L 12 KA 66/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 43 KA 979/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 66/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladenen zu 1) hat der Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In diesem Rechtsstreit geht es um die bedarfsunabhängige Zulassung der Beigeladenen zu 1) als Psychotherapeutin in M ...

Die Beigeladene ist approbierte Diplom-Psychologin. Nach eigenen Angaben hat sie von Mai 1992 bis September 1995 als Diplom-Psychologin in der Beratungsstelle von Pro Familia in M. ca. 20 Stunden pro Woche gearbeitet. Diese Tätigkeit hat sie nach Geburt ihrer Tochter 1995 unterbrochen und im April 1997 bis April 1998 wieder aufgenommen. Nach Geburt des Sohnes im Mai 1998 folgte ein Erziehungsurlaub bei Pro Familia bis zum Mai 2001. Seitdem arbeitet die Beigeladene zu 1) dort 19,25 Stunden pro Woche.

Neben dieser Tätigkeit hat die Beigeladene zu 1) nach eigenen Angaben seit November 1992 in M. , zunächst in der S. Straße und später (seit Januar 1997) in der N.straße eine private Praxis betrieben mit ca. 10 bis 20 Patienten pro Woche, zumeist Selbstzahler. Seit April 1995 hat sie auch Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Kostenerstattungsverfahren behandelt. Innerhalb des Zeitfensters vom 25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997 hat die Beigeladene zu 1) nach eigenen Angaben bei 11 Versicherten von Ersatzkrankenkassen 271 Behandlungsstunden erbracht, die von der Kasse bestätigt wurden. Die Klägerin geht aufgrund einer Hochrechnung von 286 Stunden im Zeitfenster aus.

Am 18. Dezember 1998 hat die Beigeladene zu 1) die bedarfsunabhängige Zulassung in M. beantragt. Diesen Antrag lehnte der Zulassungsausschuss mit Bescheid vom 20. Juli 1999 ab, weil im günstigsten Jahreszeitraum innerhalb des Zeitfensters nur 175 Behandlungsstunden zu Lasten der GKV nachgewiesen seien und nicht mindestens 250 Behandlungsstunden. Das Argument der Beigeladenen zu 1), sie habe aufgrund der Kindererziehung im vorgegebenen Zeitfenster die geforderte Stundenzahl nicht erreichen können, könne nicht anerkannt werden. Eine Vorverlegung des Zeitfensters sei nicht möglich, da die Beigeladene zu 1) ihre psychotherapeutische Tätigkeit zu Lasten der GKV in eigener Praxis erst 1995 begonnen habe.

Die Beigeladene zu 1) hat gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt und zur Begründung u.a. vorgetragen, mit Ausnahme einer Zeit von drei Monaten nach Geburt ihrer Tochter im November 1995 und eines Auslandsaufenthaltes Ende 1996 bis Anfang 1997 habe sie wöchentlich zwischen fünf und acht Stunden Patienten auf Kosten der GKV behandelt. Außerdem habe sie Patienten als Selbstzahler behandelt, deren Anträge auf Kostenübernahme und Erstattung von den zuständigen Krankenkassen mit dem Hinweis auf die fehlende Kassenzulassung abgelehnt worden seien.

Der Beklagte gab mit Bescheid vom 15. Februar 2001 dem Widerspruch statt. Die Beigeladene zu 1) sei von Mai bis Oktober 1995 und wieder von Februar 1996 bis Juni 1997, also 23 Monate lang, psychotherapeutisch für die GKV tätig gewesen. In dieser Zeit habe sie 286 Behandlungsstunden nachgewiesen. Ausgehend von einem durchschnittlichen Stundensatz in Höhe von 100,00 DM habe sie mindestens 28.600,00 DM an Einkommen erzielt bzw. durchschnittlich 1.243,48 DM im Monat. Damit sei die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze von damals 593,33 DM überschritten. Der Anteil des Einkommens aus psychotherapeutischer Tätigkeit zu Lasten der GKV habe auch mehr als ein Drittel des durchschnittlichen monatlichen Gesamterwerbseinkommens ausgemacht. Es liege deshalb eine schützenswerte Erwerbsgrundlage vor. Ob und inwieweit die Kindererziehungszeiten hätten Berücksichtigung finden können oder müssen, könne dahingestellt bleiben.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Nach der Rechtsprechung von Bundessozialgericht (BSG) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sei die Zeitfensterregelung verfassungsrechtlich unbedenklich. Danach müssten in einem zusammenhängenden Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten innerhalb des Zeitfensters 250 Behandlungsstunden zu Lasten der GKV erbracht worden sein. Die von der Beigeladenen zu 1) erbrachte Tätigkeit von 271 Stunden im gesamten Zeitfenster bzw. 175 Stunden im günstigsten Jahreszeitraum ergäben nur einen durchschnittlichen Behandlungsumfang von 2,71 Wochenstunden bzw. 3,36 Wochenstunden. Auch in den letzten Quartalen des Zeitfensters habe die Beigeladene zu 1) keine verstärkte Tätigkeit zu Lasten der GKV nachweisen können. Nach der Rechtsprechung des BSG sei § 95 Abs.10 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), der die Zeitfensterregelung enthalte, keine bloße Übergangsbestimmung, sondern bereits per se eine Härtefallregelung, die allein an den Aufbau einer Praxissubstanz, also an die tatsächliche und erhebliche Teilnahme an der ambulanten Versorgung, nicht aber an in der Person des Antragstellers liegende Umstände anknüpfe. Sei eine schützenswerte Praxissubstanz - wie hier - nicht aufgebaut worden, komme es auf die Gründe dafür nicht an. Einzige Ausnahme sei die Betreuung und Erziehung eines Kindes in den ersten drei Lebensjahren. In diesem Fall sei der Beginn des Zeitfernsters um die Zeit vorzuverlegen, die der Zeit der Kindererziehung entspreche. Die Anwendung der Ausnahmevorschrift führe im Fall der Beigeladenen zu 1) nicht zu einer Erhöhung des Besitzstandes, weil sie im vorverlegten Zeitraum noch keine Tätigkeit zu Lasten der GKV ausgeübt habe. Erst im April 1995 sei sie im Erstattungsverfahren tätig geworden. Eine schützenswerte Praxissubstanz sei mithin nicht begründet worden. Vielmehr sei der Status der Beigeladenen zu 1) durch die Tätigkeit in der Beratungsstelle von Pro Familia sowie die Behandlung von Selbstzahlern in eigener Praxis gekennzeichnet gewesen. Ihre Verweisung auf den Regelfall der bedarfsabhängigen Zulassung sei damit weder eine unbillige Härte noch eine Enttäuschung von schutzwürdigem Vertrauen.

Die Beigeladene zu 1) hat dem entgegengehalten, wegen der Geburt ihrer Tochter 1995 sei es ab Ende Oktober 1995 zu einer Babypause gekommen. Ab 25. Januar 1996 habe sie die Praxistätigkeit wieder aufnehmen können, weil die Schwiegermutter das Kind betreut habe. Es sei ihr mit dem Säugling aber nur eine durchschnittliche tägliche Praxistätigkeit von zwei Stunden möglich gewesen. Deshalb habe sie nicht mehr Patienten annehmen können, obwohl es durchaus weitere Anfragen gegeben habe. Wegen Erkrankung ihrer Tochter habe sie von Ende Oktober 1996 bis Ende Februar 1997 die Praxistätigkeit unterbrechen müssen. Da die Betreuung der Tochter durch die Schwiegermutter nur noch begrenzt möglich gewesen sei, habe sie bis zum Ende des Zeitfensters und auch weiterhin bis zur Babypause mit dem zweiten Kind (Mai 1998) nur durchschnittlich vier Patienten pro Woche behandeln können. Ihre langfristige berufliche Planung sei es aber gewesen, eine eigene Praxis aufzubauen. Nach der Rechtsprechung des BSG müssten alle Umstände, die für das Vorliegen eines Härtefalles relevant sein könnten, bei einer Gesamtbetrachtung miteinbezogen werden. Damit seien auch die dargelegten familiären Umstände zu berücksichtigen. Dies gelte vor allem auch im Hinblick auf Art.6 Abs.1 und Abs.4 Grundgesetz (GG). Die Vorschriften des § 95 Abs.11a und 11b SGB V trügen diesem Schutzauftrag nicht genügend Rechnung. Des Weiteren verweist die Beigeladene zu 1) auf das Europarecht. Art.4 der Richtlinie 86/613 in Verbindung mit Art.3 Abs.1 der Richtlinie 76/207 EWG verbiete die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Arbeitsleben auch für Selbständige. Eine mittelbare Diskriminierung von Psychotherapeutinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen sei gegeben, denn die Forderung nach einer annähernd halbtägigen Tätigkeit in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung während des Zeitfensters treffe typischerweise Frauen nachteilig, weil sie den Hauptteil der Erziehungsarbeit leisteten und daneben nur eine Teilzeit-Tätigkeit ausüben könnten.

Das SG hat mit Urteil vom 18. Dezember 2001 den Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2001 aufgehoben und diesen verurteilt, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 1) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beigeladene zu 1) habe keinen Anspruch auf eine bedarfsunabhängige Zulassung. Zumindest in den letzten Monaten vor dem Ende des Zeitfensters müsse der Behandlungsumfang gegenüber Versicherten der GKV annähernd einer halbtägigen Tätigkeit entsprochen haben und diese Behandlung dürfe nicht gegenüber anderen Tätigkeiten, sei es in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, sei es gegenüber anderen Kostenträgern, von untergeordneter Bedeutung gewesen sein. Von einer annähernd halbtägigen Tätigkeit könne hier nicht die Rede sein. Die Beigeladene zu 1) habe im gesamten Zeitfenster 271 Behandlungsstunden erbracht. Im günstigsten Jahreszeitraum innerhalb des Zeitfensters seien es 175 Behandlungsstunden gewesen. Das ergebe 4,0 Stunden pro Woche. Zum Ende des Zeitfensters seien im Quartal 1/97 37 Stunden, also durchschnittlich 2,84 Wochenstunden und im Quartal 2/97 35 Stunden, also 2,69 Wochenstunden zurückgelegt worden. Die vom BSG geforderte schützenswerte Praxissubstanz könne darin nicht gesehen werden. Vielmehr sei der Status der Beigeladenen zu 1) durch die Tätigkeit bei der Beratungsstelle von Pro Familia sowie die Behandlung von Selbstzahlern in eigener Praxis gekennzeichnet gewesen. Der Hinweis auf die Erziehung des am 2. November 1995 geborenen Kindes greife nicht durch. Die Kammer habe keinen Anlass gesehen, über den Wortlaut der Regelung des § 95 Abs.11b SGB V hinaus der Beigeladenen zu 1) schützenswerte Praxissubstanz zuzuerkennen, wo sie gar keine aufgebaut habe. Der Gesetzgeber habe hier eine eindeutige Regelung getroffen, unter die zu fallen auch von der Beigeladenen zu 1) nicht behauptet werde. In welchem Umfang und in welcher Weise ein Familienlastenausgleich getroffen werde, liege in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Der Staat sei nicht gehalten, jegliche, die Familie betreffende Belastung auszugleichen. Die von der Beigeladenen zu 1) zitierten europarechtlichen Bestimmungen seien nicht einschlägig. Nachdem die Beigeladene zu 1) nicht den erforderlichen Mindestumfang an Behandlungsstunden erbracht habe, könne es dahingestellt bleiben, ob ihre psychotherapeutische Tätigkeit angesichts ihrer halbtägigen abhängigen Beschäftigung bei Pro Familia überhaupt als ihr Hauptberuf und prägend für ihre Berufstätigkeit anzusehen sei.

Die Beigeladene zu 1) hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und zur Begründung auf ihr erstinstanzielles Vorbringen verwiesen.

Die Beigeladene zu 1) beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Dezember 2001 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2000 abzuweisen.

Die Klägerin, der Beklagte und die Beigeladenen zu 2, 4 und 5 beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließen sich der Begründung des SG an.

Dem Senat liegen die Akten des Zulassungsausschusses, des Beklagten und des SG mit dem Az.: S 43 KA 979/01 sowie die Berufungsakte mit dem Az.: L 12 KA 66/02 vor, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, aber unbegründet. Die Beigeladene zu 1) hat keinen Anspruch auf bedarfsunabhängige Zulassung als Psychologische Psychotherapeutin am Sitz ihrer Praxis in der N.straße in M ...

Nach § 95 Abs.10 SGB V sind Psychologische Psychotherapeuten (bedarfsunabhängig) zur psychotherapeutischen Versorgung zuzulassen, wenn sie bis zum 31. Dezember 1998 die Voraussetzungen der Approbation nach § 12 des Psychotherapeuten-Gesetzes (PsychThG) sowie des Fachkundenachweises nach § 95c Nr.3 SGB V erfüllt und den Antrag auf Erteilung der Zulassung gestellt haben (§ 95 Abs.10 Satz 1 Nr.1 SGB V). Darüber hinaus müssen sie bis zum 31. März 1999 die Approbationsurkunde vorgelegt haben (§ 95 Abs.10 Satz 1 Nr.2 SGB V) und in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni 1997, dem so genannten Zeitfenster, an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der GKV teilgenommen haben (§ 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V). Die Erfüllung der Voraussetzungen der Nrn.1 und 2 des § 95 Abs.10 Satz 1 SGB V ist im vorliegenden Fall unstreitig. Es fehlt jedoch an einer Teilnahme im Sinne von § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V. Die Auslegung des Begriffs der "Teilnahme" an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der GKV im Sinne des § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V wird durch die Funktion der Vorschrift bestimmt, für Härtefälle eine Ausnahme vom Grundsatz der bedarfsabhängigen Zulassung der Psychologischen Psychotherapeuten zu ermöglichen (BSG, SozR 3-2500 § 95 Nr.25 S.111 unter Hinweis auf BT-Drucksache 13/9212 S.40 und BVerfG SozR 3-2500 § 95 Nr.24, S.103). Es geht in § 95 Abs.10 SGB V nicht um den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der GKV insgesamt, sondern lediglich um die Möglichkeit, sich an einem Ort niederzulassen, der auf der Grundlage der im Rahmen der Bedarfsplanung getroffenen Feststellungen bereits überversorgt ist. Dies ist in M. der Fall. Zulassungsbewerbern, die sich bei der Auswahl des Praxissitzes typischerweise an ihrem bisherigen Lebensmittelpunkt orientieren, wird grundsätzlich zugemutet, dass sie den Ort ihrer Zulassung nicht nach eigenen Wünschen frei wählen können, sondern sich nach dem Versorgungsbedarf der Versicherten richten müssen. Eine Ausnahme sieht § 95 Abs.10 SGB V nur für solche Zulassungsbewerber vor, die bereits vor In-Kraft-Treten des PsychThG im so genannten Zeitfenster an der Versorgung der Versicherten der GKV teilgenommen haben (§ 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V). Diese Begünstigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene bereits unter Einsatz von Arbeitskraft und finanziellen Mitteln eine eigene Praxis eingerichtet und in einem rechtlich erheblichem Umfang betrieben hat. Sowohl im Bezug auf die Inanspruchnahme der Arbeitskraft des Psychologischen Psychotherapeuten als auch im Hinblick auf den wirtschaftlichen Ertrag seiner Tätigkeit muss dabei in der eigenen Praxis annähernd das für eine Berufstätigkeit typische Ausmaß erreicht worden sein. Aus dem Gesetzeszweck ergibt sich, dass der Begriff der Teilnahme die eigenverantwortliche Behandlung von Versicherten der GKV in einem in den Psychotherapierichtlinien anerkannten Behandlungsverfahren in eigener Praxis und mit einem bestimmten Behandlungsumfang erfordert. Die nachhaltig auf die ambulante psychotherapeutische Versorgung von Versicherten der GKV ausgerichtete Tätigkeit muss dabei zumindest einen von zwei gleich zu gewichtenden Schwerpunkten der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen gebildet haben (BSG a.a.O. S.126, BSG vom 11. September 2002, Az.: B 6 KA 41/01 R S.8 = MedR 2003, S.359 ff.). Vor diesem Hintergrund erfordert eine "Teilnahme" im Sinne von § 95 Abs.10 Satz 1 SGB V grundsätzlich eine Vortätigkeit von 250 an Versicherten der GKV erbrachten Behandlungsstunden in einem Halbjahres- bis Jahreszeitraum innerhalb des Zeitfensters. Dieser Wert, der umgerechnet ca. 11,6 Behandlungsstunden wöchentlich ergibt, erreicht bei großzügiger Betrachtung unter Berücksichtigung des Begleitaufwandes ungefähr die Hälfte des zeitlichen Aufwands, der in der gleichen Zeit von einem ausschließlich in eigener voll ausgelasteter Praxis tätigen Psychotherapeuten im Regelfall bewältigt wird.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt bei der Beigeladenen zu 1) eine Teilnahme im Sinne von § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V im Zeitfenster nicht vor. Sie hat im 3-Jahreszeitraum vom 25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997 nach eigenen Angaben 271 Behandlungsstunden, nach der für sie günstigeren Hochrechnung der Klägerin auf der Basis der von den Ersatzkassen bescheinigten 11 Behandlungsfälle 286 Behandlungsstunden im Kostenerstattungsverfahren erbracht. Im günstigsten 12-Monatszeitraum innerhalb des Zeitfensters wurden 175 Behandlungsstunden zurückgelegt, was bei einer Arbeitszeit von 43 Wochen pro Jahr 4,1 Stunden pro Woche ergibt, also weit weniger, als die geforderten 11,6 Stunden pro Woche. Nimmt man den für die Beigeladene zu 1) günstigsten 6-Monatszeitraum (Mai 96 bis Oktober 96), kommen ebenfalls nur 5,27 Wochenstunden heraus. Auch ist, wie das SG zutreffend feststellt, kein Anstieg der Wochenstunden gegen Ende des Zeitfensters zu beobachten, so dass auch nicht von einer im Aufbau befindlichen Praxis im Sinne der Rechtsprechung des BSG (SozR § 95 Nr.25 S.127) ausgegangen werden kann. Daraus folgt, dass die Beigeladene zu 1) nicht in einem zeitlich so relevanten Ausmaß an der Versorgung der Versicherten der GKV teigenommen hat, dass daraus ein Besitzschutz abzuleiten wäre.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Beigeladene zu 1) im November 1995, also innerhalb des Zeit- fensters, ein Kind zur Welt gebracht hat. Der Gesetzgeber hat für Fälle dieser Art mit § 95 Abs.11b SGB V eine Ausnahmeregelung geschaffen, wonach sich für einen Psychotherapeuten, der in dem in § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V genannte Zeitraum wegen der Betreuung und Erziehung eines Kindes in den ersten drei Lebensjahren, für das ihm die Personensorge zustand und mit dem er in einem Haushalt gelebt hat, keine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, der Beginn der Frist um die Zeit vorverlegt wird, die der Zeit der Kindererziehung im 3-Jahreszeitraum entspricht. Diese gesetzliche Ausnahmeregelung ist für die Beigeladene zu 1) nicht hilfreich, weil sie vor Beginn des Zeitfensters noch überhaupt keine psychotherapeutische Tätigkeit in freier Praxis zu Lasten der GKV ausgeübt hat, vielmehr hat die Beigeladene zu 1) erst ab April 1995, also fast ein Jahr nach Beginn des Zeitfensters, mit der Behandlung von GKV-Versicherten im Kostenerstattungsverfahren begonnen, allerdings nicht im größeren Umfang. Im Vordergrund stand weiterhin die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) bei Pro Familia, die nach ihren eigenen Angaben etwa 20 Stunden pro Woche ausmachte. Am 2. November 1995 wurde die Tochter der Beigeladenen zu 1) geboren. Im Hinblick darauf hat diese ihre Tätigkeit bei Pro Familia (vorübergehend) eingestellt. Am Umfang ihrer psychotherapeutischen Tätigkeit zu Lasten der GKV hat sich jedoch nichts Wesentliches geändert. Vielmehr wurde diese eher ausgeweitet, wie aus den Bestätigungen der Krankenkassen über 11 GKV-Behandlungsfälle hervorgeht. Rechnet man die dort bescheinigten Behandlungsstunden auf den Behandlungszeitraum um, stellt sich heraus, dass die Praxis im April 1995 sehr klein begonnen hat (2,10 Stunden pro Monat, ein Patient), zur Zeit der Geburt (November 1995) zumindest rechnerisch bei 8,29 Stunden lag und erst in Mitte 1996 auf 19,7 Stunden (Juli, 10 Patienten) angestiegen ist. Ein durch die Geburt und Betreuung des Kindes hervorgerufener Rückgang des Behandlungsumfangs ist demnach überhaupt nicht festzustellen. Dieser Problematik ist sich die Beigeladene zu 1) offenbar bewusst, denn sie trägt vor, ohne die Geburt des Kindes hätte sie vier Patienten zusätzlich behandeln können. Es ist mehr als fraglich, ob durch vier Patienten mehr der erforderliche Behandlungsumfang hätte erreicht werden können. Letztlich kann dies aber dahingestellt bleiben, denn Sinn der Besitzschutzregelung des § 95 Abs.10 SGB V ist es, eine bereits vorhandene Praxissubstanz zu erhalten, und nicht eine Option auf einen Ausbau der Praxis zu eröffnen.

Auch die verfassungsrechtlichen bzw. europarechtlichen Bedenken der Beigeladenen zu 1) gegen die Zeitfensterregelung des § 95 Abs.10 Satz 1 SGB V greifen nicht durch. Das BVerfG hat mit seinen Beschlüssen vom 30. Mai 2000 (Az.: 1 BvR 704/00 = NZS 8/2000 S.395) und vom 22. März 2001 (Az.: 1 BvR 409/01 = MedR 2001, Heft 10 S.515) die Zeitfensterregelung gehalten. Dasselbe gilt für das BSG, das mit Urteil vom 8. November 2000 (Az.: B 6 KA 52/00 R = SozR 3-2500 § 95 Nr.25) den besitzschützenden Charakter dieser Norm hervorgehoben hat und mit weiterem Urteil vom 11. September 2002 (Az.: B 6 KA 41/01 R = MedR 2003, S.359- 364) eine wöchentliche Behandlungsdauer von wenigstens 11,6 Stunden gefordert hat. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 6. August 2003 (Az.: L 12 KA 89/02) eine mittelbar diskriminierende Wirkung dieser Regelung im Hinblick auf Art.4 der Richtlinie 86/613 EWG bzw. 76/207 EWG nicht zu erkennen vermocht. Die gegen dieses Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zwischenzeitlich vom BSG mit Beschluss vom 27. April 2004 zurückgewiesen (Az.: B 6 KA 117/03 B).

Die (bedarfsunabhängige) Zulassung der Beigeladenen zu 1) scheitert des Weiteren daran, dass sie während des Zeitfensters, aber auch schon davor und auch noch danach eine halbtägige Tätigkeit bei Pro Familia in abhängiger Stellung ausgeübt hat bzw. ausübt. Gegenüber dieser Beschäftigung, die nur nach der Geburt des Kindes wegen Mutterschutzes unterbrochen wurde, war die Tätigkeit in freier Praxis nur von untergeordneter Bedeutung. Nach eigenen Angaben hat die Beigeladene zu 1) in der Zeit bis September 1995 und wieder ab April 1997 halbtags (20 Stunden pro Woche) in der Beratungsstelle von Pro Familia gearbeitet. Nach ihrer Erklärung in der Sitzung des Berufungsausschusses kann sogar vermutet werden, dass sie zeitweilig mehr als halbtags bei Pro Familia gearbeitet hat, da sie angegeben hatte, dass sie bis Ende Mai 2001 im Erziehungsurlaub sein werde und diese Tätigkeit nach der angestrebten Zulassung auf 19,25 Stunden "reduzieren" würde. Das BSG hat mit Urteil vom 30. Januar 2001 (Az.: B 6 KA 20/01 R = SozR 3-5520 § 20 Nr.3) entschieden, dass ein in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Bewerber um die Zulassung als Vertragsarzt oder Vertragspsychotherapeut im Sinne von § 20 Abs.1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), der gemäß § 1 Abs.3 Ärzte-ZV entsprechend für Psychotherapeuten gilt, für die Versorgung der Versicherten der GKV nur dann im erforderlichen Umfang zur Verfügung steht, wenn die Arbeitszeit im Beschäftigungsverhältnis nicht mehr als 13 Stunden wöchentlich beträgt. Die begehrte Zulassung scheitert demnach auch daran, dass die Beigeladene zu 1) sowohl im Zeitfenster als auch noch zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einem Beschäftigungsverhältnis stand bzw. steht, das vom Umfang her die Tätigkeit in eigener Praxis bei weitem übersteigt. Dies wird auch bestätigt durch die von der Beigeladenen zu 1) angegebenen Einkünfte, die im Fensterzeitraum überwiegend aus der abhängigen Tätigkeit bei Pro Familia resultierten (45.170,00 DM). Hinzu kamen nach eigenen Angaben 31.670,00 DM zu Lasten der GKV und 5.360,00 DM von Selbstzahlern.

Das SG ist demnach zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die vom Beklagten ausgesprochene bedarfsunabhängige Zulassung der Beigeladenen zu 1) in M. keinen Bestand haben kann. Nebenbei bemerkt hat der Beklagte seine damalige Rechtsauffassung nach der Entscheidung des BSG vom November 2000 aufgegeben, was in seinem Antrag auf Zurückweisung der Berufung zum Ausdruck kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs.1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 116 Nr.24 S.115 ff.).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, da das BSG (a.a.O.) sich mit allen hier aufgeworfenen Fragen bereits befasst hat.
Rechtskraft
Aus
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