L 2 U 172/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 768/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 172/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.02.2003 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2001 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Nach dem Durchgangsarztbericht der Dres.K. vom 05.03.1999 erlitt die Klägerin am 01.03.1999 einen Unfall als sie mit ihrem Fahrrad einem Pkw auswich. Dabei stürtzte sie auf den rechten Ellenbogen und auf das rechte Schienbein. Die Durchgangsärzte stellten eine Prellung bzw. Abschürfung des rechten Ellenbogens und rechten Knies fest. In der von der Beklagten beigezogenen Verkehrsunfallanzeige der Verkehrspolizei vom 12.04.1999 wurden als Unfallfolgen bei der Klägerin festgehalten "Knie und Ellenbogen rechts aufgeschlagen". Der Unfallbeteiligte T. erklärte am 01.03.1999, die Klägerin habe zunächst nach dem Unfall nur die verunreinigte Hose erwähnt, habe dann aber im Laufe der Verhandlungen über Schmerzen im rechten Arm und rechten Bein geklagt. Die Zeugin F. erklärte am 25.03.1999 vor der Polizeiinspektion, die Klägerin habe nach dem Unfall über Schmerzen im Ellenbogen geklagt. Am 12.11.1999 meldete die DAK einen Erstattungsanspruch wegen einer Pseudarthrose der Klägerin bei Zustand nach Kahnbeinfraktur links als Folge des Unfalls vom 01.03.1999 an. Mit Schreiben vom 22.11.1999 lehnte die Beklagte der DAK gegenüber eine Leistungspflicht ab, da die Klägerin nach den Unterlagen eine Prellung bzw. Abschürfung am rechten Ellenbogen und am rechten Knie erlitten habe. Daraufhin teilte die DAK der Beklagten mit Schreiben vom 24.11.1999 mit, es sei zwar im März lediglich der rechte Ellenbogen und das rechte Knie der Klägerin untersucht worden, später sei dann aber eine Pseudarthrose bei Zustand nach Kahnbeinfraktur festgestellt worden. Sie verwies auf ein Schreiben der Klägerin vom 02.11.1999, wonach die sie behandelnden Ärzte bestätigt hätten, dass die verspätet aufgetretenen Beschwerden (Pfingsten 1999, definitive Diagnose "Kahnbeinfraktur" am 14.06.1999) auf den Unfall vom 01.03.1999 zurückzuführen seien, insbesondere, da in der Zeit dazwischen kein weiterer Sturz erfolgt sei. Nach Auskunft der DAK hatte die Klägerin am 30.03.1995 und 10.08.1995 ebenfalls Fahrradunfälle erlitten, bei denen jedoch die Hände nicht beteiligt gewesen seien und auch nicht als Nebenbefund erwähnt worden seien. Die Klägerin sei vom 01.10.1999 bis 08.10.1999 sowie vom 12.10. bis 13.10.1999 unter anderem wegen einer Pseudarthrose bei Zustand nach Kahnbeinfraktur arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Beklagte zog einen Bericht des Dr.B. vom 17.12.1999 bei, der die Klägerin seit 01.10.1999 behandelt hatte und bei dem sie angegeben hatte, im März 1999 einen Sturz auf das linke Handgelenk erlitten zu haben. Zunächst habe sie keine Beschwerden gehabt, im Juni 1999 sei wegen Schmerzen beim Motorradfahren eine Untersuchung erfolgt und ein Kahnbeinbruch festgestellt worden. Eine Kernspintomographie des linken Handgelenks vom 01.09.1999 erbrachte eine Durchblutungsstörung mit Nekrose des proximalen Scaphoidfragments bei querverlaufender, nicht mehr frischer Scaphoidfraktur am linken Handgelenk. Es bestehe eine achsengerechte Frakturstellung sowie regelrechte Durchblutung des distalen Scaphoidfragements. Es liege ein noch deutliches periscaphoidales Weichteilödem vor. Eine Computertomographie der linken Hand vom 29.09.1999 (Dr.K.) ergab eine deutliche schräg vertikal verlaufende Scaphoidfraktur am linken Handgelenk ohne knöcherne Konsolidierung ab Höhe der Basis bis mittlere Pars dorsale Zirkumferenz. Eine durch Dr.K. am 08.10.1999 gefertigte Hochfeld-Magnetresonanztomographie des linken Handgelenks ergab eine eingestauchte Scaphoidfraktur im mittleren Drittel, regelrechte knöcherne Konsolidierung des Frakturspalts mit ventraler Abkippung des distalen Bruchstückes. Weiter zog die Beklagte einen Bericht des Dr.K. vom 24.01.2000 und einen solchen des Dr.B. vom 12.02.2000 bei. Letzterer berichtete, die Klägerin befinde sich seit 01.10.1999 in seiner ambulanten und stationären Behandlung. Er berichtete über die Diagnostik und deren Ergebnisse in Bezug auf das linke Handgelenk der Klägerin. Ein Unfallzusammenhang sei wahrscheinlich, da es sich um den einzigen Unfall in der Anamnese handele und der radiologische Verlauf zu einem Trauma um den Zeitpunkt des 01.03.1999 herum passe. Weiter zog die Beklagte einen Bericht des Prof.Dr.W. vom 14.10.1999 an Dr.L. bei, wonach letzterer die Klägerin am 23.09.1999 an Prof.Dr.W. überwiesen habe. Es handele sich um ein ossäres Kompartmentsyndrom Os scaphoid links. Die Patientin berichte seit Mai 1999 über akute Schmerzen im Bereich des linken Handgelenks. Weiter zog die Beklagte einen Bericht des Prof.Dr.K. , Leiter der Gutachtensstelle der Chirurgischen Klinik Innenstadt, vom 01.03.2000 bei. Die Klägerin habe sich am 08.06.1999 erstmalig in der handchirurgischen Abteilung vorgestellt und angegeben, im März 1999 mit dem Fahrrad gestürzt zu sein. Der Unfallmechanismus sei ihr dabei nicht mehr erinnerlich gewesen. Nachdem primär im Bereich der linken Hand keinerlei Verletzungszeichen erkennbar gewesen seien, habe sich ca. vier Wochen vor der ersten Vorstellung bei ihnen beim Motorradfahren eine Schwellung über dem linksseitigen Handgelenk bemerkbar gemacht. Die damals durchgeführten Röntgenaufnahmen hätten keinerlei pathologischen Befund erbracht. Die, aufgrund der Beschwerdepersistenz durchgeführte Kernspintomographie vom 14.06.1999 habe jedoch den Befund eines Zustandes nach Fraktur des Os naviculare im distalen Drittel mit begleitendem Spongiosaödem des gesamten Os naviculare ergeben. Die bei ihnen erneut durchgeführte Röntgenkontrolle des linken Handgelenks habe eine gute Stellung des Carpus gezeigt. Ein Anhalt für eine verzögerte Frakturheilung habe sich nicht ergeben. Beigefügt war das erwähnte MRT vom 14.06.1999 sowie Röntgenbefunde vom 18.06.1999, 21.07.1999, 02.08.1999 sowie vom 31.08.1999. Der Befund vom 02.08.1999 ergab eine vermehrte Sklerosierung im distalen Scaphoidpol, ein radiologisches Korrelat zur MR-Untersuchung des linken Handgelenks vom 14.06.1999 war nicht erkennbar. Am 31.08.1999 zeigte sich radiologisch kein Hinweis auf eine Fraktur im Os scaphoideum bei persistierender Klinik.

Die Beklagte holte ein radiologisches Zusatzgutachten des Prof. Dr.E. vom 14.06.2000 ein, in welchem dieser ausführte, dass bei der unzweifelhaft erlittenen Kahnbeinfraktur linksseitig Zweifel am Zusammenhang mit dem Unfall vom 01.03.1999 bestünden, da zum Zeitpunkt des Unfalls weder Schmerzen noch eine Schürfwunde im Bereich des linken Handgelenks, Unterarms oder im Bereich der linken Hand festgestellt worden seien. Man müsse davon ausgehen, dass der Sturz mit der rechten Seite aufgefangen worden sei. Sei tatsächlich kein weiterer Unfall oder eine weitere Ursache für eine Kahnbeinfraktur linksseitig gegeben, müsse man wohl von einem Zusammenhang mit dem Unfall vom 01.03.1999 ausgehen. Weiter holte die Beklagte ein radiologisches Gutachten des Prof.Dr.P. vom 22.08.2000 ein, der zum Ergebnis gelangte, es liege eindeutig eine Scaphoidfraktur vor, die schräg durch das Scaphoid von proximal/volar nach distal/dorsal laufe. Somit sei die Fraktur auf den konventionellen Röntgenaufnahmen nicht zu erkennen. Auffällig sei jedoch bei diesen Aufnahmen, dass sich keine Dynamik in der Veränderung der Knochenstruktur ergebe. Auch bei den kernspintomographischen Untersuchungen seien insbesondere zwischen den Untersuchungen vom 01.06.1999 und 08.10.1999 keine wesentlichen Unterschiede zu erkennen. Bei einer frischen Fraktur, die im März entstanden wäre, müßte in der konventionellen Röntgendiagnostik eine Änderung in der Knochenstruktur sowie in der MR-Untersuchung eine Änderung des Ödems der Weichteile und des Knochenmarks nachweisbar sein. Auch die von vornherein bestehende Sklerosierung des proximalen Pols des Scaphoids spreche gegen eine frische Fraktur vor ca. 2-3 Monaten. Auch der klinische Verlauf spreche für eine Pseudarthrose. Die Pseudarthrose des Scaphoids habe bereits im März 1999 bestanden. Nach Durchführung einer Spiral-CT der linken Handwurzel der Klägerin führte Prof.Dr.P. in der Stellungnahme vom 08.12.2000 aus, der Befund sei insgesamt mit einer Pseudarthrose gut vereinbar und somit wohl unverändert im Verlauf. Zudem habe man den Eindruck, dass das proximale Frakturteil schon vermehrt sklerosiert und somit zum Teil nekrotisch sei. Diesen Eindruck habe man allerdings bereits bei den früheren kernspintomographischen Untersuchungen gleichfalls gehabt. In einer Stellungnahme vom 28.12.2000 vertrat Prof.Dr.P. die Auffassung, am 01.03.1999 sei nicht eine frische Fraktur entstanden, sondern die Pseudarthrose habe wahrscheinlich schon damals vorgelegen. Durch einen erneuten Unfall könnten allerdings bei einer Pseudarthrose des Os scaphoids neue Beschwerden und Schmerzen im Handgelenk auftreten. Mit Bescheid vom 23.01.2001 verneinte die Beklagte einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 01.03.1999 und dem festgestellten Bruch des linken Kahnbeins und lehnte einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigungsleistungen ab. Sie bezog sich dabei auf die Ausführungen des Prof.Dr.P ... Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein und verwies auf eine Bescheinigung des Internisten Dr.W. vom 15.03.2001. Dieser vertrat den Standpunkt, nachdem die Klägerin vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei, sei die Kahnbeinfraktur links zweifelsfrei auf den Unfall vom 01.03.1999 zurückzuführen. Den Ausführungen des Prof.Dr.P. , vor dem Unfall habe bereits eine Pseudarthrose vorgelegen, könne nicht gefolgt werden. Diese Ansicht bewege sich im Bereich der vollständigen Hypothese. Die Beklagte zog Berichte über eine Magnetresonanztomographie des linken Handgelenks der Klägerin vom 16.01.2001 und über eine Computertomographie des linken Handgelenkbereichs vom 02.03.2001 und eine 3-Phasen-Skelettszintigraphie vom 02.03.2001 bei. Weiter holte sie ein handchirurgisches Gutachten des Dr.K. vom Juli 2001 ein. Dieser führte aus, die zahlreichen technischen Röntgenkontrollen könnten keinen sichtbaren Hinweis auf den Zeitpunkt der erlittenen Kahnbeinverletzung geben. Die Verletzung des linken Handkahnbeins sei nach seiner Ansicht traumatischer Genese. Beim Unfall vom 01.03.1999 seien jedoch nur Verletzungen der rechten Körperseite erfolgt. Es könne somit auch nicht mit Brückensymptomen argumentiert werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2001 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Das Gutachten des Dr.K. habe die im angefochtenen Bescheid getroffene Regelung bestätigt. Mit Klage vom 26.10.2001 beantragte die Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, ihr Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfalls vom 01.03.1999 zu bezahlen. Sie habe schmerzhafte Prellungen und Schürfwunden am rechten Schienbein und Ellenbogen sowie an der Hüfte und an der Wirbelsäule erlitten und wie sich dann später herausstellen sollte, eine Scaphoidfraktur links. Festzuhalten sei, dass sie bereits am 01.03.1999 bei der Untersuchung durch Dr.S. B. aus der Praxis Dres.K. und F. über Schmerzen im linken Ellenbogen aufgrund des starken Aufpralls auf den Fahrradlenker geklagt habe und ferner darüber, dass sie zwei Stunden nach dem Unfall ein sekundenlanges Taubheitsgefühl der gesamten linken Körperhälfte verspürt habe. Bereits am 25.05.1999 sei in der Praxis Dres.K. und F. eine Kahnbeinreizung festgestellt worden, nachdem sie über starke Schmerzen im linken Handgelenk geklagt hatte. Die Schmerzen seien bei einer längeren Fahrt eingetreten und so stark geworden, bis keine Haltekraft mehr vorhanden gewesen sei. Am 01.06.1999 habe sie weiterhin über starke Schmerzen im linken Handgelenk bei jeder Bewegung geklagt. Am 08.06.1999 habe sie sich schließlich zu Dr.M. in der LMU, Klinik Innenstadt, begeben. Erstmals sei in der Praxis Dres.D. , F. u.a. eine Scaphoidfraktur mit Nekrose am 14.06.1999 festgestellt worden. Am 16.06.1999 habe Dr.F. von der Praxis Dr.K. die Scaphoidfraktur bestätigt. Am 23.09.1999 habe Prof.Dr.W. eine Scaphoidfraktur mit Nekrose festgestellt. Dr.W. habe eine proximale Polfraktur diagnostiziert. Aus dem Umstand, dass sie zunächst nicht über Beschwerden im linken Handgelenk geklagt habe, könne nicht auf das Vorliegen einer Altverletzung geschlossen werden. Tatsache sei, dass bei ihr offensichtlich ein freies Intervall, d.h. ein vorübergehender Zustand weitgehender Beschwerdefreiheit aufgetreten sei. Dies sei damit zu erklären, dass es bei einer Fraktur des Kahnbeins, wie Dr.W. in der Stellungnahme vom 15.03.2001 ausführe, zu einer Einkeilung dieses Knochens komme, der dann durchaus belastungsstabil sein könne. Sie habe vor dem gegenständlichen Unfallereignis keinen Unfall erlitten, bei dem sie sich das Kahnbein links gebrochen habe. So könne auch dem Gutachten des Prof.Dr.P. nicht gefolgt werden, dass vor dem Unfall bereits eine Pseudarthrose vorgelegen haben müsse. Bereits bei dieser Darstellung zeige sich, dass die bisher beauftragten Sachverständigen sich nicht hinreichend mit der tatsächlichen Situation beschäftigt hätten. Das Sozialgericht holte ein Gutachten des Prof.Dr.B. vom 20.07.2002 ein. Dieser schließt sich zunächst der Auffassung des Prof.Dr.P. an, dass die bei der Klägerin gefundene Pseudarthrose des Scaphoids bereits im März 1999 bestanden habe. Es sei bekannt, dass übersehene Scaphoidfrakturen zur Bildung von Pseudarthrosen führten. Es gäbe die Möglichkeit der sogenannten straffen Pseudarthrose, bei der die Falschgelenkbildung durch straffes Bindegewebe so gut geführt sei, dass der Patient keine Beschwerden habe. Eine solche straffe Pseudarthrose könne durch einen Sturz oder durch einen Schlag oder durch eine äußere Gewalteinwirkung aktiviert werden in dem Sinn, dass sie plötzlich zu schmerzen anfange. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben. Der Unfallmechanismus habe zu einer Aktivierung der vorbestehenden Pseudarthrose geführt. Es widerspreche der Lebenserfahrung, dass ein Radfahrer, der zu einer Vollbremsung genötigt sei, bei dem das Hinterrad auf dem Rollsplitt ausbreche, der auf die rechte Seite falle, dergestalt dass er sich am rechten Ellenbogen und am rechten Knie/Unterschenkel Abschürfungen zuziehe, "freihändig" zu Fall komme. Der Radfahrer halte in diesem Fall das Fahrrad mit den Händen fest. Nur so sei auch zu erklären, dass bei der Klägerin trotz der Vollbremsung und dem Ausrutschen auf dem Rollsplitt scheinbar keine oder nur geringfügige Verletzungen aufgetreten seien. Auf alle Fälle sei der Impuls, der durch das Stürzen mit dem ausbrechenden Fahrrad das linke Handgelenk getroffen habe, ausreichend, um eine Scaphoidfraktur zu verursachen oder eine vorbestehende straffe Pseudarthrose zu aktivieren. Der Kahnbeinbruch an der linken Hand sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den Unfall nicht verursacht worden. Es habe jedoch eine straffe Pseudarthrose vorgelegen, die durch den Unfall vom 01.03.1999 wesentlich verschlimmert worden sei. Die Verschlimmerung habe zu einer Aktivierung der Pseudarthrose und zu einem schrittweisen Absterben des gesamten Scaphoids geführt. Die unfallbedingte MdE sei mit 20 v.H. einzuschätzen. Mit Schreiben vom 04.02.2003 führte die Beklagte aus, sie habe telefonisch Rücksprache mit dem Chefarzt der Abteilung für Handchirurgie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. , Dr.S. , gehalten. Dieser habe ausgeführt, dass bisher von grundsätzlich falschen Voraussetzungen, nämlich einer Kahnbeinpseudarthrose, ausgegangen worden sei. Eine solche lasse sich ziemlich sicher ausschließen. Es handele sich vielmehr hier um eine sogenannte idiopathische Kahnbeinnekrose. Bei dieser Erkrankung sei eine traumatische Verursachung ziemlich sicher auszuschließen. Diese Aussage werde durch die Ausführungen in Schönberger-Mehrtens-Valentin, "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", zum Thema "Mondbeinmalazie" bestätigt. Danach sei eine traumatische Entstehung äußerst selten. Falls doch, müsse ein sofortiges Auftreten der Beschwerden vorliegen. Eine Kahnbeinpseudarthrose, also eine Veränderung des Kahnbeins, der ein Bruch vorausgegangen sein müsse, wie dies bisher von allen Vorgutachtern und Radiologen angenommen worden sei, habe nicht bestanden. Eine traumatische Entstehung der Erkrankung der linken Hand sei aus seiner Sicht ziemlich sicher auszuschließen, da eben gerade der schicksalhafte Verlauf der Erkrankung vorgezeichnet sei. Dies habe er auch in seinem Schreiben mit dem Hinweis "es müßten eine Unzahl von Befunden und gutachterlichen Aussagen revidiert werden" gemeint. Somit wäre dann auch eine Verschlimmerung nicht anzunehmen. Mit Urteil vom 19.02.2003 verurteilte das Sozialgericht München die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2001, der Klägerin Entschädigungsleistungen wegen der Folge des Unfalls vom 01.03.1999 zu gewähren. Das Sozialgericht vertrat die Auffassung, dass bereits eine Pseudarthrose im Unfallzeitpunkt vorgelegen habe, die durch den Unfall aktiviert worden sei, wobei es zu einem schrittweisen Absterben des gesunden Scaphoids gekommen sei. Das Sozialgericht bezog sich dabei auf die Gutachten des Prof.Dr. P. und des Prof.Dr.B ... Aufgrund der schmerzhaften Bewegungseinschränkungen des linken Handgelenks sei die Klägerin um 20 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und geltend gemacht, bereits die Ausführungen des Prof.Dr.B. zum Unfallhergang überzeugten nicht. Er setze sich gänzlich darüber hinweg, dass an der linken Hand keinerlei Verletzungszeichen dokumentiert und auch behandelt worden seien. Es sei keine gesicherte Aussage zu treffen, dass der Lenker des Fahrrads beim Sturz das Fahrrad nicht loslasse. Aber selbst wenn die Klägerin den Lenker nicht losgelassen habe, fehle es jedenfalls aufgrund des Nichtvorhandenseins von äußeren Verletzungszeichen am notwendigen Vollbeweis des Primärschadens im Bereich der linken Hand. Aber auch die haftungsausfüllende Kausalität sei nicht bewiesen. Einer Aktivierung einer vorhandenen Pseudarthrose stehe die dreimonatige Karenzzeit entgegen. Sie verweise auch auf das Gutachten des Dr.S. vom 17.03.2003. Es sei deshalb die Ursächlichkeit des Unfalls vom 01.03.1999 für die jetzt bestehenden erheblichen Veränderungen am linken Handgelenk nicht wahrscheinlich zu machen.

Die Klägerin hat dagegen mit Schriftsatz vom 16.09.2003 ein Gutachten des Prof.Dr.H. Z. , erstattet im Auftrag des Landgerichts München I im Rechtsstreit der Klägerin gegen die A. Versicherungs AG vom 13.05.2003, vorgelegt. Dieser wertet zunächst zusammen mit Privatdozent Dr.S. von der Ludwig-Maximilians-Universität die von der Klägerin vorgelegten Röntgenbildserie aus, da Privatdozent Dr.S. über das Handgelenk promoviert habe und eine große Anzahl von wissenschaftlichen Arbeiten über die kernspintomographische Untersuchung und normale Röntgenbilder des Handgelenks geschrieben habe. Symptomatisch sei in diesem Verlauf, dass die nicht optimalen Röntgenaufnahmen ungefähr 12 Wochen nach dem Unfallgeschehen am 25.05.1999 schon gewisse Zeichen der Knochensklerose gezeigt hätten. In der Tat sei auffällig, dass bei den Kahnbeinfrakturen die Verläufe sehr symptomarm seien, denn sonst könne man nicht so viele Kahnbeinpseudarthrosen sehen, wo in der Annamnese ein scheinbares Unfallereignis fehle. Man werde wohl diese Pseudarthrosen nicht alle auf einen Morbus Preiser zurückzuführen haben. Aus diesem Grund müsse man bei den Unfallgeschehen, wie es hier die Klägerin angebe, auch wenn es nach vier Jahren relativ harmlos erscheine, jedoch mit einem Sturz vom Fahrrad, gleich wie es gewesen sei, davon ausgehen, dass sich die Klägerin dabei eine Verletzung im linken Handgelenk zugezogen habe, die, wie das MRT vom 14.06.1999 beweise, eine Kahnbeinfraktur darstelle, die nicht mehr ganz frisch sei, aber in die zeitlichen Abläufe hineinpasse, die um den Zeitraum des 01.03.1999 fielen. Dazu passe der symptomarme Verlauf bzw. sogar schmerzfreie Verlauf, wie geschildert. Im Verlauf der dargestellten Röntgenaufnahme sei festzustellen, dass bei der Klägerin vom 25.05.1999 bis zu den aktuellen Röntgenaufnahme vom 30.04.2003 der dramatische Verlauf eines Zusammenbruchs des gesamten Kahnbeins zu sehen sei. Man könne aus dem Verlauf der Röntgenaufnahmen sagen, dass das Eintreten der Sklerose im Mai 1999 zeitlich sehr gut zu einem Unfallereignis passe, wie es am 01.03.1999 angegeben worden sei. Man müsse deshalb davon ausgehen, dass durch das Unfallgeschehen am 01.03.1999 sich die Klägerin diese Kahnbeinfraktur der linken Hand zugezogen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.02.2003 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom vom 27.09.2001 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts München beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Akteninhalt, insbesondere die ärztlichen Berichte und Gutachten, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143 ff. SGG zulässig und sachlich begründet.

Zu Recht hat die Beklagte entschieden, dass ein Anspruch auf Leistungen in Zusammenhang mit den Veränderungen der Klägerin am linken Handgelenk aus Anlass des Unfalls vom 01.03.1999 nicht gegeben ist. Gemäß § 8 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der unfallbedingte Körperschaden kann auch in der Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens bestehen (BSGE 7, 53). Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises dergestalt, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285, 286). Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als es den ursächlichen Zusammenhang im Sinn der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie den Zusammenhang betrifft, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Erkrankung bestehen (Krasney, Vierteljahresschrift für Sozialrecht 1993, 81, 114). Es kann dahinstehen, ob bei der Klägerin am 01.03.1999 bereits eine Pseudarthrose des Kahnbeins vorlag oder ob es sich bei der am 14.06.1999 festgestellten Veränderung um eine nicht mehr ganz frische Kahnbeinfraktur handelte. Entscheidend ist, dass im Fall der Klägerin nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass im Unfallzeitpunkt eine Gewalt auf das linke Handgelenk der Klägerin eingewirkt hat, die geeignet gewesen wäre, eine Fraktur des Kahnbeins oder die Aktivierung einer Pseudarthrose herbeizuführen. Zwar hat die Klägerin in der Klageschrift geltend gemacht, sie habe gegenüber dem Durchgangsarzt Dr.B. bereits am 01.03.1999 über Schmerzen im linken Ellenbogen aufgrund des starken Aufpralls auf den Fahrradlenker geklagt, doch bestehen daran erhebliche Zweifel, da der Durchgangsarzt sich zumindest nicht veranlaßt gesehen hat, entsprechende Untersuchungen des linken Ellenbogens anzustellen. Vielmehr hat die Klägerin offensichtlich über Beschwerden im Bereich des rechten Ellenbogens und rechten Knies geklagt, was zu entsprechenden Röntgenaufnahmen und Diagnosen des Durchgangsarztes geführt hat. Auch gegenüber dem Unfallbeteiligten T. hat die Klägerin lediglich Schmerzen im rechten Arm und rechten Bein geltend gemacht. Noch anläßlich der Untersuchung durch Dr.B. am 01.10.1999 hat die Kläger angegeben, zunächst keine Beschwerden im Bereich des linken Handgelenks gehabt zu haben. Wie die Klägerin bei Dr.W. erklärte, traten vielmehr die ersten Beschwerden in diesem Bereich im Mai 1999 auf und zwar, laut einem Schreiben vom 02.11.1999 an die DAK, "Pfingsten 1999", das heißt am 23./24.05.1999. Tatsache ist, dass die Klägerin sich erstmals am 08.06.1999 wegen Schmerzen im Bereich des linken Handgelenks in der handchirurgischen Abteilung der Chirurgischen Klinik der Innenstadt vorstellte. Dabei war ihr der Unfallmechanismus nicht mehr erinnerlich und sie gab an, dass primär keinerlei Verletzungszeichen im Bereich der linken Hand erkennbar gewesen seien. Prof.Dr.B. , der einen Zusammenhang zwischen den Veränderungen im Bereich des linken Handgelenks und dem angeschuldigten Unfall in Form der Aktivierung einer Pseudarthrose annimmt, stützt seine Meinung entsprechend auch auf reine Vermutungen. Er führt aus, dass eine straffe Pseudarthrose, die er bei der Klägerin annimmt, durch einen Sturz oder durch einen Schlag oder durch eine ähnliche äußere Gewalteinwirkung aktiviert werden könne, in dem Sinn, dass sie plötzlich zu schmerzen anfange. Dass die Klägerin beim Sturz das Fahrrad mit den Händen festgehalten hat, wie der Sachverständige ausführt und dass dadurch ein Impuls das linke Handgelenk getroffen hat, der ausreichend war, um eine Scaphoidfraktur zu verursachen oder eine vorbestehende straffe Pseudarthrose zu aktivieren, stellt eine reine Spekulation des Sachverständigen dar, für die keinerlei Beweis gegeben ist. Im Gegenteil bestätigt die Klägerin die Annahme des Sachverständigen nicht, sie habe den Lenker im Zeitpunkt des Sturzes festgehalten nicht. Sie hat vielmehr am 08.06.1999 bei der Untersuchung in der Universitätsklinik Innenstadt M. bekundet, sich nicht mehr an den Unfallmechanismus erinnern zu können. Prof.Dr.P. , auf den sich das Sozialgericht zur Bekräftigung seiner Begründung unter anderem stützt, hat zwar in seiner Stellungnahme vom 28.12.2000 ausgeführt, dass durch einen erneuten Unfall bei einer Pseudarthrose des Os scaphoids neue Beschwerden und Schmerzen im Handgelenk auftreten können, er hat jedoch eine derartige Gewalteinwirkung auf das Handgelenk der Klägerin durch den Unfall noch nicht einmal behauptet. Auch dem Gutachten des Prof.Dr.Z. , der eine unfallbedingte Kahnbeinfraktur annimmt, kann mangels Beweises einer entsprechenden Gewalteinwirkung nicht gefolgt werden. Der Gutachter führt seine Meinung, es sei durch den Unfall vom 01.03.1999 zur Verletzung des linken Handgelenks gekommen, darauf zurück, dass bei den Kahnbeinfrakturen häufig die Verläufe sehr symptomarm sind und nicht alle Pseudarthrosen auf einen Morbus Preiser zurückzuführen seien. Die Krafteinwirkung durch den Unfall schließt der Sachverständige einzig daraus, dass am 14.06.1999 eine nicht mehr ganz frische Kahnbeinfraktur bei der Klägerin festgestellt worden sei, die "in die zeitlichen Abläufe hineinpaßt, die um den Zeitraum des 01.03.1999 fallen". Die Möglichkeit, dass die sich auf den Röntgenbildern nach seiner Ansicht zeigende Kahnbeinfraktur um den 01.03.1999 herum stattgefunden haben könnte, genügt jedoch nicht, um eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und Leiden anzunehmen.

Das Urteil des Sozialgerichts München war nach allem aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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