L 2 U 62/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 321/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 62/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.10.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Gewährung von Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall.

Der Kläger kollidierte am 19.08.1997 mit seinem PKW auf einer Kreuzung beim Linksabbiegen mit einem von links kommenden Fahrzeug. Zur Kollision selbst machte er im Verlaufe des Verfahrens verschiedene Angaben. Bei dem am selben Tag aufgesuchten H-Arzt berichtete er eine rechtwinklige Kollision, bei der letzten Befragung durch einen Sachverständigen im Sozialgerichtsverfahren sprach er von einer nahezu deckungsgleichen Frontalkollision. Nach der polizeilichen Unfallaufnahme war es bei beiden Fahrzeugen zu einem Anstoß rechts vorne gekommen. An beiden Fahrzeugen sei Totalschaden entstanden. Bei dem acht Jahre alten Kleinwagen des Klägers wurde der Sachschaden mit 10.000,00 DM und beim Fahrzeug des Unfallgegners mit 5.000,00 DM beziffert. Der Standort der Fahrzeuge wurde nicht vermessen, da keiner der Beteiligten an der Unfallstelle eine Verletzung geltend gemacht habe.

Der H-Arzt diagnostizierte ein schräges Zerrungstrauma der Hals- und Lendenwirbelsäule. Nach seiner Ansicht war der Kläger ab dem 11.10.1997 wieder arbeitsfähig, soweit es die Unfallfolgen betraf.

Am 07.07.1998 wurde beim Kläger ein Bandscheibenprolaps an der Halswirbelsäule 4/5 festgestellt und am 09.07.1998 operiert. Der Heilverlauf sei befriedigend gewesen.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirurgen Prof.Dr.B. vom 17.09.1998 und ein Zusatzgutachten von dem Neurologen und Psychiater Dr.B. vom 25.09.1998 ein. Bei Dr.B. hatte der Kläger erstmals am 25.06.1998 angegeben, dass er mit dem Kopf gegen das Wagendach geschlagen sei und sich die Halswirbelsäule gestaucht habe. Dr.B. nahm ein Schleuder- und Stauchungs- trauma an, das vermutlich wesentlich mitursächlich für den Bandscheibenvorfall gewesen sei, wofür die MdE bis dato auf 100 v.H. einzuschätzen sei. Prof.Dr.B. nahm an, dass es bei der rechtwinkligen Kollision zur forcierten Schleuderbewegung des PKW des Unfallverletzten nach rechts gekommen sei. Für den Unfallverletzten sei es zu einer seitlichen Flexion der Halswirbelsäule nach rechts mit Anschlag des parietalen Schädels rechts gekommen. Hierbei handle es sich zunächst um eine indirekte Traumatisierung der Halswirbelsäule, wobei aber der Kopf in seiner Schleuderbewegung durch das Aufschlagen auf ein Hindernis gebremst werde, während der Beschleunigungsimpuls weiterhin auf den Körper einwirke. Die daraus resultierenden Abscher- und Abknickkräfte im Bereich der Halswirbelsäule bei fixiertem Kopf zeigten dann oft schwere, ggf. sogar deletäre Folgen. Nach den Angaben des Klägers könne von einem altersentsprechenden Befund an der Halswirbelsäule bis zum Unfallereignis ausgegangen werden.

Von einem traumatischen Bandscheibenprolaps könne man ausgehen, wenn das Unfallereignis entsprechend schwer gewesen sei, wenn die Mechanik des Unfalls seine Entstehung erkläre und die klinischen Symptome für eine Bandscheibenschädigung sprächen. Die Schwere des Unfallereignisses sei im vorliegenden Fall wohl unbestritten. Auch die Mechanik sei geeignet, eine Distorsion der Halswirbelsäule mit entsprechender Schädigung der Bandscheiben der betroffenen Segmente hervorzurufen. So sei es durch das Unfallgeschehen zu einem Bandscheibenvorfall in Höhe HWK 6/7 gekommen. Von einer weiteren Gefügelockerung der gesamten Halswirbelsäule könne in Anbetracht der Schwere des Unfallereignisses ausgegangen werden. Im Rahmen dieser Gefügelockerung sei es zu Fehlhaltungen gekommen, die ursächlich im Zusammenhang mit dem Unfall stünden und einen erneuten Bandscheibenvorfall - jetzt in Höhe C 4/5 - begünstigt hätten. Der Kläger sei deswegen immer noch arbeitsunfähig.

Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von dem Chirurgen Prof.Dr.B. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. vom 22.02.1999 ein. Der Sachverständige ging davon aus, dass Bandscheibenschäden, gleich welcher Ausprägung, degenerativer Natur seien und im Einzelfall die unfallbedingte Zerreißung des Faserknorpelrings und die nachfolgende Vorwölbung oder der Vorfall des weichen Gallertkernes bewiesen sein müsse. Der Befund bei der Bandscheibenoperation beweise die degenerative Entstehung des Bandscheibenschadens, denn die gefundene knochenharte Vorwölbung der Bandscheibe sei immer degenerativer Natur. Der Operateur habe ausdrücklich sequestrierendes Bandscheibengewebe in Form eines Vorfalls verneint. Eine einschlägige Vorerkrankung der Halswirbelsäule, die 1994 erstmals behandlungsbedürftig gewesen sei, sei erwiesen.

Zu den Vorgutachten führt der Sachverständige aus, zu einem Kopfanprall bei der Kollision sei weder im H-Arztbericht noch in den Folgeberichten etwas enthalten.

Wenn es zutreffe, dass das Fahrzeug des Klägers von links gerammt worden sei, dann könne primär eine Nickbewegung des Kopfes nach rechts nicht stattgefunden haben. Aus der Angabe des Schadensausmaßes an den Fahrzeugen auf das Ausmaß der Unfallverletzung der Fahrzeuginsassen zu schließen, sei nicht gerechtfertigt.

Es sei unbestritten, dass der Kläger ohne den Unfall nicht derart massive Nackenbeschwerden gehabt hätte, die ihn noch am Unfalltag zum Arzt geführt hätten. Durch eine Schleuder- oder Nickbewegung des Kopfes mit oder ohne Anprall habe die Nackenmuskulatur und der Kapselbandapparat der Halswirbelsäule eine Zerrung erfahren, die reflektorisch zu stark schmerzhaften Muskelverspannungen geführt habe. Dass die Halswirbelsäule am 19.08.1997 verletzt worden sei, sei aber nicht erwiesen, erwiesen seien nur die Vorschäden und die degenerativen Veränderungen.

Die Schlussfolgerung des Prof.B. , dass es am 19.08.1997 zu einem Bandscheibenvorfall in Höhe HWK 6/7 gekommen sei, sei nicht erwiesen.

Der Sachverständige empfahl, die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 10.10.1997 anzuerkennen. Unfallfolgen lägen beim Kläger nicht vor. Bezogen auf die seit 1994 bekannte Vorerkrankung sei das Ereignis die Gelegenheit, anlässlich der ein multisegmentales Bandscheibenleiden der HWS nachhaltig mit Merkmalen einer Erkrankung zu Tage getreten sei. Die operierten Bandscheibenschäden an der Halswirbelsäule seien, wie auch die Bandscheibenschäden an der Lendenwirbelsäule, nicht unfallbedingt, sondern degenerativer Natur.

Mit Bescheid vom 13.04.1999 erkannte die Beklagte einen Arbeitsunfall an, der zur Arbeitsunfähigkeit bis 10.10.1997 geführt habe. Die Gewährung von Verletztenrente lehnte sie ab.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.1999 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente ab Antragstellung nach einer MdE um mindestens 30 v.H. beantragt.

Auf seinen Antrag nach § 109 SGG hat das Sozialgericht ein Gutachten des Chirurgen Dr.S. vom 16.04.2002 mit einem neurologischen Zusatzgutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 07.01.2002 eingeholt. Beide Sachverständige kommen zu dem Ergebnis, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die derzeit geklagten Gesundheitsstörungen durch den Unfall hervorgerufen seien. Ebenso wird eine wesentliche Verschlimmerung des vorbestehenden degenerativen Halswirbelsäulenleidens verneint, da zwischen dem Unfallereignis und den erst nach einem Jahr nach dem stattgehabten Unfallereignis zur Ausprägung kommenden Lähmungen, die zu einer neurochirurgischen Operation führten, keine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs hergestellt werden könne.

Mit Urteil vom 24.10.2002 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich in seiner Begründung im Wesentlichen auf die Sachverständigen Prof.Dr.B. , Dr.S. und Dr.S. gestützt.

Gemessen an den im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsanforderungen seien die nunmehrigen Erkrankungen des Klägers im Bereich der Halswirbelsäule sowie die stattgehabten Bandscheibenvorfälle nicht auf das Ereignis von 19.08.1997 zurückzuführen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter und stützt sich im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Erstgutachten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.10.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom vom 30.08.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem Zeitpunkt der Antragstellung Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu gewähren. Hilfsweise beantragt er, ein weiteres Gutchten von Amts wegen zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Bandscheibenvorfall HWK 4/5 einzuholen, wobei sich der Sachverständige mit den Vorgutachten auseinandersetzen möge.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.08.1997 durch Gewährung einer Verletztenrente zu entschädigen.

Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Regensburg als unbegründet zurück, soweit sich die Urteilsgründe auf die Ausführungen der Sachverständigen Prof.Dr.B. , Dr.S. und Dr.S. stützen, und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Der Senat nimmt keinen Bezug auf die Urteilsgründe, soweit das Erstgericht unter Heranziehung medizinischer Fachliteratur eine eigenständige Bewertung des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Arbeitsunfall und später aufgetretenen Gesundheitsstörungen vorgenommen hat. Dem Erstgericht fehlt die Fachkunde, wenn es die medizinische Fachliteratur zu weitergehenden Zwecken heranzieht, als zur kritischen Bewertung divergierender Sachverständigengutachten anhand der gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Darüber hinaus hätte es das Gebot des rechtlichen Gehörs bei einem solchen Vorgehen erfordert, dass die Parteien zuvor auf die Verwendung solcher Kenntnisse hingewiesen werden. Indessen enthalten die Urteilsgründe eine ausreichende Bezugnahme auf die genannten Sachverständigen, auf deren Gutachten auch der Senat seine Überzeugung stützt.

Die Einwendungen des Klägers im Berufungsverfahren greifen demgegenüber nicht durch. Die gutachterlichen Ausführungen des Prof.Dr.B. und des Dr.B. sind durch die späteren Sachverständigen einer kritischen und überzeugenden Überprüfung unterzogen worden, deren Stichhaltigkeit vom Kläger nicht nachvollziehbar in Frage gestellt worden ist. Dass der Fahrzeugschaden noch keinen Schluss auf den Personenschaden zulässt, ist vom Sachverständigen Prof.Dr.B. ausdrücklich aufgeführt und darüber hinaus nach der Lebenserfahrung überzeugend. Auch das Bestehen von entsprechenden Vorerkrankungen an der Halswirbelsäule ist, gestützt auf Unterlagen der Krankenkasse und Berichte der damals behandelnden Ärzte, durch die Sachverständigen hinreichend bewiesen. Die entgegenstehende Annahme des Prof.Dr.B. in seinem Gutachten muss als widerlegt angesehen werden.

Die Einholung eines weiteren Gutachtens war nicht veranlasst. Die entscheidungserheblichen medizinischen Fragen sind so geklärt, dass eine gerichtliche Entscheidung hierauf gestützt werden konnte. Wozu es dann noch eines Gutachtens bedürfte, ist nicht ersichtlich, vom Kläger ist hierzu auch nichts vorgetragen.

Die Berufung hat deshalb keinen Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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