L 8 AL 366/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 97/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 366/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10. September 2002 und der Bescheid vom 15.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom vom 18.02.2002 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 6. April 2001 Arbeitslosengeld zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 06.04.2001 streitig.

Der 1970 geborene Kläger besuchte die Sonderschule und nahm vom 03.09.1990 bis 02.09.1991 an einer Trainigsmaßnahme in einer Werkstatt für Behinderte (WfB) teil. Ihm wurde ab 04.09.1991 Alg bewilligt.

Vom 01.10.1991 bis 08.01.1993 war er als Metallarbeiter 37 Stunden pro Woche beschäftigt und erzielte ein monatliches Bruttoentgelt von 2.333,93 DM. Grund für die Arbeitgeberkündigung, die zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses führte, war nach Feststellung der Hauptfürsorgestelle Arbeitsmangel. Ab 09.01.1993 wurde dem Kläger erneut Alg und ab 13.12.1993 Arbeitslosenhilfe (Alhi) bewilligt.

Als Ergebnis einer vom 21.03. bis 02.04.1996 durchgeführten Arbeitserprobung im Rehazentrum S. I. wurde in dem Abschlussbericht die Ansicht vertreten, weiterführende qualifizierende berufliche Reha-Maßnahmen könnten nicht empfohlen werden, die Förderung in einem Trainings- und Arbeitsbereich einer WfB erscheine sinnvoll.

Der Kläger bezog in der Folge weiterhin Alhi. Vom 06.04.1999 bis 05.04.2001 befand er sich im Arbeitstrainingsbereich der U. Werkstätten. In dem Abschlussbericht heißt es, er sei sicherlich dem oberen Bereich der Werkstattgänger zuzurechnen. Momentan sei ein Arbeitsplatz in der WfB für ihn am geeignetsten.

Der Kläger lehnte eine weitere Tätigkeit in der WfB ab und meldete sich am 27.03.2001 arbeitslos und beantragte Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Da er sich zunächst weigerte, an einer psychologischen Untersuchung teilzunehmen, wurde mit Bescheid vom 18.09.2001 die Leistung wegen fehlender Mitwirkung versagt. Am 17.12.2001 fand eine Untersuchung durch die Dipl.-Psych. R. statt. In dem Gutachten vom 20.12.2001 wird die Auffassung vertreten, aufgrund der festgestellten Defizite sei die Eingliederung unter den sich ständig erhöhenden Anforderungen des freien Arbeitsmarktes auch auf Helferebene nicht zu erwarten.

Mit Bescheid vom 15.01.2002 hob die Beklagte den Versagungsbescheid vom 18.09.2001 auf. Mit weiterem Bescheid vom 15.01.2002 lehnte sie eine Leistungsgewährung mit der Begründung ab, eine Eingliederung auf dem freien Arbeitsmarkt sei nicht vertretbar. Der Kläger stehe damit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung und habe keinen Leistungsanspruch.

Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2002 als unbegründet zurück. Wegen der festgestellten Defizite im Bereich der intellektuellen Begabung, der Kulturtechniken und insbesondere der psychosozialen Belange stehe er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

Hiergegen hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben. Dieses hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.A. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Im Gutachten vom 15.07.2002, in dem die Sachverständige ein von ihr im Rahmen des Pflegeversicherungs-Klageverfahrens S 10 P 84/00 nach Untersuchung erstelltes Gutachten vom 15.01.2001 verwertet hat, hat sie ausgeführt, der Kläger sei den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auch nicht 15 Stunden wöchentlich gewachsen.

Mit Urteil vom 10.09.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach der übereinstimmenden Beurteilung aller Sachverständigen sei der Kläger derzeit (noch) nicht in der Lage, auf dem freien Arbeitsmarkt eingesetzt zu werden. Er benötige auf jeden Fall einen beschützenden Rahmen, damit er sich etwas zutraue. Angemessen und zutreffend wäre für ihn ein Einsatz im Arbeitsbereich einer WfB, was vom Kläger aus diversen (finanziellen) Gründen abgelehnt werde.

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die Annahme, auf dem freien Arbeitsmarkt nicht vermittelbar zu sein. Die Beklagte habe 1997 den Erwerb des Führerscheins finanziert und sich nicht ausreichend um eine Vermittlung bemüht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 10.09.2002 und des Bescheides vom 15.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2002 zu verurteilen, ihm ab 06.04.2001 Arbeitslosengeld zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei der Tätigkeit in einer WfB handele es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne der §§ 25, 26 SGB III. Der für den Kläger in Betracht kommende Arbeitsmarkt im Sinne des § 119 Abs.3 Nr.1 SGB III sei auf die WfB begrenzt. Da der Kläger nicht bereit gewesen sei, die ihm zumutbare Arbeit in einer WfB anzutreten, sei er nicht im gesetzlich geforderten Umfange arbeitsbereit gewesen und habe keinen Leistungsanspruch.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wir im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143,151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet. Der Kläger hat dem Grunde nach ab 06.04.2001 Anspruch auf Alg.

Der Kläger hat für seine Tätigkeit im Arbeitstrainingsbereich vom 06.04.1999 bis 05.04.2001 von der Beklagten Übergangsgeld erhalten und stand damit innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist des § 24 Abs.1 SGB III mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis i.S. des § 123 Satz 1 SGB III, weshalb er dem Grunde nach einen Anspruch erworben hat.

Der Kläger war ab 06.04.2001 auch arbeitslos, weil er gem. § 118 Abs.1 Nr.2 SGB III eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung suchte, wobei er i.S. des § 119 Abs.1 Nr.2 SGB III den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung stand.

Hierbei kann dahinstehen, ob er i.S. des § 119 Abs.3 Nr.1 SGB III arbeitsfähig in dem Sinne war, dass er eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufnehmen und ausüben konnte. Denn falls dies, wie die Beklagte annimmt, bezüglich des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht der Fall war, ergibt sich der Anspruch des Klägers aus § 125 Abs.1 Satz 1 SGB III. Danach hat Anspruch auf Alg auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Unstreitig liegt eine solche gem. § 125 Abs.1 Satz 2 SGB III vom zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu treffende Feststellung einer verminderten Erwerbsfähigkeit nicht vor. Weder hat der Kläger eine solche Feststellung beantragt, noch hat die Beklagte den Kläger gem. § 125 Abs.2 Satz 1 SGB III zu einer solchen Antragstellung aufgefordert. Solange eine solche Feststellung des Rentenversicherungsträgers nicht vorliegt, ist die Beklagte nicht berechtigt, den Leistungsanspruch mit der Begründung zu versagen, der Kläger sei wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen auszuüben.

Der Anspruch kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, der Kläger stehe deshalb den Vermittlungsbemühungen i.S. des § 119 Abs.2 SGB III nicht zur Verfügung, weil er nur in einer WfB einsatzfähig und deshalb nicht seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit sei. Denn die Aufnahme einer Tätigkeit in einer WfB ist einem Arbeitslosen erst dann zumutbar, wenn feststeht, dass er auf dem freien Arbeitsmarkt nicht mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende versicherungspflichtige Beschäftigungen ausüben kann. Diese Feststellung bedeutet aber gleichzeitig die Feststellung einer geminderten Erwerbsfähigkeit, die gem. § 125 Abs.1 Satz 2 SGB III dem Rentenversicherungsträger vorbehalten ist. Denn ein Arbeitsloser, der nur in einer WfB einsatzfähig ist, ist vermindert erwerbsfähig i.S. des § 125 Abs.1 SGB III. Wie bereits dargelegt, ist die Beklagte nicht berechtigt, ihrerseits eine solche verminderte Erwerbsfähigkeit festzustellen und mit dieser Begründung den Leistungsanspruch zu versagen. Dass der Kläger im Rahmen des § 125 Abs.1 Satz 1 SGB III nicht auf die Tätigkeit in einer WfB verwiesen werden kann, ergibt sich auch daraus, dass nach dieser Vorschrift der "ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit" in Betracht kommende Arbeitsmarkt maßgebend ist; dies sind zumindest Helfertätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Somit war die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 10.09.2002 und der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, dem Kläger ab 06.04.2001 Arbeitslosengeld zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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