L 10 AL 393/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 688/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 393/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.09.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg).

Die 1948 geborene Klägerin war vom 17.11.1980 bis zum 30.06.2000 als Referentin der Geschäftsleitung beschäftigt. Bis zum 27.07.1999 hat sie bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden ein regelmäßiges Bruttoarbeitsentgelt von 11.825,93 DM monatlich bezogen. Sie war privat krankenversichert und hat ab dem 28.07.1999 bis zum 31.12.2000 von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen Krankentagegeld erhalten. Am 01.06.2001 meldete sich die Klägerin persönlich arbeitslos und beantragte Alg.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 10.07.2001 Alg ab dem 01.06.2001. Der Berechnung des Alg lag ein wöchentliches Bemessungsentgelt von gerundet 1.520,00 DM, die Leistungsgruppe A, Kindermerkmal 0 und die Leistungstabelle 2001 zu Grunde. Für die Berechnung des Bemessungsentgeltes hat die Beklagte ein Entgelt in Höhe von 1/360 der Jahresarbeitsentgeltgrenze 2001 der gesetzlichen Krankenversicherung für jeden Tag des Bezuges von Krankentagegeld berücksichtigt.

Den Widerspruch der Klägerin - sie hat vorgebracht, dass für die Bemessung des Alg das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt heranzuziehen sei - wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 09.08.2001 zurück. Die Klägerin habe in den letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Alg-Anspruches, in denen Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Krankentagegeld bestanden habe, ausschließlich Krankentagegeld bezogen, so dass nach § 135 Nr 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Bemessung ein Entgelt in Höhe von 1/360 der Jahresarbeitsentgeltgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung für jeden Tag des Bezuges von Krankentagegeld zugrunde zu legen sei. Eine Erweiterung dieses Zeitraumes auf zwei Jahre vor dem Ende des Versicherungspflichtverhältnisses unter dem Gesichtspunkt einer unbilligen Härte komme nicht in Betracht. Denn auch in diesen zwei Jahren habe das Krankentagegeld die Einkommensverhältnisse der Klägerin bestimmt.

Dagegen hat die Klägerin am 21.08.2001 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Sie hielt daran fest, dass das Alg nach dem Gehalt zu bemessen sei, das sie vor dem Bezug des Krankentagegeldes erhalten habe. Für den Bemessungszeitraum seien die letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Alg-Anspruches maßgeblich, in denen Versicherungspflicht bestanden habe. Mit der Einstellung der Zahlung des Arbeitsentgelts durch ihren Arbeitgeber zum 28.07.1999 sei sie aus dem Versicherungspflichtverhältnis ausgeschieden, so dass als Bemessungsentgelt das in diesem Versicherungspflichtverhältnis erzielte Arbeitsentgelt heranzuziehen sei.

Mit Bescheid vom 03.09.2001 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alg ab dem 06.09.2001 teilweise in Höhe von 2,31 DM zurück. Bei der Berechnung des Alg sei irrtümlich die Jahresarbeitsentgeltgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 2001 und nicht für das Jahr 2000 berücksichtigt worden. Ab dem 06.09.2001 zahlte die Beklagte der Klägerin Alg nach einem Bemessungsentgelt von gerundet 1.505,00 DM.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18.09.2002 abgewiesen. Der Bezug des Krankentagegeldes sei bei der Bemessung des Alg zu berücksichtigen gewesen. Da die Klägerin in den letzten zwei Jahren vor dem Ende des Bemessungszeitraums überwiegend Krankentagegeld bezogen habe, stelle die Nichtberücksichtigung des früheren Arbeitsentgeltes für die Klägerin auch keine unbillige Härte dar. Eine Erweiterung des Bemessungszeitraumes auf zwei Jahre komme daher nicht in Betracht.

Am 25.10.2002 hat die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Sie fühle sich ungleich behandelt. Sie habe über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg Beiträge auf der Grundlage einer sehr hohen Beitragsbemessungsgrundlage entrichtet. Diese Beiträge seien durch die Bemessung des Alg-Anspruches nach dem niedrigeren Krankentagegeld entwertet worden. Bei einem Arbeitslosen, der sich in einer vergleichbaren Situation befände, aber Krankentagegeld oder vergleichbare Leistungen nicht bezogen habe, werde zur Bemessung des Alg-Anspruches auf das zuvor erzielte Arbeitsentgelt abgestellt. Den Ausführungen des SG zur unbilligen Härte sei zu entnehmen, dass es je nach Dauer der Krankheit zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Berechnung der Höhe des Alg-Anspruches komme.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.09.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 10.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2001 sowie den Bescheid vom 03.09.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines höheren Bemessungsentgeltes zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 29.08.2001 und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf höheres Alg.

Der Bescheid vom 10.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2001 und der Bescheid vom 03.09.2001, der nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden ist, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte für die Berechnung des Bemessungsentgeltes ein Entgelt in Höhe von 1/360 der Jahresarbeitsentgeltgrenze 2000 der gesetzlichen Krankenversicherung für jeden Tag des Bezuges von Krankentagegeld zugrunde gelegt hat.

Nach § 129 Nr 2 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose ohne berücksichtigungsfähiges Kind 60 vH des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Das Bemessungsentgelt ist nach § 132 Abs 1 Satz 1 SGB III idF des Gesetzes vom 21.07.1999 (gültig ab 01.08.1999) das im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende Entgelt.

Der Bemessungszeitraum umfasst die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Anspruches, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten sind und beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem letzten Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruches abgerechnet waren (§ 130 Abs 1 SGB III idF vom 21.07.1999, gültig ab 01.08.1999).

Für die Klägerin bestand nach dem Ende des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses am 27.07.1999 Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Krankentagegeld vom 28.07.1999 bis zum 31.12.2000. Nach § 26 Abs 2 Nr 2 SGB III sind Personen versicherungspflichtig in der Zeit, für die sie von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen Krankentagegeld beziehen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Leistung versicherungspflichtig waren oder eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen haben.

Dieses in den letzten 52 Wochen bezogene Krankentagegeld ist maßgebend für die Bemessung des Alg. Die Beklagte hat zutreffend die Vorschrift des § 135 Nr 5 SGB III idF vom 21.07.1999 (gültig vom 01.08.1999 bis 31.12.2003, zuvor ab 01.01.1998 als § 135 Nr 3 SGB III inhaltsgleich geregelt) angewandt. Danach ist als Entgelt zugrunde zu legen für Zeiten, in denen Versicherungspflicht wegen des Bezuges von Krankentagegeld bestand, ein Entgelt in Höhe von 1/360 der Jahresarbeitsentgeltgrenze für jeden Tag des Bezuges von Krankentagegeld. Für das Jahr 2000, in dem die Klägerin durchgehend Krankentagegeld bezogen hat, bestand die Jahresarbeitsentgeltgrenze in der Krankenversicherung in den alten Bundesländern bei 77.400,00 DM. Mithin errechnet sich ein Betrag von täglich 215,00 DM (77.400,00: 360), also ein durchschnittliches wöchentliches Bemessungsentgelt von gerundet 1.505,00 DM (215,00 DM x 7).

Etwas anderes ergibt sich nicht aus einer Erweiterung des Bemessungszeitraums auf die letzten zwei Jahre vor dem Ende des Bemessungszeitraums. Nach § 131 Abs 1 SGB III idF vom 21.07.1999 (gültig ab 01.08.1999) ist der Bemessungszeitraum auf die letzten zwei Jahre vor dem Ende des Bemessungszeitraums zu erweitern, wenn es mit Rücksicht auf das Entgelt, das der Arbeitslose in Zeiten der Versicherungspflichtverhältnisse in den letzten zwei Jahren vor dem Ende des Bemessungszeitraums überwiegend erzielt hat, unbillig hart wäre, von dem Entgelt im Bemessungszeitraum auszugehen, und wenn der Arbeitslose dies verlangt und die zur Bemessung erforderlichen Unterlagen vorlegt.

Anknüpfungspunkt für einen Härtefall ist das Entgelt, das der Arbeitslose in Zeiten der Versicherungsverhältnisse in den letzten beiden Jahren vor dem Ende des Bemessungszeitraumes überwiegend erzielt hat. Sinn und Zweck der Härteregelung ist es, einen Ausgleich für die Fälle zu schaffen, in denen der Lebensstandard des Arbeitslosen überwiegend durch ein höheres Einkommen bestimmt war. Zwar hat die Klägerin in diesem Zeitraum (01.01.1999 bis 31.12.2000) vom 01.01.1999 bis 27.07.1999 ein höheres Entgelt (begrenzt durch die Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung für das Jahr 1999 - West - 8.500,00 DM monatlich) bezogen. Dieses im Vergleich zum Krankentagegeld höhere Entgelt hat die Klägerin jedoch nicht überwiegend erzielt. Denn das Entgelt ist in diesem Zweijahreszeitraum erst dann überwiegend erzielt, wenn es für einen längeren Zeitraum als das zu vergleichende Entgelt die Einnahmen des Arbeitslosen bestimmt hat (vgl Urteil des BSG vom 09.02.1995, Az: 7 RAr 2/94, SozR 3-4100 § 44 Nr 11 S 39). Dies war bei dem Entgelt aus der früheren Beschäftigung der Klägerin nicht der Fall, da es lediglich für einen Zeitraum von ca. acht Monaten erzielt wurde und die Dauer des Krankentagegeldbezuges nicht übersteigt. Auf den von der Klägerin genannten Grund, allein aufgrund der Dauer ihrer unverschuldeten Krankheit sei es zu einem überwiegenden Bezug des Krankentagegeldes gekommen, kommt es nicht an. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 131 Abs 1 SGB III, der auf das überwiegend erzielte Entgelt und nicht auf die Gründe abstellt, die zu dem Bezug des niedrigeren Entgelts geführt haben (vgl Urteil des BSG vom 15.02.1999, Az: 7 RAr 82/99, SozR 3-4100 § 112 Nr 2 S 13). Die Berücksichtigung der Gründe der Einkommensminderung kann erst nach der Feststellung erfolgen, ob überwiegend ein höheres Entgelt erzielt wurde. Sie sind bedeutsam für die dann anzustellende Billigkeitsprüfung, ob eine Härte vorliegt.

Das Vorbringen der Klägerin, ihre bisher entrichteten Beiträge seien durch die Bemessung des Alg-Anspruches nach dem niedrigeren Krankentagegeld entwertet worden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere ist ein Verstoß gegen Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht erkennbar. Zwar ist der Alg-Anspruch als beitragsfinanzierte Leistung grundsätzlich verfassungsrechtlich geschützt. Allerdings ist es von Verfassungs wegen schon nicht geboten, eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den am Arbeitsentgelt orientierten Beiträgen und der Höhe der Leistungen zu erzielen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.1995, Az: 1 BvR 892/88, BVerfGE 92, 53, 71). Abzustellen für den Erwerb des eigentumsrechtlich geschützten Alg-Anwartschaftsrechts ist auf das im Bemessungszeitraum erzielte Entgelt. Soweit als Entgelt die versicherungspflichtige Leistung einer privaten Krankenversicherung zugrunde gelegt wird, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Gesetzgeber hat nach § 26 Abs 2 Nr 2 SGB III den Bezug von privatem Krankentagegeld einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt (vgl auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 28.10.2000, Az: L 12 AL 2455/99). Dies entsprach auch dem Anliegen des Gesetzgebers, den privat krankenversicherten Arbeitnehmern für die Zeit des Bezuges von Krankentagegeld, also für den Fall einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit die Zugehörigkeit zum arbeitsförderungsrechtlichen Schutzsystem zu erhalten.

Die Bemessung nach dem bezogenen Krankentagegeld ist auch nicht insofern verfassungswidrig, als bei Arbeitslosen, die in der Zeit nach dem Ende des letzten Beschäftigungsverhältnisses bis zum Beginn der Arbeitslosigkeit keine Lohnersatzleistungen oder vergleichbare Leistungen bezogen haben, nach Maßgabe des § 130 Abs 2 Satz 1 SGB III und innerhalb der zeitlichen Grenze des § 133 Abs 4 SGB III für die Bemesung auf das zuletzt erzielte Entgelt abgestellt wird. Der von der Klägerin gerügte allgemeine Gleichheitssatz wird hierdurch nicht verletzt. Art 3 Abs 1 GG ist verletzt, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen Unterschiede nicht bestehen, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten. Der rechtfertigende Grund für die verschiedene Behandlung der genannten Normadressaten ist die Funktion des Alg. Dieses soll zur Existenzsicherung einen Ausgleich für ausfallendes Arbeitsentgelt schaffen (vgl § 3 Abs 1 Nr 8 SGB III). Demnach ist für die Alg-Bemessung das im Bemessungszeitraum erzielte Entgelt aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen oder - wie vorliegend - aus sonstigen Versicherungspflichtverhältnissen heranzuziehen. Die Anknüpfung der Höhe des Alg an das im Bemessungszeitraum erzielte Krankentagegeld und an die hierfür entrichteten Beiträge entspricht aber auch dem Charakter des Alg als eine Versicherungsleistung. Der Alg-Anspruch wird durch die Zahlung von Beiträgen erworben, wobei der Anspruch der Klägerin im Unterschied zu der von ihr benannten Vergleichsgruppe auf den Beiträgen aus dem sonstigen Versicherungspflichtverhältnis, dem Bezug von Krankentagegeld, beruht.

Nach alledem ist die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden und daher die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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