L 15 SB 7/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SB 120/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 7/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.10.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger weiterhin die Schwerbehinderteneigenschaft oder nur ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in Höhe von 30 festzustellen ist.

Der 1943 geborene Kläger stellte erstmals im Juni 1998 Antrag auf Feststellungen nach dem SchwbG. Aufgrund eines Reha- Entlassungsberichts der Klinik H. vom selben Monat sowie eines Befundberichts der praktischen Ärztin Dr.G. mit weiteren kardiologisch/phlebologischen Befunden stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27.07.1998 einen GdB von 60 sowie die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" fest aufgrund folgender Behinderungen: 1. Herzmuskelerkrankung, Bluthochdruck 2. Zuckerkrankheit (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar).

Der Einzel-GdB für Behinderung Nr.1 betrug 50, der für Behinderung Nr.2 20. Der Reha-Entlassungsbericht der Klinik H. vom 26.06.1998 beschrieb eine seit zwei Jahren bekannte arterielle Hypertonie und einen Diabetes mellitus seit April 1998. Am 17.04.1998 sei der Kläger im Kreiskrankenhaus M. wegen zunehmender Dyspnoe und peripherer Ödeme aufgenommen worden. In der Praxis Dr.B. in M. sei am 30.04.1998 die Diagnose "dilatative Kardiomyopathie mit deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funktion" gestellt worden. Ein Belastungs-EKG am 22.05.1998 habe eine mögliche Belastung nur bis 75 Watt ergeben. Eine Echokardiographie vom selben Tage habe eine deutlich reduzierte linksventrikuläre Auswurffraktion von 37 % ergeben. Der Diabetes sei mit Diät und Tabletten behandelt worden.

Im Rahmen einer Nachprüfung von Amts wegen zog der Beklagte im Juni 2001 einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.H. bei, der neuere Befunde des Internisten Dr.Z. von Juni 1999 und Januar 2000 bzgl. der Herzerkrankung des Klägers vorlegte. Darin wurde eine gute Rückbildung der vorbeschriebenen dilatativen Kardiomyopathie mit normaler Auswurffraktion (55 % und später 56 %) bei allerdings noch deutlich erweitertem linken Vorhof und submaximaler Belastung bis 2 Minuten mit 100 Watt bestätigt.

Nachdem der Internist Dr.S. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.07.2001 eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers festgestellt und einen GdB von 30 vorgeschlagen hatte, wandte der Kläger im Rahmen einer Anhörung mit Schreiben vom 01.08.2001 ein, es sei bereits im ersten Bericht des Krankenhauses M. vom 05.06.1998 von einer deutlichen Besserung seines Allgemeinzustandes gesprochen worden. Seines Erachtens sei die seit Behandlungsbeginn eingetretene Besserung nur durch permanente Einnahme von Medikamenten, körperlicher Schonung und Einhaltung der täglichen Mittagsruhe eingetreten. Die Krankheitsursache sei jedoch weiterhin vorhanden. Der 1998 erstmals festgestellte Diabetes habe sich außerdem verschlechtert.

Es erging dennoch am 03.09.2001 ein Änderungsbescheid des Beklagten, durch den der GdB ab Bekanntgabe des Bescheids auf 30 herabgesetzt und das Merkzeichen "G" entzogen wurde.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und teilte mit, dass zur Zeit ein Berufungsverfahren gegen die LVA bzgl. Umwandlung der Erwerbsunfähigkeits- in eine Berufsunfähigkeitsrente laufe (Az. L 6 RJ 337/01 gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.05.2001, Az. S 3 RJ 435/00).

Der Beklagte zog daraufhin von der LVA Schwaben insbesondere das im Klageverfahren erstellte Gutachten des Internisten Dr.G. vom 05.01.2001 bei sowie für das Sozialgericht Augsburg erstellte Befundberichte von Dr.Z. und Dr.G. vom August 2000.

Dr.G. stellte in seinem Gutachten fest, ein von ihm durchgeführtes Belastungs-EKG vom 06.12.2000 habe eine Belastbarkeit bis 125 Watt mit Abbruch nach 30 Sekunden wegen allgemeiner Erschöpfung ergeben. Die Röntgenuntersuchung habe wieder ein normal großes Herz gezeigt, nachdem im April 1998 eine massive Herzvergrößerung, ferner ein Pleuraerguss rechts mit Lungenstauung im Röntgenbild vorgelegen hatten, die sich ebenfalls zurückgebildet hätten. Die Echokardiographie habe lediglich einen leicht vergrößerten linken Ventrikel mit verdickten Herzwänden bei vorliegender hypertensiver Herzerkrankung ergeben. Die Zuckerkrankheit sei unzureichend eingestellt, es sei grundsätzlich eine ergänzende Therapie mit Insulin zu überlegen. Es bestünden periphere arterielle Durchblutungsstörungen, wobei die Arteria dorsalis pedis beidseits tastbar gewesen sei. Die Arteria tibilais posterior beidseits sei nicht tastbar gewesen. Im Bereich des linken Unterschenkels sei die Haut postthrombotisch verändert (postthrombotisches Syndrom). Dr.G. hielt 1000 m einfache Wegstrecke für den Kläger zu Fuß zurücklegbar.

Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme des Internisten Dr.K. erging am 18.01.2002 ein zurückweisender Widerspruchsbescheid, der unter anderem damit begründet wurde, dass nach den beigezogenen ärztlichen Unterlagen eine wesentliche Besserung der Funktionseinschränkung des Herzens eingetreten sei.

Hiergegen hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg am 18.02. 2002 zur Niederschrift Klage erhoben und weiterhin die Feststellung des GdB von 60 und des Merkzeichens "G" begehrt.

Nach Beiziehung eines Befundberichts von Dr.H. vom 02.05.2002, der vom Kläger als bis heute behandelnder Arzt angegeben worden war, aber als letztes Konsultationsdatum den 08.03.2001 angegeben hat, hat das Sozialgericht dem Kläger mitgeteilt, dass eine Begutachtung von Amts wegen nicht angezeigt erscheine und nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom Kläger ein Arzt benannt werden könne.

Nachdem der Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt hat, hat das Sozialgericht aufgrund mündlicher Verhandlung am 17.10. 2002 durch Urteil die zuletzt nur noch auf eine Festellung eines GdB von mindestens 50 gerichtete Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe ab Bekanntgabe des Bescheids vom 03.09.2001 kein höherer GdB als 30 zu. Dies ergebe sich aus den Befunderhebungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Der Sachverhalt sei vor allem durch das vom Beklagten im Verwaltungsverfahren beigezogene Gerichtsgutachten des Dr.G. vom 05.01.2001 und den aktuellen Befundbericht des Dr.H. vom 02.05.2002 ausreichend dokumentiert und aufgeklärt. Die Bewertung der Herzmuskelerkrankung und des Bluthochdrucks mit GdB 20 stehe im Einklang mit den Anhaltspunkten 1996, dasselbe gelte für die Zuckerkrankheit (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar), die ebenfalls mit GdB 20 zu bewerten sei. Für die Behinderung "chronisch venöse Insuffizienz" könne kein höherer GdB als 10 zugeordnet werden. Der Gesamt-GdB sei mit 30 richtig eingeschätzt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27.12. 2002 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, die dem Sozialgericht vorliegenden Unterlagen seien nicht vollständig gewesen; es habe das Gutachten von Dr.S. , das im Auftrag der LVA Schwaben am 15.11.1999 erstellt worden sei, nicht vorgelegen. Es sei eine "periphere arterielle Durchblutungsstörung" bei der Ermittlung des GdB von 30 nicht berücksichtigt worden.

Der Senat hat daraufhin das Gutachtensheft der LVA Schwaben zu der den Kläger betreffenden Rentenakte beigezogen und das darin befindliche Gutachten des Dr.S. vom 15.11.1999 dem Beklagten zur Stellungnahme zugeleitet.

Dr.S. stellte damals fest, dass sich die Auswurffraktion der linken Herzkammer gebessert habe, weil sie sich im Oktober 1998 bereits bei 48 % und im Juni 1999 bei 55 % befunden habe. Die Diabeteseinstellung sei mit einem Wert von 6,9 % langfristig befriedigend. Es liege nunmehr beim Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wieder vor. Mittelschwere und schwere Tätigkeiten könnten weiterhin nicht ausgeübt werden. In dem erlernten Beruf eines Maschinenschlossers sei voraussichtlich auf Dauer nurmehr ein zweistündiger bis unterhalbschichtiger Einsatz anzunehmen. Auf zukünftige Kontrolluntersuchungen könne aus ärztlicher Sicht verzichtet werden.

Für den Beklagten hat der Internist Dr.S. am 17.03.2003 versorgungsärztlich ausgeführt, das vorgelegte LVA-Gutachten vom November 1999 ergebe keine neuen Gesichtspunkte zur aktuellen Feststellung von Behinderungen samt ihrer Bewertung. Gegen die geltend gemachte periphere arterielle Verschlusskrankheit sprächen die im damaligen Gutachten erwähnten beidseits kräftig tastbaren Arterien dorsalis pedis. Zwar habe Dr.G. in seinem Gutachten diese Diagnose genannt und aufgrund einer Doppler-Druckmessung am 06.12.2000 eine "Mediasklerose der Beinarterien" angenommen. Damit hätte Dr.G. lediglich eine Gefäßstarre, die häufig mit einem Diabetes mellitus assoziiert sei, beschrieben. Nach den klinischen Befunden sei von einer ausreichenden Durchblutung der Beine auszugehen, für die nach den Anhaltspunkten ein Einzel-GdB von 0 bis 10 anzusetzen sei. Dieser Bereich sei unter Behinderung Nr.3 berücksichtigt. Eine gemeinsame Bewertung der arteriellen und venösen Gefäßveränderungen mit Einzel-GdB 10 sei zutreffend. Hinsichtlich des Diabetes sei insbesondere aus der Berufungsschrift vom 27.12. 2002 zu schließen, dass keine wesentliche Therapieumstellung vorgenommen worden sei. Die zusätzliche Verordnung des Antidiabetikums "Meglucon 850", eines Biguanids, führe nicht zur Höherbewertung der Zuckerkrankheit.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 31.03.2003 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass keine weitere Beweiserhebung von Amts wegen beabsichtigt sei, er jedoch einen Antrag nach § 109 SGG stellen könne.

Mit Schriftsatz vom 03.05.2003 hat der Kläger erklärt, er wolle keinen Kostenvorschuss für eine erneute Untersuchung übernehmen. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, weshalb eine erneute ärztliche Untersuchung erforderlich sei. Im Gutachten von Dr.S. sei darauf hingewiesen worden, dass auf zukünftige Kontrolluntersuchungen im Hinblick auf das Alter des Versicherten aus ärztlicher Sicht verzichtet werden könne. Er verweise bezüglich der Festsetzung des GdB auf den Reha-Entlassungsbericht vom 26.06.1998 und bitte zu prüfen, ob ohne weitere ärztliche Untersuchung ein GdB von 50 festgesetzt werden könne, da sich sein Allgemeinzustand zwar bedingt durch permanente Medikamenteneinnahme und Schonung gebessert habe, die Organschäden und Beeinträchtigungen aber weiterhin vorhanden seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialge- richts Augsburg vom 17.10.2002 und des Bescheids vom 03.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2002 zu verurteilen, bei ihm weiterhin einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.10.2002 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, das beigezogene Gutachtensheft der LVA Schwaben sowie die Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszugs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet. Der im Bescheid vom 27.07.1998 mit 60 eingeschätzte GdB wurde zu Recht im angefochtenen Bescheid vom 03.09.2001 auf 30 herabgesetzt, obwohl als drittes Behinderungsleiden "eine chronisch venöse Insuffizienz" hinzugekommen war.

Nach § 48 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers, die bei Erlass des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vom 27.07.1998 vorgelegen haben, ab September 2001 eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung eingetreten. Dies ergibt sich sowohl aus dem für die LVA Schwaben eingeholten Gutachten des Dr.S. vom November 1999 als auch aus dem Gerichtsgutachten des Dr.G. , das vom Sozialgericht im Rentenstreit des Klägers eingeholt worden war, im Vergleich zu dem Reha-Entlassungsbericht der Klinik H. vom Juni 1998, in dem ein schweres Herzleiden, das im Erstfeststellungsverfahren nach dem SchwbG mit Einzel-GdB 50 bewertet worden war, dokumentiert ist. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AP) 1996 Nr.26.9 (S.87) folgt aus der von 75 Watt (im Mai 1998) auf 125 Watt (im Dezember 2000) gestiegenen Ergometerbelastbarkeit und den übrigen verbesserten Befunden des Herzens, (Auswurffraktion im Mai 1998: 37 %, im Januar 2000: 56 %), eine deutlich geringere Funktionseinschränkung. Auch das gut eingestellte Bluthochdruckleiden ergab, dass nicht mehr von einer schweren kardialen Leistungsbeeinträchtigung des Klägers, sondern nur noch von einer mittelschweren Leistungsbeeinträchtigung auszugehen ist. Im Hinblick auf die o.g. mögliche Ergometerbelastung erescheint die Bewertung des GdB mit 20 hierfür nach den Vorgaben der AP nicht zu niedrig.

Die Bewertung der Zuckerkrankheit mit Einzel-GdB 20 ist nach den AP Nr.26.15 eher großzügig eingeschätzt, da der Kläger weiterhin mit dem Antidiabetikum Meglucon 850 behandelt wird, bei dem es sich lt. versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr.S. vom 17.03.2003 um ein Biguanid handelt.

Schließlich sind auch die venösen und arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine nach den AP Nr.26.9 (Seiten 90, 91) mit GdB 10 ausreichend bewertet. Den Befunden in den Gutachten der Dres.S. und G. entspricht der in den AP vorgesehene GdB von 0 bis 10 für eine "chronisch venöse Insuffizienz, postthrombotisches Syndrom, mit geringem belastungsabhängigem Ödem, nicht ulcerösen Hautveränderungen ohne wesentliche Stauungsbeschwerden". Trotz des laut Gutachten von Dr.G. nicht überall optimalen Dopplerdrucks an den Beinarterien liegt offensichtlich keine arterielle Verschlusskrankheit mit einem GdB von mindestens 20 vor.

Der Kläger hat selbst eine wesentliche Besserung seiner Herzerkrankung eingeräumt. Seine ebenfalls geäußerte Auffassung, diese Erkrankung werde lediglich durch Medikamente und körperliche Schonung verdeckt und liege noch unverändert vor, ist ausweislich der Gutachten unzutreffend.

Nach den vorhandenen ärztlichen Unterlagen und dem gerichts- ärztlichen Gutachten zum Rentenstreit des Klägers erschien die eingetretene Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum so eindeutig geklärt, dass eine Entscheidung ohne Einholung eines gerichtsärztlichen Gutachtens zum SchwbG bzw. SGB IX vertretbar war, zumal der Kläger selbst eine weitere Untersuchung abgelehnt hat.

Die Berufung war aus diesen Gründen in der Sache zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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