L 10 AL 444/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 130/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 444/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.11.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bemessung der Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1951 geborene Kläger steht seit 1974 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug der Beklagten. Zuletzt erhielt er (Anschluss-)Alhi bis zum 21.03.1999 unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts von gerundet 530,00 DM (ungerundet 530,00 DM). Am 07.12.2000 meldete er sich erneut arbeitslos und beantragte die Weitergewährung von Alhi. Mit Bescheid vom 18.01.2001 bewilligte die Beklagte Alhi ab 07.12.2000 bis 30.09.2001 in Höhe von 201,60 DM wöchentlich (ab 01.01.2001: 202,44 DM). Der Berechnung lag ein Bemessungsentgelt von gerundet 510,00 DM (ungerundet 510,05 DM) zugrunde.

Mit Bescheid vom 26.07.2001 setzte die Beklagte den Zahlbetrag der Alhi ab 01.07.2001 auf 199,43 DM wöchentlich herab. Grund hierfür sei die Anpassung des wöchentlichen Bemessungsentgelts zum Anpassungstag 30.06.2001 auf gerundet 500,00 DM (ungerundet 501,79 DM).

Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Schreiben vom 27.08.2001. Er widerspreche der Minderung der Alhi und beantrage "bei dieser Gelegenheit", die Alhi nach dem derzeit gültigen tariflichen oder ortsüblichen Entgelt neu festzusetzen. Dem Widerspruch half die Beklagte mit Bescheid vom 04.10.2001 insofern ab, als dem Alhi-Bezug ein wöchentliches Bemessungsentgelt von ungerundet 516,92 DM zugrunde gelegt wurde.

Sodann stellte die Beklagte die Alhi-Bewilligungen für die Zeit vom 07.12.2000 bis 31.12.2000, 01.01.2001 bis 30.06.2001 und 01.07.2001 bis 30.09.2001 neu fest und zwar jeweils unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts von wöchentlich ungerundet 516,92 DM (Änderungsbescheide vom 04.10.2001).

Der Kläger, der sich mit Wirkung zum 01.10.2001 aus dem Leistungsbezug abgemeldet hatte, wandte sich mit Widerspruch vom 29.10.2001 gegen die Änderungsbescheide vom 04.10.2001. Seinem Antrag sei nicht entsprochen worden, das Bemessungsentgelt nach dem tarfilichen bzw. ortsüblichen Entgelt zu bestimmen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2002 zurück. Die Anpassung des Bemessungsentgelts sei nach den gesetzlichen Vorschriften zutreffend erfolgt. Für eine Bemessung nach einem tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelt fehle es an der Rechtsgrundlage.

Hiergegen erhob der Kläger am 22.02.2002 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG). Die Beklagte habe ein zu niedriges Bemessungsentgelt berücksichtigt. Es sei ein tariflich festgeschriebenes Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das ein vergleichbarer Arbeitnehmer in einem entsprechenden Tätigkeitsbereich verdienen würde.

Während des Klageverfahrens setzte die Beklagte das Bemessungsentgelt für die ab 20.10.2001 wieder gewährte Alhi zum Anpassungstag 01.07.2002 neu fest. Mit Bescheid vom 26.07.2002 senkte sie das Bemessungsentgelt von zuvor ungerundet 264,30 EUR auf 261,45 EUR ab. Der Kläger erhielt ab 01.07.2002 Alhi in Höhe von wöchentlich 103,53 EUR (täglich 14,79 EUR). Der Widerspruch des Klägers - er brachte vor, dass der Zahlbetrag der Alhi nicht 15,15 EUR unterschreiten dürfe - blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.10.2002). Dagegen hat der Kläger Klage zum SG eingelegt (Az. S 5 AL 957/02). Das Klageverfahren hat sich am 16.01.2003 durch das vom Kläger angenommene Anerkenntnis der Beklagten erledigt. Die Beklagte hatte sich bereit erklärt, unter Abänderung der angefochtenen Bescheide die Absenkung zurückzunehmen und ab 01.07.2002 Alhi mit einem Bemessungsentgelt von gerundet 270,00 EUR zu zahlen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.11.2002 abgewiesen. Nicht zu entscheiden sei über das Anliegen des Klägers, das Bemessungentgelt unter Berücksichtigung eines tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelts festzusetzen. Dies sei nicht Gegenstand der Entscheidungen der Beklagten in Gestalt der Änderungsbescheide vom 04.10.2001 sowie des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2002, sondern Streitgegenstand des unter dem Az. S 5 AL 957/02 geführten Klageverfahrens. Vorliegend gehe es um die turnusmäßige jährliche Anpassung nach Maßgabe des § 201 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), deren Vollzug nicht zu beanstanden sei.

Am 18.12.2002 hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Gegenstand von Klagen sei nicht allein auf die Anfechtung von Verwaltungsentscheidungen beschränkt. Es könne ihm nicht verwehrt werden, eine Neufestsetzung des Bemessungsentgelts zu beantragen und hierüber eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Die bisherige Festsetzung sei überholt im Sinne des § 200 SGB III und entspreche nicht mehr dem erzielbaren Arbeitsmarktlohn. Die Regelung des § 131 Abs 1 SGB III sei zu prüfen, da die zuletzt erfolgte Bemessung sich auf einen lang zurückliegenden Zeitraum beziehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Nürnberg vom 21.11.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 04.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2002 zu verurteilen, ihm ab 07.12.2000 bis 30.09.2001 höhere Alhi zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf höhere Alhi unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts nach einem tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelt.

Gegenstand des Verfahrens sind die Abänderungsbescheide vom 04.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2002. Die später ergangenen Folgebescheide sind nicht Gegenstand des Klage- oder Berufungsverfahrens geworden. Zu entscheiden ist über eine verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG, da der Kläger unter Abänderung der Entscheidungen der Beklagten eine höhere Alhi begehrt. Dass der Kläger sein Leistungsverlangen mit einer Bestimmung des Bemessungsentgelts nach dem tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelt begründet, stellt keinen hiervon abweichenden Streitgegenstand dar. Der Kläger stützt lediglich seinen Anspruch auf eine von der angefochtenen Verwaltungsentscheidung abweichende materiell-rechtliche Begründung. Dieser Streitgegenstand ist auch nicht bei (nachfolgender) Klageerhebung in dem beim SG unter dem Az. S 5 AL 957/02 geführten Klageverfahren rechtshängig geworden. Dort ist die Alhi-Bemessung für die Zeit ab 01.07.2002 und mit einer abweichenden Begründung, der Unterschreitung des sog. Grenzwertes, angefochten worden.

Allerdings sind die Bescheide vom 04.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2002 rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte mit der Wiederbewilligung der Alhi ab 07.12.2000 und ab 01.07.2001 die Bemessung der Alhi herabgesetzt hat. Sie hat die abgesenkten Bemessungsentgelte auch zutreffend berechnet. Nach § 201 Satz 1 SGB III (in der vom 01.01.1998 bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung) war das Bemessungsentgelt für die Alhi, das sich vor der Rundung ergibt, jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Entstehen des Anspruchs auf Alhi mit einem um 0,03 verminderten Anpassungsfaktor anzupassen. Unter Berücksichtigung eines Anpassungsfaktors - der Differenz zwischen dem maßgeblichen Anpassungsfaktor nach den §§ 138 Abs 2, 411 SGB III und dem Faktor 0,03 - ab 01.07.1999 von 0,9859, ab 01.07.2000 von 0,976 und ab 01.07.2001 von 0,9838 ergab sich eine Absenkung des Bemessungsentgelts zum 01.07.1999 auf 522,53 DM und zum 01.07.2000 auf 509,99 DM. Durch die Anpassung durften 50 vH der Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch -SGB IV- (Grenzwert) nicht unterschritten werden (§ 201 Satz 2 SGB III in der vom 01.01.1998 bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung), so dass zum 01.07.2000 und 01.07.2001 der Grenzwert von 516,92 DM der Bemessung zugrunde zu legen war.

Dagegen besteht für eine individuelle Bestimmung des Bemessungsentgelts nach dem auf dem Arbeitsmarkt erzielbaren Arbeitsentgelt, wie es der Kläger verlangt, seit In-Kraft-Treten der Regelung des § 136 Abs 2b Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) am 01.04.1996, deren Wortlaut § 201 Satz 1 SGB III übernommen hat, keine Rechtsgrundlage mehr. Mit der damals neuen Konzeption der turnusgemäßen Neubemessung sollte grundsätzlich eine automatische pauschale Absenkung des Bemessungsentgelts stattfinden und jeweils mit der Veränderung aufgrund der Dynamisierung verrechnet werden. Die Neuregelung sollte - typisierend - berücksichtigen, dass bei fortdauernder Arbeitslosigkeit ein Verlust beruflicher Qualifkation eintrete; zugleich diente die - pauschalierende - "negative Dynamisierung" dazu, an die Stelle des verwaltungsaufwändigen früheren Systems turnusgemäßer individueller Neubemessung ein dem Charakter der Alhi als Massenleistung entsprechendes erheblich vereinfachtes Verfahren zu setzen (vgl. hierzu BT-Drucks 13/2898 S 7 zu Nr 5).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese gesetzliche Neuregelung bestehen nicht. Das Bundessozialgericht hat in mehreren Entscheidungen hierzu ausgeführt, dass - auch bei denjenigen Fällen, in denen der Anspruch auf Alhi bereits vor dem 1. Juli 1996 entstanden war - die automatische Herabbemessung mit den Regelungen in der Fassung des § 201 SGB III bis zum 31.12.2001 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. zuletzt Urteil vom 07.02.2002, Az. B 7 AL 42/01 R, DBlR 4762a SGB III/§ 201 und Urteil vom 21.11.2002, Az. B 11 AL 1/02 R, SozR 3-4100 § 242 Nr 1 S 12f).

Für eine Neubemessung nach einem tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelt kann sich der Kläger nicht auf § 200 Abs 2 Satz 1 SGB III berufen. Danach ist eine fiktive Bemessung vorzunehmen, solange der Arbeitslose aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht mehr das Bemessungsentgelt, nach dem das Arbeitslosengeld (Alg) zuletzt bemessen worden ist, erzielen kann. Dann ist Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die die Beklagte die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu er- strecken hat; alle Umstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen. Diese Vorschrift berechtigt die Beklagte ausschließlich zu einer Herabbemessung der Alhi, falls der Arbeitslose aus den genannten Gründen das maßgebliche Bemessungsentgelt nicht mehr erreichen kann. Dagegen erfolgt keine Neubemessung, wenn sich ein fiktives höheres Entgelt als das bisherige ergeben würde.

Eine Neubemessung nach § 131 Abs 1 SGB III scheidet schon deshalb aus, weil diese Vorschrift für die Alhi-Bemessung nicht anwendbar ist. § 198 Satz 2 SGB III ordnet nicht die entsprechende Anwendung der Regelungen zur Alg-Bemessung an.

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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