L 9 EG 123/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 EG 308/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 123/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 13. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 16. mit 21. Lebensmonat (24.11.1990 mit 23.05.1991) ihrer Tochter E. streitig.

I.

Die 1963 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche sich seit 1988 in Bayern aufhält, ist die Mutter der 1989 geborenen E. und eines weiteren Kindes. Sie lebte seither mit der Tochter und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog das Kind und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war eigenen Angaben zufolge familienversichert. Unterlagen über den Bezug von Bundeserziehungsgeld (BErzg) für den 1. mit 15. Lebensmonat des Kindes liegen dem Beklagten nicht mehr vor.

Der am 28.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg, wurde durch Bescheid vom 25.06.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem 04.05. 1999 nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1989 geborene Kind hätte spätestens am 23.05.1991 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne. Der hiergegen erhobene Rechtsbehelf blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.08.2002).

II.

Das angerufene Sozialgericht (SG) München wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 13.03.2003 im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 (ARB Nr. 3/80) des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. Nr. C 110 vom 25.04.1983, S.60) fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der Gerichtshof habe im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.

III.

Mit der am 02.05.2003 zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung wendet die Klägerin im Wesentlichen ein, die landesrechtliche Vorschrift des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 des Bayer. Landeserziehungsgeldgesetzes (BayLErzGG) verstoße gegen das Diskriminierungsverbot des Art.3 des Beschlusses Nr. 3/80, welches unmittelbar auf alle Geburten nach dem 01.07.1989 Anwendung finde. Ungeachtet dessen sei sie als türkische Staatsangehörige durch falsche Informationen des Beklagten daran gehindert worden, rechtzeitig einen Antrag zu stellen. Der Beklagte hätte auf keinen Fall gegenüber der Klägerin die Rechtslage so darstellen dürfen, dass ein Antrag auf LErzg von vornherein aussichtlos sei. Die Falschberatung habe zumindest noch bis Ende Dezember 2002 angedauert. Auch sei der Herstellungsanspruch nicht ausgeschlossen.

Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 13.03. 2003 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 19.08.2002 zu verurteilen, ihr für das 1989 geborene Kind E. Landeserziehungsgeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 13.03.2003 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Erzg-Akte Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 27.05. 2004.

Entscheidungsgründe:

Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das SG die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen.

Rechtsgrundlage für die Gewährung bayer. Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung von LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S.206). Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 des Gesetzes in der für Geburten vor dem 01.07.1993 geltenden Fassung, wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besaß (Nr. 5).

Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren sechs Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des sechsten Bezugsmonats endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen war. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit deren Beginn (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf einen Betrag von fünf Sechstel des maßgeblichen BErzg gekürzt (Abs.1 Satz 1, 2).

In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewilligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hatte nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 1988 in Bayern, lebte im Anspruchszeitraum mit ihrer 1989 geborenen Tochter E. , für die ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Zur Überzeugung des Senats stand dem Anspruch auch Nr. 5 der Vorschrift nicht grundsätzlich entgegen. Zwar besaß die Klägerin im streitigen Zeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten, wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinen Entscheidungen vom 29.01.2002, B 10 EG 2 und 3/01 R, im Einzelnen dargelegt hat.

Jedoch kann sich die Klägerin auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 für den Anspruchszeitraum nicht berufen, denn dieser liegt weit vor dem Stichtag des 04.05.1999. Insoweit gilt das Rückwirkungsverbot der "Sürül"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, ein Ausnahmefall liegt nicht vor. Denn die Klägerin hat zum einem vor dem Erlass des "Sürül"- Urteils des EuGH vom 04.05.1999 keinen auf LErzg gerichtenen Rechtsbehelf eingelegt. Zum anderen ist zu beachten, dass LErzg gemäß Art.3 Abs.2 BayLErzGG in der seinerzeit gültigen Fassung rückwirkend für höchstens zwei Monate vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren war. Angesichts eines möglichen Leistungszeitraums vom 24.11.1990 mit 23.05.1991 könnte nur ein vor dem 24.07.1991 gestellter Antrag der Klägerin überhaupt leistungswirksam sein, vgl.BSG vom 18.02. 2004, B 10 EG 6/03 R, S.8. Wie in der vorgenannten Entscheidung von dem für das Erziehungsgeldrecht zuständigen 10. Senat des BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile vom selben Tag, B 10 EG 7, 8, 9 und 10/03 R sowie vom 27.05.2004, B 10 EG 11/03 R) im Einzelnen dargelegt worden ist, hilft auch § 27 SGB X, welcher gemäß Art.8 Nr.1d BayLErzGG i.V.m. § 10 BErzGG Anwendung findet, der Klägerin nicht weiter. Gemäß Abs.3 der Vorschrift kann nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist die Wiedereinsetzung nämlich grundsätzlich nicht mehr beantragt und die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, es sei denn, dieses war vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich.

Angesichts des erst am 28.02.2002 gestellten Antrages auf LErzg kommt es entscheidend darauf an, ob der Klägerin die Antragstellung vor Ablauf der Jahresfrist (bis zum 24.07.1992) in- folge höherer Gewalt unmöglich war. Insoweit hat die Klägerin selbst nichts vorgetragen. Soweit jedoch in Frage kommt, dass ihr vor Ablauf des Bewilligungszeitraums für BErzg von Bediensteten des Beklagten bereits bedeutet worden sei, dass türkischen Staatsangehörigen ein Anspruch auf LErzg nicht zustehe und ein entsprechender Antrag deshalb gar nicht gestellt zu werden brauche, bedarf es der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB Nr. 3/80 für einen Zeitraum vor dem Erlass der "Sürül"-Entscheidung des EuGH. Mit dem BSG, a.a.O., greift jedoch insoweit die in diesem Urteil des Gerichtshofs ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt der höheren Gewalt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art.3 Abs.1 ARB begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

Unabhängig davon, ob neben § 27 SGB X hier der gegenüber gesetzlichen Regelungen grundsätzlich subsidiäre Herstellungsanspruch Anwendung findet, vgl. BVerwG NJW 1997, S.2966, BSG vom 10.07.2003, B 11 AL 11/03 R, sind dessen Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der "Sürül"-Entscheidung des EuGH kann dieses Rechtsinstitut wie bereits der Wiedereinsetzungsantrag nicht auf eine objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten gestützt werden, vgl. BSG vom 18.02. und 27.05.2004, a.a.O., auf die im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich Bezug genommen wird.

Insgesamt weicht der vom Senat zu beurteilende Sachverhalt bereits nach dem Berufungsvorbringen der Klägerin nicht ab von den vom BSG, a.a.O., entschiedenen Fallgestaltungen, so dass dem Rechtsmittel der Klägerin ein Erfolg nicht beschieden sein kann.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang konnte die Beklagte, welche für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen verpflichtet werden, die der Klägerin zu deren Rechtsverfolgung entstanden sind.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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