L 18 V 8/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 V 27/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 8/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Gerichtsbescheid ist wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs fehlerhaft ergangen, wenn das Sozialgericht einen Rechtsbegriff rechtsirrig ausgelegt und deshalb den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt hat.
2. Das rechtliche Gehör wird verletzt, wenn das Gericht über die Klage entschieden hat, bevor die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) in Rechtskraft erwachsen ist.
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.01.2004 aufgehoben. Die Streitsache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Bayreuth zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei dem Kläger Gesundheitsstörungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anzuerkennen und zu entschädigen sind.

Der 1937 geborene Kläger stellte am 02.05.2003 erstmals einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem BVG. Wegen der geltend gemachten Körperschäden verwies er auf eine Klageschrift vom 27.02.2003 an das Verwaltungsgericht Berlin betreffend eine Verwaltungsstreitsache gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Zahlung einer Beihilfe nach den "Richtlinien der Bundesregierung für die Vergabe von Mitteln an Verfolgte nicht jüdischer Abstammung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen im Rahmen der Wiedergutmachung". Dort hatte er geltend gemacht, dass er wegen Lebensbedingungen als Angehöriger der Volksgruppe Sinti in der Nazizeit seit seiner Kindheit an Magen- und Darmbeschwerden, Schlafstörungen und Angstträumen, Bluthochdruck und schweren Kreislaufstörungen leide. Bandscheibenprobleme und frühzeitiger Gelenkverschleiß sowie Kleinwuchs seien auf die seinerzeitige schlechte und völlig mangelhafte Ernährung zurückzuführen. Weitere Gründe für die Entstehung der Körperschäden seien gekürzte Lebensmittelrationen, menschenunwürdige Bedingungen und das Verbot, den Luftschutzkeller aufzusuchen. Er sei von 1939 bis 1945 in einer Baracke interniert gewesen und eine ärztliche Behandlung sei wegen der Zugehörigkeit zu den Sintis abgelehnt worden. Der Kläger legte ein fachärztliches Attest des Arztes für Psychiatrie Dr.Dr.K. vom 11.11.2002 vor, wonach seine hochbelastete Kindheit ohne Zweifel zu schweren psychosomatischen Störungen sowie zu wochenlangen depressiven Phasen geführt habe.

Der Beklagte lehnte die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit Bescheid vom 16.05.2003 mit der Begründung ab, Zivilpersonen seien nach dem BVG nur geschützt, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit kriegerischen Vorgängen zu Schäden kämen. Ansprüche, die auf einem innerstaatlichen und nationalsozialistischen Gewaltzustand beruhten, könnten nur nach dem Bundesentschädigungsgesetz geltend gemacht werden.

Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er sei im Kindesalter Zeuge der Beschießung eines Zuges mit Menschen im Raum B. gewesen. Er habe auch Angriffe in der B.straße in B. miterlebt und mit angesehen, wie Leute schwer verletzt und getötet worden seien. Er habe als Augenzeuge auch Angriffe von amerikanischen Soldaten auf deutsche Soldaten miterlebt. Er habe wegen dieser Erlebnisse Angstträume. Sein bestehender Bluthochdruck sei auf diese Einwirkungen zurückzuführen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2003 als unbegründet zurück und verneinte das Vorliegen einer unmittelbaren Kriegseinwirkung auf den Kläger durch die von ihm geschilderten Vorgänge unter Berufung auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.09.1993 Az: 9/9a RV 28/92. Erkrankungen infolge von Schrecken und Aufregung bildeten keine Grundlage für einen Versorgungsanspruch. Auch Einwirkungen, die auf einem innerstaatlichen Gewaltzustand beruhten, wie Mangelzustände bei der Ernährung oder der Versorgung mit Arzneimitteln fielen nicht unter den Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung.

Gegen diese Bescheide hat die damalige Bevollmächtigte des Klägers am 13.10.2003 Klage erhoben und beantragt, dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren. Mit Schreiben vom 14.11.2003 hat die Bevollmächtigte des Klägers das Mandat niedergelegt. Die Vorsitzende der 10. Kammer des Sozialgerichts Bayreuth, Richterin am Sozialgericht (RiSG) S. hat mit Schreiben vom 03.12.2003 beim Kläger anfragen lassen, ob der Rechtsstreit seine Erledigung gefunden habe. Sie hat ihre Anfrage damit begründet, dass für die Klage keine Erfolgsaussichten erkennbar seien. Leistungen nach dem BVG könnten nur gewährt werden, wenn eine Schädigung durch militärische Handlungen eingetreten sei. Die vom Kläger berichteten Erlebnisse und Ausgrenzungen beruhten ihrer Art nach nicht auf militärischen Maßnahmen, sondern auf parteipolitisch begründeten Verhaltensweisen von Zivilisten. Damit schieden Leistungen nach dem BVG zweifelsohne aus. Der Kläger hat an seiner Klage festgehalten (Niederschrift des Sozialgerichts vom 16.12.2003) und ausgeführt, er habe während Bombenangriffen keinen Luftschutzkeller aufsuchen dürfen. Er leide deshalb bis heute unter schweren Träumen in Verbindung mit nächtlichen Schweißausbrüchen sowie Angstattacken auch am Tage. Er habe deshalb ein Kindheitstrauma und sei der Meinung, dass dies eine schwere Kriegseinwirkung darstelle. Seine Leiden könnte sein behandelnder Arzt Dr.Dr.K. bestätigen.

Das Sozialgericht hat den Beteiligten mit Schreiben vom 17.12.2003 mitgeteilt, dass die Sach- und Rechtslage im vorliegenden Verfahren keine Besonderheiten oder Schwierigkeiten aufweise und deshalb der Erlass eines Gerichtsbescheides gemäß § 105 SGG beabsichtigt sei.

Der Kläger hat auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestanden (Niederschrift des Sozialgerichts vom 29.12.2003 und Gesprächsnotiz vom 15.01.2004) und die Auffassung vertreten, dass er zu dem nach dem BVG geschützten Personenkreis gehöre, da er durch unmittelbare Kriegseinwirkung einer fremden Macht zu Schaden gekommen sei.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2004 die Klage abgewiesen und mit einem im Gerichtsbescheid enthaltenen Beschluss die Gewährung von PKH abgelehnt. Die Klageabweisung hat das Sozialgericht insbesondere damit begründet, dass es an einer unmittelbaren Kriegseinwirkung fehle, wenn der Kläger als Kind einen Tieffliegerbeschuss eines Zuges und Angriffe von Amerikanern auf Deutsche sowie die Bombardierung von B. miterlebt habe. Den Antrag auf PKH lehnte das Sozialgericht wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Klage ab.

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid Berufung und gegen die Ablehnung der PKH Beschwerde eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger angegeben, er habe sich im Alter von 8 Jahren faktisch in einem militärähnlichen Dienstverhältnis befunden, da er zu Hilfsdiensten (Essen holen, kleinere Arbeiten) herangezogen worden sei. Da es Sinti und Roma durch einen Erlass vom 17.10.1939 strengstens untersagt gewesen sei, Luftschutzkeller aufzusuchen, sei er während einer der Luftangriffe auf die Stadt B. durch umherfliegende Trümmerteile im Gesicht, am linken Arm sowie an den Schienbeinen links und rechts schwer verletzt worden. Er sei damals von Sanitätern notversorgt worden. Zwar seien die körperlichen Verletzungen bis auf einige heute noch erkennbaren Narben ohne Folgen geblieben, jedoch hätte er erhebliche seelische Schäden wegen der damals erlittenen Traumatisierung zurückbehalten. Dies habe er bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragen. Hierzu hat der Kläger auf das ärztliche Attest des Dr.Dr.K. vom 11.11.2002 verwiesen.

Am 24.02.2004 hat der Kläger die Vorsitzende der 16. Kammer des Sozialgerichts Bayreuth, RiSG S. , zur Niederschrift des Sozialgerichts als befangen abgelehnt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid des Beklagten vom 16.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2003 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.01.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, seelische Schäden als Schädigungsfolge anzuerkennen und zu entschädigen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.01.2004 zurückzuweisen. Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und durch den Vorsitzenden des Senats zugestimmt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Beschädigtenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung des Senats ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden (§§ 124 Abs 2, 155 Abs 3 SGG). Nach dem (internen) Geschäftsverteilungsplan des 18. Senats ist der Vorsitzende für die Bearbeitung von Streitsachen nach dem BVG zuständig.

Die nach §§ 143, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung an das Sozialgericht begründet.

Das Landessozialgericht (LSG) kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 159 Abs 1 Nr 2 SGG).

Das erstinstanzliche Verfahren leidet in mehrfacher Hinsicht an dem wesentlichen Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG), der für sich allein schon die Zurückverweisung rechtfertigt (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 62 RdNr 11).

Zum einen hat das Sozialgericht, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, durch Gerichtsbescheid entschieden und damit nicht aufgrund der grundsätzlich erforderlichen mündlichen Verhandlung. Durch Gerichtsbescheid kann gemäß § 105 Abs 1 Satz 1 SGG nur entschieden werden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Bestimmung ist dazu gedacht, tatsächlich und rechtlich einfach gelagerte Fälle zügig zu entscheiden und die erste Instanz zu entlasten (ebenso LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.11.1999 Az: L 4 RJ 158/99 juris Nr: KSRE030740508). Zwar steht dem Sozialgericht bei der Beurteilung des Grades der Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art ein Ermessensspielraum zu (vgl aaO, § 105 RdNr 9). Eine nicht hinzunehmende Fehleinschätzung des Schwierigkeitsgrades der Sache durch das Sozialgericht liegt jedoch dann vor, wenn es einen Rechtsbegriff fehlerhaft ausgelegt hat und deshalb den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt hat.

So ist es hier. Das Sozialgericht hat den Begriff der "unmittelbaren Kriegseinwirkung" im Sinne des § 1 Abs 2 a iVm § 5 BVG - wie der Beklagte - fehlerhaft ausgelegt. Eine "unmittelbare Kriegseinwirkung" liegt auch vor, wenn Kampfhandlungen oder Kampfmittel auf den Beschädigten psychisch unmittelbar eingewirkt haben, so zB wenn sich ein Beschädigter bei einem Fliegerangriff in unmittelbaren Zerstörungsbereich der Bomben befunden hat und damit deren Einwirkungen unmittelbar ausgesetzt war. Als Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung haben dann alle Gesundheitsschäden zu gelten, die ohne sie nicht oder nicht in diesem Maße oder nicht etwa zur gleichen Zeit mit Wahrscheinlichkeit eingetreten wären (so Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 7. Auflage § 5 BVG RdNr 4 mwN). Das vom Beklagten herangezogene Urteil des BSG vom 29.09.1993, Az: 9/9a RV 28/92 juris Nr: KSRE016523408 ist vorliegend offensichtlich nicht einschlägig. Ein Fall der unmittelbaren Kriegseinwirkung ließ sich in diesem Fall deshalb nicht feststellen, weil es unaufklärbar geblieben war, ob der Beschädigte selbst durch Kriegslärm einen psychischen Schock erlitten hatte. Selbst wenn dies aber der Fall gewesen sein sollte konnte nicht festgestellt werden, dass ein beim Beschädigten selbst eingetretener Schock zu einer Augenverletzung geführt hatte. Nach der Grundsätzen der objektiven Beweislast ging es zu Lasten des Klägers, dass sich der Tatbestand einer Schädigung durch unmittelbare Kriegseinwirkung nicht hat feststellen lassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG steht fest, dass eine Kriegseinwirkung, die zu einer gesundheitlichen Schädigung des Betroffenen geführt hat, auch psychischer Natur sein kann. Eine derartige psychische Einwirkung hat es zB in einem seelischen Schock gesehen, der auf ein durch Brandbomben verursachtes Feuer zurückging (Wilke/Fehl aaO unter Verweisung auf BSG Urteil vom 13.05.1958 - 10 RV 678/56 - BVBl 1959 Seite 7).

Abgesehen von der rechtlichen Fehlbeurteilung des Sozialgerichts sind vorliegend besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht schon deshalb gegeben, weil ein Sachverhalt aufzuklären ist, der mehr als 60 Jahre zurückliegt. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist der vorliegende Fall ungeeignet, durch Gerichtsbescheid entschieden zu werden.

Eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt darin, dass das Sozialgericht vor seiner Entscheidung keine ordnungsgemäße Anhörung im Sinne von § 105 Abs 1 Satz 2 SGG durchgeführt hat. Erforderlich ist insoweit, dass das Sozialgericht den Beteiligten mitteilt, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung erwägt, und ihnen Gelegenheit gibt, sich dazu zu äußern. Dabei ist das rechtliche Gehör den Beteiligten dann ausreichend gewährt, wenn ihnen Gelegenheit zur ausführlichen Stellungnahme in der Sache selbst wie auch zur Äußerung von etwaigen Bedenken eingeräumt wird, die diese gegen die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch Gerichtsbescheid haben. Deshalb muss die Anhörung in einer Weise erfolgen, die diesem Ziel gerecht wird, also unmissverständlich, konkret und fallbezogen sein. Das bedeutet zugleich, dass die mit entsprechenden inhaltlichen Hinweisen versehene Anhörung am Ende der Ermittlungen und unmittelbar vor Erlass des Gerichtsbescheides zu erfolgen hat. Das ist hier nicht geschehen. So ist der an den Kläger gerichtete Hinweis auf die Absicht des Sozialgerichts, durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG zu entscheiden, nicht hinreichend, um einem Laien darzutun, dass der Bescheid ohne mündliche Verhandlung ergeht (§ 105 Abs 1 Satz 1 SGG) und in der Konsequenz hiervon Ladungen oder/und Terminsmitteilungen nicht erfolgen sowie der Einzelrichter anstelle der Kammer in voller Besetzung entscheidet. Es ist auch entgegen § 105 Abs 1 Satz 2 SGG nicht eine Anhörung über die Voraussetzungen des Gerichtsbescheides insofern erfolgt, als der Hinweis fehlt, dass der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs 1 Satz 1 SGG); dieser formale Hintergrund muss annähernd mitgeteilt werden, wenn auch das Gericht nicht zur Darlegung verpflichtet ist, welche konkreten Überlegung im Einzelnen angestellt worden sind (so BayLSG, Urteil vom 13.12.2001, Az: L 14 RJ 552/00 juris Nr: BYRE030214131). Zu dem Anspruch auf rechtliches Gehör zählt, das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern und diese auf entscheidungserhebliche Tatsachen hinzuweisen. Es hätte für das Sozialgericht im Rahmen der Anhörung Anlass bestanden, sich mit dem Vortrag des Klägers vom 16.12.2003 betreffend die Einwirkung von Bomben auseinanderzusetzen. Dies deshalb, weil das Sozialgericht in seiner Aufforderung an den Kläger vom 03.12.2003, die Klage zurückzunehmen, von Erlebnissen des Klägers ausgegangen ist, die ihrer Art nach nicht auf militärischen Maßnahmen beruhten.

Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist auch darin zu sehen, dass das Sozialgericht den Kläger - nachdem dieser Einwendungen am 29.12.2003 gegen die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid erhoben hatte - nicht erneut angehört hat. Widerspricht ein Beteiligter im Rahmen seiner Anhörung einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid und ergänzt er seinen bisherigen Vortrag, ergibt sich für das Sozialgericht eine neue Prozesssituation. Beabsichtigt es dann weiterhin, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, verstößt es gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs, wenn es die Beteiligten nicht zuvor von dieser Absicht unterrichtet und sie hierzu erneut anhört. Der Gerichtsbescheid ist in einem solchen Fall verfahrensfehlerhaft erlassen worden und der Rechtsstreit kann vom LSG an das Sozialgericht zurückverwiesen werden (so Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.06.2000, Az: L 8 U 77/99 E-LSG U-130). Der Kläger hat vorliegend in der Niederschrift vom 29.12.2003 dargelegt, weshalb er nach seiner Auffassung aufgrund einer unmittelbaren Kriegseinwirkung zu Schaden gekommen sei. Er hat ausdrücklich auf eine mündliche Gerichtsverhandlung bestanden. Er hat sich am 15.01.2004 nach dem Sachstand des Verfahrens erkundigt und erklärt, dass er nicht mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei und darauf hingewiesen, dass er dies bereits beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu Protokoll gegeben habe, bis jetzt aber noch keine Antwort erhalten habe. Er hat deshalb gebeten, ob und gegebenenfalls wann er mit einer mündlichen Verhandlung rechnen könne. Das SG hat - ohne dem Kläger eine weitere Nachricht zukommen zu lassen - die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2004 abgewiesen. Es hätte zu den Pflichten des Sozialgerichts im Rahmen der Anhörung gehört, dem Kläger nunmehr mitzuteilen, dass es an seiner Absicht durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, trotz seiner Einwendungen festhalte.

Das SG hat den Grundsatz auf rechtliches Gehör des nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Klägers des Weiteren dadurch verletzt, dass es über die Klage entschieden hat, bevor die Entscheidung über den Antrag auf PKH rechtskräftig geworden ist. Es stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Mangel im Verfahren dar, wenn ein Gericht einem Rechtsuchenden die Möglichkeit abschneidet, seine Entscheidung wie es vom Gesetzgeber vorgesehen ist, durch das Rechtsmittelgericht überprüfen zu lassen, bevor über die Sache, für deren Durchführung die Entscheidung begehrt worden ist, entschieden ist (ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 05.01.1983 in "Die Sozialversicherung ", August 1983, Seite 216). Sinn und Zweck des PKH-Verfahrens ist nur dann erfüllt, wenn über dieses vorrangig rechtzeitig vor dem Verfahren in der Hauptsache entschieden wird. Nur so ist gewährleistet, dass es dem Rechtsuchenden noch möglich ist, das Verfahren durch weiteren Sachvortrag zu seinen Gunsten vorzubereiten (aaO und Senatsurteil vom 17.10.2001 Az: L 18 U 121/01 juris Nr: BYRE030213172).

Das Vorgehen des Sozialgerichts widerspricht zugleich einer am Rechtsstaatsprinzip orientierten Verfahrensführung und stellt auch aus diesem Grund einen Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfGE 51, 150, 156; 60, 175, 215 mwN) gehört der Anspruch auf eine "faire" Verfahrensführung zu den wesentlichen Ausprägungen des Rechtstaatsprinzips, wie es in Art 20 Abs 3 Grundgesetz verankert ist. Das Prozessrecht der Sozialgerichtsbarkeit sieht in § 73 a SGG iVm §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO) die Möglichkeit der PKH vor, um jedem Bürger ein gewisses Maß an Chancengleichheit bei der Wahrnehmung seiner Interessen vor Gericht zu gewährleisten. Zu den Pflichten des Gerichts gehört es aber nicht nur über den Antrag auf Bewilligung von PKH (§ 117 ZPO) zu entscheiden (§ 127 ZPO), sondern auch dem Antragsteller die Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung mit dem Ziel zu ermöglichen, diese durch das Berufungsgericht korrigieren zu lassen. Nur auf diese Weise kann eine durch das Beschwerdegericht erfolgte Aufhebung des Ablehnungsbeschlusses und Bewilligung von PKH ihre Wirkung im Prozess vor dem SG entfalten. Die vom SG dem Ablehnungsbeschluss angefügte Rechtsbehelfsbelehrung kann bei der vom SG praktizierten Verfahrensweise die ihr zugedachte Funktion, nämlich eine mögliche Korrektur der Ablehnungsentscheidung vor der Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr erfüllen. Der Rechtsbehelf eines Beschwerdeführers würde daher ins Leere laufen. Eine solche Vorgehensweise des Sozialgerichtes ist mit einer fairen Prozessführung nicht vereinbar.

Wegen der aufgezeigten zahlreichen wesentlichen Verfahrensmängel, auf denen die Entscheidung des Sozialgerichts beruht, ist der Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG Bayreuth zurückzuverweisen. Die Verfahrensmängel stellen sich als Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift dar. Sie sind auch wesentlich, da der Gerichtsbescheid auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass das SG nach ausreichender Anhörung anders entschieden hätte. Es genügt, dass die Möglichkeit einer anderen Entscheidung besteht (Meyer-Ladewig, aaO, § 62 RdNr 11).

Es liegt im Ermessen des LSG, ob es in der Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll die Ausnahme sein (aaO § 159 Anm 5). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an einer Sachentscheidung sowie dem Grundsatz der Prozessökonomie und dem Verlust einer Instanz hält der Senat wegen der noch notwendigen und umfangreichen Beweisaufnahme (Einvernahme des Klägers zum behaupteten schädigenden Ereignis, gegebenenfalls Einvernahme von Zeugen, evtl. Einholung eines Gutachtens auf psychiatrischem Gebiet) die Zurückverweisung für geboten.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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