L 10 AL 32/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 491/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 32/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 288/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.12.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) beanspruchen kann.

Der 1966 geborene Kläger bezog nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 29.09.1995 Alhi. Seit dem 10.03.1997 war er nach § 64 Strafgesetzbuch (StGB) im Maßregelvollzug der Psychiatrischen Klinik des Bezirkskrankenhauses L. untergebracht. Mit Bescheid vom 17.03.1997 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi mit Wirkung vom 10.03.1997 auf, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi mangels Verfügbarkeit nicht mehr erfüllt seien. Alhi hat der Kläger bis zum 08.03.1997 bezogen. Der Antrag des Klägers vom 25.12.1997 auf Überprüfung der Aufhebungsentscheidung blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 14.01.1998, Widerspruchsbescheid vom 27.03.1998, Klagerücknahme im Verfahren beim Sozialgericht Würzburg - SG -, Az: S 7 AL 211/98).

Am 11.02.1998 meldete sich der Kläger persönlich arbeitslos und beantragte die Gewährung/Wiederbewilligung von Alhi. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.04.1998 ab. Auf Grund der Unterbringung im Bezirkskrankenhaus fehle es an der Verfügbarkeit des Klägers.

Mit Eingang bei der Beklagten am 29.04.1998 übermittelte der Kläger der Beklagten ein Schreiben der Staatsanwaltschaft beim Landgericht W. (StA) vom 24.03.1998, in dem diese gegenüber dem Bezirkskrankenhaus keine Einwendungen gegen den Freigängerstatus des Klägers erhob.

Am 30.04.1998 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 29.04.1998 Widerspruch ein. Er sei spätestens ab dem 11.02.1998 verfügbar gewesen. Von seinen behandelnden Ärzten sei ihm ab diesem Zeitpunkt die Arbeitssuche und die Arbeitsaufnahme ermöglicht worden. So habe er sich mit Einverständnis der Ärzte auf eine Stellenausschreibung des Bezirkskrankenhauses vom 05.02.1998 als Reinigungskraft beworben. Für die Erlangung des Freigängerstatus käme es allein auf die Zustimmung seiner Ärzte an. Die StA müsse nur angehört werden. Insofern sei die Freigängerbescheinigung des Bezirkskrankenhauses sofort genehmigungsfähig gewesen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.1998 zurück. Während der Dauer der Unterbringung bestünde mangels Verfügbarkeit kein Anspruch auf Alhi.

Mit Bescheid vom 05.05.1998 lehnte die Beklagte den erneuten Antrag auf Alhi vom 24.03.1998 - das Schreiben der StA vom 24.03.1998 war als Antrag gewertet worden - ab; der Kläger habe innerhalb des letzten Jahres vor der Arbeitslosmeldung nicht mindestens fünf Monate in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt, die der Erfüllung der Anwartschaftszeit gedient habe.

Auf Nachfrage der Beklagten hat das Bezirkskrankenhaus (Oberarzt der Psychiatrischen Klinik Dr.S.) unter dem 13.05.1998 mitgeteilt, dass der Kläger am 04.03.1998 einen Antrag auf Freigängerstatus gestellt habe. Dieser sei am gleichen Tage befürwortet worden. Rein theoretisch hätte der Kläger ab dem 04.03.1998 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden, da sich das Bezirkskrankenhaus über etwaige Bedenken der StA hinwegsetzen könne. In der Praxis - und so auch im Fall des Klägers - werde jedoch die schriftliche Äußerung der StA abgewartet und der Freigängerstatus erst nach Vorliegen des Einverständnisses der StA in Kraft gesetzt. Dieses Einverständnis sei am 26.03.1998 bei der Klinik eingegangen.

Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 05.05.1998 blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.1998 verwies die Beklagte darauf, dass der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Dies gelte unabhängig davon, ob die Verfügbarkeit ab dem 29.04.1998 (Vorlage des Schreibens der StA vom 24.03.1998 bei der Beklagten) oder ab dem 24.03.1998 angenommen werde. Eine Wiederbewilligung von Alhi auf Grund des letzten Alhi-Bezuges vor dem 10.03.1997 scheide aus. Dieser Anspruch sei erloschen, da seit dem letzten Alhi-Bezug ein Zeitraum von mehr als einem Jahr vergangen sei.

Gegen die Widerspruchsbescheide vom 09.07.1998 hat der Kläger am 10.08.1998 Klage zum SG erhoben. Die Beklagte habe ihren Ermessensspielraum missbraucht. Hinsichtlich seiner Verfügbarkeit sei auf den 04.03.1998 abzustellen. Unter diesem Datum habe das Bezirkskrankenhaus die Erlangung des Freigängerstatus befürwortet.

Im Klageverfahren hat die Beklagte einen Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 18.12.1998, Az: StVK 544/98 vorgelegt. Hiernach war der Antrag des Klägers auf Feststellung, dass ihm ab 04.03.1998 der Freigängerstatus zuerkannt worden war, abgewiesen worden. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss hat das Oberlandesgericht B. als unzulässig verworfen (Beschluss vom 19.02.1999, Az: Ws 128/99).

Das SG hat den den Kläger behandelnden Arzt Dr.S. uneidlich als Zeugen vernommen, auf dessen Aussage zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird. Mit Urteil vom 06.12.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe den Freigängerstatus erst am 26.03.1998 erlangt, so dass die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei. Er habe sich auch erst am 29.04.1998 arbeitslos gemeldet und seinen Freigängerstatus mitgeteilt. Die Meldung vom 11.02.1998 habe keine Wirkung gehabt, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestanden habe, ob der Kläger den Freigängerstatus erhalten würde.

Hiergegen hat der Kläger am 29.01.2001 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt. Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Würzburg vom 06.12.2000 sowie die Bescheide vom 29.04.1998 und 05.05.1998 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 09.07.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 11.02.1998 Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akte des BayLSG aus dem Verfahren Az: L 10 AL 33/01 sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Bescheide vom 29.04.1998 und 05.05.1998 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 09.07.1998 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Neubewilligung und die Wiederbewilligung von Alhi abgelehnt hat.

Ein Anspruch des Klägers auf Alhi, der nicht - wie der Kläger meint - im Ermessen der Beklagten steht, besteht nicht. Anspruch auf Alhi hat nur, wer u.a. arbeitslos ist, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat, einen Anspruch auf Alg nicht hat, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat, die besonderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt hat und bedürftig ist (§ 190 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - in der vom 01.01.1998 bis 31.12.1999 geltenden Fassung).

Diese Voraussetzungen hat der Kläger zum Zeitpunkt seiner Arbeitslosmeldung am 11.02.1998 nicht erfüllt, da er nicht arbeitslos war. Arbeitslosigkeit setzt nach §§ 118 Abs 1, 198 Satz 2 Nr 1 SGB III voraus, dass der Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht. Nach § 119 Abs 1 Nr 2 SGB III sucht eine Beschäftigung, wer u.a. den Vermittlungsbenmühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht. Merkmale der Verfügbarkeit sind die Arbeitsfähigkeit und die ihr entsprechende Arbeitsbereitschaft (§ 119 Abs 2 SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser u.a. dann, wenn er eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufnehmen und ausüben kann und darf (§ 119 Abs 3 Nr 1 SGB III).

Bei seiner persönlichen Arbeitslosmeldung am 11.02.1998 stand der Kläger der Vermittlungstätigkeit der Beklagten nicht zur Verfügung. Zu dieser Zeit besaß er nicht den Freigängerstatus. Eine solche Vollzugslockerung nach Art 23 Abs 2, 28 Abs 2 Nr 1 des Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung (Unterbringungsgesetz - UnterbrG), außerhalb der Entziehungsanstalt regelmäßig einer Beschäftigung ohne Aufsicht nachzugehen, war dem Kläger noch nicht erteilt worden, so dass er an der Aufnahme einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes rechtlich gehindert war (vgl. zur Strafvollstreckung die Urteile des Bundessozialgerichts - BSG - vom 16.10.1990, Az: 11 RAr 3/90, SozR 3-4100 § 103 Nr 2 S 11 und 21.11.2002, Az: B 11 AL 9/02 R, SozR 3-4100 § 103 Nr 24 S 99).

Aber auch zu einem späteren Zeitpunkt kann der Kläger die (Neu-)Bewilligung von Alhi nicht beanspruchen. Für einen unterstellten Antrag am 24.03.1998 (Schreiben der StA) oder 29.04.1998 (Vorlage des Schreibens der StA vom 24.03.1998 bei der Beklagten) liegen die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruch auf Alhi nicht vor. Die besonderen Anspruchsvoraussetzungen hat ein Arbeitnehmer erfüllt, der in der Vorfrist Alg bezogen hat, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist, mindestens fünf Monate, sofern der letzte Anspruch auf Alg oder Alhi wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist, danach mindestens acht Monate in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können (§ 191 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.12.1999 geltenden Fassung). Innerhalb der Vorfrist, die ein Jahr beträgt und mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi beginnt (§ 192 Satz 1 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.07.1999 geltenden Fassung), hat der Kläger die Anwartschaftszeit von mindestens fünf Monaten nicht erfüllt. Seit dem 10.03.1997 war der Kläger gemäß § 64 StGB untergebracht. In dieser Zeit hat er weder Alg bezogen noch mindestens fünf Monate in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden oder eine Zeit zurückgelegt, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit hätte dienen können. Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis hat der Kläger während der Zeit des Aufenthaltes im Bezirkskrankenhaus nicht ausgeübt. Die Arbeitstherapie begründet kein beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis (Urteil des BSG vom 06.11.1996, Az: 11 RAr 33/97, SozR 3-4100 § 168 Nr 21 S 56 f). Für eine Anwendung der Ausnahmeregelung des § 191 Abs 3 SGB III liegen keine Anhaltspunkte vor. Insbesondere hat der Kläger auch keine Leistungen der Sozialversicherung, nach dem Bundesversorgungsgesetz oder eines öffentlich-rechtlichen Reha-Trägers erhalten. Eine Verlängerung der Vorfrist gemäß § 192 Satz 2 SGB III kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Letztlich kommt auch eine Wiederbewilligung der bis zum 08.03.1997 gewährten Alhi nicht in Betracht. Dieser Alhi-Anspruch ist nach Ablauf eines Jahres seit dem letzten Bezug von Alhi am 08.03.1998 erloschen (§ 196 Satz 1 Nr 2 SGB III). Der Alhi-Antrag vom 11.02.1998 hat das Erlöschen des Anspruchs nicht verhindert, da aus den genannten Gründen die Verfügbarkeit des Klägers nicht bestand. Die Verfügbarkeit ist auch nicht am 04.03.1998 eingetreten. Zwar hat unter diesem Datum das Bezirkskrankenhaus den Freigängerstatus des Klägers befürwortet. Jedoch kann die Anordnung über den Freigängerstatus nach Art 23 Abs 2, 28 Abs 2 Nr 1 UnterbrG) nur nach Anhörung der StA erlassen werden. Selbst wenn die Äußerung der StA nicht bindend ist und das Bezirkskrankenhaus in seiner Entscheidung hiervon abweichen kann, verbleibt es bei der vorherigen Mitwirkungspflicht der StA an dieser Entscheidung. Auch nach der Praxis des Bezirkskrankenhauses wird die Anordnung des Freigängerstatus erst nach Vorliegen des Einverständnisses der StA in Kraft gesetzt. Mithin ist frühestens mit dem Zeitpunkt des Zugangs der Stellungnahme der StA bei der Psychiatrischen Klinik am 26.03.1998 von der Wirksamkeit der Anordnung des Bezirkskrankenhauses über den Freigängerstatus auszugehen (so auch Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 18.12.1998, Az: StVK 544/98). Da auch Umstände für eine Verlängerung der Jahresfrist nicht erkennbar sind, ist der Alhi-Anspruch am 08.03.1998 erloschen.

Nach alledem ist die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden und daher die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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