L 10 AL 250/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 326/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 250/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 53/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.05.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 12.04.1994 bis 19.12.1994 sowie die Rückforderung überzahlter Leistungen und der geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 11.860,00 DM.

Die Klägerin bezog nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld ab 12.04.1994 Alhi (erstmaliger Bewilligungsbescheid vom 30.05.1994). Im Antrag auf Arbeitslosenhilfe vom 27.04.1994 hatte sie angegeben, lediglich kapitalbildende Lebensversicherungen zu besitzen, die jedoch an die Bank abgetreten seien. Weiteres Vermögen sei nicht vorhanden.

Angehört zum Vorhandensein weiteren Vermögens (entsprechende Freistellungsaufträge waren der Beklagten vom Bundesamt für Finanzen im Herbst 1998 mitgeteilt worden) und zur beabsichtigten Rückforderung der bewilligten Leistungen legte die Klägerin zusammen mit dem Antrag auf Fortzahlung von Alhi vom 29.12.1998 ihr Vermögen dar. Laut verschiedener Sparbücher und einem Bausparvertrag hatte sie im April 1994 ein Vermögen in Höhe von 51.102,70 DM, wovon ein Teil ab März 1996 zur Sicherung eines Darlehens an die Sparkasse abgetreten worden war.

Mit Bescheid vom 04.03.1999 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 12.04.1994 bis 19.12.1994 auf und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen. Unter Berücksichtigung des Freibetrages für die Klägerin und ihren Ehemann und einem zugrundezulegenden wöchentlichen Arbeitsentgelt von 950,00 DM sei die Klägerin für 36 Wochen nicht bedürftig gewesen.

Den Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin damit, sie habe seit Ende der achtziger Jahre psychische Probleme und die Behördengänge seien im Wesentlichen von ihrem Ehemann erledigt worden. Dieser habe auch die Anträge auf Alhi ausgefüllt und sie habe mehr oder weniger blind unterschrieben. Das vorhandene Vermögen sei zur Alterssicherung gedacht gewesen und sie habe Schulden ihres Ehemannes damit tilgen wollen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Vermögen, das zur Alterssicherung eingesetzt werden sollte, müsse in einer Art und Weise angelegt werden, die einen Verbrauch vor Erreichen der Altersgrenze ausschließe. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall, die mit dem Vermögen Verbindlichkeiten habe begleichen wollen.

Die dagegen zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobene Klage hat die Klägerin damit begründet, der Ehemann habe von dem Guthaben nichts gewusst, die bestehenden Verbindlichkeiten müssten berücksichtigt werden und sie sei gesundheitlich angeschlagen gewesen.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 06.05.2003). Am 12.04.1994 habe die Klägerin ein zu berücksichtigendes Vermögen in Höhe von 35.102,70 DM gehabt. Dieses Vermögen habe nicht der Alterssicherung gedient; der Vortrag der Klägerin diesbezüglich sei unsubstantiiert und sie habe zudem später einen Großteil des Geldes zur Schuldentilgung verwandt. Zum Stichtag bestehende Verbindlichkeiten seien nicht vom Vermögen abzuziehen, denn sie lasteten nicht unmittelbar auf dem jeweiligen Vermögensgegenstand und begründeten keine Verfügungsbeschränkungen. Die Klägerin habe grob fahrlässig Fragen nach ihrem Vermögen unrichtig beantwortet. Die von ihr angegebenen psychischen Probleme schlössen das Vorliegen grober Fahrlässigkeit nicht aus, von einer Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt könne nicht ausgegangen werden, zumal sie gegenüber der Beklagten angegeben hatte, einer Beschäftigung nachgehen zu können und lediglich an asthmatischen Beschwerden zu leiden. Die Berechnung der zu erstattenden Beträge sowie der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sei zutreffend.

Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und diese damit begründet, sie sei damals geschäftsunfähig gewesen. Hierzu hat sie ein Attest von Dr.Dr.K. , der sie seit Oktober 2000 behandelt, vorgelegt. Die Beklagte hätte damals ihre Geschäftsfähigkeit prüfen müssen und sie sei eigentlich nicht arbeitsfähig gewesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.05.2003 sowie den Bescheid vom 04.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 04.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1999 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat zumindest grob fahrlässig unrichtige Angaben zu ihrem Vermögen gemacht. Sie war für die Zeit vom 12.04.1994 bis 19.12.1994 nicht bedürftig gewesen. Die Beklagte kann die Bewilligung von Alhi für diese Zeit zurück- nehmen und die geleisteten Zahlungen sowie die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von der Klägerin zurückfordern.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bewilligung der Alhi - geleistet erstmals mit Bescheid vom 30.05.1994 - stellt § 45 Abs.1, Abs.2 Satz 3 Nr.2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. Hiernach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist und - was hier in Betracht kommt - der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

Die Bewilligung von Alhi vom 12.04.1994 bis 19.12.1994 war von Anfang an rechtswidrig, denn die Klägerin hatte am 12.04.1994 (erster Tag, für den Alhi begehrt wird; vgl. BSGE 87, 143) ein zu berücksichtigendes Vermögen in Höhe von 35.102,70 DM (51.102,70 DM abzüglich der Freibeträge für die Klägerin und ihren Ehemann). Dieses Vermögen dient nicht zur Alterssicherung, hierfür fehlt es insbesondere an den objektiven Begleitumständen, die den Zweck der Alterssicherung plausibel machen könnten (vgl. hierzu: Ebsen in Gagel, SGB III, § 193 RdNr 175, Stand: März 2000). Die Verbindlichkeiten, zu deren Sicherung das Vermögen ab März 1996 eingesetzt worden sein soll, sind von dem Vermögen nicht abzuziehen, denn sie lasteten zum streitigen Zeitpunkt nicht unmittelbar auf den Guthaben der Klägerin (vgl. hierzu: BSGE 87, 143). Die Klägerin war daher gem. § 137 Abs.2 AFG in der vom 01.01.1994 bis 31.12.1997 geltenden Fassung i.V.m. § 6 Abs.1, 2, 3 Satz 2 Nr.3 Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiVO) für die Zeit vom 12.04.1994 bis 19.12.1994 nicht bedürftig (§ 9 AlhiVO) und hatte deshalb keinen Anspruch auf Alhi. Zur Begründung wird ergänzend auf die Ausführungen im Urteil des SG Bezug genommen (§ 153 Abs.2 SGG).

Die Beklagte durfte die Bewilligung von Alhi auch für die Vergangenheit zurücknehmen, denn die Klägerin hat zumindest in grob fahrlässiger Weise unvollständige Angaben in ihrem Antrag auf Alhi vom 27.04.1994 gemacht. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 2.Halbs. SGB X). Dabei ist in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden erforderlich. Der Versicherte muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d.h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß verletzt haben. Ob ein Kennenmüssen zu bejahen ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen und seines Verhaltens entschieden werden (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 4.Aufl., § 45 Rd.Nr.24). Derjenige handelt in der Regel grob fahrlässig, der von anderen ausgefüllt Formulare "blind" unterschreibt (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB X RdNr 40, Stand: 5/03).

Die Klägerin hat einfachste Fragen nach ihren Vermögensverhältnissen unvollständig beantwortet. Dabei muss es ihr - selbst wenn die Anträge von ihrem Ehemann ausgefüllt worden sind und insbesondere wenn dieser von dem Guthaben nichts gewusst haben soll - bei lediglich grober Durchsicht dieser Anträge auffallen, dass in der Frage 8 des Antragsformulars unter der Rubrik Bankguthaben jegliche Angaben fehlen, obwohl tatsächlich mehrere Konten vorhanden waren. Im Übrigen hat sie durch ihre Unterschrift bestätigt, dass die Angaben im Antrag zutreffend seien. Diese - gegebenenfalls durch den Ehemann gemachten - Angaben hat sie sich als eigene zurechnen zu lassen, denn sie hat durch ihre Unterschrift die Richtigkeit dieser Angaben bestätigt. An der vollständigen Angabe war sie auch durch die von ihr angegebenen gesundheitlichen Einschränkungen im Zeitpunkt der Antragstellung nicht gehindert gewesen. Die konkrete Trennungssituation von ihrem Ehemann trat erst später ein. Aus dem streitigen Zeitraum 1994 liegen weder ärztliche Berichte vor, noch hat die Klägerin selbst Angaben dazu gemacht, dass Geschäftsunfähigkeit vorliege. Vielmehr hat sie lediglich auf asthmatische Beschwerden in ihren Anträgen hingewiesen und Bürotätigkeiten ohne Belastung durch Rauch für möglich gehalten. Sie ist damit selbst im Zeitpunkt der Antragstellung nicht von die Geschäftsfähigkeit und die Arbeitsfähigkeit ausschließenden Gesundheitsstörungen ausgegangen. Eine ärztliche Bescheinigung vom 25.09.1992 des behandelnden praktischen Arztes erwähnt einen ausgeprägten psychovegetativen Erschöpfungszustand mit ausgeprägter Somatisierungstendenz. Bei der amtsärztlichen Untersuchung am 29.12.1994 wird ebenfalls eine die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit einschränkende Gesundheitsstörung festgestellt, die Klägerin sei allerdings in der Lage, einer Arbeitnehmertätigkeit vollschichtig nachzugehen. Erst bei der Untersuchung am 14.07.1995 wird sie u.a. auf Grund ihrer depressiven Symptomatik auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht für leistungsfähig gehalten. Aus all diesen ärztlichen Unterlagen ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin am 12.04.1994 nicht in der Lage gewesen wäre, einfache Fragen zutreffend zu verstehen und zu beantworten. Auch ist von einer Geschäftsunfähigkeit bis heute in keiner dieser ärztlichen Unterlagen die Rede. Das Attest von Dr.Dr.K. spricht nicht für das Vorliegen einer solchen zum damaligen Zeitpunkt, zumal er die Klägerin erst ab Oktober 2000 behandelt hat und der gesundheitliche Zustand der Klägerin am 12.04.1994 von ihm daher nur vermutet werden kann. Die zum damaligen Zeitpunkt erstatteten Gutachten basieren hingegen auf tatsächlichen Untersuchungen der Klägerin. Zur weiteren Begründung wird auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Bezug genommen (§ 153 Abs.2 SGG).

Die weiteren Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligung für die Vergangenheit lagen vor. Die Jahresfrist gem. § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X ist eingehalten worden, nachdem erst im Herbst 1998 die Beklagte von verschiedenen Freistellungsaufträgen der Klägerin erfahren hatte. Eine Ermessensentscheidung hatte die Beklagte nicht zu treffen (§ 330 Abs.2 SGB III).

Die Erstattungsforderung beruht auf § 50 Abs.1 SGB X, die Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung hinsichtlich der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge findet sich in § 335 Abs.1, Abs.5 SGB III. Die zu erstattenden Leistungen sind zutreffend berechnet worden.

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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