L 2 U 256/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 81/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 256/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 17. April 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene hat der Klägerin die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Die Klägerin verunglückte am 02.12.1999 gegen 21.10 Uhr im Straßenverkehr und zog sich dabei u.a. eine Querschnittlähmung zu. Sie war auf der Fahrt zur Betriebsstätte ihres Ehemannes, den sie von der Arbeit abholen wollte, bei Straßenglätte von der Fahrbahn abgekommen.

Zunächst wurde seitens des behandelnden Krankenhauses und später seitens des Klägerbevollmächtigten ein Versicherungsschutz wegen des Abholens des Ehemannes geltend gemacht. Die Klägerin hatte zu dieser Zeit Drillinge im Alter von 7 Jahren, als Einkommen stand nur das des Ehemannes zur Verfügung. Der Ehemann selbst verfügte über keine Fahrerlaubnis, so dass er an etwa 100 Tagen im Jahr, an denen sich keine Mitfahrgelegenheit bot, von der Klägerin zur Arbeit gebracht und abgeholt wurde. Hierbei gab die Klägerin erstmals eine Unfallschilderung, wonach sie auf der Fahrt im linken Straßengraben ein Fahrzeug habe liegen gesehen, um das mehrere Personen herumgestanden seien. Sie habe ihr Fahrzeug verlangsamen und nachfragen wollen, ob etwas geschehen sei. Allein durch das leichte Anbremsen sei das Fahrzeug ins Schleudern gekommen, habe sich nach links in den Straßengraben gedreht und überschlagen. Nach dem Polizeibericht war sie in einer langgezogenen Rechtskurve aufgrund plötzlich auftretender Straßenglätte nach links von der Fahrbahn abgekommen. Weitere Feststellungen wurden seitens der Polizei nicht getroffen.

Mit Bescheid vom 16.11.2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalles und die Gewährung der gesetzlichen Leistungen hieraus ab. Das Abholen des Ehemannes sei keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit gewesen, vielmehr eine nicht versicherte Gefälligkeit unter Ehegatten. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es habe sich keineswegs um eine Gefälligkeit gehandelt, sondern um einen Ausfluss der familienrechtlichen Beistandspflicht. Aus letzterem Gesichtspunkt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2001 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren hat die Klägerin in einer kurzen Schilderung des Sachverhaltes u.a. angegeben, sie haben anhalten wollen, um zu helfen.

Mit Urteil vom 17.04.2004 hat das Sozialgericht die im Klageverfahren beigeladene Berufungsführerin verurteilt, für das Ereignis vom 03.12.1999 einen Arbeitsunfall festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage, mit der die Verurteilung der Beklagten verfolgt wurde, abgewiesen. In der Begründung ist es davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht in einem Beschäftigungsverhältnis beim Arbeitgeber des Ehegatten gestanden habe, jedoch auch nicht in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis mit ihrem Ehemann, da die Fahrten von und zur Arbeitsstätte Ausfluss der familienrechtlichen Beziehung gewesen sei. Die Klägerin sei jedoch nach § 2 Satz 1 Nr.13a SGB VII versichert gewesen, da sie zur Hilfeleistung habe anhalten wollen und aus ihrer Sicht auch die Notwendigkeit einer solchen Hilfeleistung im Raum stand.

Mit ihrer Berufung hat die Beigeladene eingewendet, zur Annahme des Versicherungsschutzes müsse eine auf Hilfeleistung zweckbestimmt ausgerichtete Tätigkeit vorliegen. Ein solches Ansetzen zur Hilfeleistung müsse nachgewiesen sein. Es sei jedoch nicht klar, ob die Klägerin tatsächlich leicht gebremst habe und aus welchen Gründen.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren Aufnahmen von der Unfallstelle und eine Unfallskizze des vor ihr verunfallten Fahrers vorgelegt. Der Senat hat die Klägerin zum Unfallgeschehen angehört und die beiden Insassen des vor der Klägerin verunfallten Fahrzeuges als Zeugen einvernommen. Weiter hat der Senat die Fahrzeugdaten der beiden Fahrzeuge ermittelt, kartographische Unterlagen des Landesvermessungamtes beigezogen und ein Gutachten eines Sachverständigen für Straßen- und Verkehrsunfall und Unfallrekonstruktion eingeholt.

Die Klägerin hat hierbei ihre bisherige Sachverhaltsdarstellung wiederholt. Die beiden Zeugen haben eine Schilderung ihres Unfalles abgegeben, wobei der Fahrer nicht mehr wusste, ob er in der Kurve gebremst hatte oder ohne Bremsen von der Fahrbahn abgekommen war. Die Zeugin bezeichnete die von ihnen gefahrene Geschwindigkeit mit ca. 60 km/h. Die Klägerin sei etwa genauso schnell gefahren und direkt auf sie zugekommen.

Aus der Rekonstruktion der Verhältnisse beim Unfall durch den Sachverständigen, u.a. mit Hilfe einer Luftaufnahme des Bayerischen Landesvermessungsamtes, ergibt sich, dass die Unfallstelle am Ende einer sehr langezogenen Rechtskurve war. Die Kurve war im Wesentlichen beidseits von Wald bestanden. Kurz vor der Unfallstelle war rechts eine Lücke im Waldbestand, in der sich Wasserflächen, vermutlich Weiher befanden. Nach den Berechnungen des Sachverständigen war bei einer möglichen Grenzgeschwindigkeit zwischen 72 und 76 km/h bei einer Eisglätte, wie sie hier bei Temperaturen um 0 Grad anzunehmen war, von einem Abkommen von der Straße grenzwertig noch nicht auszugehen. Von einem solchen war jedoch dann auszugehen, wenn leichteste Einflüsse hinzukamen, wie z.B. Gas wegnehmen oder Bremsen oder ein Überschreiten der Grenzgeschwindigkeit. Auch plötzliche Lenkbewegungen kamen in Betracht. Bei den Verhältnissen an der Unfallstelle mit einem Graben am linken Straßenrand und einem einfachen Umkippen des Autos nach links sei davon auszugehen, dass keine besonders hohe Ausgangsgeschwindigkeit vorgelegen habe. Wie schnell die Klägerin maximal gefahren sein könne, könne mangels entsprechender Kenntnis über die Verhältnisse vor dem Unfallgeschehen nicht gesagt werden.

Die Beigeladene beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 17.04.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte schließt sich dem Antrag der Beigeladenen an.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beigeladenen zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Beigeladenen form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat am 02.12.1999 einen Arbeitsunfall erlitten. Die Beigeladene ist nach § 128 Abs.1 Nr.7 SGG der für die Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger.

Die Klägerin war nicht nach § 2 Abs.1 Nr.1 SGB VII als Beschäftigte versichert, denn im Verhältnis zu ihrem Ehemann, für den sie die Fahrten ausführte, bestand kein echtes Beschäftigungsverhältnis. Unter anderem fehlte es bereits an der hierfür notwendigen Gegenleistung (vgl. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.37).

Die Klägerin stand auch nicht unter dem Versicherungsschutz des § 2 Abs.2 SGB VII, der sich auf jene Personen erstreckt, die wie nach § 2 Abs.1 Nr.1 SGB VII Versicherte tätig werden. Im Verhältnis zum Arbeitgeber ihres Ehemannes fehlte es an einer Handlung im Interesse und Auftrag des Beschäftigungsunternehmen (vgl. BSG SozR 2200 § 539 Nr.33).

Auch im Verhältnis zu ihren Ehemann greift der Versicherungsschutz des § 2 Abs.2 SGB VII nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG setzt dieser Versicherungsschutz voraus, dass eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmens entsprechende Tätigkeit vorliegt, die ungeachtet des Beweggrundes des Tätigwerdens ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (vgl. BSG SozR 3-2200 § 539 Nr.16). Hierbei entfällt der Versicherungsschutz noch nicht bei Freundschafts- und Gefälligkeitsdiensten, auch schließen innerpersönliche Beziehungen einen Versicherungsschutz nicht von vorneherein aus. Ein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift ist aber nicht gegeben, wenn die vorgenommene Gefälligkeitshandlung im Wesentlichen durch die familiären Beziehungen geprägt ist. Dabei sind neben der Stärke der Beziehungen die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, inbesondere Art, Umfang und Dauer der vorgesehenen Tätigkeit (vgl. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.37).

Im vorliegenden Fall war das (wiederholte) Abholen des Ehemannes der Klägerin wesentlich durch die familiären Beziehungen geprägt, wovon auch die Beklagte und der Klägerbevollmächtigte ausgegangen sind. Die Familie und damit auch die Klägerin waren von dem vom Ehemann erworbenen Einkommen wirtschaftlich abhängig. Der Ehemann seinerseits war wegen der ländlich geprägten Verkehrsverhältnisse und wegen des Fehlens einer Fahrerlaubnis darauf angewiesen, dass seine Ehefrau die Transporte durchführte, sofern sich keine Mitfahrgelegenheit ergab. Unter diesen Verhältnissen gehörte es über die übliche Erwartung hinaus zu den Verpflichtungen der Klägerin, für die Zurücklegung des Weges zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in den hierfür notwendigen Fällen einzustehen.

Die Klägerin war bei ihrem Unfall nach § 2 Abs.1 Nr.13 Buchst.a SGB VII versichert. Danach sind Personen versichert, die bei Unglücksfällen und gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Unglücksfall ist hierbei eine plötzlich eintretende Situation mit einem Schaden oder seiner naheliegenden Möglichkeit für einzelne oder mehrere Personen oder auch Sachen, wobei der Schaden erheblich sein muss (vgl. Ricke Kasseler Kommentar § 2 SGB VII Rdnr.64 m.w.N.). Für die Prüfung, ob eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Körper oder Gesundheit eines anderen gegeben ist, ist darauf abzustellen, ob der Hilfeleistende nach den Umständen eine solche Gefahr annehmen durfte (vgl. BSGE 37, 38; Urteil vom 11.12.1980 Az.: 2/8a RU 102/78). Das Hilfeleisten erfordert ein bewusstes aktives Tun mit dem Willen, die drohende oder bestehende Gefahr oder den Schaden zu beseitigen oder zu mindern, notwendige Vorbereitungshandlungen eingeschlossen (Ricke a.a.O. Rdnr.69 m.w.N.).

Hierbei gilt, wie auch sonst im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, dass alle entscheidungserheblichen Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen, während dort, wo es um die Frage des ursächlichen Zusammenhanges geht, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (vgl. BSG Urteil vom 02.11.1999 Az.: B 2 U 42/98 R).

Bei dem vorhergehenden Unfall handelte es sich um einen Unglücksfall, bei dem aus der Sicht der hinzukommenden Klägerin eine Gefahr für Personen drohte oder schon eingetreten war und in beiden Fällen die Notwendigkeit einer Hilfeleistung im Raum stand. Hierbei war nicht nur diese Leistung selbst versichert, sondern auch die notwendige Abklärung, ob und in welchen Umfang eine solche erforderlich war. Dies gilt jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, wo das Anhalten des eigenen Fahrzeuges unmittelbar sowohl zur Abklärung des Hilfebedarfes als auch zur Hilfeleistung selber notwendig war.

Nach Überzeugung des Senats hat bei der Klägerin sowohl subjektiv der Wille zum Angebot einer Hilfeleistung als auch objektiv eine Handlung vorgelegen, die der Hilfeleistung dienen sollte. Der Senat stützt sich bei seiner Überzeugung von dem entsprechenden Sachverhalt auf die Angaben der Klägerin, auf die allein einerseits ein Beweis gegründet werden kann (BSG Urteil vom 06.04.1989 Az.: 2 RU 47/88; Meyer-Ladewig Kommentar zum SGG, 7.Aufl., § 103 Rdnr.7a; Peters-Sautter-Wolff Kommentar zum SSG § 103 Rdnrn.2b, c, 3), und gegen die andererseits keine ernsthaften Zweifel ersichtlich sind. Die Klägerin hat ihre diesbezüglichen Angaben sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Klageverfahren gemacht, als weder von Seiten der Beklagten noch von Seiten des Klägerbevollmächtigten der Gesichtspunkt in das Verfahren eingebracht worden war, der Versicherungsschutz der Klägerin könnte auf einer beabsichtigten Hilfeleistung basieren. Eine solche beabsichtigte Hilfeleistung war auch ein Verhalten, wie es unter den gegebenen Umständen jeder andere Verkehrsteilnehmer erbracht hätte, es sei denn, besondere Umstände in der Situation oder seiner Person hätten dagegen gestanden. Für letzteres gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte, auch nach dem Unfall der Klägerin haben sofort mehrere Fahrzeuge angehalten.

Es ist nach Überzeugung des Senats auch hinreichend wahrscheinlich, dass der Versuch der Klägerin, ihr Fahrzeug anzuhalten, wesentlich wenigstens mit ursächlich für den Unfall war. Das ergibt sich aus der Anhörung des technischen Sachverständigen. Danach war eine Ursache für das Abkommen von der Straße die plötzlich aufgetretene Eisglätte bei Temperaturen um 0 Grad. Dies hätte jedoch immer noch eine Grenzgeschwindigkeit zwischen 72 und 76 km/h erlaubt, ohne dass die Klägerin aus der Kurve von der Straße abgekommen wäre. Es bedurfte hierzu eines weiteren Impulses. Nach Überzeugung des Senats scheidet eine Überschreitung der Grenzgeschwindigkeit als solcher Einfluss aus, sie ist jedenfalls nicht hinreichend erwiesen. Zur Geschwindigkeit der Klägerin konnte nur die Beifahrerin des zuvor verunglückten Fahrzeuges Angaben machen und hat die eigene Geschwindigkeit ebenso wie die Klägerin mit ca. 60 km/h angegeben. Die Klägerin selbst hat stets angegeben, dass sie durch das Bremsen ins Rutschen gekommen sei und nicht schon vorher. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Klägerin die vom Sachverständigen errechnete Grenzgeschwindigkeit deutlich unterschritten hatte. Für die in vollem Umfang beweisbedüftige Tatsache, dass die Klägerin die mögliche Grenzgeschwindigkeit überschritten hatte, gibt es keine hinreichenden Ansatzpunkte.

Demnach hat eine Handlung der Klägerin, die auf eine Hilfeleistung in einem Unglücksfall gerichtet war, den Unfall wesentlich mit verursacht. Die bloße Willensentscheidung der Klägerin allein, gegebenenfalls Hilfe leisten zu wollen, hätte noch nicht dazu geführt, dass die bestehende Wegegefahr unter den Versicherungsschutz der § 2 Abs.1 Nr.13a SGB VII gefallen wäre. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass die Klägerin in vollem Umfang obsiegt hat. Hierbei trifft die Beigeladene als Anspruchsverpflichtete und Rechtsmittelführerin die volle Kostentragungspflicht.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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