L 5 RJ 238/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 232/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 238/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Witwenrentenabfindung bei der zweiter Wiederheirat der Berichtigten ist nach § 107 Abs. 1 S. 1 SGB VI auch dann nicht möglich, wenn die erse Wiederheirat in der füheren DDR stattgefunden und zu keiner Witwenrentenabfindung geführt hat.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Februar 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1960 geborene Klägerin erhielt von September 1986 bis einschließlich April 1988 in der früheren DDR Hinterbliebenenrente nach ihrem am 06.09.1986 verstorbenen ersten Ehemann. Am 05.05.1988 schloss sie eine zweite Ehe, die am 11.05.1993 durch das Amtsgericht I. geschieden wurde.

Mit Bescheid vom 03.07.1994 gewährte die Beklagte der Klägerin antragsgemäß große Witwenrente aus der Versicherung ihres ers-ten Ehemannes. Nachdem sie unter Berücksichtigung des anrechenbaren Einkommens der Klägerin die Rente mit Wirkung vom 01.06. 1999 neu berechnet und die Höhe der laufenden Zahlungen ab 01.09.1999 unter Hinweis auf die Verpflichtung der Klägerin, eine Wiederverheiratung unverzüglich mitzuteilen, mit Bescheid vom 14.07.1999 auf monatlich 714,82 DM festgesetzt hatte, teilte ihr die Klägerin mit Schreiben vom 26.10.1999 mit, dass sie am 09.09.1999 ihre dritte Ehe geschlossen habe, ein Rentenanspruch mithin ab Oktober 1999 nicht mehr bestehe. Zugleich forderte sie die Beklagte auf, den für diesen Monat bereits übermittelten Zahlbetrag "von der Einmalzahlung in Höhe von 24 Monaten abzuziehen und die Überweisung auf das bekannte Konto vorzunehmen".

Mit Bescheid vom 01.12.1999 lehnte die Beklagte den Antrag auf Witwenrentenabfindung vom 26.10.1999 mit der Begründung ab, diese Leistung könne nur aus Anlass der ersten Wiederheirat gewährt werden. Zugleich hob sie mit weiterem Bescheid vom 10.12.1999 den Bewilligungsbescheid vom 03.07.1994 unter Berufung auf die Regelung des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X rückwirkend zum 01.10.1999 auf und forderte die über den Monat der erneuten Eheschließung hinaus geleisteten Rentenzahlungen in Höhe von insgesamt 1.429,64 DM nach § 50 Abs.1 SGB X zurück.

Die am 29.12.1999 gegen beide Bescheide eingelegten Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 14.03.2000 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, Witwenrente sei nach der eindeutigen Regelung des § 107 Abs.1 Satz 1 SGB VI nur bei der ersten Wiederheirat abzufinden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.08.1998, Az: L 5 J 9/98) sei eine Witwenrentenabfindung bei der zweiten Wiederheirat auch dann ausgeschlossen, wenn - wie vorliegend - bei der ersten Wiederverheiratung in der ehemaligen DDR wegen der seinerzeit dort maßgebenden Rentengesetze keine Abfindung gezahlt wurde.

Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 14.04.2000 Klagen erhoben, welche das Sozialgericht mit Beschluss vom 27.02.2003 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat.

Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, als erste Wiederheirat im Sinne der Regelung des § 107 Abs.1 Satz 1 SGB VI könne nur eine solche im Geltungsbereich des SGB VI anzusehen sein. Andernfalls werde die Klägerin, die nach dem Tod des ers-ten Ehegatten keine Witwenrente im Sinne des SGB bezogen habe und mit der erneuten Wiederheirat die Möglichkeit des Bezugs einer Witwenrente endgültig verliere, zusätzlich benachteiligt. Es dürfe keinen Unterschied machen, ob die erste Wiederheirat einen Tag vor bzw. einen Tag nach dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland stattgefunden habe. Mit der Abfindungszahlung bei der ersten Wiederheirat im Geltungsbereich dieses Gesetzes werde der gesetzlich zugebilligten Einmaligkeit der Abfindung entsprochen.

Mit Urteil vom 27.02.2003 hat das Sozialgericht Augsburg die Klage gegen die Bescheide vom 01.12.1999 und 10.12.1999 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14.03.2000 abgewiesen. Es hat ausgeführt, entsprechend dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes könne nur die erste Wiederverheiratung zu einem Abfindungsanspruch führen. Ein Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs des SGB VI sei nicht maßgeblich. Weil somit keine Verrechnung in Betracht komme, sei die Rückforderung der überzahlten Bezüge berechtigt.

Gegen das am 17.03.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.04.2003 Berufung eingelegt. Das einschlägige Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts überzeuge nicht. Hätte die Klägerin nach dem Tod des ersten Ehegatten erst 1994 wieder geheiratet, so hätte sie eine Witwenrentenabfindung erhalten. Nicht berücksichtigt worden sei bislang, dass es im Vergleich von ehemaligen DDR-Bürgern untereinander zu massiven Unterschieden komme. Zudem habe die Klägerin durch ihre Wiederheirat einen hohen Witwenrentenzahlungsanspruch verloren.

Die Klägerin beantragt: die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 27.02.2003 sowie der Bescheide vom 01. und 10.12.1999 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 14.03.2000 zu verurteilen, ihr anlässlich ihrer Wiederverheiratung am 09.09.1999 eine Witwenrentenabfindung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.02.2003 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Augsburg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.02.2003 ist ebenso wenig zu beanstanden wie die Bescheide vom 01.12.1999 und 10.12.1999 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14.03.2000. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Witwenrentenabfindung.

Die Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 10.12.1999 den Bewilligungsbescheid vom 03.07.1994 unter Berufung auf die Regelung des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X rückwirkend zum 01.10. 1999 aufgehoben. Mit ihrem Schreiben vom 26.01.1999 hat die Klägerin selbst eingeräumt, vom Erlöschen des Rentenanspruchs mit der Wiederverheiratung am 09.09.1999 gewusst zu haben.

Zutreffend hat die Beklagte nach § 50 Abs.1 und 3 SGB X zugleich die über den Monat der erneuten Eheschließung hinaus geleisteten Rentenzahlungen in Höhe von insgesamt 1.429,64 DM zurückgefordert. Dem festgesetzten Erstattungsanspruch steht der geltend gemachte Anspruch auf Witwenrentenabfindung nicht entgegen. Der Auffassung der Klägerin, ersterer sei durch Aufrechnung vom 26.10.1999 in entsprechender Anwendung der §§ 387 ff. Bürgerlicher Gesetzbuch (BGB) erloschen, kann nicht gefolgt werden, da ihr die behauptete Gegenforderung - wie die Beklagte mit Bescheid vom 01.12.1999 zutreffend festgestellt hat - nicht zusteht.

Gemäß § 107 Abs.1 Satz 1 SGB VI werden Witwenrenten bei der ersten Wiederheirat der Berechtigten mit dem 24-fachen Monatsbetrag abgefunden. Im Hinblick auf die Versicherung ihres ers-ten Ehemannes, aus der die Abfindung abgeleitet werden soll, ist die Eheschließung der Klägerin im September 1999 jedoch nicht die erste, sondern die zweite Wiederverheiratung, nachdem sie ihre zweite Ehe bereits am 05.05.1988 geschlossen hat. Der Wortlaut des Gesetzes schließt die Gewährung einer Abfindung an die Klägerin daher aus.

Eine andere Auslegung folgt auch nicht aus Sinn und Zweck der Norm. In Übereinstimmung mit den Erwägungen des Schleswig-Holsteinischen LSG im Urteil vom 27.08. 1998 (L 5 RJ 9/98) kommt eine erweiternde Auslegung deshalb nicht in Betracht, weil § 107 Abs.1 Satz 1 SGB VI nicht bezweckt, mehrfache Witwenrentenabfindungen aus demselben Versicherungsverhältnis zu verhindern. Bei einer entsprechenden Zielrichtung könnte die Klägerin mit ihrem Einwand gehört werden, sie habe bislang keine Witwenrentenabfindung erhalten. Diese Zielrichtung hat die Vorschrift jedoch nicht. Die Begrenzung der Abfindung auf die erste Wiederheirat entspricht der Bestimmung des § 46 Abs.3 SGB VI, nach der ein Wiederaufleben einer Witwenrente auf das Versicherungsverhältnis des jeweils vorletzten Ehegatten begrenzt ist. Weil eine Abfindung voraussetzt, dass eine Rente gezahlt worden ist, stellt schon die Regelung des § 46 Abs.3 SGB VI sicher, dass aus einem Versicherungsverhältnis keine mehrfachen Heiratsabfindungen gewährt werden können.

Ein sachlicher Grund für die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die an die Eingehung einer zweiten und an die einer späteren Ehe geknüpft werden, kann darin gesehen werden, dass die Bindung der Witwe bzw. des Witwers an den ersten Ehegatten bei jeder späteren Eheschließung an Intensität verliert. Der Gesetzgeber muss diese weiteren Eheschließungen nicht durch eine verfassungsrechtlich ohnehin nicht gebotene Heiratsabfindung begünstigen. Die Beschränkung auf die erste Wiederheirat ist deshalb verfassungsgemäß (Gürtner in KassKom, § 107 SGB VI Rz.4). Ob im Zusammenhang mit der ersten Wiederverheiratung tatsächlich eine Abfindung gezahlt worden ist, spielt vor diesem Hintergrund keinerlei Rolle.

Die gesetzliche Regelung des § 107 SGB VI verstößt auch nicht gegen Art.3 Grundgesetz. Der Grund dafür, dass die Klägerin als damalige Einwohnerin der DDR anläßlich ihrer ersten Wiederheirat keine Abfindung bekommen hat, liegt darin, dass eine derartige Leistung nach den für sie zu dieser Zeit maßgebenden Rentengesetzen der früheren DDR ausgeschlossen war. Für den Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland besteht und bestand keine Verpflichtung, Nachteile, die frühere DDR-Bewohner im Vergleich zu Bürgern der Bundesrepublik durch in der DDR abweichende gesetzliche Regelungen erlitten haben, auszugleichen (vgl. ebenso Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 27.08. 1998 a.a.O.).

Auch der Einwand der Klägerin, sie werde jedenfalls gegenüber anderen verwitweten früheren Bürgern der DDR, die erst nach der Wiedervereinigung erneut eine Ehe eingegangen seien, benachteiligt, vermag nicht zu überzeugen. Insoweit verkennt sie, dass sich die genannten Fallgestaltungen in zeitlicher Hinsicht wesentlich voneinander unterscheiden, mithin nicht gleich im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art.3 GG sind. Denn im Fall der Klägerin lagen bereits zu DDR-Zeiten alle auf einen Anspruch auf Witwenrentenabfindung im Sinne des § 107 Abs.1 Satz 1 SGB VI begründenden Tatsachen vor, während bei letztgenannter Personengruppe der anspruchsbegründende Sachverhalt erst nach der Wiedervereinigung erfüllt wurde bzw. wird. Hinzu kommt, dass eine Heiratsabfindung dem System der gesetzlichen Rentenversicherung an sich fremd ist. Eine erweiternde Auslegung kommt daher nicht in Betracht.

Zusammenfassend ist es richtig, dass verwitwete ehemalige DDR-Bürger, die nach 1990 erstmals wieder heiraten, in Bezug auf eine Witwenrentenabfindung anders behandelt werden, als solche, die vor 1990 bereits wieder verheiratet waren. Der Grund dafür ist, dass nur der Start in die erste neue Ehe nach dem Tod des Versicherten gefördert werden soll und die Beklagte nicht verpflichtet ist, Leistungen für Vergleichsfälle außerhalb ihres Kompetenzbereiches in der ehemaligen DDR zu erbringen. Der Gesetzgeber, der sich im Rahmen der Herstellung der Deutschen Einheit vor außerordentliche Schwierigkeiten gerade im Hinblick auf die Vereinheitlichung des Rentenrechts gestellt sah, war aufgrund des Gleichheitsgebotes nicht verpflichtet, eine Nachzahlung der nach § 1217 RVO ruhenden Renten anzuordnen (BSG, Urteil vom 12.10.1993, Az: 13 RJ 13/93). Umso mehr muss dies in dem Fall der Klägerin gelten, die bei ihrer ersten Wiederverheiratung 1988 nicht einmal ein Stammrecht gegen die Beklagte erworben hat.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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