L 20 R 70/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 RA 202/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 70/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.12.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In dem beim Sozialgericht Nürnberg (SG) unter dem Az: S 1 RA 132/95 anhängig gewesenen Rechtsstreit verlangte der damals anwaltschaftlich vertretene Kläger, u.a. die Zeit vom 01.06.1964 bis zum 31.05.1978 in die Leistungsgruppe 2 für Angestellte nach Anlage 1 zum Fremdrentengesetz (FRG) vom 25.02.1960 einzuordnen; des Weiteren beantragte er, für die Zeit vom 01.08.1948 bis zum 20.07.1978 die Entgeltpunkte (nach § 22 Abs 3 FRG) in voller Höhe anzuerkennen. Nach Vorlage weiterer Arbeits- und Beschäftigungsunterlagen aus Rumänien durch den Kläger erklärte sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.10.1995 bereit, die Entgeltpunkte für die Zeiten vom 15.03.1957 bis 14.12.1957 und vom 01.01.1963 bis 20.07.1978 zu 6/6 anzurechnen; für das übrige Klagebegehren wurde der Antrag auf Klageabweisung aufrecht erhalten.

Mit Bescheid vom 26.01.1996 hat die Beklagte dem Kläger Altersrente ab 01.12.1995 bewilligt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 07.12.2001 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers mit dessen Einverständnis und nach eingehender Besprechung der Rechtslage: "Ich nehme das Teilanerkenntnis des Beklagten vom 16.10.1995 an und erkläre im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt."

Mit Schreiben vom 14.02.2002, beim SG eingegangen am 15.02.2002, bat der Kläger wegen Missverständnis, Täuschung und irreführender Aussagen "das Verfahren wieder einzusetzen", um Unklarheiten überprüfen und zu beseitigen. Im Übrigen bemängelte er, dass die Beklagte ihre Zusicherung aus der mündlichen Verhandlung, ihm kurzfristig einen Bescheid zu erteilen, nicht eingehalten habe.

Mit Schreiben vom 04.03.2002 (gerichtet an das SG wie auch an den Kläger) teilte die Beklagte mit, dass der Bevollmächtigte des Klägers bereits mit Schreiben vom 14.12.2001 davon unterrichtet worden sei, dass kein neuer Bescheid zu erteilen sei, da das Teilanerkenntnis vom 16.10.1995 bereits in dem Rentenbescheid vom 26.01.1996 eingearbeitet sei. Mit weiteren Schreiben vom 11.03.2002 und 18.04.2002 an das SG machte der Kläger schwerwiegende Fehler in seinem Verfahren geltend und teilte mit, dass er das "Urteil mit Irrtümern" nicht akzeptieren könne. Das SG wertete die vorgenannten Schreiben des Klägers in der Gesamtschau als Anfechtung der Verfahrensbeendigung und teilte den Beteiligten am 10.05.2002 mit, dass das Verfahren unter dem neuen Az: S 1 RA 202/02 A fortgesetzt werde. Der Kläger verfolgte sein Klagebegehren, insbesondere die beantragte Höherstufung in den Leistungsgruppen nach dem FRG, in der Folgezeit weiter. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 22.12.2004 hat der Kläger beantragt, ihn für die Zeit vom 01.06.1964 bis 31.05.1978 nicht in die Leistungsgruppe 3, sondern in die Leistungsgruppe 2 (für Angestellte) einzustufen. Die Beklagte hat beantragt, festzustellen, dass der Rechtsstreit mit dem Az: S 1 RA 132/95 erledigt ist.

Mit Urteil vom 22.12.2004 hat das SG festgestellt, dass das Klageverfahren S 1 RA 132/95 durch die Prozesserklärung des Klägers vom 07.12.2001 in der Hauptsache erledigt ist. Dieses Verfahren habe nicht fortgesetzt werden dürfen, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2001 den Rechtsstreit für erledigt erklärt habe. Die vom Bevollmächtigten des Klägers mit dessen Einverständnis abgegebene Prozesserklärung sei ihm vorgelesen und von ihm genehmigt worden. Die Erledigungserklärung sei eine Prozesshandlung, die das Gericht und die Beteiligten binde; sie könne grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden. Mit der Erledigterklärung des Rechtsstreits seien die ablehnenden Bescheide der Beklagten rechtsverbindlich geworden. Daran sei auch das Gericht gebunden. Eine Entscheidung über den vom Kläger gestellten Sachantrag habe nicht mehr ergehen dürfen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 24.01.2005 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er hat weiterhin eine Höherstufung in den Leistungsgruppen für die Zeit von 1964 bis 1978 verlangt und des Weiteren beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 22.12.2004 aufzuheben. Im Übrigen äußerte er seine Unzufriedenheit mit dem Verlauf der mündlichen Verhandlung am 07.12.2001. Bezüglich der Einstufung in die Leistungsgruppe 2 betrachte er den Rechtsstreit keinesfalls für erledigt. Mit Schreiben vom 03.03.2005 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass im Berufungsverfahren lediglich die Feststellung im Urteil des SG, dass der ursprüngliche Rechtsstreit erledigt ist, überprüft werden könne.

In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger, nach nochmaliger Belehrung über den Streitgegenstand, die Beklagte zu verurteilen, ihn in der Zeit vom 01.06.1964 bis 31.05.1978 in die Leistungsgruppe 2 der Angestellten versicherung einzustufen.

Die Beklagte beantragte, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte des SG Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Der Kläger beantragt nach seinem Gesamtvorbringen, das Urteil des SG Nürnberg aufzuheben und in Fortsetzung des ursprünglichen Rechtsstreits mit dem Az: S 1 RA 132/95 seinem Verlangen nach einer Höherstufung in den Leistungsgruppen nach dem FRG stattzugeben. Die Berufung des Klägers beinhaltet jedoch keine Nichtigkeits- oder Restitutionsklage iS des § 179 Abs 1 SGG iVm § 578 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO), sondern lediglich den Antrag auf Fortsetzung des ursprünglichen Klageverfahrens.

Das SG hat zu Recht festgestellt, dass das Klageverfahren S 1 RA 132/95 durch die Prozesserklärung des Klägers vom 07.12.2001 erledigt ist. Über das im Klageverfahren S 1 RA 132/95 ursprünglich streitige Rechtsschutzbegehren (auf Höherstufung in den Leistungsgruppen nach dem FRG) darf der Senat nicht mehr entscheiden, da dieser Rechtsstreit durch die (mit ausdrücklicher Zustimmung des Klägers) von seinem Prozessbevollmächtigten abgegebene Erledigungserklärung vom 07.12.2001 seine Beendigung gefunden hat. Auch im sozialgerichtlichen Prozess gilt - wie nach den übrigen Verfahrensordnungen - die Dispositionsmaxime (vgl. Mayer-Ladewig u.a., Komm. zum SGG, 8.Aufl, RdNr 3 vor § 60). Das bedeutet: Rechtsschutz wird nur auf Antrag (Klage, Berufung) der Beteiligten gewährt; diese haben die Verfügungsbefugnis über den Streitgegenstand, bestimmen ihn mit ihren Anträgen und können nach Maßgabe des Verfahrensrechts die Klage (oder ein Rechtsmittel) zurücknehmen, die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären und den Prozess durch (angenommenes) Anerkenntnis (§ 101 Abs 2 SGG) oder durch gerichtlichen Vergleich (§ 101 Abs 1 SGG) beenden (Mayer-Ladewig aaO). Ob der Rechtsstreit durchgeführt wird, liegt also weitgehend in der Hand der Beteiligten. Kommt aufgrund eindeutiger und wirksamer Prozesshandlungen einer der vorgenannten Erledigungsgründe in Betracht, ist das Gericht gebunden und darf nicht mehr in der Hauptsache entscheiden (vgl Mayer-Ladewig, aaO, RdNr 6 zu § 125). Eine derartige Prozesssituation ist zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 07.12.2001 eingetreten. Denn nach dem Inhalt der Sitzungsniederschrift hat Rechtsanwalt E. ein Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Seine Prozessführung muss der Kläger gegen sich gelten lassen (§ 73 Abs 3 Satz 2 SGG); zudem hat er zu dieser Form der Verfahrensbeendigung gegenüber seinem Bevollmächtigten sein Einverständnis erklärt. Dem Kläger war auch Gelegenheit gegeben worden, nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung am 07.12.2001 sich mit seinem Bevollmächtigten zu beraten. Abgesehen davon, dass die Wirksamkeit einer in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erledigungserklärung nicht davon abhängig ist, dass die Protokollierungsvorschriften der §§ 160 Abs 3 Nr 8 und 162 Abs 1 ZPO beachtet worden sind (vgl BSG, Urteil vom 12.03.1981, in Breithaupt 1982 S 81), genügt die am 07.12.2001 aufgenommene Niederschrift voll den Protokollierungsvorschriften der §§ 159 ff ZPO: Die Erledigungserklärung wurde im Protokoll festgestellt; die Feststellung wurde den Beteiligten vorgelesen; im Protokoll wurde vermerkt, dass dies geschehen ist und dass der Bevollmächtigte des Klägers seine Genehmigung erteilt hat. Im Übrigen hat der Kläger selbst eine unrichtige Beurkundung nicht behauptet. Hinweise dafür, dass der Kläger durch eine von einem Prozessbeteiligten ausgehende Täuschung zur Abgabe der Beendigungserklärung veranlasst worden wäre, liegen - entgegen seinem Vorbringen im Schriftsatz vom 14.02.2002 - nicht vor. Die abgegebene Prozesserklärung kann grundsätzlich nicht widerrufen werden. Die Anfechtungsgründe des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) - Irrtum, arglistige Täuschung und Drohung - finden auf diese Prozesshandlung keine Anwendung (vgl. BSG in SozR Nr 6 und SozR 1500 Nr 2 je zu § 102 SGG). Der Kläger kann daher auch nicht geltend machen, dass die Abgabe der Erklärung über die Beendigung des Rechtsstreits nicht seinem Willen entsprochen habe; denn insoweit würde es sich um einen unbeachtlichen Erklärungsirrtum handeln. Abgesehen davon kommt es für die Beurteilung von Willensmängeln auf die Person des Erklärenden (Rechtsanwalt E.), nicht dagegen auf die Vorstellungen des Klägers an. Dass der Bevollmächtigte die verfahrensbeendende Prozesserklärung abgeben wollte, unterliegt aber keinem Zweifel und wird selbst vom Kläger nicht bestritten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Rechtsstreit S 1 RA 132/95 durch die Prozesserklärung des Klägers vom 07.12.2001 vor dem SG erledigt ist, wie im angefochtenen Urteil des SG zutreffend festgestellt wurde. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil war deshalb zurückzuweisen.

Da die Berufung ohne Erfolg blieb, sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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