Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 14/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 29/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit der von den Antragsgegnern mit Schreiben vom 13.01.2005 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Versorgungsvertrages zum 28.02.2005.
Die Antragstellerin betreibt unter dem Namen "M." seit Oktober 1998 einen ambulanten Pflegedienst. Der Versorgungsvertrag mit den Antragsgegnern war zunächst für ein Jahr befristet geschlossen, seit 01.10.1999 bestand er unbefristet. Nachdem die AOK Bayern im Oktober 2004 Kenntnis von einem Urteil des Amtsgerichts N. vom 15.02.2002 erhalten hatte, mit dem die Klägerin und Antragstellerin wegen Abrechnungsbetruges zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, erfolgte nach Anhörung der Antragstellerin die Kündigung durch die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern. Aufgrund des Urteils sähen die Landesverbände der Pflegekassen in Bayern das Vertrauensverhältnis als derart erschüttert an, dass ein Festhalten an dem bestehenden Vertragsverhältnis unzumutbar sei. Ein außerordentlicher Kündigungsgrund gemäß § 74 Abs.2 SGB XI sei gegeben.
Hiergegen richtete sich die Klage zum Sozialgericht Nürnberg vom 07.02.2005. Zugleich wurde ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 22.02.2005 die aufschiebende Wirkung der Klage bis zu seiner Entscheidung in der Hauptsache angeordnet. Mit Urteil vom 20.06.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Kündigung sei rechtmäßig gewesen. Für die Kammer stehe aufgrund der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Akten fest, dass die Klägerin einen Leistungsbetrug im Rahmen der Pflegeversicherung zulasten der AOK Bayern - Pflegekasse begangen habe. Damit seien die Voraussetzungen des § 74 Abs.2 Satz 2 SGB XI erfüllt. Im Rahmen des § 72 Abs.2 SGB XI sei eine Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei seien sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Aus der Akte der Staatsanwaltschaft N. ergebe sich kein Hinweis darauf, dass die AOK Bayern oder die DAK als Anzeigeerstatter gegenüber der Staatsanwaltschaft die Klägerin angezeigt hätten. Vielmehr habe sich der Verdacht auf Abrechnungsbetrug aufgrund eines gescheiterten Brandanschlages am 26.04.2000, bei dem als Tatbeteiligter der damalige Ehegatte der Antragstellerin habe ermittelt werden können, ergeben. Im Laufe der Ermittlungen sei die Antragstellerin selbst in Tatverdacht geraten. Die AOK Bayern habe keine positive Kenntnis über den Ausgang des strafrechtlichen Verfahrens gehabt. Es sei zwar den Antragsgegnern möglich gewesen, bei Kenntnis des Ermittlungsverfahrens dessen Ausgang zu begleiten, beziehungsweise zu überwachen. Dies hätten die Antragsgegner unterlassen. Doch wiege dieser Umstand bei der Ermessensabwägung bei weitem nicht die Schwere der Verfehlung der Klägerin und Antragstellerin auf. Könne nämlich eine fristlose Kündigung bereits bei nicht grob fahrlässigem und nicht vorsätzlichem Handeln ausgesprochen werden, müsse eine fristlose Kündigung grundsätzlich dann ausgesprochen werden, wenn eine rechtskräftige Verurteilung wegen vorsätzlichen Abrechnungsbetruges zulasten einer Pflegekasse vorliege. Dann wiege ein mögliches Überwachungsversagen der Beklagten und Antragsgegner demgegenüber gering. § 74 Abs.2 Sätze 2 und 3 SGB XI gebe drei Beispiele für besonders gröbliche Pflichtverletzungen; dabei sei die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen gegenüber den Leistungsträgern ausdrücklich genannt.
Die Klägerin und Antragstellerin hat gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg am 20.06.2005 Berufung eingelegt. Gleichzeitig hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung der Berufungseinlegung anzuordnen. Dies sei erforderlich, damit sie nicht von heute auf morgen ihrer Existenzgrundlage gänzlich beraubt werde. Es sei den Beklagten und Antragsgegnern zuzumuten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung abzuwarten. Die Antragstellerin habe keinerlei Pflichtverstoß gegenüber den Antragsgegnern begangen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei notwendig, damit der Antragstellerin der verfassungsrechtlich geschützte "Berufsausübungsgrundsatz" erhalten bleibe. Bei Feststellung einer Kündigung sei der Patienten- und Kundenstamm der Antragstellerin unwiederbringlich verloren; auch würde die Antragstellerin einen erheblichen finanziellen Schaden erleiden. Die Antragsgegner hätten bis jetzt nicht nachgewiesen, dass sie erst im Herbst 2004 von dem Vorfall tatsächlich Kenntnis erlangt hätten. Dies sei ausgeschlossen, denn ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft habe das Verfahren in Gang gesetzt. Eine Nachfrage sei durch Verschulden unterblieben. Daraus folge, dass keinerlei Vertrauensverlust vorgelegen habe. Voraussetzung für eine wirksame Kündigung sei, dass eine wirksame Anhörung durchgeführt worden sei. Die Antragsgegnerin zu 7) habe vorgetragen, dass sie erst im März 2005 Kenntnis von dem Kündigungsgrund erhalten habe. Somit sei die Anhörung nicht wirksam erfolgt. Schon aus diesem Grund sei eine Aussetzung der Vollziehung geboten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.06.2005 und des Bescheides der Antragsgegner vom 13.01. 2005 bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
Die Antragsgegner haben bislang keinen Antrag gestellt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte des Sozialgerichts Nürnberg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
II.
Der form- und fristgerecht gestellte Antrag ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Berufung ist abzulehnen.
Gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 86a Abs.2 SGG i.d.F. des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.08.2001 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Gemäß §§ 74 Abs.3, 73 Abs.2 SGB XI hat die Klage gegen die Kündigung von Versorgungsverträgen grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. (§§ 154 Abs.1, 86a Abs.2 Nr.4 SGG)
Es liegt somit ein Fall des § 86a Abs.2 Nr.4 SGG vor.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 86a Abs.3 Satz 2 SGG soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.(Meyer-Ladewig-Keller-Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86b RdNrn.12, 12b, 12c) Es ist hier die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bzw. die Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren sowie das Dringlichkeitsinteresse zu prüfen. Bei der Interessenabwägung ist das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse des Antragstellers abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen.
Der Senat hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen pauschalen und summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage anhand der vorgelegten Akten keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
Für die Kündigung von Versorgungsverträgen sind wie für deren Abschluss die Landesverbände der Pflegekassen zuständig. Ihnen sind in §§ 72, 74 SGB XI zahlreiche Aufgaben zugewiesen. Die Kündigung ist von den am Vertragsschluss beteiligten Landesverbänden ausgesprochen worden. Sie ist zwar mit dem Briefkopf der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern versehen, dies ist aber unschädlich, da das Schreiben von den Vorstandsmitgliedern der verschiedenen Pflegekassen unterschrieben wurde.
Der Verwaltungsakt ist auch nicht wegen eines Anhörungsfehlers rechtswidrig. Die Antragsgegner haben gemäß § 24 SGB X die Antragstellerin vor Erlass des Verwaltungsaktes über die außerordentliche Kündigung im erforderlichen Maße angehört. Gemäß § 42 Sätze 1 und 2 SGB X kann derjenige, demgegenüber ein Verwaltungsakt erlassen worden ist, der in seine Rechte eingreift, dessen Aufhebung beanspruchen, sofern die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt worden ist. § 24 Abs.1 SGB X verpflichtet die Behörde, vor Erlass des angefochtenen Bescheides den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. § 24 SGB X dient sowohl der Wahrung der Rechte und Belange des Betroffenen als auch der Vermeidung von Fehlern der Verwaltung. Einerseits soll durch die Vorschrift sichergestellt werden, dass der Betroffene aktiv auf das Verfahren der Verwaltung und deren Entscheidung Einfluss nehmen kann; er soll vor Überraschungsentscheidungen und vor vorschnellen Eingriffen geschützt werden. Darüberhinaus soll durch diese Verfahrensweise das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Verwaltung gestärkt werden. Andererseits soll die Verwaltung vor Erlass des Verwaltungsaktes anhand der Stellungnahme des Betroffenen prüfen können, ob diese Veranlassung gibt, von dem Verwaltungsakt abzusehen oder ihn erst nach weiteren Ermittlungen, in anderer Form oder zu einem späteren Zeitpunkt zu erlassen.
Der Antragstellerin sind die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen mitgeteilt worden. Sie konnte sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern. Damit war eine hinreichende Information durch die Verwaltung gegeben. Dass das Schreiben von einem Sachbearbeiter der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern unterschrieben war, ändert nichts an der Tatsache, dass die Antragstellerin entsprechend der Vorschrift des § 24 SGB X angehört wurde.
Ein formaler Fehler kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Verband der Angestellten-Krankenkassen keine Kenntnis vom Kündigungsgrund gehabt hätte. Dagegen spricht, dass der Leiter der Landesvertretung das Kündigungsschreiben vom 13.01.2005 mit unterschrieben hat.
Eine gröbliche Pflichtverletzung, die zur Kündigung des Versorgungsvertrages berechtigt, setzt Vorsatz nicht voraus. Es genügt, dass die Einrichtung nicht erbrachte Leistungen gegenüber dem Leistungsträger abrechnet. Dies ist hier, wie sich aus dem Urteil vom 15.02.2002 ergibt, der Fall gewesen (§ 74 Abs.2 SGB XI). Die Antragstellerin räumt ein, dass sie wegen Abrechnungsbetruges rechtskräftig verurteilt ist. Ein solcher Abrechnungsbetrug hat die Regelfolge, dass die außerordentliche Kündigung zulässig ist, und dass die ihr nachfolgende Klage keine aufschiebende Wirkung hat (§ 74 Abs.3 Satz 2 i.V.m. § 73 Abs.2 Satz 2 SGB XI).
Diese Folge kann im Rahmen des einstweiligen Verfahrens auch dann nicht als unzumutbar betrachtet werden, wenn es sich - wie hier - nur um einige Betrugsfälle handelt, die zudem schon einige Jahre zurückliegen. Es kann offen bleiben, ob das Interesse der Versichertengemeinschaft nicht rigorosen Schutz schon bei einem einzigen bekannt gewordenen Betrugsfall erfordert. Jedenfalls handelte sich bei der außerordentlichen Kündigung nicht um eine Unzumutbarkeit für die Antragstellerin, die vielmehr damit rechnen musste, dass Folge ihres Tuns ihr finanzieller Ruin sein kann. Ohnehin ist zweifelhaft, ob es sich beim Eintritt des finanziellen Ruins um einen Nachteil handelt, zu dessen nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 09.10.2000, L 16 B 35/00 P). Die Antragstellerin führt auch vergeblich die Interessen ihrer Arbeitnehmer ins Feld. Es kann offen bleiben, inwieweit hier Drittinteressen Rechnung getragen werden kann. (vgl. LSG NRW a.a.O.).
Nachweise, dass der Antragstellerin schwere finanzielle Nachteile drohen, wenn die Vollziehung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg nicht ausgesetzt würde, hat die Antragstellerin im Übrigen nicht vorgelegt.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit der von den Antragsgegnern mit Schreiben vom 13.01.2005 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Versorgungsvertrages zum 28.02.2005.
Die Antragstellerin betreibt unter dem Namen "M." seit Oktober 1998 einen ambulanten Pflegedienst. Der Versorgungsvertrag mit den Antragsgegnern war zunächst für ein Jahr befristet geschlossen, seit 01.10.1999 bestand er unbefristet. Nachdem die AOK Bayern im Oktober 2004 Kenntnis von einem Urteil des Amtsgerichts N. vom 15.02.2002 erhalten hatte, mit dem die Klägerin und Antragstellerin wegen Abrechnungsbetruges zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, erfolgte nach Anhörung der Antragstellerin die Kündigung durch die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern. Aufgrund des Urteils sähen die Landesverbände der Pflegekassen in Bayern das Vertrauensverhältnis als derart erschüttert an, dass ein Festhalten an dem bestehenden Vertragsverhältnis unzumutbar sei. Ein außerordentlicher Kündigungsgrund gemäß § 74 Abs.2 SGB XI sei gegeben.
Hiergegen richtete sich die Klage zum Sozialgericht Nürnberg vom 07.02.2005. Zugleich wurde ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 22.02.2005 die aufschiebende Wirkung der Klage bis zu seiner Entscheidung in der Hauptsache angeordnet. Mit Urteil vom 20.06.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Kündigung sei rechtmäßig gewesen. Für die Kammer stehe aufgrund der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Akten fest, dass die Klägerin einen Leistungsbetrug im Rahmen der Pflegeversicherung zulasten der AOK Bayern - Pflegekasse begangen habe. Damit seien die Voraussetzungen des § 74 Abs.2 Satz 2 SGB XI erfüllt. Im Rahmen des § 72 Abs.2 SGB XI sei eine Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei seien sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Aus der Akte der Staatsanwaltschaft N. ergebe sich kein Hinweis darauf, dass die AOK Bayern oder die DAK als Anzeigeerstatter gegenüber der Staatsanwaltschaft die Klägerin angezeigt hätten. Vielmehr habe sich der Verdacht auf Abrechnungsbetrug aufgrund eines gescheiterten Brandanschlages am 26.04.2000, bei dem als Tatbeteiligter der damalige Ehegatte der Antragstellerin habe ermittelt werden können, ergeben. Im Laufe der Ermittlungen sei die Antragstellerin selbst in Tatverdacht geraten. Die AOK Bayern habe keine positive Kenntnis über den Ausgang des strafrechtlichen Verfahrens gehabt. Es sei zwar den Antragsgegnern möglich gewesen, bei Kenntnis des Ermittlungsverfahrens dessen Ausgang zu begleiten, beziehungsweise zu überwachen. Dies hätten die Antragsgegner unterlassen. Doch wiege dieser Umstand bei der Ermessensabwägung bei weitem nicht die Schwere der Verfehlung der Klägerin und Antragstellerin auf. Könne nämlich eine fristlose Kündigung bereits bei nicht grob fahrlässigem und nicht vorsätzlichem Handeln ausgesprochen werden, müsse eine fristlose Kündigung grundsätzlich dann ausgesprochen werden, wenn eine rechtskräftige Verurteilung wegen vorsätzlichen Abrechnungsbetruges zulasten einer Pflegekasse vorliege. Dann wiege ein mögliches Überwachungsversagen der Beklagten und Antragsgegner demgegenüber gering. § 74 Abs.2 Sätze 2 und 3 SGB XI gebe drei Beispiele für besonders gröbliche Pflichtverletzungen; dabei sei die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen gegenüber den Leistungsträgern ausdrücklich genannt.
Die Klägerin und Antragstellerin hat gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg am 20.06.2005 Berufung eingelegt. Gleichzeitig hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung der Berufungseinlegung anzuordnen. Dies sei erforderlich, damit sie nicht von heute auf morgen ihrer Existenzgrundlage gänzlich beraubt werde. Es sei den Beklagten und Antragsgegnern zuzumuten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung abzuwarten. Die Antragstellerin habe keinerlei Pflichtverstoß gegenüber den Antragsgegnern begangen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei notwendig, damit der Antragstellerin der verfassungsrechtlich geschützte "Berufsausübungsgrundsatz" erhalten bleibe. Bei Feststellung einer Kündigung sei der Patienten- und Kundenstamm der Antragstellerin unwiederbringlich verloren; auch würde die Antragstellerin einen erheblichen finanziellen Schaden erleiden. Die Antragsgegner hätten bis jetzt nicht nachgewiesen, dass sie erst im Herbst 2004 von dem Vorfall tatsächlich Kenntnis erlangt hätten. Dies sei ausgeschlossen, denn ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft habe das Verfahren in Gang gesetzt. Eine Nachfrage sei durch Verschulden unterblieben. Daraus folge, dass keinerlei Vertrauensverlust vorgelegen habe. Voraussetzung für eine wirksame Kündigung sei, dass eine wirksame Anhörung durchgeführt worden sei. Die Antragsgegnerin zu 7) habe vorgetragen, dass sie erst im März 2005 Kenntnis von dem Kündigungsgrund erhalten habe. Somit sei die Anhörung nicht wirksam erfolgt. Schon aus diesem Grund sei eine Aussetzung der Vollziehung geboten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.06.2005 und des Bescheides der Antragsgegner vom 13.01. 2005 bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
Die Antragsgegner haben bislang keinen Antrag gestellt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte des Sozialgerichts Nürnberg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
II.
Der form- und fristgerecht gestellte Antrag ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Berufung ist abzulehnen.
Gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 86a Abs.2 SGG i.d.F. des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.08.2001 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Gemäß §§ 74 Abs.3, 73 Abs.2 SGB XI hat die Klage gegen die Kündigung von Versorgungsverträgen grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. (§§ 154 Abs.1, 86a Abs.2 Nr.4 SGG)
Es liegt somit ein Fall des § 86a Abs.2 Nr.4 SGG vor.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 86a Abs.3 Satz 2 SGG soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.(Meyer-Ladewig-Keller-Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86b RdNrn.12, 12b, 12c) Es ist hier die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bzw. die Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren sowie das Dringlichkeitsinteresse zu prüfen. Bei der Interessenabwägung ist das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse des Antragstellers abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen.
Der Senat hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen pauschalen und summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage anhand der vorgelegten Akten keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
Für die Kündigung von Versorgungsverträgen sind wie für deren Abschluss die Landesverbände der Pflegekassen zuständig. Ihnen sind in §§ 72, 74 SGB XI zahlreiche Aufgaben zugewiesen. Die Kündigung ist von den am Vertragsschluss beteiligten Landesverbänden ausgesprochen worden. Sie ist zwar mit dem Briefkopf der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern versehen, dies ist aber unschädlich, da das Schreiben von den Vorstandsmitgliedern der verschiedenen Pflegekassen unterschrieben wurde.
Der Verwaltungsakt ist auch nicht wegen eines Anhörungsfehlers rechtswidrig. Die Antragsgegner haben gemäß § 24 SGB X die Antragstellerin vor Erlass des Verwaltungsaktes über die außerordentliche Kündigung im erforderlichen Maße angehört. Gemäß § 42 Sätze 1 und 2 SGB X kann derjenige, demgegenüber ein Verwaltungsakt erlassen worden ist, der in seine Rechte eingreift, dessen Aufhebung beanspruchen, sofern die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt worden ist. § 24 Abs.1 SGB X verpflichtet die Behörde, vor Erlass des angefochtenen Bescheides den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. § 24 SGB X dient sowohl der Wahrung der Rechte und Belange des Betroffenen als auch der Vermeidung von Fehlern der Verwaltung. Einerseits soll durch die Vorschrift sichergestellt werden, dass der Betroffene aktiv auf das Verfahren der Verwaltung und deren Entscheidung Einfluss nehmen kann; er soll vor Überraschungsentscheidungen und vor vorschnellen Eingriffen geschützt werden. Darüberhinaus soll durch diese Verfahrensweise das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Verwaltung gestärkt werden. Andererseits soll die Verwaltung vor Erlass des Verwaltungsaktes anhand der Stellungnahme des Betroffenen prüfen können, ob diese Veranlassung gibt, von dem Verwaltungsakt abzusehen oder ihn erst nach weiteren Ermittlungen, in anderer Form oder zu einem späteren Zeitpunkt zu erlassen.
Der Antragstellerin sind die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen mitgeteilt worden. Sie konnte sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern. Damit war eine hinreichende Information durch die Verwaltung gegeben. Dass das Schreiben von einem Sachbearbeiter der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern unterschrieben war, ändert nichts an der Tatsache, dass die Antragstellerin entsprechend der Vorschrift des § 24 SGB X angehört wurde.
Ein formaler Fehler kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Verband der Angestellten-Krankenkassen keine Kenntnis vom Kündigungsgrund gehabt hätte. Dagegen spricht, dass der Leiter der Landesvertretung das Kündigungsschreiben vom 13.01.2005 mit unterschrieben hat.
Eine gröbliche Pflichtverletzung, die zur Kündigung des Versorgungsvertrages berechtigt, setzt Vorsatz nicht voraus. Es genügt, dass die Einrichtung nicht erbrachte Leistungen gegenüber dem Leistungsträger abrechnet. Dies ist hier, wie sich aus dem Urteil vom 15.02.2002 ergibt, der Fall gewesen (§ 74 Abs.2 SGB XI). Die Antragstellerin räumt ein, dass sie wegen Abrechnungsbetruges rechtskräftig verurteilt ist. Ein solcher Abrechnungsbetrug hat die Regelfolge, dass die außerordentliche Kündigung zulässig ist, und dass die ihr nachfolgende Klage keine aufschiebende Wirkung hat (§ 74 Abs.3 Satz 2 i.V.m. § 73 Abs.2 Satz 2 SGB XI).
Diese Folge kann im Rahmen des einstweiligen Verfahrens auch dann nicht als unzumutbar betrachtet werden, wenn es sich - wie hier - nur um einige Betrugsfälle handelt, die zudem schon einige Jahre zurückliegen. Es kann offen bleiben, ob das Interesse der Versichertengemeinschaft nicht rigorosen Schutz schon bei einem einzigen bekannt gewordenen Betrugsfall erfordert. Jedenfalls handelte sich bei der außerordentlichen Kündigung nicht um eine Unzumutbarkeit für die Antragstellerin, die vielmehr damit rechnen musste, dass Folge ihres Tuns ihr finanzieller Ruin sein kann. Ohnehin ist zweifelhaft, ob es sich beim Eintritt des finanziellen Ruins um einen Nachteil handelt, zu dessen nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 09.10.2000, L 16 B 35/00 P). Die Antragstellerin führt auch vergeblich die Interessen ihrer Arbeitnehmer ins Feld. Es kann offen bleiben, inwieweit hier Drittinteressen Rechnung getragen werden kann. (vgl. LSG NRW a.a.O.).
Nachweise, dass der Antragstellerin schwere finanzielle Nachteile drohen, wenn die Vollziehung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg nicht ausgesetzt würde, hat die Antragstellerin im Übrigen nicht vorgelegt.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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