L 14 RJ 111/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 1375/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RJ 111/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23. September 2002 abgeändert und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. März 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1997 in vollem Umfang abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen verminderterer Erwerbsfähigkeit vor Beginn der Altersrente am 01.03.2003.

Der 1938 in Bosnien geborene und dort lebende Kläger war zwischen August 1972 und Oktober 1981 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt und anschließend abwechselnd arbeitsunfähig und arbeitslos gemeldet bis November 1985. In seiner Heimat war der Kläger zuvor von 1956 bis 1972 beschäftigt. Er bezieht dort seit 15.02.1996 eine Invalidenrente.

Die 1984 und 1989 beim deutschen Versicherungsträger u.a. wegen Magenleidens (2/3-Magenresektion nach Bilroth II) gestellten Rentenanträge blieben erfolglos (Bescheide der Beklagten vom 01.02.1985 und 05.02.1990, letzterer nach stationärer Begutachtung in der Ärztlichen Gutachterstelle Regensburg vom 08. bis 10.01.1990). Nach Abschluss des ersten Rentenverfahrens erhielt der Kläger auf seinen Antrag mit Schreiben der Beklagten vom 08.08.1985 einen Versicherungsverlauf an seine Heimatadresse übersandt.

Den streitgegenständlichen Rentenantrag stellte der Kläger am 29.11.1995. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26.06.1996 ab und führte dazu aus, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Rentenanspruchs seien - ausgehend von einem denkbaren Versicherungsfall im Zeitpunkt der Antragstellung - nicht erfüllt. Zwar sei die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, es seien aber nicht in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung mindestens drei Jahren mit Pflichtbeitragszeiten belegt. In dem maßgebenden Zeitraum vom 29.11.1990 bis 28.11.1995 seien keine Pflichtbeitragszeiten vorhanden. Auch sei die geltend gemachte Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht in Folge besonderer Umstände (z.B. durch Arbeitsunfall etc.) eingetreten, durch die die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt sei (§§ 53, 245 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -). Schließlich sei in der Zeit vom 01.01. 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der möglichen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nicht jeder Kalendermonat mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt: Insoweit seien die Monate von Dezember 1985 bis Dezember 1994 unbelegt. Für diese Zeiten sei auch eine nachträgliche Beitragsentrichtung nicht mehr möglich.

Den nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingegangenen Widerspruch des Klägers wertete die Beklagte im Einvernehmen mit diesem als Überprüfungsantrag. Der Kläger machte insoweit geltend, er sei zwischen November 1990 und November 1995 in Bosnien arbeitslos gemeldet gewesen; er lebe in schlechter gesundheitlicher und finanzieller Situation. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19.03.1997 erneut wegen des Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen im Zeitpunkt der Antragstellung im Jahre 1995 eingetretenen Leistungsfall ab.

Der hiergegen erhobene Widerspruch, mit dem der Kläger unter anderem auf einen Arbeitsunfall im Jahre 1974 mit Kopfverletzungen verwies, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.1997 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestehe kein Anspruch auf Rücknahme des ablehnenden Bescheides vom 26.06.1996, da dieser nicht unrichtig sei. Bei einem angenommenen Versicherungsfall im Zeitpunkt der Antragstellung (1995) seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs.1 Nr.2 i.V.m. Abs.3 und 4 SGB VI und § 240 SGB VI bzw. § 44 Abs.1 Nr.2 und Abs.4 SGB VI i.V.m. § 43 Abs.3 und 4 und § 241 SGB VI nicht erfüllt. Dabei sei aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine Aussage darüber, ob überhaupt eine Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit eingetreten sei, nicht getroffen worden. Der Einwand, Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit sei aufgrund eines Arbeitsunfalls im Jahre 1984 eingetreten, treffe nicht zu. Bereits mit bestandskräftigen Bescheiden vom 01.02. 1985 und 05.02.1988 (zutreffend: 1990) sei festgestellt worden, dass zum damaligen Zeitpunkt Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nicht eingetreten sei; die Voraussetzungen der §§ 43 Abs.4, 44 Abs.4 i.V.m. 43 Abs.4 SGB VI seien damit nicht gegeben.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) legte der Kläger seinen 1982 vom Versorgungsamt München II ausgestellten Schwerbehindertenausweis vor (GdB 70, nach Angaben des Klägers wegen "Teilausschneidung des Magens, rezidivierende Cholecystitis, Verlust des linken Zeigefingers und Grundgelenkes"; gültig bis Juni 1985). Er gab an, als Schwerbehinderter in Deutschland keine Arbeit und dann keine Aufenthaltsverlängerung mehr bekommen zu haben; nach seiner Rückkehr in das ehemalige Jugoslawien habe er von seiner Frau gelebt, die inzwischen gestorben sei. Seit 1982 werde er in Bosnien in der Neuropsychiatrischen Klinik behandelt und bekomme inzwischen eine geringe Rente.

Der Kläger legte verschiedene handschriftliche Rezeptverschreibungen wegen paranoider Psychose aus den Jahren 1988, 1989, 1997 und 1999 vor, ferner einen orthopädischen und nervenärztlichen Befund aus 1995 sowie Behandlungberichte über stationä- re Aufenthalte in der Neuropsychiatrie in den Zeiträumen vom 26.04. bis 08.05.1985, 05.02. bis 07.03.1986 und 21.08. bis 09.09.1988.

Das SG ließ den Kläger auf nervenärztlichem, orthopädischem und internistischem Fachgebiet untersuchen und begutachten. In seinem Gutachten vom 18.06.2001 diagnostizierte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.R. einen beginnenden hirnorganischen Abbauprozess, eine organisch gefärbte schwere Depression sowie eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen. Der Gutacher beschrieb die beim Kläger vorhandene typische Symptomatik einer schweren Depression (deutlich eingeschränkte affektive Schwingungsfähigkeit, Niedergeschlagenheit, Insuffiziengefühle, Versagensängste, Überforderungs- und Überlastungsgefühle etc.) sowie die beginnende hirnorganische Wesensänderung mit starker Beeinträchtigung der Auffassungsgabe, Aufmerksamkeit, geistigen Leistungsfähigkeit und nervlichen Belastbarkeit. Er vertrat die Auffassung, der Kläger könne seit dem Zeitpunkt seiner Untersuchung nurmehr leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Nacht- und Schichtdienst sowie ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit unter zwei Stunden täglich verrichten.

Der Orthopäde Dr.S. erhob im Gutachten vom 19.06.2001 Bewegungseinschränkungen der Gesamtwirbelsäule ohne wesentliche neurologische Symptomatik, eine Bewegungseinschränkung der linken Schulter sowie Knie- und Hüftarthrosen. Er legte dar, dass zu der psychischen Verlangsamung eine körperlich bedingte Bewegungseinschränkung und Verlangsamung hinzukomme. Lohnbringende Arbeiten seien auch nach seiner Auffassung, wie schon vom Vorgutachter festgestellt, ab dem Zeitpunkt des Untersuchungstermins nicht mehr möglich; denkbar seien lediglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung unter zwei Stunden täglich.

Der Internist und Sozialmediziner Dr.P. fand beim Kläger nach klinischer Untersuchung und Erhebung von Zusatzbefunden (Echokardiogramm, Oberbauchsonographie, Röntgen-Thorax in zwei Ebenen, Ruhe-EKG, Ruhe-Spirometrie, Blutgaserhebung und Labordiagnostik) neben den vordiagnostizierten Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und nervenärztlichen Gebiet eine Einschränkung der Sehfähigkeit, deutliche Hinweise auf eine arterielle Verschlusskrankheit der unteren Extremitäten, ein kontrollbedürftiges Magenleiden sowie kontrollbedürftige Herzbeschwerden. Nach seinen Ausführungen standen die Beschwerden auf nervenärztlichem Gebiet im Vordergrund. Er empfahl eine gastroskopische Abklärung im Hinblick auf die Magenbeschwerden sowie eine Abklärung bezüglich der vorhandenen Hinweise auf eine arterielle Verschlusskrankheit (fehlende Pulse im Bereich der unteren Extremitäten) und schloss sich im Übrigen wegen deutlicher Hinweise auf eine coronare Herzerkrankung mit Herzinsuffizienz der Auffassung der Vorgutachter über eine nurmehr unter zwei Stunden liegende Leistungsfähigkeit mit den dort genannten qualitativen Einschränkungen an. Zusätzlich sollten nach seinen Feststellungen Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an das Sehvermögen entfallen (Gutachten vom 18./19.06.2001).

Im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme erkannte die Beklagte den Eintritt der vollen Erwerbsminderung seit 19.06. 2001 an, verwies aber auf die insoweit fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung.

Das SG wies in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2002 darauf hin, dass die Beklagte den Kläger anläßlich einer Übersendung eines Versicherungsverlaufs im August 1985 nicht über das Erfordernis der Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft aufgeklärt habe, was insbesondere vor dem Hintergrund der vom Kläger damals mitgeteilten Rückkehr in seine Heimat hätte erfolgen müssen. Die Beklagte nahm dazu dahingehend Stellung, dass auch aus ihrer Sicht seinerzeit eine umfassende Aufklärung hätte erfolgen müssen; dennoch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen seit 20.06. 2001 bestehenden Leistungsfall aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gegeben seien, denn es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft tatsächlich freiwillige Beiträge entrichtet hätte.

Das SG verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 23.09.2002 zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 01.07.2001 und wies im Übrigen die Klage ab. Es stützte sich auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, die für quantitative Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers in der Zeit vor Juni 2001 keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte erbracht habe, und führte weiter aus, entgegen der Auffassung der Beklagten seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den in Frage stehenden Leistungsfall am 19.06.2001 nach § 241 Abs.2 SGB VI aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfüllt, da die Beklagte bei Übersendung des Versicherungsverlaufs im Jahre 1985 den Kläger nicht auf das Erfordernis der Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft hingewiesen habe; der Kläger hätte im Falle des ordnungsgemäßen Hinweises auf die Problematik der Rentenanwartschaft das Notwendige keinesfalls allein durch die Zahlung freiwilliger Beiträge zur deutschen Rentenversicherung veranlassen können, sondern eben- so durch die deutlich niedrigeren freiwilligen Beiträge zur damaligen jugoslawischen Rentenversicherung oder durch andere Schritte, wie etwa einen alsbaldigen weiteren Rentenantrag mit Einlegung zulässiger Rechtsmittel (der nach § 1420 Abs.2 Reichsversicherungsordnung - RVO - a.F. die Frist für die Entrichtung der Beiträge bis zum Eintritt des Leistungsfalles hinausschob). Die von der Beklagten angesprochene Frage einer Kausalität zwischen unterlassener Aufklärung und unterbliebener Beitragsentrichtung sei damit nicht entscheidungserheblich: zur Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft hätte es der Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nicht bedurft.

Mit ihrer Berufung gegen diese Entscheidung macht die Beklagte geltend, die Auffassung des Erstgerichts könne einer Überprüfung nicht standhalten. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setze neben einer Falschberatung des Versicherungsträgers zwingend voraus, dass diese Falschberatung für den beim Betroffenen eingetretenen sozialrechtlichen Nachteil kausal sei. Die kausale Verknüpfung sei bei der Frage, ob freiwillige Beiträge bei ordnungsgemäßer Aufklärung entrichtet worden wären, nur dann gegeben, wenn der Betroffene bereit und finanziell dazu in der Lage gewesen wäre, die erforderlichen Beiträge fortlaufend zu entrichten. Das Erstgericht habe es unterlassen, hierzu Feststellungen zu treffen. Bezüglich der Unterbrechung der Beitragszahlungsfrist des § 197 Abs.2 SGB VI durch Einlegung von Rechtsbehelfen oder Stellung neuer Anträge sei nicht ersichtlich, warum der Kläger wegen der fehlenden Aufklärung über die Möglichkeit der Anwartschaftserhaltung durch Entrichtung freiwilliger Beiträge von der Einlegung von Rechtsbehelfen abgehalten worden wäre. Auch erscheine das Beschreiten des Rechtsweges allein zum Zwecke der Unterbrechung der Fristen des § 197 Abs.2 SGB VI rechtsmißbräuchlich und gewährleiste darüber hinaus in der Regel nicht die Möglichkeit einer lückenlosen Belegung über längere Zeiträume hinweg.

Während des Berufungsverfahrens bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 04.08.2003 dem Kläger eine Altersrente nach § 35 SGB VI ab 01.03.2003.

Der zunächst zuständige Senat zog die Akten des Versorgungsamtes München II bei und fragte beim Kläger an, wovon er zwischen 1984 und 1996 seinen Lebensunterhalt bestritten habe und ob er zu freiwilligen Beiträgen zur Rentenversicherung in der Lage gewesen sei. Der Kläger gab dazu mit Schreiben vom 17.11.2003 an, er habe eine Zeitlang von geringen Ersparnissen gelebt, ab 1992 von der Humanitärhilfe und von Freunden, insbesondere habe ihm ein Freund namens R. S. mehrere Male Mehl gegeben, so dass er Brot gehabt habe; für die Entrichtung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung würde er Geld leihen.

Der Senat erhob Beweis über den Gesundheitszustand und die Erwerbsfähigkeit des Klägers im Zeitraum von Dezember 1983 bis 19.06.2001 durch ein psychiatrisches Gutachten nach Aktenlage der Ärztin für Psychiatrie und Sozialmedizin Dr.M ... In ihrem vom 16.03.2004 datierenden Gutachten setzte sich diese ausführlich mit der gesamten bisherigen Aktenlage auseinander und zeigte auf, dass der in Deutschland auf dem Bau und zuletzt als Malergehilfe tätig gewesene Kläger bereits sei etwa 1985 an erheblichen psychischen Störungen gelitten habe, wobei jedoch die begutachtenden Ärzte der Invalidenkommission im Jahre 1989 noch nicht von einer dauerhaften erheblichen Minderung der Erwerbsfähigkeit ausgegangen, sondern erst anläßlich der Begutachtung am 14.02.1996 zu entsprechenden Feststellungen (Verlust der Arbeitsfähigkeit für jegliche Arbeiten) gelangt seien. Bezüglich der von Dr.R. in seinem Gutachten vom 18.06.2001 beschriebenen Symptome und erhobenen Befunde führte sie aus, diese wiesen auf ausgeprägte psychische Störungen in verschiedenen psychischen Funktionsbereichen hin; deshalb und insbesondere auch bei Berücksichtigung des langjährigen Krankheitsverlaufs, wie er sich aus den bosnischen Unterlagen ergebe, sei davon auszugehen, dass die von Dr.R. beschriebene Symptomatik nicht plötzlich aufgetreten sei, sondern sich allmählich ent- wickelt habe; zwar hätten 2001 keine akut-psychotischen Symp- tome mehr bestanden, vielmehr habe eine Minus-Symptomatik bei Psychose (Minderung des Antriebs, der Ausdauer, der Energie, der allgemeinen psychischen Belastungsfähigkeit, ferner Abschwächung der emotionalen Resonanzfähigkeit) im Vordergrund gestanden; eine solche sei aber schon anläßlich der Begutachtung durch die Invalidenkommission am 14.02.1996 beschrieben worden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb Dr. R. erst ab Untersuchungstag am 18.06.2001 von einem erheblich verminderten Leistungsvermögen ausgehe. Vielmehr sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits ab der Begutachtung am 14.02.1996 ein erheblich vermindertes Leistungsvermögen auch in zeitlicher Hinsicht anzunehmen, nämlich zunächst ein Leistungsvermögen von täglich unter halbschichtig (Diagnosen insoweit: neurotisch-depressive Persönlichkeitsentwicklung, psychosomatische Beschwerden, psychovegetatives Syndrom, Zustand nach Magenresektion Billroth II, Zustand nach Amputation des linken Zeigefingers nach Verletzung); dieses Leistungsvermögen sei dann aufgrund des Fortschreitens der chronisch-psychotischen Erkrankung mit weitgehender Therapieresistenz weiter abgesunken und hätte spätestens ab Begutachtung durch Dr.R. am 18.06.2001 - auch wegen des zusätzlich beginnenden hirnorganischen Abbauprozesses - zu einem nurmehr täglich unter zweistündigen Leistungsvermögen unter Beachtung der verschiedenen qualitativen Leistungseinschränkungen geführt. Bezüglich dieser qualitativen Einschränkungen vertrat die Gutachterin die Auffassung, der Kläger habe ab 1983 keine qualifizierten Arbeiten mehr verrichten können, sondern nurmehr anspruchslose Hilfstätigkeiten mittelschwerer Art, immerhin seien aber bis 14.02.1996 noch Tätigkeiten eines Pförtners ohne Gefährdung der Rechtsgesundheit möglich gewesen, danach seien mit dem weiteren Absinken des Leistungsvermögens diese Tätigkeiten nicht mehr ausführbar gewesen.

Die Beklagte schloss sich aufgrund einer prüfärztlichen Stellungnahme des Dr.L. vom 11.05.2004 der Auffassung der Dr. M. an, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits ab Begutachtung durch die Invalidenkommission am 14.02.1996 ein erheblich vermindertes Leistungsvermögen auch in zeitlicher Hinsicht bestanden habe. Sie erkannte das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit bereits ab 14.02.1996 an; ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bestehe jedoch weiterhin nicht, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt gewesen seien und insoweit auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23.09.2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt sinngemäß, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Versichertenakten der Beklagten und die ebenfalls beigezogenen Schwerbehinderten-Akten des Versorgungsamts München II Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.

Entgegen den Ausführungen des Erstgerichts hat der Kläger vor Beginn der Altersrente am 01.03.2003 keinen Anspruch auf Rente wegen voller (oder teilweiser) Erwerbsminderung ab 01.07.2001 bzw. auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI a.F. aufgrund eines bereits 1996 eingetretenen Leistungsfalles. Auch bei Zugrundelegung des von der Beklagten aufgrund des im Berufungsverfahrens eingeholten Gutachtens der Dr.M. anerkannten Eintritts der medizinischen Erwerbsunfähigkeit am 14.02.1996 kann es nicht zu einer Rentengewährung kommen. Für diesen Leistungsfall fehlt es ebenfalls an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 44 Abs.1 und 4 i.V.m. § 43 Abs.3 und 4 SGB VI in der dafür gültigen Fassung bis 31.12.2000. Im maßgebenden Fünfjahreszeitraum sind keinerlei Pflichtbeiträge vorhanden, wie dies auch schon im ablehnenden Rentenbescheid vom 26.06.1996 für einen denkbaren Versicherungsfall im Zeitpunkt der Antragstellung 1995 zutreffend festgestellt wurde. Auch ist im Versicherungsverlauf des Klägers nicht jeder Monat seit dem 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Insoweit besteht ab Dezember 1985 bis zum Monat vor Eintritt des Leistungsfalles eine Lücke. Diese kann nachträglich nicht mehr durch Zahlung freiwilliger Beiträge gefüllt werden, da die jeweiligen Fristen für rechtzeitige Zahlungen versäumt sind. Gemäß § 197 Abs.2 SGB VI sind freiwillige Beiträge nur wirksam entrichtet, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden. Die nachträgliche Entrichtung darf entgegen den Ausführungen des Erstgerichts auch nicht ausnahmsweise im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als zulässig angesehen werden.

Zwar kann unter bestimmten Umständen auf diese Weise ein sozial- rechtlicher Nachteil ausgeglichen werden, den ein Versicherter dadurch erleidet, dass ein Versicherungsträger einen unrichtigen Rat gegeben oder einen gebotenen Rechtshinweis unterlassen hat. Ein solches fehlerhaftes Verwaltungshandeln im Jahre 1985 räumt die Beklagte selbst ein; damals hätte anlässlich der sich aus den Akten ergebenden Rückkehr des Klägers in seine Heimat auf die Möglichkeit der Erhaltung der damals bestehenden Rentenanwartschaft durch Zahlung freiwilliger Beiträge hingewiesen werden müssen. Ein Verstoß des Versicherungsträgers gegen entsprechende Beratungs- und Betreuungspflichten kann im Falle fehlender freiwilliger Beiträge nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber nur dann zu einem Herstellungsanspruch führen, wenn er ursächlich dafür gewesen ist, dass der Versicherte die notwendige Beitragszahlung unterlassen hat. Es muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Versicherte bei rechtzeitigem Hinweis sowohl bereit als auch in der Lage gewesen wäre, die freiwilligen Beiträge (vorliegend ab 01.12.1985) zu erbringen.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Aus den Angaben des Klägers im Laufe des Verfahrens ergibt sich eindeutig, dass er im Zeitraum von 1985 bis 1996 in schwierigen finanziellen Verhältnissen lebte und nicht über die finanziellen Mittel verfügt hätte, die für eine über Jahre hinweg bis zu einer in ungewisser Zukunft liegender Rentengewährung notwendige fortlaufende Beitragsentrichtung in Deutschland nötig gewesen wären. Das Gleiche muss auch für eine theoretisch denkbare Entrichtung von freiwilligen Beiträgen in Bosnien - wenn diese rechtlich möglich gewesen sein sollte - gelten. Immerhin dauerte es tatsächlich noch mehr als zehn Jahre von der Rückkehr des Klägers nach Bosnien an bis zur dortigen Gewährung einer geringen Rente bzw. zu dem jetzt anerkannten Leistungsfall. Dem Senat ist im Übrigen bisher kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein jugoslawischer Staatsangehöriger nach Rückkehr in seine Heimat periodisch freiwillige Beiträge im Hinblick auf die Absicherung gegen Invalidität gezahlt hätte. Vorrangig waren insoweit zunächst der tägliche Lebensunterhalt und nicht die nur schwer aufzubringenden Beträge für einen möglichen künftigen Notfall, zumal angesichts der unbestimmten Dauer von vielen Jahren dafür doch erhebliche Summen erforderlich gewesen wären. Eine eventuelle Stundung entsprechender Beiträge wäre nur zeitweilig bei vorübergehender Notlage mit begründeter Aussicht auf Besserung möglich gewesen. Nach alledem ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger im Jahre 1985/1986 die Zahlung freiwilliger Beiträge für einen künftigen ungewissen Zeitraum in die Wege geleitet hätte, wenn er seinerzeit von der Beklagten über die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der damals bestehenden Rentenanwartschaften für einen vorzeitigen Versicherungsfall vor Beginn der Regel- altersrente aufgeklärt worden wäre.

Für die vom Sozialgericht aufgezeigte Möglichkeit, durch ständige Renten- und Gerichtsverfahren die Frist zur Zahlung von freiwilligen Beiträgen (unter Umständen missbräuchlich) zu unterbrechen bzw. zu verlängern und hinauszuschieben (§ 128 Satz 1 Ziffer 2 SGB VI), bedarf es eines Herstellungsanspruchs, der auf die Wiederherstellung der Möglichkeit der Berechtigung zur Zahlung freiwilliger Beiträge abzielt, nicht. Hier können im Falle des zwischenzeitlich eintretenden Leistungsfalles Rentenleistungen ohne die (nicht eingezahlten) Beiträge festgesetzt werden, weil auch die bei Eintritt des Leistungsfalls vorliegende Berechtigung zur Nachzahlung ausnahmsweise kraft Gesetzes anwartschaftserhaltend wirkt (§§ 240 Abs.2 Satz 2, 241 Abs.2 letzter Halbsatz SGB VI). Ein solcher Fall der Fristunterbrechung gemäß § 198 SGB VI ist vorliegend nicht gegeben.

Bei dieser Sachlage war das angefochtene Urteil des Erstgerichts abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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