L 17 U 183/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 156/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 183/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Durch die bloße Zahlung eines öffentlich-rechtlichen Versicherungsträgers an einen Dritten entsteht kein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis, das bei zu Unrecht erbrachten Zahlungen die Inanspruchnahme des Begünstigten durch einen Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X rechtfertigen würde (BSGE 61, 11; BGHZ 71, 181 mwN; aA von Wulffen/Wiesner SGB X, 4.Auflage, § 50 Rdnr 3 und 4 mwN).

2. Grobe Fahrlässigkeit iSd § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X setzt voraus, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind. Dabei ist auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Betroffenen, wie persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie Einsichtsvermögen abzustellen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff, BSGE 25, 108; 44, 264).
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.03.2003 aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen worden ist.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme von Bescheiden, mit denen die Beklagte doppelt Halbwaisenrente gewährt hat sowie gegen die Rückforderung der entsprechenden Doppelzahlungen.

Die Klägerin ist die Witwe des am 08.07.1994 tödlich verunfallten Versicherten R.P. (P.). P. hinterließ zwei Kinder, K. P. (geb. 1982) und K. P. (geb. 1991).

Mit Bescheid vom 19.12.1994 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem Todestag des P. Witwenrente als Vollrente bis 31.10.1994 in Höhe von 17.384,40 DM und ab 01.11.1994 mit 31.01.1995 eine 40-prozentige Witwenrente in Höhe von monatlich 2.763,70 DM. Des Weiteren war auf diesem Bescheid eine 40-prozentige Waisenrente in Höhe von monatlich 2.763,70 DM aufgeführt. In dem Bescheid wurde ausgeführt, die Rente werde zum Ersten eines jeden Monats auf das Konto der Klägerin überwiesen. Die Anlage zum Rentenbescheid ergab für die Zeiträume 01.11.1994 mit 31.01.1995 für die Witwen- und Waisenrente einen Zahlbetrag von 33.966,60 DM. Die Beklagte wies in der Anlage darauf hin, dass dieser Betrag bis zur Bekanntgabe des Ersatzanspruches der Landesversicherungsanstalt Unterfranken (LVA) einbehalten werde. Im Bescheid waren ein Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 82.906,79 DM, eine jährliche Vollrente von 55.272,53 DM und eine monatliche Vollrente von 4.606,10 DM aufgeführt. Als Begründung für den Bescheid wurde angeführt: "Der/Die Versicherte erlitt einen Unfall, der den Tod zur Folge hatte".

Mit zwei weiteren Bescheiden vom gleichen Tag (19.12.1994) - ebenfalls an die Klägerin gerichtet - gewährte die Beklagte Waisenrente. In beiden Bescheiden bewilligte die Beklagte ab 08.07.1994 mit 31.07.1994 und ab 01.08.1994 mit 31.01.1995 jeweils eine 20-prozentige Waisenrente von monatlich 1.381,90 DM. Dieser Betrag sollte ab 01.02.1995 bis auf weiteres zum Ersten eines jeden Monats auf das Konto der Klägerin überwiesen werden. In den Anlagen zu den Waisenrentenbescheiden wurde für die Zeit vom 08.07.1994 mit 31.01.1995 jeweils ein Zahlbetrag von 9.361,30 DM mitgeteilt. Die Beklagte wies in den Anlagen darauf hin, dass diese Beträge bis zur Bekanntgabe des Ersatzanspruches der LVA einbehalten werden.

Die Waisenrentenbescheide trugen das gleiche Aktenzeichen wie der erstgenannte Bescheid. In den Waisenrentenbescheiden war das jeweilige Geburtsdatum der Kinder "1982" bzw. "1991", nicht aber der Name des jeweiligen Kindes aufgeführt. Der JAV sowie die jährliche und monatliche Vollrente waren in den Waisenrentenbescheiden wie im Witwenrentenbescheid angegeben. Die Beklagte erläuterte in Merkblättern, die den Bescheiden als "Bestandteil" beigefügt waren, u.a. die gesetzlichen Grundlagen des JAV, Sterbegeldes, der Witwen- und Witwerrente, Waisenrente sowie des Höchstbetrages der Hinterbliebenenrente.

Mit Schreiben vom 22.02.1995 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die LVA auf die Witwenrentennachzahlung einen Erstattungsanspruch in Höhe von 8.869,12 DM und auf die Waisenrentennachzahlung einen solchen in Höhe von 4.807,92 DM geltend gemacht habe. Unter Berücksichtigung dieser Erstattungsansprüche überwies die Beklagte an die Klägerin eine Nachzahlung von insgesamt 39.012,10 DM.

Bei der Durchsicht der Akte zur Kontrolle der Einstellung der Waisenrente wegen Vollendung des 18.Lebensjahres der Halbwaise K. P. am 07.09.2000 fiel der Beklagten im November 2000 auf, dass sie seit 01.11.1994 für beide Halbwaisen doppelte Halbwaisenrente gewährt und angewiesen hatte. Die Beklagte stellte daraufhin eine Überzahlung von 205.500,16 DM für den Zeitraum vom 01.11.1994 bis 30.11.2000 fest.

Nach Anhörung der Klägerin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 27.11.2000 die Bescheide vom 19.12.1994 gemäß § 45 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung vom 01.11.1994 insoweit zurück, als doppelte Waisenrente festgestellt worden war, stellte die Rentenzahlung mit dem Ablauf des Monats November 2000 ein und forderte die Rückzahlung des überzahlten Betrages gemäß § 50 Abs 1 SGB X in Höhe von 205.500,16 DM. Der Bescheid war an die Klägerin adressiert. Die Beklagte begründete die Rückforderung mit grob fahrlässigem Verhalten der Klägerin. Diese habe aus der Gesamtschau aller drei Bescheide erkennen müssen, dass die ab 01.11.1994 gewährten Waisenrenten nur jeweils einmal zugestanden hätten. Auch aus den Merkblättern habe sich das Verbot der Doppelzahlung ergeben. Zudem hätten die Hinterbliebenenrenten zusammen einen Betrag ergeben, der das Bruttoeinkommen des verstorbenen Ehegatten bei weitem überstiegen habe. Auch dies hätte der Klägerin auffallen müssen. Sie könne sich daher nicht auf ein schutzwürdiges Interesse berufen.

Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin im Wesentlichen vor, dass sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden könne, dass die Beklagte sechs Jahre Doppelzahlungen getätigt habe. Aus dem jeweiligen Bescheid selbst habe sich die Doppelzahlung nicht ergeben. Da die Waisenrente mehrmals erhöht worden sei, hätte die Beklagte spätestens dann die Doppelzahlung bemerken müssen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2001 zurück. Zur Begründung gab sie an, dass die Bescheide in ihrer Gesamtschau derart offensichtlich rechtswidrig gewesen seien, dass jeder, der auch nur das den Bescheiden beigefügte Merkblatt für Hinterbliebenenrente gelesen habe, sofort hätte erkennen müssen, dass eine doppelte Gewährung der Waisenrente nicht rechtens sei. Die Renten hätten zusammen 120 % des JAV ergeben. Aus den Merkblättern sei zu entnehmen, dass die Hinterbliebenenrenten zusammen 80 % des JAV nicht übersteigen dürften. Es hätte der Klägerin auffallen müssen, dass die ausgezahlten Renten den Bruttoverdienst des verstorbenen Versicherten im Jahr vor dem Unfall überstiegen. Bei Anstellung ganz naheliegender Überlegungen hätte die Klägerin erkennen müssen, dass die gewährten Waisenrenten durch einen Fehler in der Sachbearbeitung sowohl im Witwenrentenbescheid als auch nochmals in den beiden Waisenrentenbescheiden festgestellt worden seien und damit EDV-mäßig doppelt zur Auszahlung gelangt seien. Der Fehler der Verwaltung sei im Vergleich zu dem der Klägerin zuzurechnenden Verschulden als gering zu bewerten. Im Rahmen der Ermessensausübung sei geprüft worden, ob infolge der Rücknahme der Bescheide bei der Klägerin Sozialhilfebedürftigkeit eintreten würde. Dies sei nicht der Fall. Weitere Gründe, die der Rückforderung entgegen stünden, seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Klägerin hat im anschließenden Klageverfahren beantragt, festzustellen, dass der Bescheid vom 27.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 ihr gegenüber nicht wirksam geworden sei. Des Weiteren hat sie beantragt, den Bescheid vom 27.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 aufzuheben. Sie hat bestritten, dass sich irgendwelche Auffälligkeiten aus den Bescheiden vom 19.12.1994 ergeben hätten, die sie hätte bemerken müssen. Sie habe davon ausgehen können, dass alle Bescheide vom 19.12.1994 inhaltlich richtig seien. Die Klägerin legte ein Entlassungszeugnis der Sondervolksschule E. vom 28.07.1976 vor und gab an, im Anschluss an den Schulbesuch keine weitere Ausbildung gemacht zu haben. Sie sei völlig unbeholfen im Umgang mit Behörden und habe in Rentenangelegenheiten sich nicht ausgekannt. Bei den Bescheiden handele es sich um Standardformulare, die die Beklagte mit einzelnen Daten und Worten ergänzt bzw. ausgefüllt habe. Die Bescheide enthielten keinen zusammenhängend formulierten Text, in dem der Inhalt der Bescheide wiedergegeben werde. Sie erfüllten daher nicht das Mindestmaß an Mitteilung und Information, die in verständiger und nachvollziehbarer Weise ein Bescheid dieser Gewichtung und Tragweite enthalten müsse. Den überzahlten Betrag habe sie aufgrund des mit der Zahlung einhergehenden Lebensstandards vollständig verbraucht.

Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung auf den Inhalt ihrer Bescheide Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat sowohl die Klägerin als auch die Waisen K. und K. als Kläger betrachtet. Es hat mit Urteil vom 27.03.2003 festgestellt, dass der Bescheid vom 27.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 der Klägerin K. P. gegenüber (wegen Volljährigkeit) nicht wirksam geworden sei und den Bescheid vom 27.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 insoweit aufgehoben, als er die Rücknahme der Halbwaisenrente für K. P. für die Vergangenheit und die Rückforderung der ab 01.11.1994 zuviel gezahlten Halbwaisenrente der K. P. betroffen hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe aus der Gesamtschau der Bescheide erkennen müssen, dass die Halbwaisenrente (für K. P.) nur jeweils einmal zugestanden habe. Insbesondere hätten die Hinterbliebenenrenten zusammen einen Betrag ergeben, der das Bruttoeinkommen des Versicherten bzw. den JAV überstiegen habe. Dies sei auch ohne besondere sozialrechtliche Vorkenntnisse direkt aus den Bescheiden erkennbar gewesen. Darüber hinaus habe sich auch aus dem Merkblatt für die Klägerin ohne schwierige Überlegung feststellen lassen, dass die Gesamtsumme der in den Bescheiden ausgewiesenen Hinterbliebenenrenten die Vollrente und auch den JAV überstiegen habe. Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblatts zu einem konkreten Leistungstatbestand begründe im Allgemeinen eine grobe Fahrlässigkeit, wenn das Merkblatt so abgefasst sei, dass die Begünstigte seinen Inhalt erkannt habe. Die Klägerin habe sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass die Rentenbescheide korrekt abgefasst und inhaltlich richtig seien. Ebenso wenig komme es darauf an, ob die Beklagte die Rechtswidrigkeit der Bescheide habe kennen müssen und dass sie diese verursacht habe. Die minderjährige Waise K. müsse sich das Verhalten der Klägerin als ihr Vertreter zurechnen lassen.

Gegen diese Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.03.2003 und den Bescheid der Beklagten vom 27.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 insoweit aufzuheben, als sie zur Rückzahlung der überzahlten Waisenrente verpflichtet worden sei.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.03.2001 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der überzahlten Waisenrente für das Kind K. in Höhe von 52.535,28 EUR.

Die Beklagte kann einen Erstattungsanspruch nicht auf § 50 Abs 1 oder Abs 2 SGB X stützen. Rückforderungsschuldner könnte nach dieser Vorschrift nur die rentenberechtigte Waise sein. Ist einer minderjährigen Waise Halbwaisenrente gewährt worden und ist diese antragsgemäß auf ein Konto des Elternteils überwiesen worden, so kann eine versehentlich durch Doppelüberweisung erfolgte Überzahlung der Halbwaisenrente nur von der Waise, nicht aber von dem Elternteil zurückgefordert werden (ebenso LSG Niedersachsen Breith. 1991 S 127).

Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist gemäß § 51 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliegend gegeben. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden u.a. über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 51 Abs 1 Nr 3 SGG). Ein Rechtsstreit, der auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes gerichtet ist, betrifft eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 7.Auflage, § 51 Rdnr 44 mwN). Nimmt ein Träger der öffentlichen Verwaltung für sich in Anspruch, die zu ihm und einem anderen bestehende Rechtsbeziehung durch Verwaltungsakt zu regeln, weil er diese Rechtsbeziehung als eine seiner hoheitlichen Regelungsbefugnis unterworfene Angelegenheit ansieht, ist für die Anfechtung dieses Verwaltungsaktes die sachliche Zuständigkeit der Gerichte gegeben, die für die Anfechtung hoheitlicher Regelungen dieser Art berufen sind, unabhängig davon, ab die mit dem Verwaltungsakt geregelte Rechtsbeziehung öffentlich-rechtlicher Art ist und durch Verwaltungsakt geregelt werden darf (vgl. aaO).

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung - der sich der Senat anschließt - entsteht durch die bloße Zahlung eines öffentlich-rechtlichen Versicherungsträgers an einen Dritten kein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis, das bei zu Unrecht erbrachten Zahlungen die Inanspruchnahme des Begünstigten durch einen Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X rechtfertigt (BSGE 61, 11 = SozR 1300 § 50 Nr 13; BGHZ 71, 181 mwN; aA von Wulffen/Wiesner SGB X, 4.Auflage, § 50 Rdnr 3 und 4 mwN).

Die Beklagte hat zu Unrecht einen Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 1 SGB X gegen die Klägerin geltend gemacht. § 50 SGB X setzt sowohl in seinem Abs 1 als auch in seinem Abs 2 voraus, dass eine Leistung aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnisses erbracht worden ist (BSG aaO). Das ist in § 50 Abs 1 SGB X schon deshalb der Fall, weil Leistungen aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht sein müssen. Die Beklagte hat der Klägerin vorliegend aber keine Leistungen durch Verwaltungsakt erbracht. Der Bewilligungsbescheid vom 19.12.1994, der sowohl die Witwenrentenbewilligung als auch die (doppelte) Waisenrentengewährung zum Inhalt hatte, richtete sich - soweit Waisenrente bewilligt wurde - nicht an die Klägerin, sondern an die Kinder. Unstreitig ist nicht die Klägerin Rentenberechtigte der Waisenrenten, sondern ihre Kinder. Insoweit lässt sich aus dem an die Klägerin ohne Hinweis auf ihre Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin gerichteten Bewilligungsbescheid vom 19.12.1994 im Wege der Auslegung (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) entnehmen, dass der Sohn K. vorliegend der eigentliche Adressat des Bescheides war. Ein sozialrechtliches Leistungsverhältnis ist deshalb allein zwischen diesem und der Beklagten begründet worden. Die Klägerin hat lediglich als gesetzliche Vertreterin gehandelt, Rechtswirkungen im Außenverhältnis zu der Beklagten treffen sie nicht (vgl. § 11 Abs 1 Nr 1 SGB X, §§ 1626 Abs 1, 164 Abs 1 BGB).

Der Beklagten steht auch kein Erstattungsanspruch gemäß § 50 Abs 2 SGB X zu. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind. Auch § 50 Abs 2 SGB X umfasst nur die Fälle, in denen aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnisses zwischen dem Empfänger und dem Leistungsträger Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht wurden (BSG aaO). Ein solches öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand hinsichtlich der Waisenrentenbewilligung - wie o.a. - nicht.

Die Beklagte hat die Bescheide vom 19.12.1994 hinsichtlich der Waisenrentengewährung auch nicht im Rahmen eines vermeintlich öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnisses erlassen. Dies träfe nur zu, wenn sie aufgrund eines in Wirklichkeit nicht bestehenden, von ihr aber als bestehend angesehenen öffentlich-rechtlichen Verhältnisses an die Klägerin geleistet hätte (vgl. BSG 61, 11; BGHZ 71, 180 mwN). Die überzahlte Waisenrente vom 01.11.1994 bis 31.11.2000 beruht aber nicht darauf, dass die Beklagte annahm, gegenüber der Klägerin bestehe ein sozialrechtliches Leistungsverhältnis, sondern darauf, dass versehentlich die Waisenrente in dem genannten Zeitraum doppelt ausgezahlt wurde. Die Beklagte wollte mit der Zahlung der Waisenrente nur ihre Verpflichtung gegenüber der Waise, nicht aber einen vermeintlichen sozialrechtlichen Leistungsanspruch der Klägerin erfüllen.

Der Senat kann den Erstattungsbescheid vom 27.11.2000 nicht dahin auslegen, dass die Adressierung an die Klägerin lediglich eine ungenaue Bezeichnung und als eigentlicher Adressat die rentenberechtigte Waise anzusehen sei. Anders als bei den Rentenbescheiden vom 19.12.1994 sprechen die Umstände hier eindeutig dafür, dass die Beklagte die Klägerin selbst in Anspruch nehmen wollte. Im Bescheid vom 27.11.2000 führte die Beklagte aus, dass die Klägerin seit dem 01.11.1994 einen Betrag in Höhe von anfänglich 2.763,70 DM zu viel erhalten habe. Das schließt es aus, insoweit nur eine offenbare Unrichtigkeit nach § 38 SGB X anzunehmen. Auch eine Umdeutung i.S. des § 43 Abs 1 SGB X hält der Senat nicht für angängig, weil es mit dem Gebot hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit von Verwaltungsakten (§ 33 Abs 1 SGB X) nicht vereinbar wäre, einen Erstattungsbescheid, der Grundlage von Vollstreckungshandlungen sein kann, auf diesem Wege einem anderen Adressaten zuzuordnen, als dies im schriftlichen Bescheid selbst angegeben ist (ebenso LSG Niedersachsen aaO).

Hieran ändert auch nichts, dass der rentenberechtigten Waise - im Falle ihrer Inanspruchnahme mit einem Erstattungsanspruch - Kenntnis und Kennenmüssen i.S. des § 45 Abs 2 SGB X ihres gesetzlichen Vertreters zuzurechnen sind (§ 166 Abs 1 BGB). Unter diesen Voraussetzungen hätten sich die Erwägungen der Beklagten zu § 45 SGB X in erster Linie mit der rentenberechtigten Waise befassen müssen.

Die Rückforderung fehlgegangener Zahlungen richtet sich nach alledem vorliegend nach den zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 812 ff BGB. Dies ist hier mangels Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit nicht weiter zu verfolgen (vgl. BGHZ 73, 202).

Auch wenn man die Inanspruchnahme der Klägerin mit einem Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 2 SGB X bejahen wollte (vgl. von Wulffen/Wiesner aaO), käme eine Rückforderung nicht in Betracht. Da bei einer Erstattung nach § 50 Abs 2 SGB X kein zugrunde liegender Verwaltungsakt aufgehoben wird, gelten für die Frage, ob zu erstatten ist, die §§ 45, 48 SGB X zum Schutze des Erstattungsschuldners entsprechend (§ 50 Abs 2 Satz 2 SGB X; von Wulffen/Wiesner aaO § 50 Rdnr 10). Dabei ist abzustellen auf die Kenntnis der Tatsachen, die die Rückforderung der ohne Verwaltungsakt erbrachten Leistungen rechtfertigen (aaO).

Die entsprechende Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß § 45 SGB X wäre vorliegend ausgeschlossen, weil sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen könnte. Von den Tatbeständen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X käme vorliegend lediglich die Nr 3 in Betracht, denn die Klägerin hat weder unrichtige noch unvollständige Angaben gemacht. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X nur gegeben, wenn die Klägerin als Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in b e s o n d e r s schwerem Maße verletzt hat. Ob grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne vorliegt, ist im Wesentlichen eine Frage der Würdigung des Einzelfalls, die den Tatsachengerichten obliegt (stRspr des BSG, z.B. SozR 2200 § 1301 Nr 11; SozR 4100 § 152 Nr 3; SozR 3-3800 § 2 Nr 10). Eine Verletzung der Sorgfalt liegt dann vor, wenn der Begünstigte schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45 mwN). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit, insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff, BSGE 35, 108; 44, 264). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Voraussetzung ist, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen o h n e w e i t e r e s erkennbar sind.

Ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, ist im Allgemeinen nicht zugunsten der Fachbehörde gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45 mwN). Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nachdem sie die leistungserheblichen Tatsachen erfragt, seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (vgl. BVerwGE 92, 81). Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die a b s t r a k t e Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessen enthalten. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheides deutlich zu machen. Nur eine Bescheidbegründung, die den zugrunde gelegten Sachverhalt wiedergibt, macht ggf. auch den mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bewilligungsbescheid nicht in Ordnung ist, weil z.B. der zugrunde gelegte Sachverhalt nicht dem Angegebenen und Wahren entspricht (BSG aaO). Teilt ein Leistungsträger die Rechtslage aber nicht durch eine fallbezogene Subsumtion, sondern abstrakte Rechtsbelehrungen (Schema; Merkblatt) mit, setzt der Vorwurf grober Fahrlässigkeit voraus, dass die Rechtswidrigkeit der Regelung nach der Fassung des Bescheides augenfällig ist. Der Fehler muss dem Begünstigten bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springen" (aaO).

Gemessen an diesen Anforderungen gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Die Klägerin konnte die Fehlerhaftigkeit der Bescheide nicht aus deren Begründung erkennen, da die Bescheide eine nähere Begründung für die Zahlung gerade in dieser Höhe nicht enthielten. Zwar waren in den drei Bescheiden vom 19.12.1994 der JAV, die jährliche Vollrente sowie monatliche Vollrente genannt, jedoch waren die Bedeutung des JAV für die Berechnung der Vollrente und die gesetzliche Regelung, dass die Renten der Hinterbliebenen zusammen 4/5 des JAV nicht übersteigen dürfen, nur dem Merkblatt abstrakt zu entnehmen. Die Fehlerhaftigkeit des Bescheides konnte der Klägerin bei ihren subjektiven Erkenntnismöglichkeiten als Sonderschülerin gerade nicht "in die Augen springen". Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Bescheide keinen zusammenhängend formulierten Text enthielten, anhand dessen sich der Inhalt der Bescheide hätte nachvollziehen lassen. Da schon jeder einzelne der drei Bescheide aus sich heraus nicht verständlich war, konnte sich für die Klägerin eine augenfällige Fehlerhaftigkeit auch nicht bei einer Zusammenschau der drei Bescheide ergeben. Um die Fehlerhaftigkeit des Bescheides zu erkennen, hätte die Klägerin die für den Bescheid maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften aus dem zweiseitigen, engbedruckten Merkblatt gleichsam "herausfiltern" müssen. Dabei hätte sich zudem für die Klägerin die Schwierigkeit ergeben, dass im Merkblatt die Witwenrente bzw. Halbwaisenrente mit 1/5 bzw. 2/5 des JAV angegeben war, die Bescheide aber von 20 % bzw. 40 % sprachen. Der Senat ist überzeugt, dass die Klägerin bei der Zuordnung von 1/5 bzw. 2/5 zu den Prozentzahlen 20 bzw. 40 überfordert war. Die Klägerin erbrachte in Mathematik in der 9. Jahrgangsstufe der Sonderschule offensichtlich keine ausreichenden Leistungen, da in diesem Fach die Note der 8. Jahrgangsstufe im Entlassungszeugnis eingetragen ist.

Hinzu kommt, dass der Klägerin mit den drei Bescheiden vom 19.12.1994 nicht nur dem Betrag nach hohe monatliche Rentenzahlungen mitgeteilt worden waren, sondern auch einmalige Zahlungen (unter Vorbehalt von Ersatzansprüchen der LVA) in Höhe von insgesamt 52.689,26 DM. Im Februar 1995 hat die Klägerin tatsächlich den Betrag von 39.012,10 DM als Nachzahlung erhalten. Angesichts dieser hohen Einmalzahlung ist es für den Senat nach den Gesamtumständen unter Berücksichtigung des Bildungsstandes der Klägerin nachvollziehbar, dass dieser die fehlerhafte Höhe der monatlichen Rentenzahlung nicht augenfällig geworden ist.

Nach alledem kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in besonders schwerem Maße ihre Sorgfaltspflichten verletzt hat.

Bei dieser Sach- und Rechtslage bedarf es keiner Ausführungen, ob die Beklagte ihr Ermessen richtig ausgeübt hat.

Nach alledem waren die Erstattungsbescheide der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts - soweit es die Klage abgewiesen hat - aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved