L 16 RJ 31/02 ZVW

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 Ar 356/94.A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 31/02 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. September 1994 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der Kläger ist Ehemann und Sonderrechtsnachfolger der im Jahr 1953 geborenen und am 4. November 1999 verstorbenen Versicherten D. V ... Die Versicherte war Staatsangehörige der Republik Mazedonien und hatte dort seit ihrer Rückkehr aus Deutschland 1983 ihren Wohnsitz (JU 202 vom 27. September 1993). Sie hatte nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt, war zwischen Dezember 1971 und August 1983 in Deutschland als Arbeiterin und einwöchig angelernte Kontrolleurin sozialversicherungspflichtig beschäftigt und hatte in dieser Zeit - unterbrochen durch Zeiten der Schwangerschaft und der Arbeitsunfähigkeit - über 60 Monate Pflichtbeitragszeit zurückgelegt, zuletzt vom 28. Mai 1980 bis 26. August 1983 (Versicherungsverlauf vom 13. Mai 1994). In Mazedonien hatte sie keine Versicherungszeiten zurückgelegt (JU 205 vom 27. September 1993).

Bei der Versicherten war seit 1976 ein Diabetes mellitus bekannt. Ab 1991 erfolgte eine Insulin-Therapie. Wegen eines diabetischen Gangräns am rechten Fuß und rechten Unterschenkel war im März 1993 eine Amputation in Höhe des unteren Drittels des Unterschenkels erfolgt. Auch am linken Unterschenkel und Sprunggelenk fanden sich damals diabetische Gangräne.

Den am 6. Juli 1993 über die mazedonische Verbindungsstelle gestellten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 18. November 1993 in der Fassung des Bescheides vom 10. Dezember 1993 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1994). Die Versicherte sei zwar seit dem 31. März 1993 berufs- und erwerbsunfähig und habe die allgemeine Wartezeit erfüllt, doch seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Landshut - SG - vom 28. September 1994, Urteil des Bayer. Landessozialgerichts - LSG - vom 28. Juli 1999). Der Senat hat in seinem Urteil ausgeführt, dass weder bei einem Versicherungsfall vom März 1993 (Unterschenkelamputation) noch bei Annahme eines Versicherungsfalles vom Januar 1991 (Beginn der Insulintherapie) die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§§ 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2, 44 Abs.1 Satz 1 Nr.2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung - a.F. -) erfüllt seien. Die Versicherte habe im jeweils maßgebenden Fünfjahreszeitraum keine Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Es liege auch keine vorzeitige Wartezeiterfüllung (§ 43 Abs.4 i.V.m. §§ 53, 245 SGB VI a.F.) und keine Verlängerung des Fünfjahreszeitraums durch Aufschub - oder Streckungstatbestände (§ 43 Abs.3 SGB VI a.F.) vor. Insbesondere habe nach Beendigung des letzten Beschäftigungsverhältnisses in Deutschland keine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Auch die Voraussetzungen der §§ 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB VI seien nicht erfüllt. Die bei der Versicherten seit September 1983 bestehende Lücke im Versicherungsverlauf könne nicht mehr durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge geschlossen werden. Ein diesbezüglicher sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht.

Auf die vom Senat zugelassene Revision hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil vom 28. Juli 1999 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen (Urteil vom 23. August 2001 - B 13 RJ 73/99 R -). Es sei noch zu ermitteln, ob der Kläger für die Zeit ab Januar 1984 nach mazedonischem Recht Beiträge zur mazedonischen Invalidenversicherung entrichten könne, da auch solche Beiträge Anwartschaftserhaltungszeiten im Sinne des (§ 240 Abs.2 und) § 241 (Abs.2) SGB VI a.F. seien.

Die übrigen Einwendungen des Klägers, insbesondere hinsichtlich des Eintritts des Versicherungsfalles und der Frage einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ab August 1983, hatten keinen Erfolg. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat sich zu diesen Einwendungen im weiteren Berufungsverfahren nicht mehr geäußert, insbesondere keine Unterlagen vorgelegt oder Anträge gestellt.

Der Senat hat eine Auskunft des mazedonischen Invalidenversicherungsträgers, eingegangen am 22. Dezember 2003, eingeholt. Dieser hat mitgeteilt, es bestehe nach mazedonischem Recht keine Möglichkeit der Zahlung freiwilliger Beiträge zur Renten- und Invalidenversicherung. Zwar habe bereits 1984 nach dem damals geltenden Recht der Republik Jugoslawien für die darin zusammengeschlossenen Republiken die Möglichkeit bestanden, eine freiwillige Versicherung einzuführen. In der Republik Mazedonien sei eine solche Regelung aber nicht in Kraft getreten.

Der Bevollmächtigte des Klägers vertritt die Ansicht, es liege ein Verstoß gegen Artikel 14 Grundgesetz (GG) vor, wenn die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit von der Erfüllung besonderer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen abhängig gemacht werde, obwohl die Versicherte nach dem Recht ihres Wohnsitzstaates nicht berechtigt gewesen sei, sich in der dortigen Renten- und Invalidenversicherung freiwillig zu versichern.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. September 1994 und die Bescheide der Beklagten vom 18. November 1993 und 10. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund des im Juli 1993 gestellten Antrags Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit seiner Ehefrau nach den gesetzlichen Vorschriften bis zum Tod der Ehefrau zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des BSG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten und die Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18. November 1993 in der Fassung des Bescheides vom 10. Dezember 1993 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1994, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Versicherten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Das Sozialgericht Landshut hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 28. September 1994 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat als Sonderrechtsnachfolger im Sinne von § 56 Abs.1 Satz 1 Nr.1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Rente liegen nicht vor.

Der vom Kläger geltend gemachte Rentenanspruch der Versicherten richtet sich nach §§ 43, 44 SGB VI a.F., da die Versicherte ihren Rentenantrag vor dem 1. April 2001 gestellt hat und Rente ausschließlich für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 begehrt wird (§ 300 Abs.2 SGB VI).

Zwar hatte die Versicherte mit mehr als 60 Kalendermonaten Beitragszeit zur deutschen Rentenversicherung die allgemeine Wartezeit erfüllt (§§ 50 Abs.1 Nr.2, 51 Abs.1 SGB VI) und war seit März 1993 berufs- und erwerbsunfähig, doch waren die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§§ 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2, 44 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB VI a.F.) nicht erfüllt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführlichen Darlegungen des Senats im Urteil vom 28. Juli 1999 Bezug genommen. Wie der Senat dort ausgeführt hat, liegt auch keine vorzeitige Wartezeiterfüllung (§§ 43 Abs.4, 44 Abs.4 i.V.m. §§ 53, 245 SGB VI a.F.) und keine Verlängerung des Fünfjahreszeitraums durch Aufschub- oder Streckungstatbestände (§§ 43 Abs.3, 44 Abs.4 SGB VI a.F.) vor. Insbesondere haben sich keine weiteren Anhaltspunkte für eine seit August 1983 bestehende dauerhafte Arbeitsunfähigkeit der Versicherten ergeben.

Auch die Voraussetzungen nach § 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB VI a.F. sind nach wie vor nicht erfüllt. Dass die Versicherte bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 1993 nicht mehr berechtigt war, für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1991 freiwillige Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten, hat das BSG in seinem Urteil vom 23. August 2001 sowohl hinsichtlich der Anwendung des § 197 Abs.3 SGB VI, als auch hinsichtlich einer entsprechenden Anwendung des § 203 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), des § 27 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und eines denkbaren sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ausdrücklich bestätigt. Insoweit wird ergänzend auf die Gründe dieses BSG-Urteils Bezug genommen.

Der Kläger ist aber auch nicht berechtigt, für die Zeit ab Januar 1984 Beiträge zur mazedonischen Renten- und Invalidenversicherung zu entrichten. Der zuständige mazedonische Versicherungsträger hat dem Senat auf Anfrage mitgeteilt, dass in Mazedonien bisher weder nach dem Recht der ehemaligen Republik Jugoslawien noch nach dem Recht der Republik Mazedonien die Möglichkeit bestanden hat, freiwillige Beiträge zur Renten- und Invalidenversicherung zu entrichten. Dem Senat liegen aus anderen Verfahren keine dem widersprechenden Auskünfte oder Gutachten zur Renten- und Invalidenversicherung in der ehemaligen Republik Jugoslawien und deren Nachfolgestaaten vor. Nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen bestand auch in anderen Nachfolgestaaten die Möglichkeit einer freiwilligen Beitragsent-richtung nur begrenzt auf bestimmte Personenkreise, deren Erwerbstätigkeit nicht von der Versicherungspflicht erfasst wurde oder denen die Möglichkeit gegeben werden sollte, ein bestehendes Versicherungsverhältnis nach Entfallen der Versicherungspflicht vorübergehend fortzusetzen.

Nachdem der Kläger weder im Revisionsverfahren noch im anschließend fortgesetzten Berufungsverfahren hinsichtlich der Frage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (Beratungsersuchen und Beratung der Versicherten in Mazedonien), des Eintritts des Versicherungsfalles (Entwicklung des Diabetes mellitus und daraus resultierende Folgeschäden vor dem März 1993) oder der Frage einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit nach Beendigung des letzten Beschäftigungsverhältnisses im August 1983 neue Tatsachen vorgetragen hat, bestand kein Anlass zu weiteren diesbezüglichen Ermittlungen des Senats. Es war auch nicht erforderlich, das mazedonische Recht selbst zu ermitteln und auszulegen, nachdem der zuständige mazedonische Versicherungsträger zum hier allein zu prüfenden Recht des Klägers auf rückwirkende Beitragsentrichtung zugunsten der Verstorbenen eine Auskunft gegeben hat, die im Einklang mit den bisherigen Erkenntnissen des Senats steht. Der Kläger selbst hat der Auskunft nicht widersprochen.

Die Anwendung der §§ 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2, 44 Abs.1 Satz 1 Nr.2 i.V.m. § 43 Abs.3 und 4, 240 Abs.2 , 241 Abs.2 SGB VI a.F. verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, da die Versicherte - wie der 13. Senat des BSG in seinem zurückverweisenden Urteil bestätigt hat - auch während ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Mazedonien ab 1983 gemäß Art.3 Abs.1 Buchstabe a) des im Verhältnis zur Republik Mazedonien weiterhin anwendbaren (BGBl. 1994 II S.326) deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl. 1969 II S.1438, i.d.F.d. Änderungsabkommens vom 30. September 1974 BGBl. 1975 S.390) - DJSVA - berechtigt war, sich in der deutschen Rentenversicherung freiwillig zu versichern (§ 1233 Abs.1 Reichsversicherungsordnung bzw. für die Zeit ab 01. Januar 1992 § 7 Abs.1 SGB VI), um ihre bereits erworbenen Anwartschaften aufrecht zu erhalten (vgl. zum DJSVA BSGE 86, 153 unter Bezugnahme auf BVerfGE 75, 78, zu Marokko dagegen BSG Urteil vom 11. Mai 2000 - B 13 31/99 R -). Dass die Versicherte nach mazedonischem Recht nicht berechtigt war, sich daneben auch in der dortigen Renten- und Invalidenversicherung freiwillig zu versichern, steht einer Anwendung der o.g. Vorschriften verfassungsrechtlich somit nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Zwar hatte die Revision im Sinne einer Zurückverweisung Erfolg, jedoch bleibt der Klage insgesamt der Erfolg versagt.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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