L 6 RJ 697/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 RJ 975/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 697/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. November 1998 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die gesetzlichen Leistungen für die Arbeitstrainingsmaßnahme des Klägers vom 1. März 1997 bis 31. August 1997 als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation zu zahlen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme der Kosten für eine Arbeitstrainingsmaßnahme des Klägers vom 01.03.1997 bis 31.08.1997 als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation.

Der lernbehinderte Kläger ist Analphabet und hat keinen Beruf erlernt. Von 1966 bis Juni 1994 war er als landwirtschaftlicher Helfer tätig. Anschließend war er arbeitslos. Ein Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld wurde vom Arbeitsamt wegen mangelnder Vermittlungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abgelehnt, nachdem der Amtsarzt Dr.B. in seinem Gutachten vom 21.02.1995 festgestellt hatte, dass der Kläger an einer deutlichen Lernbehinderung ohne weitere krankhafte Befunde leide und er damit zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht vermittlungsfähig sei. Der Kläger sei lediglich in der Lage, unter den Bedingungen einer beschützenden Atmosphäre eine vollschichtige körperliche Erwerbstätigkeit auszuüben.

Nachdem die Beklagte dem Kläger mit Bescheiden vom 11.10.1996 und 11.06.1997 ab 01.07.1994 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt hatte, bewilligte sie ihm auf den Reha-Antrag vom 07.04.1995 mit Bescheiden vom 17.10. 1995 und 16.07.1996 berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation. Dementsprechend wurde er ab 01.09.1995 in den Arbeits- trainingsbereich der Nordschwäbischen Werkstätten für Behinderte in D. aufgenommen, wo er zunächst einen Grundkurs im Produktionsbereich absolvierte und anschließend im Sommer in der Landschaftspflege ausgebildet wurde. Zum Ende der Sommersaison wurde er darauf wieder in den Arbeitstrainingsbereich der Produktion zurückversetzt und hat dort bis 28.02.1997 einen sog. Aufbaukurs durchlaufen.

In der Fachausschusssitzung vom 27.11.1996, in der für die Beklagte kein Vertreter anwesend war, wurde eine Stellungnahme der Nordschwäbischen Werkstätten GmbH vom 30.10.1996 vorgelegt, worin ausgeführt ist, dass durch die Förderungsdauer von eineinhalb Jahren im Arbeitstrainingsbereich beim Kläger nicht alle Fähigkeiten im vollen Umfang hätten entwickelt werden können. Es werde daher eine weitere Förderung von einem halben Jahr erforderlich, um an die tatsächlichen Leistungsgrenzen des Klägers zu stoßen. Anschließend sei zu erwarten, dass der Kläger in den Arbeitsbereich übernommen werden könne sowohl in der Landschaftsgärtnerei wie in der Handmontage und ihm das Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung möglich sei. Obwohl der Fachausschuss die Verlängerung der Maßnahme befürwortet hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.02. 1997 den Verlängerungsantrag ab. Es sei nicht hinreichend dargelegt, dass eine Steigerung der individuellen Erwerbsfähigkeit prognostisch erzielbar sei. Vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei eine Ausschöpfung der Förderungshöchstdauer von zwei Jahren nur in substanziiert begründeten Fällen möglich. Dies sei hier nicht dargelegt worden und es bestünden daher keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Steigerung der individuellen Erwerbsfähigkeit möglich sei.

Dagegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt und eine Stellungnahme der Nordschwäbischen Werkstätten vom 24.03.1997 zur Begründung vorgelegt. Darin ist u.a. ausgeführt, dass der Kläger nach einer 27 Jahre dauernden Tätigkeit als landwirtschaftlicher Helfer den Grundkurs im Arbeitstrainingsbereich bis 31.08.1996 abgeschlossen habe und die darin gesetzten Lernziele erreicht habe. Gegenwärtig werde der Aufbaukurs fortgesetzt, der erforderlich sei, damit der Kläger auch Montage- und Verpackungsarbeiten mittlerer Komplexität ausführen könne. Im Sommer werde der Kläger in der Landschaftsgartenpflege eingesetzt, wofür noch das technische Verständnis, der praktische Einsatz und der Umgang mit Rasenmähern geübt werden müsse. Der Kläger verfüge über die wesentlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten, um diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden. Die nötige Flexibilität und Motivation seien vorhanden, ebenso die erforderliche Lernfähigkeit. Auf Grund seiner bisherigen Entwicklung und des Lernfortschrittes sei zu erwarten, dass durch eine Verlängerung im Arbeitstrainingsbereich bis zum 31.08.1997 die geschilderten Lernziele erreicht werden könnten und damit die Maßnahme der beruflichen Rehabilitation erfolgreich abgeschlossen werden könne.

Mit Bescheid vom 24.09.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Verlängerung der berufsfördernden Maßnahme sei nur möglich, wenn dadurch die Leistungsfähigkeit des Klägers entwickelt oder erhöht werden könnte. Dies sei jedoch nicht der Fall.

Dagegen hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg Klage erhoben, mit der er weiter die Verlängerung der berufsfördernden Maßnahme bis 31.08.1997 begehrt.

Das Sozialgericht hat u.a. Beweis erhoben durch Einvernahme des Diplomsozialarbeiters der Nordschwäbischen Werkstätten K. W ... Dieser hat ausgeführt, durch die eineinhalb Jahre dauernde Förderung des Klägers sei ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung und Flexibilität erreicht worden, mit der der Kläger auch im Produktionsbereich der manuellen Fertigung habe eingesetzt werden können. Anderseits sei damit die Leistungsgrenze des Klägers noch nicht erreicht gewesen, sondern habe durch eine weitere halbjährige Ausbildung soweit hinzugewonnen, dass der Kläger sowohl im Produktionsbereich als auch im Bereich der Landschaftspflege auch für komplexere Tätigkeiten eingesetzt werden könne.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom Urteil vom 11.11.1998 die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es ausgeführt, dass die Beklagte gemäß § 13 Abs.1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) den Kläger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nur so weit zu fördern habe, dass der Kläger ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen könne. Dies sei nach Ablauf der seinerzeit genehmigten Förderungsdauer von eineinhalb Jahren der Fall gewesen. Das Gericht habe sich auf Grund seiner Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass beim Kläger in diesem Sinne durch die weitere Ausbildung im Arbeitstrainingsbereich eine echte Erhöhung der Leistungsfähigkeit habe erreicht werden können. Die Beklagte habe daher zu Recht die weitere Förderung abgelehnt.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er habe in der Zeit vom 01.03.1997 bis 31.08.1997 durch die weiteren Trainingsmaßnahmen das Bedienen von energiebetriebenen Geräten wie Rasenmäher, Motorsense oder Balkenmäher erlernt und im Montagebereich seine beruflichen Kenntnisse verbreitert und eine qualitative Leistungssteigerung erreicht. Das Sozialgericht habe in seiner Entscheidung die Rehabilitationsziele in gesetzwidriger Weise begrenzt. Ein Anspruch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen bestehe nicht nur, bis ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbracht werden könne. Vielmehr sei der Versicherte so weit zu fördern, wie es seinen individuellen Möglichkeiten entspreche. Diese Leistungsgrenze sei beim Kläger nach einer Förderung von eineinhalb Jahren noch nicht erreicht gewesen. Vielmehr sei seinerzeit abzusehen gewesen, dass durch eine Förderung von einem weiteren halben Jahr die Leistungsfähigkeit des Klägers noch erheblich habe gesteigert werden können.

Im Beweisaufnahmetermin vom 22.06.2004 hat der Senat erneut den Zeugen K. W. zur beruflichen Entwicklung des Klägers in den Nordschwäbischen Werkstätten gehört. Der Zeuge hat dabei u.a. ausgeführt, dass man den Kläger zwar auch mit dem bis 28.02. 1997 erreichten Leistungsniveau für einfache Tätigkeiten in der Landschaftspflege sowie für einfache Montage- und Verpackungstätigkeiten im Arbeitsbereich der Werkstätte habe einsetzen können, andererseits habe der Kläger seinerzeit die Aussicht geboten, dass er durch eine weitere Förderung von einem halben Jahr noch weiter habe entwickelt werden können, weil seinerzeit die individuellen Leistungsgrenzen noch nicht erreicht gewesen seien. Er sei durch die weitere Förderung befähigt worden, qualifiziertere Tätigkeiten sowohl in der Landschaftspflege als auch im Produktionsbereich der Werkstätte zu verrichten. Diese bereits im November 1996 gestellte Prognose habe sich tatsächlich bestätigt. Der Kläger sei darauf mit Wirkung zum 01.09.1997 in den Arbeitsbereich der Werkstätte übernommen worden und seitdem dort tätig, im Sommer in der Landschaftspflege, im Winter in der Montage.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.11.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.02.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gesetzlichen Leistungen für die Arbeits-trainingsmaßnahme vom 01.03.1997 bis 31.08.1997 als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Es sei weiterhin nicht bewiesen, dass seinerzeit im Jahre 1997 die Prognose einer wesentlichen Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit des Klägers gerechtfertigt gewesen sei. Eine nachträgliche Beurteilung auf Grund der weiteren Tätigkeit des Klägers sei nicht statthaft bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit ihres Ablehnungsbescheides. Zudem könne sie durch die im Nachhinein getroffene Feststellung keine wesentliche Leistungssteigerung beim Kläger durch die weitere halbjährige Maßnahme feststellen.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und die des Sozialgerichts Augsburg, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der Berufungsakte zur Ergänzung Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und auch begründet. Auf die Berufung war daher das Urteil des Sozialgerichts Augsburg sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gesetzlichen Leistungen für die Trainingsmaßnahme vom 01.03.1997 bis 31.08.1997 als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation des Klägers zu zahlen.

Gemäß § 18 SGB VI, der zur Beurteilung eines Rechtsanspruchs des Klägers für das Jahr 1997 als seinerzeit gültiger Rechtszustand anzuwenden ist, werden berufsfördernde Leistungen in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte erbracht, wenn sie erforderlich sind, um einen Versicherten zu befähigen, seine Erwerbsfähigkeit zu erhöhen oder wieder zu gewinnen und dabei wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 54 Abs.3 Schwerbehindertengesetz erreicht werden kann. Gemäß § 19 SGB VI ist die Leistung in einer Werkstatt für Behinderte auf insgesamt höchstens zwei Jahre begrenzt. Dabei endet die Verpflichtung des Rentenersicherungsträgers zur Förderung einer Ausbildung in einer Werkstatt für Behinderte nicht schon dann, wenn der Versicherte ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistungen erbringen kann. Ein Versicherter ist im Rahmen der Höchstdauer von zwei Jahren so weit zu fördern, wie eine berufliche Weiterentwicklung auf Grund der bei ihm vorhandenen Anlagen möglich erscheint. Dies hat das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung bereits mit Urteil vom 16.12.1993, Az.: 13 RJ 21/93, für den insoweit gleichen Rechtszustand der vor in Kraft tretendes SGB VI geltenden Regelung des Reha-Angleichungsgesetzes entschieden (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1237 Buchstabe a RVO Nr.2).

Der Senat ist auf Grund seiner Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass dies für die vom Kläger begehrte weitere Förderung zugetroffen hat. Dies ergibt sich einerseits aus den Zeugenaussagen des vom Sozialgericht und Landessozialgericht vernommenen Zeugen K. W. , wie auch aus den dafür abgegebenen Stellungnahmen zur Begründung der Verlängerung der Förderung durch die Nordschwäbischen Werkstätten. Danach konnte die Leistungsfähigkeit des Klägers durch eine weitere Verlängerung der Maßnahme für die Zeit vom 01.03. bis 31.08.1997 noch gesteigert werden, da zum Zeitpunkt des 01.03.1997 die individuelle Leistungsgrenze des Klägers noch nicht erreicht gewesen war.

Die vom Sozialgericht in seinen Urteilsgründen propagierte Begrenzung der Rehabilitationsmaßnahmen auf einen generellen Mindeststandard findet weder im Gesetz noch in der ständigen Rechtsprechung des BSG eine Stütze.

Der Kläger hatte daher einen Rechtsanspruch darauf, dass ihm die Beklagte auch die Arbeitstrainingsmaßnahme vom 01.03.1997 bis 31.08.1997 als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation gewährt. Auf die Berufung des Klägers war daher das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.11.1998 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21.02.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gesetzlichen Leistungen für die Arbeitstrainingsmaßnahme vom 01.03.1997 bis 31.08.1997 als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation zu übernehmen.

Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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