weder eine innere Erkrankung dar noch wirkt sie sich ausschließlich auf das Gehen aus; die brennenden Schmerzen des Klägers im Kopf- und Nackenbereich treten vielmehr auch bei anderen Bewegungen und sogar im Liegen (mit der Folge von Ein- und Durchschlafstörungen) auf.

Aus diesen Gründen konnte derzeit noch keine erhebliche Gehbehinderung als nachgewiesen angesehen werden. Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved