L 7 P 47/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 88/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 47/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01.02.2002 streitig.

Bei dem 1956 geborenen Kläger kam es nach einem im Februar 1999 erlittenen Hirninfarkt zu einer Hemiparese der linken Körperhälfte. Am 02.02.2002 wurden Leistungen aus der Pflegeversicherung beantragt. In dem nach Untersuchung zu Hause erstellten Gutachten einer Pflegefachkraft des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Bayern (MDK) vom 22.05.2002 wurde ein Bedarf vom 29 Minuten und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten angenommen.

Mit Bescheid vom 24.05.2002 lehnte die Beklagte eine Leistungsgewährung ab. Auf den Widerspruch hin, mit dem geltend gemacht wurde, der Kläger benötige bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens die Hilfe seiner Eltern, holte die Beklagte eine weitere Stellungnahme einer Pflegefachkraft des MDK ein und wies sodann mit Widerspruchsbescheid 18.07.2002 den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger zum Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben. Dieses hat einen Befundbericht des Allgemeinmediziners und Phlebologen Dr.S. eingeholt und den Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, innere Medizin und Sportmedizin Dr.D. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 28.02.2003 zu Hause aufgesucht und das Gutachten am 05.05.2003 erstellt: In der Grundpflege bestehe ein täglicher Bedarf von 51 und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten.

Dem hat die Beklagte unter Vorlage einer Stellungnahme einer Pflegefachkraft des MDK vom 09.04.2003 widersprochen, wonach es eine Anzahl von Menschen gebe, die nach Verlust eines Armes durchaus in der Lage seien, das Leben selbständig zu meistern. Waschen von Händen und Gesicht sei mit der gesunden Hand durchaus selbständig möglich, Hilfebedarf bestehe nur beim Waschen des rechten Armes, gleiches gelte für das Duschen.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 23.06.2003 die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Diese hat ausgesagt, dass besonders das Waschen und Duschen, das etwa zweimal wöchentlich stattfinde, längere Zeit in Anspruch nehme. Ihr Sohn halte sich die Hälfte der Zeit bei sich im ersten Stock und die andere Hälfte im Erdgeschoss auf. Er bewohne eine abgeschlossene Wohnung. Das Essen nehme er im Erdgeschoss ein.

Mit Urteil vom 23.06.2003 hat das SG die Beklagte verurteilt, ab 01.02.2002 Leistungen der Pflegestufe I zu bewilligen. Ein Hilfebedarf in der Grundpflege des Klägers, bei dem sowohl der linke Arm als auch sein linkes Bein komplett gebrauchsunfähig seien, von mehr als 45 Minuten sei bewiesen. Die von Dr.D. angenommenen Zeiten im Bereich der Körperpflege (7 Minuten) und beim Duschen (3 Minuten) erschienen der Kammer dabei relativ gering. Nachdem der Kläger weder den Schürzengriff noch den Nackengriff ausführen könne, sei ohne weiteres objektivierbar, dass ein Hilfebedarf beim Waschen des Rückens und der unteren Extremitäten vorliegen müsse. Hinzu komme der Hilfebedarf beim Einseifen, Abtrocknen und den beim Baden notwendigen Transfers. Gleiches gelte für die Zahnpflege. Bei der Darm- und Blasenentleerung sei ein Hilfebedarf schon für das Richten der Bekleidung ohne weiters nachvollziehbar. Ein Hilfebedarf bestehe ferner beim Treppensteigen, weil der Kläger die Mahlzeiten im häuslichen Bereich seiner Eltern einnehme. Gleiches gelte für das Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung (2 Minuten) im Zusammenhang mit den ergotherapeutischen Behandlungen, die dem Verbleiben im häuslichen Bereich und weniger einer Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes dienten.

Zur Begründung ihrer Berufung bringt die Beklagte vor, es handele sich überwiegend um Hilfeleistungen in Form von Unterstützung bzw. Teilübernahme, die eine zeitlich geringfügigere Bewertung zur Folge hätten. Der angegebene Hilfebedarf beim Toilettengang bzw. bei der mundgerechten Zubereitung der Mahlzeiten stimme nicht mit dem Abschlussbericht des Nachsorgezentrums A. überein. Der Kläger sei mit dem Gehstock selbständig gehfähig. Bei der Zubereitung der Nahrung könne allenfalls das Zerkleinern von Fleisch berücksichtigt werden. Transferzeiten hätten auszuscheiden, weil das Treppensteigen zur Nahrungsaufnahme im häuslichen Bereich der Eltern nicht berücksichtigt werden könne, ebensowenig das Aufsuchen der Ergotherapie, da es sich dabei um Rehabilitation handele.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.06.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtzüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor. In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Zutreffend hat das SG die Beklagte zur Bewilligung von Pflegeld nach Pflegestufe I ab 01.02.2002 verpflichtet, da die Anspruchsvoraussetzungen hierfür gegeben sind.

Der Kläger ist pflegebedürftig nach Stufe I, da er im Sinne des § 15 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB XI bei der Körperpflege, der Ernährung und Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, beträgt wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.

Auch von der Beklagten wird nicht bestritten, dass der Kläger in der hauswirtschaftlichen Versorgung Hilfe im Umfang von wenigstens 45 Minuten täglich benötigt. Entgegen der Auffassung der Beklagten beträgt der Bedarf in der Grundpflege mehr als 45 Minuten. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest auf Grund des schlüssigen und überzeugenden Gutachtens des Dr.D. vom 05.05.2003, dem trotz der Einwände der Beklagten zu folgen ist. Danach ist einmal täglich Hilfe bei der Teilwäsche des Oberkörpers im Umfang von 4 Minuten und dreimal täglich bei der Teilwäsche von Hände und Gesicht von insgesamt 3 Minuten erforderlich. Dr.D. ist davon ausgegangen, dass einmal wöchentlich geduscht wird, und hierfür auf den Tag 3 Minuten entfallen. Jedoch hat die Mutter als Zeugin ausgesagt, dass grundsätzlich zweimal die Woche geduscht wird, was nachvollziehbar ist und keinem übertriebenen Reinigkeitsbedürfnis entspricht, so dass insoweit wenigstens 6 Minuten anzusetzen sind. Für Zahnpflege und Rasieren sind jeweils 2 Minuten täglich Hilfe erforderlich. Die Hilfe bei der Blasen- und Darmentleerung erfordert wenigstens 11 Minuten. Da der Kläger feste Speisen nicht selbst zerkleinern kann, ist viermal täglich Hilfe in Form der mundgerechten Zubereitung im Umfang von 8 Minuten erforderlich. Die Hilfe beim Ankleiden erfordert 4 Minuten, beim Entkleiden 2 Minuten. Hilfe beim Gehen ist 6 Minuten täglich erforderlich.

Diese Zeitansätze, die nachvollziehbar und nicht als zu hoch gegriffen anzusehen sind, ergeben einen täglichen Grundpflegebedarf von 48 Minuten. Deshalb kann dahinstehen, ob der von Dr.D. zusätzlich angenommene Hilfebedarf beim Treppen steigen von 4 Minten und beim Verlassen/wieder Aufsuchen der Wohnung von 2 Minuten zu berücksichtigen ist. Demgegenüber sind die Einwendungen der Beklagten nicht nachzuvollziehen, wenn z.B. beim Duschen lediglich ein Hilfebedarf für das Waschen des rechten Armes angenommen wird; angesichts der Lähmung der gesamten linken Körperhälfte besteht eine starke Stehunsicherheit, die den Kläger keinesfalls in die Lage versetzt, alleine zu duschen. Auch kann der Kläger alleine keine Flasche öffnen oder härtere Gegenstände schneiden, weshalb auch insoweit die Zeitansätze zutreffend sind.

Der Hinweis auf den Abschlussbericht des Nachsorgezentrums A. vom 09.08.2001 bringt demgegenüber keine anderen Erkenntnisse. Die Aussage, dass der Kläger z.B. beim An- und Auskleiden "immer weniger Unterstützung" benötige, ist zu pauschal, um daraus ableiten zu können, dass er keine Unterstützung bzw. Unterstützung in einem geringeren Umfang, als Dr.D. festgestellt hat, benötigt.

Somit war die Berufung der Beklagten gegen zutreffende Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.06.2003 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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