L 10 AL 33/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 449/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 33/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 284/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.12.2000 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 05.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.1999 verurteilt, dem Kläger ab 14.07.1999 Anschlussunterhaltsgeld sowie im Anschluss daran Arbeitslosenhilfe jeweils dem Grunde nach zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger die Gewährung von Anschlussunterhaltsgeld (AUhg) oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab dem 14.07.1999 beanspruchen kann.

Der 1966 geborene Kläger war seit dem 10.03.1997 nach § 64 Strafgesetzbuch (StGB) im Maßregelvollzug der Psychiatrischen Klinik des Bezirkskrankenhauses L. untergebracht. Er bezog Alhi bis zum 08.03.1997. In der Zeit vom 09.07.1998 bis 22.04.1999 nahm er an einer von der Beklagten geförderten Bildungsmaßnahme zur beruflichen Rehabilitation teil und erhielt Unterhaltsgeld (Uhg) von der Beklagten. AUhg bezog er ab dem 23.04.1999 (Bescheid vom 02.06.1999).

Im Juni 1999 erhielt die Beklagte davon Kenntnis, dass das Bezirkskrankenhaus dem Kläger den Status als Freigänger mit Wirkung vom 28.04.1999 aberkannt hatte. Daraufhin nahm sie mit Bescheid vom 16.06.1999 und Widerspruchsbescheid vom 22.09.1999 die Bewilligung von AUhg ab dem 28.04.1999 ganz zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen. Mangels Freigängerstatus fehle es an der Verfügbarkeit des Klägers.

Bei Anhörung zu dieser Rücknahmeentscheidung beantragte der Kläger Leistungsfortzahlung von AUhg und Alhi über den 28.04.1999 hinaus bzw. Leistungen nach der Nahtlosigkeitsregelung wegen Arbeitsunfähigkeit. Die gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 14.06.1999 und Widerspruchsbescheid vom 14.10.1999 zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobene Klage (Az: S 7 AL 559/99) nahm der Kläger am 05.07.2000 zurück. Über den gleichzeitig gestellten Antrag auf erneute Überprüfung hat die Beklagte durch Bescheid vom 19.07.2000 und Widerspruchsbescheid vom 12.09.2000 entschieden. Das Klageverfahren ist noch nicht abgeschlossen (Az: S 7 AL 437/00).

Nachdem der Kläger den Freigängerstatus am 13.07.1999 wieder erlangt hatte, meldete er sich am 14.07.1999 persönlich arbeitslos und beantragte die Gewährung von AUhg bzw. Alhi. Dies lehnte die Beklagte mit den Bescheiden jeweils vom 05.08.1999 und Widerspruchsbescheid vom 20.08.1999 ab. Für den Anspruch auf Alhi habe der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Ein Ersatztatbestand nach § 191 Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bestehe nicht. Den in dieser Vorschrift genannten Zeiten läge ein einheitlicher gesetzgeberischer Gedanke zugrunde. Es würden nur solche Versicherte abgesichert, die typischerweise zunächst einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen seien, diese dann für einige Zeit aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen hätten aufgeben müssen und nunmehr dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stünden. AUhg könne der Kläger ebenfalls nicht beanspruchen, da nach Aberkennung des Freigängerstatus ein erneuter Tatbestand für die Gewährung von AUhg nicht eingetreten sei.

Dagegen hat der Kläger am 23.09.1999 Klage zum SG erhoben. Er habe die Aberkennung des Freigängerstauts nicht durch strafbares oder pflichtwidriges Verhalten herbeigeführt. Vielmehr seien therapeutische Gründe hierfür ausschlaggebend gewesen. Anspruch auf AUhg bestünde, da zum Zeitpunkt der erneuten Antragstellung der Anspruch noch nicht verbraucht gewesen sei. Nach der Nahtlosigkeitsregelung sei das AUhg auch für die Zeit vom 28.04.1999 bis zum 12.07.1999 zu zahlen. Die Anwartschaftszeit für den Alhi-Anspruch habe er erfüllt, da er während des Maßregelvollzugs öffentlich-rechtliche Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für mehr als acht Monate bezogen habe.

Das SG hat mit Urteil vom 06.12.2000 die Klage abgewiesen. AUhg setze das Bestehen von Arbeitslosigkeit nach Abschluss der geförderten Maßnahme voraus. Die erneute Arbeitslosigkeit sei dagegen nicht im Anschluss an die zuvor durchgeführte Maßnahme eingetreten. Mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit habe der Kläger keinen Anspruch auf Alhi.

Hiergegen hat der Kläger am 29.01.2001 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt. Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass der Oberarzt der Psychiatrischen Klinik Dr.S. zu der "Freigängerangelegenheit ab dem 28.04.1999" zu vernehmen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgericht Würzburg vom 06.12.2000 sowie die Bescheide vom 05.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 14.07.1999 entweder AUhg oder Alhi dem Grunde nach zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Widerspruchsbescheid vom 20.08.1999 und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akte des BayLSG aus dem Verfahren L 10 AL 32/01 sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig und begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Die Bescheide vom 05.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.1999 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Denn der Kläger kann ab 14.07.1999 AUhg und im Anschluss daran Alhi beanspruchen.

Gegenstand der Überprüfung ist die Frage, ob der Kläger die Gewährung von AUhg oder von Alhi ab dem 14.07.1999 verlangen kann. Nicht zu entscheiden ist über das Zustehen von Ansprüchen über den 28.04.1999 hinaus bis zum 13.07.1999. Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 16.06.1999 und Widerspruchsbescheid vom 22.09.1999 über die Rücknahme der AUhg-Bewilligung kein Rechtsmittel eingelegt, so dass diese Entscheidung bestandskräftig geworden ist. Sofern der Kläger sich zur Begründung auf die Nahtlosigkeitsregelung bezieht, betrifft diese das beim SG unter dem Az S 7 AL 437/00 geführte Verfahren und nicht den Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Anspruch auf AUhg haben Arbeitnehmer, die im Anschluss an eine abgeschlossene Maßnahme mit Bezug von Uhg arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben und nicht einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) von mindestens drei Monaten geltend machen können (§ 156 Abs 1 SGB III in der vom 01.01.1998 bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung). Diese Voraussetzungen hat der Kläger sämtlich erfüllt. Der Kläger, der sich am 14.07.1999 persönlich arbeitslos gemeldet hat, stand nach Erlangung seines Freigängerstatus der Vermittlungstätigkeit der Beklagten wieder zur Vefügung und war arbeitslos. Mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit nach § 123 Satz 1 Nr 1 SGB III konnte er keinen Anspruch auf Alg geltend machen, zumal der vorhergehende Bezug von Uhg nach den Bestimmungen des SGB III nicht mehr einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt ist. Auch bestand Arbeitslosigkeit und es erfolgte die Arbeitslosmeldung im Anschluss an eine abgeschlossene Maßnahme.

Entgegen der Meinung der Beklagten setzt das Merkmal des "Anschlusses" an eine abgeschlossene Maßnahme nicht voraus, dass Arbeitslosigkeit und Arbeitslosmeldung unmittelbar (nahtlos) nach Beendigung der Maßnahme vorliegen. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Nach der Absicht des Gesetzgebers (BT-Drucks 13/4941 S 182) soll, da eine Arbeitsaufnahme unmittelbar nach dem Ende der Weiterbildungsmaßnahme oftmals nicht möglich sein wird, die soziale Sicherung der Absolventen beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen künftig durch ein besonderes AUhg bis zur Dauer von drei Monaten gewährleistet werden, um die Zeit der Suche nach einer Beschäftigung zu überbrücken. Die Absicherung ist aber auch dann notwendig, wenn der Absolvent direkt nach der Maßnahme lediglich für eine kurze Zeit versicherungspflichtig beschäftigt oder aus anderen Gründen gehindert ist, sich arbeitslos zu melden. Insofern wird die Nahtlosigkeit nicht zwingend vorausgesetzt (vgl. auch Urteil des LSG Niedersachsen vom 17.08.2000, Az: L 8 AL 475/99, Breith 2000, 1059, 1062; Urteil des LSG Brandenburg vom 30.03.2000, Az: L 8 AL 117/99). Das Bundessozialgericht (BSG) hat ebenfalls angedeutet, dass in Fällen der Verhinderung an der Arbeitslosmeldung und Beschäftigungssuche (etwa bei Arbeitsunfähigkeit, bei Aufnahme einer Zwischenbeschäftigung u.a.) auf die Forderung nach einem unmittelbaren Anschluss an die abgeschlossenen Maßnahme zu verzichten sein könnte (Urteil vom 11.05.2000, Az: B 7 AL 54/99 R, SozR 3-4300 § 156 Nr 1 S 5). Der Anschluss bleibt auch bei Unterbrechungen des AUhg-Bezuges wie z.B. bei einer Zwischenbeschäftigung gewahrt. Denn diese führen regelmäßig nicht zum Wegfall des Anspruchs (so klarstellend die mit Wirkung vom 01.01.2002 eingeführte und bis zum 31.12.2002 geltende Vorschrift des § 157 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III). Der zeitliche Anschluss ist im Hinblick auf die Sicherungsfunktion des AUhg jedenfalls noch gewahrt, wenn innerhalb von drei Monaten nach dem Ende der Maßnahme die Arbeitslosigkeit (wieder) eintritt. Dies war beim Kläger der Fall, da er sich am 14.07.1999, also innerhalb von drei Monaten nach Ende der Maßnahme am 22.04.1999, arbeitslos gemeldet hat und auch den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung stand.

Die Dauer des Anspruches auf AUhg beträgt drei Monate (§ 156 Abs 2 Satz 1 SGB III) in der vom 01.01.1998 bis 31.12.2001 geltenden Fassung), so dass dem Kläger nach der Unterbrechung des Leistungsbezuges ein Restanspruch auf AUhg für nicht verbrauchte Anspruchstage zusteht.

Im Anschluss an die Zahlung des AUhg kann der Kläger Alhi beanspruchen. Er hat die - hier allein streitigen - besonderen Anspruchsvoraussetzungen (§ 190 Abs 1 Nr 4 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.12.1999 geltenden Fassung) erfüllt. Die besonderen Anspruchsvoraussetzungen hat ein Arbeitnehmer erfüllt, der in der Vorfrist Alg bezogen hat, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist, mindestens fünf Monate, sofern der letzte Anspruch auf Alg oder Alhi wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist, danach mindestens acht Monate in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können (§ 191 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.12.1999 geltenden Fassung). Innerhalb der Vorfrist, die ein Jahr beträgt und mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi beginnt (§ 192 Satz 1 SGB III in der vom 01.0.1998 bis 31.07.1999 geltenden Fassung), hat der Kläger die Anwartschaftszeit von mindestens fünf Monaten zwar nicht erfüllt. Seit dem 01.03.1997 war der Kläger gemäß § 64 StGB untergebracht. In dieser Zeit hat er weder Alg bezogen noch mindestens fünf Monate in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden.

Jedoch kann sich der Kläger zur Erfüllung der Anwartschaft darauf berufen, dass nach § 191 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.12.1999 geltenden Fassung eine vorherige Beschäftigung zur Begründung des Alhi-Anspruchs nicht erforderlich ist. Nach dieser Vorschrift erfüllt ein Arbeitsloser die Anwartschaft, wenn er innerhalb der Vorfrist für mindestens acht Monate wegen einer Maßnahme zur Rehabilitation Leistungen eines öffentlich-rechtlichen Rehabilitationsträgers zur Bestreitung seines Lebensunterhalts bezogen hat und solche Leistungen nicht mehr bezieht, weil die Maßnahme zur Rehabilitation abgeschlossen ist. Dies war beim Kläger der Fall. Er hat innerhalb der Vorfrist für einen mehr als acht Monate dauernden Zeitraum an einer von der Beklagten geförderten Reha-Maßnahme (§ 99 iVm § 153 SGB III) teilgenommen und Uhg bezogen. Das Uhg ist auch als "Leistung zur Bestreitung des Lebensunterhalts" i.S. des § 191 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB III anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Regelung des § 191 Abs 3 Satz 1 SGB III gegenüber ihrem Wortlaut insofern einschränkend auszulegen, als das Merkmal der "Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts" den Bezug von Barleistungen mit Lohnersatzcharakter voraussetzt (Urteile vom 15.12.1999, Az: B 11 AL 37/99 R, DBlR 4599, AFG/§ 134 und 30.09.1992, Az: 11 RAr 73/91; SozR 3-4100 § 134 Nr 9 S 31, jeweils zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 134 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-). Nach Sinn und Zweck der Regelung soll demjenigen Arbeitslosen, der in der Vorfrist an der Ausübung einer anwartschaftsbegründenden Beschäftigung gehindert war, der Alhi-Anspruch zugebilligt werden, indem die fehlende Beschäftigungszeit durch den Bezug der genannten Leistungen eines öffentlichen Trägers zur Bestreitung des Lebensunterhalts ersetzt wird. Nur der Bezug von Leistungen mit Lohnersatzcharakter kann die fehlende Beschäftigungszeit ersetzen (so das BSG in Abgrenzung zu Krankengeldleistungen aufgrund freiwilliger Versicherung als Selbstständiger und zu Leistungen des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Eingliederungshilfe, jeweils aaO). Das Uhg, das der Kläger während der Maßnahme bezogen hat, hat Entgeltersatzfunktion, so dass der Bezug dieser Leistung den Alhi-Anspruch des Klägers begründet. Dagegen spricht nicht die Vermutung der Beklagten, dass nach den konkreten Umständen nicht davon auszugehen war, dass der Kläger ohne Teilnahme an der Maßnahme in einer Beschäftigung gestanden hätte. Denn bereits der Bezug von Lohnersatzleistungen rechtfertigt die Annahme, dass in der fehlenden Beschäftigungszeit eine Arbeitnehmertätigkeit ausgeübt worden wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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