L 11 SO 17/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 20 SO 96/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SO 17/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.06.2005 wird der Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 10.01.2005 in Ziff 2 dahin abgeändert, dass die Klägerin der Beigeladenen für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2004 einen Mehrbedarf nach § 23 Abs 1 BSHG in Höhe von monatlich 14,40 EUR zu bewilligen hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlages wegen Alters nach § 23 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2004.

Die 1930 geborene Beigeladene erhielt bis zum 31.12.2002 von der Klägerin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG. Diese Leistungen der Sozialhilfe umfassten auch einen Mehrbedarfszuschlag gemäß § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG, weil die Beigeladene zwar nicht das Merkzeichen "G" im Schwerbehindertenausweis besaß, aber ein solcher Mehrbedarfszuschlag für den Stichtag 31.07.1996 gemäß § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG von der Klägerin anerkannt worden war.

Ab dem 01.01.2003 bewilligte die Klägerin der Beigeladenen Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG). Ein Mehrbedarf wegen Alters nach § 23 Abs 1 BSHG wurde der Beigeladenen allerdings von der Klägerin nicht mehr zugestanden.

Mit Schreiben vom 25.01.2003 erhob die Beigeladene Widerspruch, dem die Klägerin nicht abhalf, weil die Beigeladene keinen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "G" gemäß § 3 Abs 1 Nr 4 GSiG vorlegen konnte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2005 hob die Regierung von Mittelfranken die Entscheidung der Klägerin, der Beigeladenen ab dem 01.01.2003 den Mehrbedarf wegen Alters zu versagen, auf und verpflichtete die Klägerin, einen Mehrbedarf nach § 23 Abs 1 BSHG ab dem 01.01.2003 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Ein solcher Mehrbedarf stehe der Beigeladenen unabhängig davon zu, ob sie einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "G" besitze, weil ihr die Klägerin am Stichtag 31.07.1996 ein solcher Mehrbedarf nach altem Recht zuerkannt habe.

Mit ihrer am 09.02.2005 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) eingegangenen Klage beantragte die Klägerin, den Widerspruchsbescheid vom 10.01.2005 aufzuheben und den Widerspruch der Beigeladenen zurückzuweisen.

§ 3 Abs 1 Nr 4 GSiG sehe einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 20 vH des maßgeblichen Regelsatzes nach § 3 Abs 1 Nr 1 GSiG nur im Falle des Besitzes eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G" vor. Die frühere im Bundessozialhilfegesetz enthaltene Regelung für Altfälle wurde damit offenbar bewusst nicht mehr in das GSiG übernommen. Die Leistungen der Grundsicherung seien denen des BSHG vorrangig. Hätte für die Beigeladene neben den Leistungen der Grundsicherung ein zusätzlicher Bedarf sozialhilferechtlich gedeckt werden müssen, so hätte die Beigeladene diesen Bedarf und den Mehrbedarf wegen Alters im Wege der Besitzstandsregelung erhalten. Allein den Mehrbedarf nach § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG zu bewilligen, sei nicht möglich gewesen.

Der Beklagte beantragte, die Klage zurückzuweisen.

Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofes, dass durch die Leistungen der Grundsicherung keine Verschlechterung der Hilfeempfänger eintreten dürfe. Damit sei das BSHG neben den GSiG voll umfänglich anzuwenden, wenn die Leistungen nach dem GSiG hinter denen des BSHG zurückblieben. Für den Gesetzgeber habe keine Veranlassung bestanden, wegen des Mehrbedarfszuschlages eine ausdrückliche Regelung zur Besitzstandswahrung in das GSiG aufzunehmen, weil die Vorschrift des § 23 Abs 1 BSHG die betroffenen Fälle in diesem Sinne weiterhin abschließend regele.

Mit Beschluss vom 30.03.2005 lud das SG die Hilfeempfängerin zum Verfahren bei.

Mit Urteil vom 07.06.2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 10.01.2005 und führte ergänzend aus, dass es offensichtlich vom Gesetzgeber bei Einführung des GSiG nicht gewollt gewesen sei, Sozialleistungsempfänger schlechter zu stellen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer beim Bayer. Landessozialgericht am 29.09.2005 eingegangenen Berufung.

Sie beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.06.2005 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 10.01.2005 aufzuheben.

Sie wiederholt im Wesentlichen ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auch er wiederholt im Wesentlichen seine bisherigen Ausführungen.

Wegen des Erörterungstermines vom 01.12.2005 wird auf die Niederschrift vom selben Tage Bezug genommen. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und der Übertragung des Rechtsstreites auf den Einzelrichter zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Der Berichterstatter konnte gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG anstelle des Senats als Einzelrichter entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben. Die Beteiligten haben zudem auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 124 Abs 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nur in einem geringen Umfang begründet. Das SG hat im Übrigen die Klage zu Recht abgewiesen, weil der hier angefochtene Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 10.01.2005 in den wesentlichen Punkten rechtmäßig ergangen ist.

Streitgegenständlich im Berufungsverfahren ist allein die Frage, ob ein bisheriger Sozialhilfeempfänger, der ab dem 01.01.2003 Leistungen nach GSiG erhält und nicht über einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "G" verfügt, unter Anwendung der Übergangsregelung in § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG bis zum 31.12.2004 einen Mehrdarfszuschlag wegen Alters erhalten kann.

Das Gericht schließt sich in dieser Frage der bisher ergangenen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu BayVGH vom 25.07.2000 Az: 12 ZB 00506; vom 09.02.2004 Az: 12 B 99.3472 und vom 17.02.2004 FEVS 56, 223) mit folgenden Erwägungen an:

Der Gesetzgeber hat mit Erlass des GSiG, das am 01.01.2003 in Kraft getreten ist, eine Schlechterstellung bisheriger Bezieher von Leistungen der Sozialhilfe gerade nicht erreichen wollen. Ziel des GSiG war es vor allem, älteren oder dauernd voll erwerbsgeminderten Menschen eine eigenständige soziale Sicherung zu geben und die versteckte Altersarmut zu bekämpfen. Dem stünde entgegen, wenn auf der Bedarfseite bislang gesetzlich vorgesehene und gewährte Leistungen zur Besitzstandswahrung im Einzelfall entfielen.

Richtig ist, dass das GSiG die frühere Übergangsregelung des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG in § 3 Abs 1 Nr 4 GSiG nicht übernommen hat.

Das hat zur Folge, dass Personen, die Leistungen nach dem GSiG in der Höhe der Leistungen der Sozialhilfe oder darüber hinaus erhalten, einen solchen übergangsweise gewährten Mehrbedarf nicht mehr erhalten. Anders ausgedrückt, bisherigen Beziehern von Sozialhilfeleistungen, die ab dem 01.01.2003 gleichhohe oder höhere Leistungen nach dem GSiG erhalten, steht ein solcher Mehrbedarf nur zu, wenn sie die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 Nr 4 GSiG vollständig erfüllen, also einen Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen "G" besitzen.

Anders verhält es sich bei Personen, deren Leistungen nach dem GSiG ab dem 01.01.2003 die Höhe der Leistungen nach dem bisherigen BSHG nicht erreichen, wobei diese Vergleichsberechnung unter Einbeziehung des Mehrbedarfszuschlages nach dem früheren § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG zu erfolgen hat. Anders wäre die auch gesetzlich gewollte Besitzstandswahrung nicht zu erreichen (so auch BayVGH vom 17.02.2004 aaO). Maßgebend ist dabei der aktuelle Regelsatz und nicht der vom 31.07.1996 (so auch Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Auflage 2002, § 23 RdNr 14).

Eine Unterbrechung der Gewährung des Mehrbedarfszuschlages nach dem 31.07.1996 ist grundsätzlich unschädlich, weil § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG allein darauf abstellt, dass der Mehrbedarfszuschlag am 31.07.1996 anerkannt worden war (vgl dazu BayVGH vom 09.02.2004 aaO).

Erhält der Betroffene im Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2004 mithin Leistungen nach dem GSiG, die der Höhe nach hinter den vergleichbaren Leistungen nach dem BSHG einschließlich des Mehrbedarfes nach § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG zurückbleiben, so hat der Sozialhilfeträger ergänzend bis zur Höhe der vergleichbaren Leistungen nach dem BSHG den Mehrbedarfszuschlag zu bewilligen und zwar als ergänzende Sozialhilfeleistung. Ob der Hilfeempfänger neben den Leistungen nach dem GSiG noch einen anderen sozialhilferechtlichen (Mehr-)Bedarf hat, ist nicht entscheidungserheblich, weil im anderen Fall wiederum eine finanzielle Schlechterstellung der im Hilfebezug stehenden Personen einträte, die nach dem oben Gesagten zu verhindern ist.

Mithin hat die Beigeladene unmittelbar aus § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG einen Anspruch auf Mehrbedarfszuschlag wegen Alters, weil sie die dort genannten Voraussetzungen unstreitig erfüllt.

Eingeschränkt ist dieser Anspruch aber in zweierlei Hinsicht. Zum einen steht der Beigeladenen dieser Anspruch nur im Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2004 zu, weil ab dem 01.01.2005 das GSiG und das BSHG außer Kraft getreten sind. Auch der Höhe nach ist der Anspruch der Beigeladenen beschränkt, weil es nur gilt, ihren Besitzstand zu wahren. Sie erhält deshalb im vorgenannten Zeitraum den Mehrbedarfszuschlag nicht in gesetzlicher Höhe, wie der Widerspruchsbescheid unter Ziff 2 ausführt, sondern nur in Höhe des Differenzbetrages zwischen den Leistungen nach dem GSiG und den vorausgegangenen Leistungen nach dem BSHG unter Einbeziehung der Übergangsregelung in § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG. Rechnerisch beläuft sich - das ist zwischen den Beteiligten unstreitig - dieser Betrag auf 14,40 EUR monatlich für die Jahre 2003 und 2004. Allein insoweit waren das Urteil des SG vom 07.06.2005 und der angefochtene Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 10.01.2005 abzuändern.

Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a SGG iVm § 154 Abs 2, § 155 Abs 1 Satz 3, § 162 Abs 3 VwGO.

Gründe, eine Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen liegen nicht vor, insbesondere sind die hier entscheidungserheblichen Rechtsvorschriften zum 01.01.2005 außer Kraft getreten.
Rechtskraft
Aus
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