L 9 EG 213/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 EG 427/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 213/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12. September 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 16. mit 21. Lebensmonat (28.04. mit 27.10.1991) ihrer Tochter C. streitig.

I.

Die 1962 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, ist die Mutter des 1990 in M. geborenen Kindes. Sie lebte seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog C. und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Unterlagen des Beklagten über den Bezug von Bundeserziehungsgeld (BErzg) für den 1. mit 15. Lebensmonat des Kindes liegen nicht mehr vor.

Der am 11.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 24.06.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass des Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Anspruchszeitraum für das am 28.01.1990 geborene Kind hätte spätestens am 27.10.1991 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne. Mit dem hiergegen erhobenen Rechtsbehelf berief sich die Klägerin erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.09.2002) auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 des Beschlusses Nr. 3/80 (ARB Nr. 3/80) des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. Nr. C 110 vom 25.04.1983, S.60).

II.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) München trug die Klägerin - in Übereinstimmung mit pauschalen Formulierungsvorschlägen türkischer Medien für Widerspruchsschreiben - vor, ihr sei unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes (BayLErzGG) und die amtlichen Hinweisblätter die Aushändigung der Antragsformulare verweigert bzw. die Annahme der ausgefüllten Antragsformulare abgelehnt worden. Die Berufung auf die "Sürül"-Entscheidung des EuGH sei dem Beklagten daher verwehrt. Die 29. Kammer des SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 12.09.1993 im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des ARB Nr. 3/80 fallen, jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der Gerichtshof habe im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte aus Gründen der Rechtssicherheit Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Außerdem seien Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des Antragsrechtes der Klägerin oder eine falsche Auskunft bzw. Beratung durch den Beklagten vor dem 04.05.1999 nicht ersichtlich. So habe es einer Entscheidung über die Annahme eines Antrags auf Gewährung von LErzg nicht bedurft, vielmehr sei der Eingang eines Antrags ausreichend, der nicht verhindert werden könne. Darüber hinaus sei die Beratung seitens des Beklagten jedenfalls bis zum "Sürül"-Urteil des EuGH nicht zu beanstanden.

III.

Mit der am 14.11.2003 zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung wendet die Klägerin im Wesentlichen ein, die landesrechtliche Vorschrift des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 des BayLErzGG verstoße gegen das Diskriminierungsverbot des Art.3 ARB Nr. 3/80, welches unmittelbar auf alle Geburten nach dem 01.07.1989 Anwendung finde. Ungeachtet dessen sei sie als türkische Staatsangehörige durch falsche Informationen des Beklagten daran gehindert worden, rechtzeitig einen Antrag zu stellen. Der Beklagte hätte auf jeden Fall gegenüber der Klägerin auf die nicht geklärte Rechtslage hinweisen und einen Antrag unter Vorbehalt annehmen müssen. Die Falschberatung habe zumindest noch bis Ende Dezember 2002 angedauert. Auch sei der Herstellungsanspruch nicht ausgeschlossen.

Der Senat hat neben der Erzg-Akte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen.

Die Klägerin stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12.09. 2003 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 02.09.2002 zu verurteilen, ihr für das 1990 geborene Kind C. Landeserziehungsgeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12.09.2003 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Erzg-Akte Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 27.05. 2004.

Entscheidungsgründe:

Die mangels des Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen.

Rechtsgrundlage für die Gewährung bayer. Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S.206). Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 geltenden Fassung (GVBl.1995 S.818), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die deut- sche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besaß (Nr. 5).

Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren sechs Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des sechsten Bezugsmonates endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen war. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit deren Beginn (Abs.3). Gemäß Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von fünf Sechstel des Betrages des maßgeblichen BErzg gekürzt (Abs.1 Satz 1, 2).

In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewilligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hatte nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 1991 in Bayern, lebte im Anspruchs- zeitraum mit ihrer 1990 geborenen Tochter C. , für die ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Zur Überzeugung des Senats steht dem Anspruch auch Nr. 5 der Vorschrift nicht grundsätzlich entgegen. Zwar besaß die Klägerin im streitigen Zeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten, wie das BSG in seinen Entscheidungen vom 29.01.2002, B 10 EG 2 und 3/01 R) im Einzelnen dargelegt hat.

Wie der für das Erziehungsgeld zuständige 10. Senat des BSG in nunmehr ständiger Rechtsprechung (vgl. Entscheidungen vom 18.02.2004, B 10/03 R und andere sowie vom 27.05.2004, B 10 EG 11/03 R) ausführlich dargelegt hat, kann sich die Klägerin aber nach der "Sürül"-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 auf die unmittelbare Anwendung des Diskriminierungsverbots in Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 nicht berufen, da sie LErzg für Zeiten vor dem 04.05.1999 begehrt, aber erst lange danach einen Leistungsantrag gestellt hat. Es steht ihr auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf LErzg zu. Insbesondere ist die Leistung gemäß Art.3 Abs.2 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 geltenden Fassung rückwirkend für höchstens zwei Monate vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren. Angesichts eines möglichen Leistungszeitraums vom 28.04. mit 27.10.1991 hätte mit dem BSG nur ein vor dem 28.12. 1991 gestellter Antrag der Klägerin überhaupt leistungswirksam sein können. Insoweit hilft § 27 SGB X, welcher gemäß Art.8 Nr.1d BayLErzGG i.V.m. § 10 BErzGG Anwendung findet, der Klägerin nicht weiter. Gemäß Abs.3 der Vorschrift kann nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist die Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht mehr beantragt und die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, es sei denn, dieses war vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich. Angesichts des erst am 11.02.2002 gestellten Antrages kommt es entscheidend darauf an, ob der Klägerin die Antragstellung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Dem klägerischen Vortrag selbst ist insoweit nichts zu entnehmen.

Soweit jedoch in Frage kommt, dass man ihr anlässlich des Antrags auf BErzg bereits gesagt hätte, dass türkischen Staatsangehörigen ein Anspruch auf LErzg nicht zustehe und ein entsprechender Antrag deshalb gar nicht gestellt zu werden brauche, bedarf es der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB Nr. 3/80 für einen Zeitraum vor dem Erlass der "Sürül"- Entscheidung des EuGH. Mit dem BSG, a.a.O., greift jedoch insoweit die vom Gerichtshof ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt der höheren Gewalt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art.3 Abs.1 ARB Nr. 3/80 begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Unabhängig davon, ob neben § 27 SGB X der gegenüber gesetzlichen Regelungen grundsätzlich subsidäre Herstellungsanspruch Anwendung findet, vgl. BVerwG NJW 1997, Seite 2966, BSG vom 10.07.2003, B 11 AL 11/03 R, sind dessen Voraussetzungen nach dem Sachverhalt nicht erfüllt. Denn wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der "Sürül"-Entscheidung des EuGH kann dieses Rechtsinstitut wie schon der Wiedereinsetzungsantrag nicht auf eine objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten gestützt werden, vgl. BSG vom 18.02. und 27.05.2004, a.a.O. Schließlich steht der Klägerin ein Anspruch auf LErzg auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zu. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich auf die oben genannte herrschende höchstrichterliche Rechtsprechung Bezug genommen.

Insgesamt weicht der vom Senat zu beurteilende Sachverhalt bereits nach dem Berufungsvorbringen der Klägerin nicht ab von den vom BSG, a.a.O., entschiedenen Fallgestaltungen, so dass dem Rechtsmittel der Klägerin ein Erfolg nicht beschieden sein kann.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang konnte die Beklagte, welche für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen verpflichtet werden, die der Klägerin zu deren Rechtsverfolgung entstanden sind.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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