L 16 RJ 623/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 1109/01 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 623/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 4. Juni 2003 abgeändert und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2001 auch bezüglich der Zeit ab 1. Juli 2003 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1942 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Bosnien-Herzegowina und hat dort seinen Wohnsitz. Er hat nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt und im ehemaligen Jugoslawien von März 1964 bis April 1973 Versicherungszeiten zurückgelegt (BOH-D 202, 205 vom 9. Juli 1999).

In Deutschland war der Kläger von April 1973 bis August 1989 mit Unterbrechungen als (Hilfs-)Arbeiter in der holzverarbeitenden Industrie sozialversicherungspflichtig beschäftigt (Versicherungsverlauf vom 24. August 1998).

Während eines Urlaubs erlitt der Kläger 1988 in seiner Heimat einen Nervenzusammenbruch. Er kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück, bezog vom 25. September 1988 bis 21. August 1989 Krankengeld und erhält seit 3. August 1989 eine Invalidenrente seines Wohnsitzstaates.

Einen Antrag vom 7. Juli 1989 auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab. Im ablehnenden Bescheid vom 10. Mai 1990 wies sie den Kläger auf die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hin und fügte hierzu ein Merkblatt (Nr.6) bei. Sie wiederholte diesen Hinweis im Widerspruchsbescheid vom 23. August 1990, übersandte erneut das Merkblatt Nr.6, forderte den Kläger auf, sich bei Unklarheiten oder wenn er beabsichtige, den Versicherungsschutz durch freiwillige Beiträge aufrecht zu halten, binnen drei Monaten bei der Beklagten zu melden und wies ihn darauf hin, dass z.B. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, der Arbeitslosigkeit oder des Rentenbezuges in Jugoslawien keine Verlängerungszeiten im Sinne des deutschen Rentenversicherungsrechts seien.

Die gegen die Ablehnung des Antrags vom 7. Juli 1989 erhobene Klage vom 8. Oktober 1990 wies das Sozialgericht Landshut (SG) nach einer neurologisch-psychiatrischen und allgemeinmedizinischen Begutachtung des Klägers in Deutschland (Gutachten vom 17. März 1992) wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab (Urteil vom 19. März 1992 - S 4 Ar 5823/90 Ju). Das Urteil wurde aufgrund einer kriegsbedingten Unterbrechung des Postverkehrs mit Bosnien-Herzegowina am 19. Oktober 1992 öffentlich zugestellt und dem Kläger auf Anforderung am 31. März 1998 per Post übersandt.

Die dagegen eingelegte Berufung vom 15. Juni 1998 (Eingang bei Gericht) nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) am 19. Januar 1999 als verspätet zurück. Gleichzeitig stellte er einen neuen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Der Vorsitzende gab zu Protokoll, dabei werde zu beachten sein, dass der Kläger nach Rechtskraft des Urteils vom 19. März 1992 nicht über die Aufrechterhaltung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aufgeklärt worden sei (Protokoll vom 19. Januar 1999 - L 6 RJ 306/98 -).

Die Beklagte ließ den Kläger zunächst durch die Invalidenkommission in S. ambulant begutachten (Gutachten vom 21. Juni 1999). Diese diagnostizierte beim Kläger eine endogene Depression (stationäre Behandlungen 1989, 1992, 1993, 1997 und 1998) und eine kompensierte arteriosklerotische Herzerkrankung. Er könne seit 3. August 1989 im hauptsächlich ausgeübten Beruf eines Arbeiters in einer Fabrik für Fertighäuser und seit 21. Juni 1999 auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter zwei Stunden täglich erwerbstätig sein.

Eine ambulante Begutachtung in Deutschland vom 16. bis 18. Oktober 2000 (Gutachten vom 27. Oktober 2000, Dr. A. - Psychiater -) ergab als Diagnosen:

- Depressive Verstimmung bei sozialer Problematik, - Herzrhythmusstörungen ohne Auswirkung auf den Kreislauf, - wirbelsäulenbezogene Beschwerden bei Abnutzungserscheinungen.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger noch vollschichtig leichtere bis mittelschwere Arbeiten ohne häufiges Bücken oder häufiges Heben und Tragen von Lasten verrichten.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag vom 19. Januar 1999 ab (Bescheid vom 5. März 2001). Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Auch nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht ergebe sich kein Rentenanspruch.

Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 11. April 2001 begründete der Kläger damit, sein Gesundheitszustand habe sich nach der Gerichtsverhandlung vom 19. März 1992 sehr verschlechtert. Die Beklagte habe aufgrund der Antragstellung am 19. Januar 1999 eine Intensivpflege und Heimbetreuung des Klägers vom Mai 1992 bis April 1995 berücksichtigen müssen. Zumindest in dieser Zeit sei der Kläger arbeitsunfähig gewesen und sein Zustand habe sich danach nicht viel gebessert. Er leide unter schwerem Herzklopfen, Unterbrechung der Herztätigkeit, sehr abgeschwächter Wirbelsäule mit Schmerzen beim Bücken oder Stehen von mehr als einer halben Stunde, Schmerzen in den Beinen bis zu den Knien mit Kribbeln der Füße und Zehen, habe kein Interesse an sozialen Aktivitäten, sei aggressiv gegenüber seiner Umgebung, suche die Einsamkeit, verspüre schwere Unruhen mit Schwitzen, schlafe wenig und habe häufig Verfolgungsideen, dass er sich selbst das Leben nehme. Er habe ab 1. Mai 1992 Anspruch auf Invalidenrente nach § 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2001). Nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung könne der Kläger noch vollschichtig leichtere bis mittelschwere Arbeiten ohne häufiges Bücken oder Heben und Tragen von Lasten verrichten. Aufgrund der in Deutschland ausgeübten ungelernten Tätigkeit sei er auf alle seinem Leistungsvermögen entsprechenden Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Er sei daher weder berufs- oder erwerbsunfähig noch voll oder teilweise erwerbsgemindert bzw. teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit.

Dagegen hat der Kläger am 11. Oktober 2001 (Eingang bei Gericht) unter Wiederholung seiner Widerspruchsbegründung beim SG Klage erhoben und als weitere Beschwerden einen Drehschwindel und Bewusstlosigkeiten angegeben.

Das SG hat Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 2. Juni 2003, des Orthopäden Dr. B. vom 2. Juni 2003 und des Internisten Dr. P. vom 3. Juni 2003 eingeholt.

Dr. R. hat beim Kläger eine schwere Depression bei mehrfacher kriegsbedingter Psychotraumatisierung, einen Verdacht auf beginnenden hirnorganischen Abbauprozess und einen rezidivierenden Schwindel diagnostiziert. Der Kläger könne seit dem Untersuchungszeitpunkt nur noch unter zwei Stunden täglich erwerbstätig sein.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juni 2003 "anerkannt", dass beim Kläger seit 2. Juni 2003 volle Erwerbsminderung auf Dauer vorliege. Ein Anspruch auf Rente bestehe aber nicht, weil nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger die für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft notwendigen freiwilligen Beiträge für die Zeit von September 1989 bis Dezember 1998 tatsächlich entrichtet hätte.

Das SG hat die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, dem Kläger ab 1. Juli 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren (Urteil vom 4. Juni 2003). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien unabhängig davon erfüllt, ob der Kläger bei ordnungsgemäßer Aufklärung freiwillige Beiträge entrichtet hätte. Er hätte auch durch weitere Rentenanträge und die Einlegung zulässiger Rechtsmittel oder durch eine fristgerechte Berufung gegen das Urteil vom 19. März 1992 die Frist für die Entrichtung von Beiträgen bis zum Eintritt des Leistungsfalles hinausschieben können mit der Folge, dass freiwillige Beiträge nicht mehr entrichtet werden müssten. Darüber habe die Beklagte den Kläger im Anschluss an das Urteil vom 19. März 1992 nicht aufgeklärt, so dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 241 Abs.2 SGB VI aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfüllt seien.

Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Für eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens vor dem Juni 2003 seien nach dem überzeugenden Gutachten des ärztlichen Sachverständigen keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Gegen das am 23. Oktober 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. November 2003 (Eingang bei Gericht) beim LSG Berufung eingelegt.

Sie habe den Kläger im ablehnenden Bescheid vom 10. Mai 1990 und im Widerspruchsbescheid vom 23. August 1990 auf die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes hingewiesen. Einer weiteren Aufklärung nach dem Urteil des SG vom 19. März 1992 habe es nicht bedurft. Im Übrigen fehle es an der Kausalität zwischen der angeblich fehlerhaften Beratung und der unterlassenen Beitragszahlung. Das SG habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger bereit und in der Lage gewesen sei, die erforderlichen freiwilligen Beiträge für die Zeit von September 1989 bis Dezember 1998 zu entrichten. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso der Kläger durch eine unterbliebene Aufklärung über die Möglichkeit zur Entrichtung freiwilliger Beiträge davon abgehalten worden sei, Rentenanträge zu stellen und rechtzeitig Rechtsbehelf einzulegen. Zu einem Hinweis darauf, dass der Kläger durch laufende Antragstellung ununterbrochene Verwaltungs- und Gerichtsverfahren betreiben könne, sei sie nicht verpflichtet gewesen.

Der Kläger hat keine Anschlussberufung eingelegt.

Er hat auf Anfrage mitgeteilt, er wäre auch bei entsprechender Aufklärung durch die Beklagte u.a. aus finanziellen Gründen nicht in der Lage gewesen, für die Zeit ab September 1989 freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu entrichten. Seine monatliche Rente habe nur rund 70,00 EUR betragen (Schreiben vom 14. März 2004). Er beantrage, dem Klageantrag zu entsprechen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 4. Juni 2003 aufzuheben und die Klage auch bezüglich der Zeit ab 1. Juli 2003 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil ausgesetzt (Beschluss vom 22. Januar 2004) und die Akten der Beklagten (zum Rentenverfahren und zur Kontenklärung) sowie des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten und die Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Streitig ist nur noch ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. Juli 2003. Soweit das SG die weitergehende Klage auf Gewährung einer Rente für die Zeit vor dem 1. Juli 2003 abgewiesen hat, ist das Urteil vom 4. Juni 2003 mangels Anschlussberufung des Klägers rechtskräftig geworden. Deshalb bedarf es keiner näheren Darlegung, dass der rechtskundig vertretene Kläger am 19. Januar 1999 lediglich einen neuen Rentenantrag und keinen Antrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides vom 10. Mai 1990 für die Zeit ab 1. Mai 1992 gestellt hat, wie die Widerspruchsbegründung vom 11. April 2001 vermuten lassen könnte. Weder dem Protokoll vom 19. Januar 1999 noch den weiteren Einlassungen des Klägers im Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahren ist ein Wille zur Antragstellung nach § 44 SGB X zu entnehmen.

Auch liegt in der Erklärung des Klägers vom 14. März 2004, seiner Klage solle entsprochen werden, keine Anschlussberufung, denn die Schriftsätze des Klägers lassen nicht erkennen, dass er gegen die den Zeitraum bis zum 30. Juni 2003 betreffende ablehnende Entscheidung des SG Einwendungen erheben will. Er wendet sich erkennbar nur gegen die Berufung der Beklagten.

Diese Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Juli 2003, da er die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt.

Der Anspruch des Klägers richtet sich, da ein Leistungsbeginn vor dem 1. Juli 2003 nicht mehr in Betracht kommt, nach §§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (n.F.).

Gemäß § 43 Abs.1 und Abs.2 SGB VI n.F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs Anspruch auf Rente wegen (teilweiser) Erwerbsminderung, wenn sie

1. (teilweise) erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäfti- gung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Der Kläger hat im ehemaligen Jugoslawien bis April 1973 und anschließend in Deutschland bis zum August 1989 Versicherungszeiten zurückgelegt. Weitere Versicherungszeiten sind weder von der zuständigen Verbindungsstelle in der Republik Bosnien-Herzegowina mitgeteilt noch vom Kläger behauptet worden. Danach sind bereits für Versicherungsfälle, die nach dem 30. September 1991 eingetreten sind, die Voraussetzungen des § 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2, Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI n.F. nicht mehr erfüllt.

Es liegt auch keine vorzeitige Wartezeiterfüllung (§ 43 Abs.5 in Verbindung mit § 53 SGB VI n.F.) vor. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Erwerbsminderung des Klägers auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit (§ 53 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB VI n.F.) beruhen könnte.

Eine Verlängerung des Fünfjahreszeitraums durch Verlängerungstatbestände im Sinne des § 43 Abs.4 SGB VI n.F. könnte allenfalls für die Zeit bis zum August 1991 vorliegen. Der Kläger bezog zuletzt aufgrund einer im August 1988 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit bis August 1989 Krankengeld aus der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Zwar ist für die Beurteilung einer Arbeitsunfähigkeit unerheblich, dass der Kläger nach Beendigung des Krankengeldbezuges in seiner Heimat verblieben ist, dort Rente bezogen und sich somit nicht nur von seinem Beschäftigungsverhältnis in Deutschland, sondern insgesamt vom deutschen Arbeitsmarkt gelöst hat (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 11. Mai 2000 - B 13 RJ 31/99 R -), doch ist rechtlicher Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit jedenfalls nach Ablauf des ersten Dreijahreszeitraums (§ 48 Abs.1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V -) nicht mehr die zuletzt ausgeübte oder eine ähnliche Beschäftigung oder Tätigkeit, sondern (allenfalls) jede nach den für eine Vermittlung in Deutschland arbeitsförderungsrechtlich maßgebenden Kriterien zumutbare Tätigkeit (vgl. BayLSG Urteil vom 23. September 2003 - L 5 RJ 128/01 - unter Hinweis auf BSGE 90, 72).

Der Kläger war in Deutschland lediglich als ungelernter Arbeiter in der holzverarbeitenden Industrie tätig und aufgrund der bei der Begutachtung in Deutschland vom 2. bis 4. April 1990 festgestellten vollschichtigen Leistungsfähigkeit für leichte und mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde ohne besonderen Zeitdruck und besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit gesundheitlich in der Lage, weiterhin als Arbeiter in der Industrie tätig zu sein. Stationäre psychiatrische Behandlungen, die Hinweise auf eine zumindest vorübergehende weitere Arbeitsunfähigkeit als Folge des im August 1988 erlittenen Nervenzusammenbruchs geben könnten, fanden zwischen Juni 1989 (Entlassung aus der Krankenhausbehandlung) und 1. Mai 1992 (erneute Aufnahme zur Krankenhausbehandlung) nicht statt. Bei der Begutachtung im April 1990 war die Leistungsfähigkeit des Klägers psychisch nicht mehr wesentlich beeinträchtigt. Eine gesundheitliche Verschlechterung ist erst mit Wiederaufnahme in die stationäre Behandlung am 1. Mai 1992 dokumentiert. Eine damit eingetretene erneute Arbeitsunfähigkeit ist allerdings gemäß § 43 Abs.4 Nr.1 und 3 SGB VI n.F. kein Verlängerungstatbestand, da seit dem spätesten Ende der vorangegangenen Arbeitsunfähigkeit (August 1991) mehr als sechs Monate vergangen sind.

Auch die Voraussetzungen des § 241 Abs.2 SGB VI n.F. sind nicht erfüllt. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist oder - was hier nicht in Betracht kommt - die Erwerbsminderung vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Der Kläger hat zwar die allgemeine Wartezeit vor dem 1. Januar 1984 erfüllt, doch ist die Zeit ab September 1989 - jedenfalls aber ab September 1991 - nicht mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Insbesondere ist die Zeit des Rentenbezuges in Bosnien-Herzegowina nach dem im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien-Herzegowina laut Bekanntmachung vom 16. November 1992 (BGBl.II 1992 S.1196) weiterhin anwendbaren deutsch-jugoslawischen Abkommen über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl.II 1969 S.1834, in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30. September 1974, BGBl.II 1975 S.390) - DJSVA - keine anrechenbare Versicherungszeit.

Der Kläger ist auch nicht berechtigt, für die Zeit ab 1. September 1989 (oder 1. September 1991) freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu zahlen. Bezüglich der Jahre 1989 bis 1997 waren die Fristen für die Entrichtung freiwilliger Beiträge bereits zum Zeitpunkt der erneuten Rentenantragstellung am 19. Januar 1999 abgelaufen (§ 197 Abs.2, 198 Abs.1 Nr.2 SGB VI; für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 § 1418 Abs.1 Reichsversicherungsordnung - RVO -, vgl. BSG SozR 3-2600 § 197 Nr.4).

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auf Zulassung zur Entrichtung freiwilliger Beiträge für diesen Zeitraum besteht nicht. Der Kläger wurde bei Ablehnung des am 7. September 1989 gestellten ersten Rentenantrages von der Beklagten im Ablehnungsbescheid und im Widerspruchsbescheid jeweils unter Übersendung eines entsprechenden Merkblatts auf die Notwendigkeit und die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des weiteren Versicherungsschutzes hingewiesen und aufgefordert, sich bei Unklarheiten oder der Absicht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge an die Beklagte zu wenden. Ob die Beklagte generell oder speziell im Fall des Klägers zu einer erneuten Beratung nach Abschluss des Klageverfahrens durch die öffentliche Zustellung des Urteils vom 19. März 1992 verpflichtet war, nachdem der Kläger bis dahin keinen Versicherungsverlauf erhalten hatte, kann ebenso dahinstehen, wie die Frage, ob der Kläger aufgrund fehlender Kenntnis von der öffentlichen Zustellung des Urteils trotz Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung und Kenntnis der Klageabweisung aufgrund der regelmäßig erst nach Zustellung des Urteils laufenden Berufungsfrist davon ausgehen durfte, das Rentenverfahren sei noch nicht abgeschlossen und eine Beitragsentrichtung weiterhin möglich. Es fehlt jedenfalls an einem Kausalzusammenhang zwischen einer möglichen Pflichtverletzung der Beklagten und der unterlassenen Beitragszahlung, denn der Kläger wäre nach eigenen Angaben auch bei zutreffender Beratung durch die Beklagte aus persönlichen - insbesondere finanziellen - Gründen nicht in der Lage gewesen, ab September 1989 oder später Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu entrichten (vgl. zum Kausalitätserfordernis BSG SozR3-2600 § 58 Nr.2).

Entgegen der Rechtsansicht des SG war die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger darüber zu beraten, ob und wie er seinen Versicherungsschutz mittelbar auf verfahrensrechtlichem Wege beitragslos aufrecht erhalten könnte. Dazu fehlt es bereits an einem der Beratungspflicht unterliegenden sozialversicherungsrechtlichen Gestaltungsrecht.

Zwar bestimmt die Ausnahmeregelung des § 241 Abs.2 Satz 2 SGB VI n.F. i.V.m. §§ 197 Abs.2, 198 Satz 1 SGB VI n.F., dass für Zeiten eines bei Eintritt des Versicherungsfalles noch nicht abgeschlossenen Beitrags- oder Rentenverfahrens keine freiwilligen Beiträge mehr zu entrichten sind. Dies beinhaltet aber kein sozialversicherungsrechtliches Gestaltungsrecht des Versicherten gegenüber dem Rentenversicherungsträger auf fortlaufende Antragstellung mit dem bloßen Ziel, für den Fall einer erst zukünftig eintretenden Erwerbsminderung zur Vermeidung einer ansonsten erforderlichen freiwilligen Beitragsleistung ein laufendes Rentenverfahren aufrecht zu erhalten. Dasselbe gilt für Rechtsbehelfe und Rechtsmittel in Form von Widersprüchen, Klagen und Berufungen. Zwar ist die Beklagte verfahrensrechtlich verpflichtet, Versicherte bei Erlass eines Verwaltungsaktes auf die Möglichkeit eines Widerspruchs bzw. der Klage hinzuweisen. Diesbezügliche Versäumnisse führen jedoch nicht zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, sondern bei Erfüllung der gesetzlich besonders geregelten Tatbestandsvoraussetzungen lediglich zu einer Verlängerung der Widerspruchs- bzw. Klagefrist oder einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 66, 67 SGG).

Wie dem Senat aus vergleichbaren Verfahren bekannt ist, besteht für Versicherte in Bosnien-Herzegowina keine Möglichkeit, für Zeiten nach dem 1. Januar 1984 freiwillige Beiträge zur dortigen Rentenversicherung zu entrichten, die gemäß Art.25 Abs.1 DJSVA als Versicherungszeiten grundsätzlich anrechenbar wären. Der Kläger hat auch nicht behauptet, solche freiwilligen Beitragszeiten zurückgelegt zu haben.

Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung könnte danach - eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bis zum August 1991 unterstellt - nur bestehen, wenn beim Kläger spätestens im September 1993 der Versicherungsfall eingetreten wäre. Dies ist nicht der Fall.

Nach Angaben des Sachverständigen Dr. R. ist der Kläger infolge einer schweren Depression bei kriegsbedingten Polytraumata jedenfalls seit dem Zeitpunkt seiner Untersuchung (2. Juni 2003) nicht mehr in der Lage, mehr als zwei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Sachverständige hat keine Ausführungen dazu gemacht, seit wann dieser Zustand frühestens vorliegt bzw. wann das Leistungsvermögen des Klägers die Grenze von sechs Stunden täglich unterschritten hat. Die kriegsbedingten Polytraumata sind nach Angaben des Klägers selbst während des Krieges 1992/93 (Verlust des Hauses) und als Kriegsfolge (Verlust der Ehefrau 1996) eingetreten. Allerdings ergab eine Begutachtung des Klägers durch den Sozialärztlichen Dienst der Beklagten noch im Oktober 2000 keine Anhaltspunkte für eine schwere Depression oder eine hirnorganische Beeinträchtigung, wie sie im Juni 2003 von Dr. R. beschrieben werden. Die damalige Beurteilung des Klägers als noch vollschichtig leistungsfähig für leichtere bis mittelschwere Arbeiten ist aufgrund der mitgeteilten Befunde schlüssig und nachvollziehbar. Der Kläger wirkte lediglich theatralisch depressiv verstimmt ohne Anhaltspunkte für eine wesentliche posttraumatische Belastungsstörung oder einen hirnorganischen Abbauprozess, wie sie bei der Untersuchung durch Dr. R. geäußert werden. Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnis waren ohne Auffälligkeiten. Die affektive Schwingungsfähigkeit war erhalten, der Antrieb nicht reduziert und das psychosomatische Tempo nicht verlangsamt. Wann es in der Folgezeit zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen ist, kann dahinstehen, da für Versicherungsfälle nach September 1993 - somit auch nach Oktober 2000 - die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht mehr erfüllt sind.

Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI n.F.) kommt nicht in Betracht. Nach den vom BSG zur Berufsunfähigkeit entwickelten Kriterien (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.130, 132, 138, 140 sowie SozR 3-2200 § 1246 Nr.5, 15, 27 und 33) ist der Kläger, der in der Bundesrepublik Deutschland (zur Maßgeblichkeit der hier ausgeübten Beschäftigungen vgl. BSGE 50, 165) stets nur als ungelernter Arbeiter tätig war, sozial auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, so dass bei vollschichtiger Erwerbsfähigkeit und fehlender schwerer spezifischer Leistungsbehinderung oder Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit in diesen Fällen vgl. BSGE 80, 24) keine Berufsunfähigkeit vorliegt. Im Übrigen gelten für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ebenfalls die Bestimmungen der §§ 43, 241 SGB VI n.F. über die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, so dass auch ein Anspruch auf diese Rente für Versicherungsfälle nach dem September 1993 nicht mehr in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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