L 17 U 148/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 242/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 148/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 352/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.02.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Rotatorenmanschettenruptur (RMR) als Folge des Arbeitsunfalles vom 27.11.1998 anzuerkennen und Verletztenrente zu gewähren ist.

Die 1945 geborene Klägerin erlitt am 27.11.1998 einen Arbeitsunfall. Nach Arbeitsende wollte sie in ihren PKW einsteigen. Sie öffnete die Fahrertüre mit der linken Hand, rutschte mit dem rechten Fuß aus, schlug mit dem rechten Arm, Unterarm und Ellenbogen auf den Einsteigholm des PKWs auf und fiel auf das Gesäß. Am 01.12.1998 stellte der Chirurg Dr.B. ein akutes Schulter-Arm-Syndrom rechts bei Zustand nach Kontusion fest (Arztbericht vom 29.10.1999). Arbeitsunfähig krank war die Klägerin vom 01.12. bis 11.12.1998.

Der Arbeitgeber der Klägerin meldete den Unfall mit Unfallanzeige vom 31.05.1999. Ab 18.05.1999 war sie wegen Distorsion der rechten Schulter sowie posttaumatischer Periarthritis bei dem Orthopäden Dipl.-med. S. in Behandlung (Ärztl. Unfallmeldung vom 18.05.1999). Vom 22.06. bis 15.07.1999 befand sie sich stationär im Klinikum M. wegen einer RMR rechts (Bericht des Klinikums M. vom 07.07.1999).

Nach Beiziehung von Befundberichten des Dipl.-med. S. vom 22.09.1999/13.01.2000 und der Allgemeinärztin W. vom 29.12.1999, von Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern, eines MRT der rechten Schulter vom 04.06.1999 (Klinikum M.) und einer Krankheitenauskunft der AOK Bayern - Direktion S. - vom 05.08.1999 holte die Beklagte ein Gutachten des Chirurgen Dr.S. vom 16.02.2000 ein. Dieser nahm als Folgen des Unfalles vom 27.11.1998 eine folgenlos ausgeheilte Prellung des rechten Oberarmes an. Die Aufprallveränderungen am Schultergelenk sowie die Folgen nach Operation einer Defektbildung der Rotatorenmanschette rechts seien unfallunabhängig. Im Übrigen sei der Sturz nicht geeignet gewesen, eine ursächliche strukturelle Schädigung der Rotatorenmanschette herbeizuführen, auch nicht iS einer Verschlimmerung.

Mit Bescheid vom 11.04.2000 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalles ab. Sie führte aus, der Arbeitsunfall habe zu einer Oberarmprellung geführt, in deren Verlauf die vorbestehenden Veränderungen der Rotatorenmanschette akut geworden seien. Die Prellung sei folgenlos ausgeheilt (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 01.09.2000).

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, als Folge des Unfalles vom 27.11.1998 eine Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei RMR iS einer richtunggebenden Verschlimmerung anzuerkennen und ab 01.11.2000 Verletztenrente nach einer MdE von 30 vH, ab 27.11.2001 nach 20 vH zu gewähren. Sie hat vorgetragen, dass der Unfall eindeutig die RMR herbeigeführt habe und ein plötzlicher Sturz mit Verhängung des Armes innerhalb des Autoeinstiegs ein geeigneter Unfallmechanismus sei. Sie habe keinen direkten Aufprall mit der Schulter auf dem Boden erlitten, vielmehr sei der Sturz mit dem rechten Arm in den Fahrereinstieg erfolgt, dadurch sei der Arm nach oben gedrückt worden, während der Körper auf den Boden stürzte. Die Beklagte hat eine gutachtliche Stellungnahme des Dr.S. vom 30.07.2001 vorgelegt, der wiederholte, dass der Unfall nach Art und Intensität seiner Einwirkung schlechterdings nicht geeignet gewesen sei, eine strukturelle Schädigung der Rotatorenmanschette zu bewirken.

Das SG hat von der Orthopädin C. ein Gutachten vom 27.11.2001 eingeholt. Diese hat eine Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei RMR als Unfallfolge angesehen: Auch wenn das Unfallgeschehen nach biomechanischen Gesichtspunkten nicht geeignet gewesen sei, eine RMR bei intakter Rotatorenmanschette zu verursachen, müsse davon ausgegangen werden, dass degenerative Veränderungen vorgelegen haben und das Unfallgeschehen zumindest eine wesentliche Teilursache für die Beschwerden dargestellt habe. Auch ein degenerativer Vorschaden könne sich unfallbedingt erweitern. Daher sei es durch den Unfall zumindest zu einer richtunggebenden Verschlimmerung eines Vorschadens gekommen. Die MdE sei bis 26.11.2001 mit 30 vH, danach mit 20 vH einzuschätzen. Dieser Auffassung hat die Beklagte mit der Stellungnahme des Dr.S. vom 30.09.2002 widersprochen. Dieser hat im Wesentlichen ausgeführt: Wenn das Ereignis bereits nicht geeignet gewesen sei, zu einer strukturellen Schädigung des gesunden Gewebes zu führen, so sei auch nicht zu erwarten, dass nunmehr dasselbe Ereignis zu einer strukturellen Schädigung eines vorgeschädigten Gewebes führe. Zudem sei nicht schlüssig nachzuvollziehen, dass sich ein degenerativer Vorschaden unfallbedingt erweitern könne.

Das SG ist der Sachverständigen C. gefolgt und hat die Beklagte mit Urteil vom 26.02.2003 verpflichtet, als Folge des Arbeitsunfalles vom 27.11.1998 eine Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei RMR iS einer richtunggebenden Verschlimmerung anzuerkennen und vom 01.11.2000 bis 26.11.2001 Rente nach einer MdE von 30 vH, anschließend 20 vH zu gewähren.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und unter Vorlage einer Stellungnahme des Chirurgen Dr.G. vom 24.04.2003 vorgetragen, dass dem Gutachten der Ärztin C. nicht zu folgen sei. Es habe kein typischer Unfallmechanisus vorgelegen, der ursächlich zu einer RMR hätte führen können. Vielmehr seien vorbestehende Verschleißerscheinungen der Rotatorenmanschette belegt. Der Vorgang vom 27.11.1998 sei für das Entstehen einer RMR ungeeignet gewesen. Auch sprächen die körperlichen Beeinträchtigungen nach dem Vorfall gegen einen Ursachenzusammenhang.

Der Senat hat einen Befundbericht der Allgemeinärztin W. vom 21.07.2003, die ärztlichen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Unterfranken und die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen. Sodann hat Prof. Dr.S. ein orthopädisches Gutachten vom 17.10.2003/10.05.2004 erstellt. Er hat lediglich eine Distorsion der rechten Schulter auf den Arbeitsunfall zurückgeführt. Das degenerative Rotatorenmanschettenleiden mit Kontinuitätsunterbrechung stehe nicht im Ursachenzusammenhang mit dem Unfall vom 27.11.1998, auch nicht iS einer richtunggebenden Verschlimmerung. Aufgrund der vorbestehenden Leiden sei aber von einer protrahierten Rekonvaleszenz bis Februar 1999 auszugehen.

Der Senat hat ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Priv.Doz. Dr.I. vom 20.02.2004 eingeholt. Dieser hat als wesentliche Unfallfolgen eine schmerzhafte Schulterteilsteife rechts nach operativer Versorgung einer RMR und Acromioplastik neben Blutumlaufstörung am rechten Unterarm und an der rechten Hand angesehen. Die MdE hat er mit 30 vH eingeschätzt. Die Beklagte hat dem mit Schriftsatz vom 05.04.2000 widersprochen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 26.02.2003 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 11.04.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2000 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würz burg vom 26.02.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die ärztlichen Unterlagen der LVA Unterfranken Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei RMR iS einer richtunggebenden Verschlimmerung sowie auf Gewährung von Verletztenrente ab November 2000. Der Bescheid der Beklagten vom 11.04.2000 idF des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2000 ist im Wesentlichen nicht zu beanstanden.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII).

Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsstörung - hier die RMR - als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannt werden kann, ist, dass zwischen der unfallbringenden versicherten Tätigkeit und dem Unfall sowie dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht (haftungsbegründende bzw -ausfüllende Kausalität). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - genügt. Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten. Zu betonen ist auch, dass ein geeigneter Unfallmechanismus vorliegen muss.

Die Beklagte hat den Unfall der Klägerin vom 27.11.1998 in den angefochtenen Bescheiden zutreffend als Arbeitsunfall gewertet. Sie hat - entgegen der Auffassung des SG Würzburg - aber zu Recht eine Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei RMR iS der Verschlimmerung als Unfallfolge sowie die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt. Nach Auffassung des Senats kann es dahingestellt bleiben, ob das Unfallereignis seinem Mechanismus nach geeignet war, eine Schädigung der RMR herbeizuführen. Denn selbst wenn man von einem geeigneten Unfallmechanismus ausgehen wollte, können die RMR und ihre Folgeerscheinungen nicht auf den Arbeitsunfall vom 27.11.1998 zurückgeführt werden. Der Arbeitsunfall hat lediglich eine Distorsion der rechten Schulter zur Folge gehabt. Zu dieser Auffassung kommt der Senat unter Würdigung des überzeugenden Gutachtens des Prof. Dr.S ... Den Gutachten der Orthopädin C. und des PD Dr.I. vermag der Senat nicht zu folgen.

Der Arbeitsunfall vom 27.11.1998 hat das im Frühjahr 1999 diagnostizierte degenerative Rotatorenmanschettenleiden weder allein noch wesentlich mitverursacht. Der Arbeitsunfall hat auch nicht mit Wahrscheinlichkeit eine richtunggebende Verschlimmerung des degenerativen Rotatorenmanschettenleidens verursacht. Eine Rotatorenmanschette unterliegt in hohem Maße der Degeneration. Diese beginnt bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt. Zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr (wie bei der Klägerin) treten die meisten Rotatorenmanschettenschäden mit Krankheitsmerkmalen auf (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Aufl S 505). Radiologisch konnten bereits vier Tage nach dem Unfall, am 01.12.1998, eindeutige degenerative Veränderungen im Bereich des Schultergürtels nachgewiesen werden. Insbesondere fand sich ein arthrotisches Schultereckgelenk mit Wulstung nach caudal in Richtung des Subacromialraumes, in dem die Rotatorenmanschette verläuft. Diese war somit durch knöcherne Anbauten eingeengt. Als auffälliger Befund zeigte sich auch eine deutliche Zyste im Bereich des lateralen Clavikularendes. Hierbei handelt es sich um eine hochgradige Vorschädigung der Rotatorenmanschette. Eine derartig veränderte Rotatorenmanschette kann spontan und ohne nennenswerten äußeren Anlass zerreißen. In diesem Fall ist dann nicht das Unfallereignis, sondern die Vorschädigung die allein wesentliche Ursache für den Riss der Rotatorenmanschette. Da eine Degeneration bis zum Eintritt des Ereignisses stumm bleibt, kann auch eine Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens beim Riss der Rotatorenmanschette - entgegen der Auffassung der Orthopädin C. und des SG - nicht angenommen werden (Schönberger aaO S 511). Zudem fehlt es für eine traumatische RMR bereits an der Dokumentation eines Blutergusses im Gelenk bzw im Subacromialraum. Bei der Injektionsbehandlung anlässlich des ersten Arztbesuches wurde nichts über ein blutiges Aspirat berichtet. Einblutungen und Veränderungen an den benachbarten Strukturen, bedingt durch Lokalisation und Ausprägung des Rotatorenmanschettenschadens, sind aber entscheidende Kriterien für die Abgrenzung, ob Folgen eine Krafteinwirkung oder rein degenerative Veränderungen vorliegen (Schönberger aaO).

Eine weitere Voraussetzung für die Annahme einer unfallbedingten RMR wäre ein sofortiger Funktionsverlust im Schultergelenk. Ein solcher lässt sich in den ersten Tagen nach dem Unfall aber nicht nachweisen. Zwischen dem 11.12.1998 und dem 18.05.1999 fand keine Behandlung wegen einer Schulter-Arm-Problematik statt (s. Krankheitenauszug der AOK Bayern - Direktion S. - vom 05.08.1999). Die RMR wurde erst ca 1/2 Jahr nach dem Unfall diagnostiziert. Die Klägerin konnte am Unfalltag noch eine Fahrtstrecke von ca. 18 bis 19 km als Fahrerin ihres eigenen PKWs zurücklegen. Hinzu kommt, dass sie nach dem Unfalltag noch einen weiteren Tag gearbeitet hat. Eine Arbeitseinstellung, die nicht spätestens am nächsten Tag erfolgt, spricht gegen eine traumatische Rotatorenmanschettenläsion (Schönberger aaO S 509). Die ca. 8 Monate nach dem Unfallereignis erfolgte histologische Untersuchung erbrachte keinen Befund, der eine unfallbedingte RMR hätte wahrscheinlich machen können. Als auffallend wurden Kalzinoseareale beschrieben. Hierbei handelt es sich um Kalkablagerungen in der Rotatorenmanschette, eine Erscheinung, die typisch für degenerative Verschleißveränderungen ist. Die von PD Dr.I. aufgrund des Kernspintomogrammes vom 04.06.1999 beschriebene arthrotische Deformierung des AC-Gelenkes stellt eine typische degenerative Veränderung dar, die den Subacromialraum einengt und eine unfallabhängige Degeneration der Rotatorenmanschette begünstigt. Das bloße Auftreten von Schmerzen beweist - entgegen der Auffassung des PD Dr.I. - ebenfalls keine traumatisch bedingte RMR. Auch Distorsionen von Gelenken führen - worauf Prof. Dr.S. hinweist - zu sofortigen Beschwerden.

Nach alledem war das Unfallereignis nicht in der Lage, mit Wahrscheinlichkeit eine traumatische Rotatorenmanschettenläsion zu verursachen.

Das Urteil des SG kann daher keinen Bestand haben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei RMR iS der Verschlimmerung sowie auf Gewährung von Verletztenrente.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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